Das übliche Sitzplatzchaos tritt ein, ansonsten verläuft die Fahrt ereignislos. Pünktlich schaffen wir es bis an die deutsche Grenze. Nachdem der Zug in Padborg hält, wechselt das Zugpersonal. Die erste Handlung des zusteigenden deutschen Zugbegleiters ist - ohne Begrüßung - auf die ab hier geltende Maskenpflicht hinzuweisen. Nachdem ein Fahrgast dieser Aufforderung nicht unverzüglich nachkommt, wird er sofort durch den Zub darauf angesprochen. Der Fahrgast meint daraufhin, dass in Dänemark noch keine Maskenpflicht gelten würde, woraufhin ihn der Zugbegleiter in äußerst schroffer und unfreundlicher Weise zurechtweist. "Jetzt haben wir den Zug übernommen und jetzt gilt, was ich sage. Sonst können Sie gerne aussteigen." Na dann, herzlich Willkommen zurück in Deutschland bzw. ja eigentlich erst in ein paar Minuten.
Kurz hinter der Grenze legt der Zug auf deutscher Seite einen Betriebshalt ein und die Polizei steigt ein. Sie kontrollieren nur die Ausweise, sonst nichts. Offenbar können sich die Deutschen gleich zum Nachsitzen über die Grundsätze des Schengenraums zu den Dänen dazugesellen.
In Schleswig legt der Zug nochmal einen Betriebshalt ein, um die Polizei wieder aussteigen zu lassen. Warum man dann nicht auch gleich Fahrgastwechsel zulässt, bleibt mir ein Rätsel. Wenig später gibt's noch eine Zwangsbremsung, dann rollen wir durch einen ruhigen und sonnigen Abend Richtung Süden. Kühe und Pferde grasen im Abendlicht.
Mit der Ruhe ist es bald vorbei, denn in Rendsburg kommen wir außerplanmäßig zum Halten. "Sehr geehrte Fahrgäste, aufgrund spielender Kinder im Gleis ist die Strecke vor uns derzeit auf unbestimmte Zeit gesperrt. Die Polizei ist bereits verständigt."
War ja klar. Ich hatte bereits im Vorfeld der Reise mit einem (deutschen) Kollegen darüber gesprochen, dass die 27 min. Umsteigezeit vom IC aus Kopenhagen zum NJ nach München in meinen Augen der kritischste Punkt in der Planung ist. Ein Schweizer Kollege war dagegen total verwirrt - was sollte an 27 min. Umsteigezeit problematisch sein? Tja, zwei Stunden innerhalb Deutschlands ist mal wieder genug, um den Puls zu beschleunigen.
Nach gut einer halben Stunde tut sich immer noch nichts. "Dear passengers, due to playing kids on the track it is still not possible to go on. The police tries to catch them. Thank you." Die dreisprachige Information des Zugchefs muss ich jedenfalls sehr positiv hervorheben. Schließlich werden die Türen freigegeben, damit man sich die Beine auf dem Bahnsteig vertreten kann. Ich sehe meine Chancen auf eine angenehme letzte Etappe der Reise schwinden. Doch kaum ausgestiegen, geht das Signal auf. Erstmal bekommt das außer mir niemand mit und weil es mir ein wenig pressiert, suche ich schleunigst den Zub auf, um ihn über die positive Entwicklung in Kenntnis zu setzen.
Pfeeeeeeif!
Hastig werden Zigaretten ausgedrückt und der Zug wieder gestürmt.
Mit rund +40 geht es weiter. Der Zugchef nimmt geduldig alle Anschlusswünsche auf, macht mir aber bezüglich des NJ nach Österreich keine Hoffnung. Die Verspätung ist zu hoch.
