Tag 13 Göteborg
Allzu erholsam fällt mein Schlaf nicht aus, vielleicht war ich einfach nicht müde genug... Ich höre irgendeine Durchsage dumpf durch meine Ohrstöpsel, öffne ein Auge halb, schaue auf meinem Handy nach. Der blaue Punkt ist noch ein gutes Stück von Göteborg entfernt und planmäßig dauert die Fahrt noch fast eine Stunde. Also schließe ich das halb geöffnete Auge wieder ganz und schlafe weiter.
Plötzlich höre ich meinen Mitreisenden etwas sagen. Ich nehme die Ohrstöpsel heraus. "Are you awake?", fragt er.
Mhm, nicht wirklich... "We are arriving in Gothenburg. The train is half an hour early. Only in Sweden..." Mir ist schon aufgefallen, dass die Nachtzüge hier große Reserven haben und urplötzlich viel Verspätung abgebaut haben. Da rollen wir auch schon mit -22 an den Bahnsteig. "Well, enjoy rainy Gothenburg."
Ich hatte mich bereits darauf eingestellt. Dauerregen war vorhergesagt und es sieht auch ganz danach aus. Es schüttet, als ich aussteige und schleunigst unter das Bahnsteigdach flüchte.

Ich gönne mir ein Frühstück in einem nahegelegenen Café, nachdem ich meinen Koffer im Schließfach verstaut und die 3-Tageskarte für 20¤ besorgt habe. Dann stapfe ich durch den Regen zur nächsten Tramhaltestelle. Einfach drauflosfahren, das ist der Plan für den heutigen Tag, denn in mein Airbnb kann ich erst später einziehen.
Göteborg hat ein dichtes und in vielerlei Hinsicht spannendes Tramnetz.
Offizielle Karte von Västtrafik:
https://www.vasttrafik.se/globalassets/medi...buss-bat_a3.pdf
Die etwas übersichtlichere Fankarte:
https://transitmap.net/gothenburg-jens-svan...-carousel-11686
Da wären zum ersten die völlig verschiedenen Strecken - von der Führung durch die Fußgängerzone bis zur Premium-Schnellstraßenbahn im Raumabstand ist alles dabei.
Zweitens werden vier verschiedene Fahrzeugtypen eingesetzt, die ältesten Fahrzeuge stammen vom Ende der 60er Jahre vom schwedischen Hersteller Hägglunds. Es folgten zwischen 1984 und 1992 Wagen von Asea, die 1998-2003 um ein Niederflur-Mittelteil ergänzt wurden. Ab 2004 folgten dann Sirio von Ansaldobreda. Und wer den Hersteller liest, wird wenig verwundert sein, dass einige Jahre später ein Serienschaden entdeckt wurde und nahezu die gesamte Flotte wegen Rostschäden außer Betrieb genommen werden musste. Diese Fahrzeuge erwiesen sich als stets störanfällig und sind deswegen unbeliebt. Seit 2020 sind nagelneue Flexitys im Einsatz, teilweise als Zweirichtungswagen ausgeführt.
Drittens bin ich im Laufe der Tage auch über zahlreiche interessante Fahrpläne gestolpert, auf die ich noch näher eingehen werde. Grundsätzlich verkehren alle Linien tagsüber mindestens alle 10 Minuten, sonntags alle 12 Minuten, sodass sich auf vielen Strecken ein dichter Takt ergibt.
Beginnen wir einfach am Kungsportsplatsen in der Innenstadt, wo Flexity 494 einfährt, während der Sirio 446 den Fahrgastwechsel abwartet. Das flache Heck dieser Fahrzeuge finde ich sehr ungewöhnlich gestaltet.
In der Innenstadt herrscht viel Verkehr - auf Asea-Wagen 363 folgt ein Lion's City und ein Wagen der ältesten Generation.
Coronabedingte Vorschriften gibt es in Schweden ja bekanntlich eher wenige - die Abstandsregel wird dafür umso konsequenter umgesetzt. So reicht es offenbar nicht aus, dass der Fahrer in seiner abgeschlossenen Kabine sitzt, sondern zusätzlich ist noch die 1. Tür versperrt, der gesamte vordere Mehrzweckbereich inklusive 1. Sitzreihe abgesperrt und irgendwelche Plastiktrennwände reinimprovisiert.

Aus diesem Grund mag ich die Sirio nicht - es gibt einfach keinen Sitzplatz, indem ich dem Fahrer anständig über die Schulter schauen kann.
Blick durch den Wagen
Schaut man von der 2. Tür nach vorne, ist es wahrscheinlich nicht schwer, sich vorzustellen, was passiert, wenn die Tram voll wird. Da man vorne eine ewig lange Sackgasse hat, bleiben alle im Türbereich stehen, sodass der erste Wagenteil häufig nahezu ungenutzt bleibt, während sich die Fahrgäste im Mehrzweckbereich stapeln.
Einmal benutzt eine zusteigende Frau einfach trotz Verbot die erste Tür und schlüpft dann unter der Absperrung hindurch.
Kurioserweise sind im dritten Wagenteil über den Radsätzen normale Vierergruppen verbaut, im ersten und fünften dagegen die drei Längssitze.
In der letzten Reihe finden nochmal fünf Personen Platz - nur nach hinten rausschauen geht nicht.
Die Ansaldobreda-Wagen rumpeln ziemlich und haben ein etwas nerviges Fahrgeräusch.
Beginnen wir im Nordosten in der Schleife Bergsjön. In der App wird mir die Tram als mittel ausgelastet angezeigt - zu keinem Zeitpunkt war die Fahrgastzahl zweistellig. Auf der Fahrt hierhin wird mir auch klar, weswegen der Straßenbahnbetrieb in Göteborg als einer der wenigen die Umstellung auf Rechtsverkehr überlebt hat. Die Schnelltramstrecke erschließt eine Ende der 1960er Jahre entstandene Großwohnsiedlung im Nordosten Göteborgs, welche sich über einige Hügel erstreckt und ausschließlich durch Sackgassen auf der Straße erreicht werden kann. Letzteres finde ich doch recht interessant und unterscheidet sich stark von der damals üblichen autogerechten Stadt.

Wie auch in München zeigen die ZZA die verbleibende Zeit bis zur Abfahrt an, was ganz praktisch ist. Der Sinn des im Bild rechten Spiegels erschließt sich mir dagegen nicht - auf dieser Seite gibt es weder einen Bahnsteig noch Türen.