Tag 9 Oslo
Ein sonniger Tag begrüßt mich, schon wieder sind die Temperaturen deutlich im Plusbereich.
Jakob kirke
Junge Männer im pinken Foodora-Outfit sausen mit ihren Pedelecs über den Bürgersteig. Eine Buslinie vor meiner Haustür fährt direkt bis Tjuvholmen, einem Neubauquartier am Oslofjord. Ich bin der einzige Fahrgast an der Haltestelle und winke den Bus lieber heran, denn Norwegen gehört neben Tschechien und der Slowakei zu den Ländern, in denen schon mal ein Fahrzeug mit 50 km/h an mir vorbeigefahren ist, weil ich kein Handzeichen gegeben habe.

Eine bunte Mischung aus MAN, Solaris und VDL Elektrobussen ist in der Stadt unterwegs, wobei letztere noch in der Minderheit sind. Ich habe nur ein paar Minuten, um mich in Tjuvholmen umzusehen, ein Stadtviertel, dass auf künstlich aufgeschüttetem Land entwickelt wurde, ehe ich zum Fähranleger muss. Die Sonne kann zumindest im Hafenbecken nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Bild im Winter entstanden ist.
Eine Rikscha weit entfernt von ihrer Heimat, da kommen gleich Erinnerungen auf…
Osloer Stadtmusikanten
Einmal pro Stunde verbindet eine Fähre Aker Brygge mit den vorgelagerten Inseln. Mein heutiges Ziel ist Hovedøya. Wo genau fährt die nun ab?
Die erste ist ikke i traffik, die nächste überquert den Fjord nach Nesoddtangen und oh, dahinten gibt es ja noch einen Anleger. Ich habe weniger als zwei Minuten und dummerweise ist eine Baustelle so im Weg, dass ich noch mindestens 300 m laufen muss. Also nehme ich die Beine schleunigst in die Hand – ohhh, vorsichtig, da im Schatten des Bauzauns ist es ganz vereist – und sehe, wie die Rampe gerade eingefahren wird. Doch der Fährmann ist nett, sieht mich herbeistürmen, fährt sie nochmal aus und winkt mir zu, unter dem bereits ausgelegten Absperrband durchzukriechen. Man kann auch mal Glück haben.
Ein paar Relikte erinnern an die vergangene industrielle Nutzung des Geländes – das Logo des lokalen Verkehrsbetriebs Ruter ist übrigens ein simpler Hashtag (für die Digitalen) oder Kreuz (für die Musiker).
Auch ein paar Einheimische nutzen den sonnigen Tag für einen kurzen Spaziergang auf der Insel, die nur wenige Minuten Fahrt vom Zentrum entfernt ist.
Dort befinden sich die Ruinen eines Klosters aus dem Jahr 1147, welches 1532 niedergebrannt und dann als Quelle für Baumaterial für die Festung Akershus genutzt wurde. Daher finde ich es umso erstaunlicher, wie viel fast 500 Jahre später noch vorhanden ist.
Einige Stellen sind noch böse vereist