Wir nähern uns Hamburg, bei der gefühlt zwanzigsten Aktualisierung im DB Navigator stehen nun sowohl der NJ nach Zürich als auch mein NJ nach München mit Verspätung drin. Ich bin wieder hoffnungsvoll, dass ich meine Nacht doch im Liegewagen und nicht im grell beleuchteten Großraum im ICE verbringen werde. Wenig später gibt der Zugchef die wartenden Anschlüsse bekannt. Er nennt sowohl den NJ 401 nach Zürich als auch den NJ 491/40491 nach Wien und Innsbruck. Puh, Glück gehabt. Kurz vor der Ankunft wird der Zugchef noch über einen kurzfristigen Gleiswechsel des NJ 401 von Gleis 12 auf Gleis 13 in Kenntnis gesetzt und er gibt die Information wieder vorbildlich in drei Sprachen weiter. Um 20:47 Uhr halten wir dann abweichend auf Gleis 8 im Abschnitt H-I an, welcher sich weit außerhalb der Bahnhofshalle befindet und eine Maximierung des Umsteigwegs bedeutet. Das macht für die zahlreichen Fahrgäste mit schwerem Gepäck natürlich besonders viel Spaß.
Um die Abfahrt des fast 30 Minuten wartenden NJ 491 nicht unnötig weiter zu verzögern (und weil ich bei Anschlussvormeldungen aus gutem Grund trotzdem skeptisch bleibe), renne ich trotz meiner günstigen Position an der ersten Türe über den Bahnsteig und die Passerelle zur Rolltreppe zum Bahnsteig 13/14. Da das Gleis 14 frei und der NJ 491 noch nicht eingefahren ist, bleibe ich zunächst im Bereich der Überführung.
An Gleis 13 steht der NJ 401 nach Zürich, planmäßige Abfahrt um 20:50 Uhr. Im DB Navigator sind zu diesem Zeitpunkt beide Nachtzüge mit neuer Abfahrtszeit um 20:56 Uhr hinterlegt. Einige weitere Fahrgäste kommen angerannt und steigen in den NJ 401 ein. Als die planmäßige Abfahrtszeit erreicht ist, ertönt im Bahnhof die Durchsage: "An Gleis 13 bitte einsteigen, der Zug fährt ab." Wenige Sekunden später werden die Türen geschlossen, nur eine weiter von der Rolltreppe entfernte Tür bleibt zur Abfertigung noch geöffnet. In der Zwischenzeit kommen weitere Fahrgäste angerannt, welche einen noch weiter verlängerten Umsteigeweg haben und durch die letzte geöffnete Tür einsteigen. Obwohl nun immer mehr Umsteiger herbeistürmen, wird der NJ abgefertigt, die letzte Tür geschlossen und der Zug fährt den herbeieilenden, winkenden und schreienden Menschen davon. Aufgrund der großen Zahl der Umsteiger sowie ihres Verhaltens steht es für mich außer Frage, dass das Abfertigungspersonal am Bahnsteig sie wahrgenommen haben muss und dennoch den Abfahrauftrag gegeben hat. Das scheinen die wütenden Fahrgäste auch zu merken und tun ihren Frust völlig zurecht gegenüber der wild fuchtelnden Bahnsteigsaufsicht kund.
Kurz nachdem der NJ 401 den Bahnsteig verlassen hat, wechselt der ZZA am Bahnsteig auf +++Verspätung ca. 5 min.+++ Ich vermute daher, dass das Abfertigungspersonal noch nicht darüber informiert war, dass der Anschluss aus Kopenhagen abzuwarten ist. Doch selbst wenn die Information nicht rechtzeitig weitergegeben wurde, finde ich es wahrlich erschütternd, Menschen vor der Nase die Türen zu verschließen und so dafür zu sorgen, dass ihre erste Erinnerung an den Sommerurlaub der vor ihren Augen abfahrende, vorgemeldete Anschlusszug ist.
Ich habe der DB diesen Vorfall geschildert. Dass der Anschluss abzuwarten ist, wurde dem Zugchef des NJ nach Zürich offenbar nicht weitergegeben, weswegen der Zug pünktlich abgefertigt wurde. Ich zitiere einen Satz - in meinen Augen sehr repräsentativ für das, was im deutschen Bahnsystem schiefläuft: "Die genauen Ursachen für die schwächelnde Kommunikationskette konnten noch nicht abschließend geklärt werden." Klappe zu, Anschluss weg. Warum genau, wissen wir auch nicht. Dass wir ein Dienstleistungsunternehmen sind, offenbar auch nicht. So oder so gibt es den Entenfangschen Preis für den Eisenbahner ohne Herz, der den Abfertigungsauftrag trotz der herbeieilenden Fahrgäste gegeben hat. Ich gratuliere herzlich.