Ich lasse den Blick über den Oslofjord schweifen, das Gebäude rechts im Bild ist das Museum für moderne Kunst (und so sieht es auch aus).
Schließlich laufe ich dann noch bis ans andere Ende der Insel.
Das ist mal ein attraktiver Standort für eine Bank
Am Ostende ist das geschäftige Treiben des Hafens gut vernehmbar.
Ein Tw der BR 73 rollt vorüber
Es folgt ein modernisierter Tw der BR 69
Und da oben fährt auch eine Tram, das merke ich mir gleich mal für später.
Kreuzfahrtschiffe lassen die Häuser daneben immer wie aus einem Diorama erscheinen…
Die Oper, welche ein bisschen an ein Schiff erinnert und deren Dach man jederzeit besteigen kann
Festung Akershus, die Backsteintürme dahinter sind das Rathaus
Dann laufe ich zurück zum Fähranleger.
Während ich warte, spricht mich ein mittelalter Mann an. "Can I ask you something?” Englisch mit einem Akzent, den ich nicht wirklich zuordnen kann. Vielleicht was Osteuropäisches. «Do you know where I can ask for a job for the boats?” Dabei deutet er auf die zahlreichen Boote, die hier zur Reparatur aufgebockt sind. Zahlreiche Werkzeuge und leere Behälter unbekannten Inhalts liegen herum, den Geruch nach Farbe habe ich zuvor wahrgenommen und ein Hinweisschild warnt vor kontaminiertem Boden im gesamten Hafenbereich. Kinder sollten ferngehalten werden und Kontakt mit der Erde vermieden werden.
Leider habe ich keine Ahnung, im Gegensatz zu den bootsvernarrten Norwegern habe ich ja keins. Die Fähre kommt, ein paar Ausflügler gehen von Bord, ein paar an Bord, dann legt die Fähre wieder ab. Ein junges Pärchen kommt angerannt, der Kapitän ist gnädig, legt nochmal an und lässt sie einsteigen. Deutsche, aber ohne Maske. Was ist da los?
Nochmal Rathaus und Festung
Rathaus und Tram
Die Haltestelle fügt sich gut in die Umgebung ein.
Nach ein paar Minuten kommt die Tram, vor mir steigen zwei mit FFP2-Maske ein. Ah, sind dieselben vom Schiff. Klischee gerettet. Fairerweise muss ich noch anmerken, dass in der gut gefüllten Tram noch mehr Deutsche sind, die aber keine Maske tragen. Interessant finde ich persönlich auch nach einigen Tagen Beobachtungen, dass die wenigen Maskenträger sehr bunt gemischt sind. Alte wie Junge, Einheimische wie Fremde, Dicke wie Dünne. Ich kann keinen klaren Unterschied mehr erkennen, wie noch letzten Sommer in Schweden.
Später breche ich zum Sonnenuntergang auf.
154 und 117 an der Nybrua
101 vor dem Bahnhof
Ich nehme die Tram Richtung Ljabru, einer Endstation im Südosten, in einem Wohnviertel über dem Oslofjord. In der Innenstadt sind Busse und Trambahnen unglaublich langsam, was sicher daran liegt, dass wirklich jede einzelne Kreuzung alle 100 m eine Ampel hat und eine Vorrangschaltung gar nicht so gut sein kann, um die alle auf Kurs zu bringen. Es wäre wohl die Quadratur des Kreises, Entschuldigung, ich meine natürlich die Haltestelle Kvadraturen. Die Innenstadt von Oslo ist leider nicht flächendeckend verkehrsberuhigt, abgesehen von der Einkaufsstraße Karl Johans Gate, die vom Hbf zum Nationaltheater führt, gibt es fast nur Asphaltwüsten.
Die Dronning Eufemias Gate, welche von Süden zum Hbf führt, ist während der HVZ für den MIV gesperrt. Ziel dieser temporären Straßensperrungen, die in Oslo auch an anderen Stellen schon probiert wurden, ist eine Beschleunigung des Busverkehrs. Soweit ich das aber gesehen habe, waren da trotzdem eine ganze Menge Autos in der eigentlich verbotenen Zeit unterwegs.
https://www.aftenposten.no/oslo/i/0VwAM ... n-som-bryr
In dieser Straße hat die Tram zwar ihre eigene Trasse, doch auch dort bremsen die vielen Ampeln sie aus. Später führen die Gleise dann auf eine eigene Trasse, doch ein gutes Stück gilt vMax 10 bis 20, warum, kann ich nicht erkennen. Möglicherweise gibt es Gleislageprobleme, genau wie mitten auf der Kreuzung vor dem Hbf, wo sich eine 0,5 La hervorragend macht, wenn dann die Räumzeiten nicht mehr ausreichen und die Tram mitten auf der Kreuzung feststeckt und alles blockiert. Ampfingstraße lässt grüßen.
Immer wieder gibt es von der Strecke tolle Blicke über den Fjord und bald wird es dann auch eine Schnelltramstrecke, die den Namen verdient und 70 km/h sind erlaubt. Die Haltestellenabstände sind riesig und BÜ sichern das schnelle Vorankommen. Ich fahre bis zur Endstation, frage mich, wozu eigentlich das zweite Gleis an der Schleifeneinfahrt dient und sehe es sogleich.

Offenbar sind aufgrund von Verspätungen die Fahrzeuge der beiden Linien in der falschen Reihenfolge angekommen und so muss eines der Fahrzeuge in der Ausweiche warten, bis das andere überholt hat, da die Schleife und die Haltestelle nur eingleisig sind. Für die Fahrgäste, die so lange im Fahrzeug warten müssen, ist das natürlich unerfreulich.
Ich fahre ein paar Haltestellen zurück und was sehe ich da – ein nagelneuer Urbo steht in der Zwischenwendeschleife Bråten. Ich erinnere mich dunkel, dass Oslo nun endlich Neufahrzeuge bestellt hat, da ein Großteil der Flotte noch immer hochflurig ist und außerdem dem Fahrgastaufkommen nicht ansatzweise gewachsen.
Die Gleislage in der Schleife sieht auch nicht mehr optimal aus
122 kommt angebraust
In Oslo verkehren bis auf vereinzelte Fahrten mit den nagelneuen Urbos nur zwei Wagentypen – die nicht kuppelbaren, hochflurigen 22 m kurzen SL-79 von Duewag/ABB…
…und die 33 m langen Zweirichtungswagen SL-95 von Ansaldobreda.
Letztere sind 70% niederflurig und haben asymmetrisch angeordnete Türen mit einem Mehrzweckbereich gegenüber.
Die Sitze sind gemütlich gepolstert und die Wagen gut beheizt, was ihre Nutzung für mich zum Ausruhen zwischendurch attraktiv macht.
Bei beiden Fahrzeugtypen durfte die erste Tür zum Zeitpunkt meiner Reise trotz Aufhebung sämtlicher Corona-Restriktionen nicht genutzt werden, da der Fahrer davor keinerlei Abtrennung zum Fahrgastraum hatte.
In den nächsten Jahren sollen beide vorhandenen Wagentypen durch 34 m lange Urbos abgelöst werden.
Die Strecke erinnert mich an die nach Grünwald, denn hier wohnen definitiv die Gutverdiener.
Wenig später kommt der Urbo…
…dann suche ich den auserwählten Aussichtspunkt auf. Von Sonnenuntergang kann keine Rede mehr sein, es ist komplett zugezogen.
Also steige ich ab, überquere die Bahnstrecke, auf der ich gestern Abend angekommen bin…
…und laufe bis zur Brücke auf die Insel Ulvøya.

Sie ist so schmal, dass sich darauf keine zwei PKW begegnen können und ich mich ans Geländer pressen muss, als der Bus kommt.
Zuerst plane ich, unten an den Bootsanlegestellen einem Trampelpfad zu folgen, doch es gibt einige vereiste Stellen, die ich in der hereinbrechenden Dunkelheit bald nicht mehr erkennen werde und das Stativ macht das Balancieren auf dem schmalen Pfad nicht einfacher. Da folge ich lieber der Straße, stelle fest, dass glücklicherweise ein Bus von 6 bis 24 Uhr im Halbstundentakt bis hierher fährt (es gibt sogar einen kleinen Supermarkt an der Bushaltestelle und der wird rege besucht)…
…und erreiche schließlich auch den Aussichtspunkt zwischen den Häusern. Der Ausblick zur blauen Stunde ist magisch, ist schon ein genialer Wohnort hier.

Nach rund einer Dreiviertelstunde laufe ich zurück zur Haltestelle und frage mich, ob hier eigentlich jemand mit dem Bus fährt. Vermutlich hat hier jeder mindestens zwei Autos zur Auswahl. Doch tatsächlich sind es außer mir noch sieben weitere Fahrgäste, die einsteigen. Der nagelneue Solaris scheint ein bisschen zu zicken, denn der Fahrer muss den Bordrechner offenbar neu starten, ehe die Fahrt leicht verspätet starten kann. Auf den schmalen Straßen müssen immer wieder umständliche Ausweichmanöver mit dem Gegenverkehr praktiziert werden. Eine Frau läuft die Straße hinunter, der Busfahrer hält an und bietet ihr an, mitzufahren. Sie willigt gerne ein.
Wieder auf der Hauptstraße steigen fast alle an der nächsten Station aus. Und warum, verstehe ich auch kurze Zeit später. Der Bus fährt noch eine Schleife über die nächsten beiden Inseln und dann noch durch das Hafengebiet, sodass man mit Umstieg wesentlich schneller im Zentrum ist. Ich habe Zeit, bleibe sitzen und sehe zu, wie mit jedem Ausweichmanöver die Verspätung anwächst, von 2 auf 3 auf 4 Minuten. Dass der Fahrer an einigen Haltestellen anhält und die Türen öffnet, obwohl dort niemand ein- oder aussteigen will, verbessert die Situation natürlich nicht. Ich habe das Gefühl, dass die Türöffnung erst mit einigen Sekunden Zeitverzug erfolgt, dafür dann mit viel bunten Lichtern. Rot, sobald jemand die Haltewunschtaste drückt, Grün, sobald die Türen freigegeben sind, Rot beim Schließen, dann Weiß, dann dunkel. So viel Weihnachtsbeleuchtung dafür, dass man länger braucht. Schöne neue Technik… Die Fahrgastinfo muss zwischendurch auch mal neu starten, der Ubuntu Startbildschirm wird sichtbar, dann zeigt sie aber wieder die nächsten Haltestellen an. Mit +5 wird dann endlich der Hbf erreicht.
Jemand hat auf einen E-Roller zwei weitere Roller quer draufgestellt und fährt so durch die Gegend.