Für mich dagegen beginnt die letzte Etappe wenig später wie gewünscht und das ist gleich doppeltes Glück, denn zuvor erreicht mich noch die Eilmeldung, dass die Lokführer ab übermorgen streiken. Die Bahn kann schon ein sehr gutes Verkehrsmittel sein, wenn sie denn mal nicht wegen Schnee, Sturm, oder Streik eingestellt ist.
Der NJ nach Österreich wurde wahrscheinlich in Altona zurückgehalten und kommt einige Minuten später eingefahren.
Ich teile mir das Abteil mit einem Mann um die 40 und seiner mindestens 10 Jahre jüngeren Freundin. Sie sind mit dem Motorrad unterwegs, wollten aber nicht die gesamte Strecke durch Deutschland fahren und probieren zum ersten Mal einen Nachtzug aus, während das Motorrad auf dem Autozugteil mitfährt. Zunächst wären sie etwas skeptisch gewesen, das Liegewagenabteil mit zwei Fremden zu teilen, hätten es aber mal ausprobieren wollen. Mit dem Preis von 800 ¤ für Hin- und Rückfahrt inkl. Fahrzeugtransport sind sie ganz zufrieden. Ich erkläre noch das eine oder andere zum Thema Eisenbahn, z.B. das der Nightjet von der ÖBB betrieben wird, weil die DB aus dem Nachtzuggeschäft ausgestiegen ist. Ich finde es stets erheiternd, wenn dann nach wenigen Minuten fast immer der gleiche Satz kommt. "Du kennst dich aber gut aus!" Sie sind jedenfalls mit dem Liegewagen zufrieden und verschwinden schließlich auf den beiden oberen Liegen.
In Hannover steigt eine alte Frau zu, die den Zug regelmäßig nutzt, um nach Jenbach zu fahren. "Ach ja, der kommt fast immer mit Verspätung. Manchmal eine halbe, manchmal eine Stunde. Aber am Ende ist er immer pünktlich." Sie liest noch eine Weile, dann löscht sie das Licht.
Das Abteil war dunkel,
der Mond schien helle,
als der Nightjet blitzeschnelle
mit einem sanften Ruckeln -
leise, nur ganz sachte -
mich zurück nach München brachte.
Etwa 10 Minuten vor Plan erreichen wir München, ich schleiche mich durch den Gang zur Tür. Die meisten Fahrgäste fahren noch weiter. Die Tür ist auch eine Minute nach Halt noch störrisch und der freundliche Schaffner probiert es selbst - erfolglos. Weitere zwei Minuten vergehen, dann zischt es und die Türen sind frei.
Fazit
Während ich bisher auf Reisen oft das Neue, Unbekannte, Exotische gesucht habe, stand die diesjährige Sommerreise unter einem ganz anderen Vorzeichen. Möglichst einfach, unkompliziert und maskenfrei meinem Hobby nachgehen. Ich habe es nicht bereut, nach fast anderthalb Jahren mal wieder das Gefühl zu haben, unter Menschen mit echten Gesichtern zu sein. Dazu noch die entspannte skandinavische Art, die offenen und netten Schweden und die zwei Wochen sind verflogen wie nichts. Die Stimmung ist eine völlig andere als in Deutschland oder der Schweiz, wo es seit anderthalb Jahren nur ein einziges Thema gibt, an dem sich Familien und Freundeskreise entzweien. Mein Eindruck ist, dass man durch die Zurückhaltung bei Einschränkungen und das Setzen auf die Vernunft vor allem das Klima der Angst vermieden hat und das macht sich deutlich positiv im Umgang miteinander und der Atmosphäre generell bemerkbar. Menschen umarmen sich, gehen auf Fremde zu und verunstalten keine Coronaregel-Plakate. Zumindest in Basel gibt es kaum noch eins, das nicht durchgestrichen, heruntergerissen oder um irgendwelche Verschwörungstheorien ergänzt wurde. Entgegen des Eindrucks, der möglicherweise aus den Medien entstanden ist (zumindest bei mir), gab es in Schweden nämlich durchaus Einschränkungen. Zum Zeitpunkt meines Besuchs waren Großveranstaltungen ebenso begrenzt wie die Personenzahl in Geschäften oder beim Gottesdienst.
Es ist mir sehr leicht gelungen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Eigentlich muss man gar nicht viel machen, plötzlich fragt der Kassierer im Supermarkt, woher ich komme und schon geht der Plausch los. Dass in Schweden einfach jeder Englisch spricht, erleichtert die Kommunikation natürlich erheblich.
Eine große Neuerung (für mich) habe ich auf der Reise dann doch ausprobiert - völlig bargeldlos unterwegs zu sein. Zunächst hatte ich noch vorgehabt, mir einen gewissen Bargeldvorrat zu beschaffen, doch ich habe in Stockholm drei Tage keinen Geldautomaten gesehen. Gleichzeitig akzeptieren viele Orte gar kein Bargeld mehr, sodass ich dann befürchtet habe, das Bargeld nicht mehr loszuwerden. Bis 2023 will Schweden das erste Land auf der Welt sein, in dem Bargeld komplett abgeschafft wird.
https://interestingengineering.com/sweden-h...ashless-society
https://sweden.se/life/society/a-cashless-society
Dass die Schweden dem sehr positiv gegenüberstehen, trägt natürlich auch zu dieser Entwicklung bei. Ich habe in den zwei Wochen nur dreimal jemanden beim Barzahlen gesehen. Für die Bettler ist das natürlich ungünstig - Straßenmusiker dagegen stellen ein Schild mit QR-Code für eine elektronische Spende auf. Für einen überzeugten Barzahler wie mich war es eine erhebliche Umstellung und irgendwie fühlt sich das Portemonnaie ohne Münzen so leer an... Dass es einige Menschen gibt, die sich sogar einen Chip implantieren lassen und damit bezahlen, finde ich doch arg gruselig.
Dass kein Land der EU mehr Flüchtlinge pro 100 Einwohner aufgenommen hat, macht sich deutlich bemerkbar. Im Gegensatz zu meinem ersten Besuch im Spätsommer 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise hat sich die Situation allerdings deutlich normalisiert. Damals war ich ziemlich geschockt von der großen Anzahl Bettler und Obdachloser, die die Straßen Stockholms bevölkert haben. Bei diesem Besuch ist mir nichts mehr dergleichen aufgefallen.
Der ÖV ist in den Großstädten gut ausgebaut und genießt eine ordentliche Bevorzugung. Die U-Bahn in Stockholm wird nun nach einem Ausbaustillstand seit den 90er Jahren aktuell wieder ausgebaut. In den nächsten 10 Jahren sollen eine Streckenverlängerung im Norden, ein neuer Abzweig an der grünen Stammstrecke (wird als neue gelbe Linie bezeichnet) sowie eine weitere Verbindung zwischen dem Nord- und Südteil der Stadt als Verlängerung der blauen Stammstrecke hinzukommen.
Der Wiederausbau der Tram dagegen kommt nur äußerst schleppend voran. Nach jahrelangem Kampf ist die einzige innerstädtische Linie (Spaarväg City) nun normaler ÖPNV ohne tarifliche Hürden. Durch eine kurze Verlängerung vom Sergels torg bis T-Centralen wurde die Umsteigesituation zur U-Bahn deutlich verbessert. Leider hat man trotzdem gespart und bis zum Fernbahnhof bleiben rund 500 m Fußweg, die man durch eine weitere Haltestelle ziemlich unkompliziert hätte erreichen können. Außerdem gibt es noch zwei weitere Tramnetze, welche die Umstellung von Links- auf Rechtsverkehr 1967 überlebt haben, weil sie vollständig auf unabhängigem Bahnkörper verlaufen. Dass man von einer Integration der Lidingöbanan in das U-Bahnnetz abgesehen hat, ist angesichts der zahlreichen BÜ nur allzu verständlich. Dass man sich so schwer tut, eine Verbindung mit dem Spaarväg City zu schaffen, ist mir dagegen wenig verständlich. Bedeuten die beiden separaten Netze mit (nahezu) identischen Fahrzeugen doch, dass man sie wohl auf der Straße überführen muss. Zumindest gehe ich davon aus, dass mindestens die große Instandhaltung im Depot der Lidingöbanan stattfindet, da die Fahrzeughalle auf Djurgaarden ziemlich klein ist und zudem noch historische Fahrzeuge enthält. Wenigstens die Nockebybanan wurde mit der ab 2000 entstandenen Halbring-Tangentiallinie Tvärbanan verbunden, welche inzwischen eine beachtliche Länge von etwa 20 km und zahlreiche aufwendige Brücken und Tunnels aufweist. Eine 8 km lange Zweigstrecke nach Helenelund ist im Bau.
Dass das flächendeckende Tramnetz in der Innenstadt nicht überlebt hat, ist natürlich schade. Doch dessen Einstellung und Ersatz durch die U-Bahn war bereits zu einem früheren Zeitpunkt beschlossen worden und wurde durch die Umstellung auf Rechtsverkehr nur vorzeitig umgesetzt. Einige Neubautrassen der Nachkriegsjahre wurden bereits als Schnellstraßenbahnstrecken ausgelegt und später ins U-Bahnnetz integriert. Kurz vor der Trameinstellung im Jahr 1965 sah der Masterplan U-Bahn wie folgt aus:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm...ckholm_1965.jpg
Bemerkenswert finde ich, dass schon damals Englisch offenbar in Schweden so weit verbreitet war, dass man die Legende zweisprachig ausgeführt hat. Bis auf eine wesentliche Ausnahme wurde der damalige Plan tatsächlich so umgesetzt - nur die zweite Wasserquerung wird wohl noch weitere 10 Jahre auf sich warten lassen. Interessant ist außerdem, dass die Integration zumindest eines Astes der Roslagsbanan in die U-Bahn vorgesehen war. Daraus ist bis heute nichts geworden, stattdessen bleiben die drei Äste dieser Vorortbahn ein Inselnetz auf 891 mm Spurweite und nahezu Parallelverkehr zur U-Bahn zwischen Stockholms östra und Mörby.
Als Ergänzung zum Schienenverkehr gibt es die Blue bus lines, vor allem durch ihre Taktdichte stark an einen Metrobus erinnern und tagsüber mindestens alle 10 min. verkehren. Ihre Liniennummern erinnern teilweise an die ehemaligen Tramlinien, so ist die heutige Linie 4 nahezu identisch zur Tram von 1946 (!).
https://stockholmskallan.stockholm.se/post/9714
Der übliche Takt unterscheidet sich nach Verkehrsmittel - die U-Bahn hat einen Grundtakt 10 (und fährt am Wochenende rund um die Uhr im Takt 30), die Tram und Pendeltaag (S-Bahn) hat dagegen einen Takt 7,5, die Roslags- und Saltsjöbanan je nach Tageszeit irgendwas zwischen 7,5, 20 und 30, die blauen Busse 5...7 min. Nicht zuletzt am Krauderwelsch der Taktdichten merkt man, dass das gesamte Nahverkehrsnetz in Stockholm sehr stark historisch gewachsen und jeder Teil für sich steht, aber kein richtig abgerundetes Gesamtkonzept besteht. Das Gegenteil ist dagegen beim Tarif der Fall - noch einfacher wie "Kaufe eine (Mehr-)Tageskarte und fahre überall im gesamten Netz außer zum Flughafen und nach Uppsala" geht es kaum - und dafür ist der Preis von 15¤ für die 24h-Karte ganz in Ordnung, aber freilich recht teuer, wenn man nicht vorhat, exzessiv das gesamte Netz zu erkunden.
Passend zum Taktdurcheinander gibt es auch noch unterschiedliche Betreiber, die unter dem Dach von Storstockholms Lokaltrafik (SL) arbeiten. Die Busse werden von Keolis, die Tram/Stadtbahn teils von Arriva, teils von Stockholms Spaarvägar betrieben, die U-Bahn von MTR (Hongkong), die Vorortzüge von Arriva, die S-Bahn (Pendeltaag) von MTR.
Trotz aller Umstände, der ewigen Baustelle am Knotenpunkt Slussen (die schon bei meinem ersten Besuch im Jahr 2015 bestand und noch mindestens 5 weitere Jahre dauern wird) sowie zahlreicher weiterer Baustellen in der Altstadt finde ich Stockholm eine nicht nur aus ÖPNV-Sicht sehenswerte Stadt, deren Zweitbesuch sich nun endlich ergeben hat. Stockholm ist eine sehr grüne Stadt mit vielen Brücken und Wasser und wird meiner Meinung nach zurecht auch Venedig des Nordens genannt.
In Göteborg hat die Geschichte eine andere Wendung genommen. Zwar gab es auch dort in den 1950er Jahren Überlegungen, die Tram auf eine in der Innenstadt unterirdische Stadtbahn und später auf eine Voll-U-Bahn umzubauen, doch der schwierige Baugrund verhinderte das Projekt. Stattdessen wurden alle Neubaustrecken in die Großwohnsiedlungen am Stadtrand völlig kreuzungsfrei aufwärtskompatibel mit U-Bahn-Standard angelegt. Doch zu einem Umbau im Stadtzentrum kam es nie. Stattdessen wurden einige Ergänzungen am Netz vorgenommen und diverse Haltestellen aufgelassen, um den Betriebsablauf zu beschleunigen. Es gab nur eine einzige nennenswerte Streckenstilllegung und ein dichtes Netz durchzieht die Innenstadt, sodass man selten weit bis zur nächsten Haltestelle laufen muss.
Aufgrund der langen Schnellstraßenbahnabschnitte und des üblichen rasanten Fahrstils ist die Tram recht flott unterwegs. Nichtsdestotrotz ist die Zuverlässigkeit eindeutig nicht zufriedenstellend. Durch die vielen Linienüberlagerungen kommen zwar auf den Schnellstraßenbahnstrecken alle paar Minuten eine Bahn, doch in der Innenstadt kommt es so zu beträchtlichen Eigenbehinderungen, da dort auch zahlreiche Busse die Tramtrassen mitnutzen. Während meines dreitägigen Aufenthalts kam es mehrfach zu größeren Verspätungen und Betriebsstörungen.
Nach langem Hin und Her bekommt Göteborg jetzt doch einen Tunnel in der Innenstadt - allerdings nicht für die Tram, sondern für die S-Bahn, welche ähnlich wie in Malmö einen Tunnel mit zwei neuen unterirdischen Bahnhöfen sowie einem unterirdischen Durchgangsbahnhof unter dem Kopfbahnhof erhält.
Mit ihrem bunten Fahrzeugpark auf abwechslungsreichen Strecken ist Göteborg für den Straßenbahnfan auf jeden Fall eine Reise wert und auch Stadt und Umland haben einige reizvolle Orte zu bieten.
Verlässt man die Agglomerationen, wird es dagegen schwierig, mit dem ÖV herumzukommen. Angesichts der riesigen, äußerst dünn besiedelten Gebiete im Norden ist das aber auch wenig verwunderlich. Abseits der Haupt-Bahnrouten kommt man ohne Auto nicht weit. Immerhin gibt es in den Sommermonaten einige Buslinien, welche die wichtigsten Wanderziele anfahren.
Die Eisenbahn funktioniert recht zuverlässig, allerdings scheint es insbesondere auf der stark im GV gefragten Strecke nach Narvik immer wieder mal größere Verspätungen zu geben. Ich hatte Glück, doch an anderen Tagen waren die Nachtzüge von/nach Abisko 2h verspätet. Möglicherweise haben Güterzüge Vorrang, da die schweren Erzzüge nur unter großem Aufwand gestoppt und wieder in Fahrt gebracht werden können. Die Richtungsbündelung (erst verkehren mehrere Züge hintereinander in eine Richtung, dann mehrere hintereinander in die Gegenrichtung) auf der eingleisigen Strecke lässt sich sehr gut beobachten, um Kreuzungen möglichst zu vermeiden und die Kapazität gut zu nutzen.
Alles in allem ziehe ich ein sehr positives Fazit aus den zwei Wochen - so wohl habe ich mich seit anderthalb Jahren nicht mehr gefühlt, einfach wieder wie ein normaler Mensch in einem normalen Umfeld. Am besten hat es mir in Göteborg gefallen und ich habe das gemütliche Herumfahren mit der Tram schon lange nicht mehr so genossen. Vieles spricht für eine baldige Rückkehr.
Statistik
Gefahrene Bahnkilometer: 6840
Planmäßige Gesamtfahrzeit: 3d 12h 23 min
Gesamtverspätung (analog FGR): -4 Minuten
Fahrtkosten gesamt: 646,70¤, davon:
Fahrkarten: 289,90¤
Reservierungen: 194,90¤
ÖPNV und Bus: 161,90¤
Kosten pro Bahnkm: 7,1 Cent