gmg hat geschrieben: ↑12 Jun 2024, 09:46
Der Taurus mit seiner Soldatenhelm- Form ist wahrscheinlich besonders aerodynamisch designt.
Die Gesamtaerodynamik des Zugs hat gar nicht so viel mit der Front zu tun, wenn man nicht gerade im Geschwindigkeitsbereich fährt, wo man den Tunnelknall vermeiden soll. Da sind so viele Seitenflächen oder der Stromabnehmer beispielsweise, die den Luftwiderstand wesentlich bestimmen. Deswegen hat z.B. ein Setra-Doppelstockbus S 531 DT trotz der "Kühlschrankfront" einen cw-Wert von 0,35. Eine Mercedes G-Klasse (das traditionelle Luftwiderstandsmonster im Autoquartett) hat einen von 0,53, also erheblich schlechter.
Wenn du an deinem Auto eine "aerodynamische" Front einbaust, aber dann hinten ein stumpfes Heck, wo die Luft einfach abreißt, hast du hinten einen riesigen Unterdruck, der das Auto gegen die Fahrtrichtung nach hinten zieht, also das gleiche macht wie ein Überdruck vorne. Das passiert auch, wenn du der Luft nicht genug Raum zum Führen gibst, deswegen sind SUV, aber auch Kleinwagen mit ihrem recht ähnlichen Höhen- und Längenverhältnis entgegen aller Ökovorurteile zumindest relativ zu ihrer Größe (der cw-Wert ist eine relative Größe) eigentlich beide eher schlecht. Die auch absolut effizientesten Autos ihrer Zeit waren immer schon lang und flach, z.B. der Audi C3 in den 80ern, Prototypen wie der VW L1 oder heutige Langstrecken-Elektroautos wie der Mercedes EQS oder der Tesla S mit sehr lang fließendem Heck. Hinten ist fast wichtiger als vorne, weswegen das gleiche Auto mit Kombiheck immer schlechter ist.
Und beim Zug gibt's halt so sauviel "hinten". Wenn du bei einer Zweirichtungslok vorne eine "schnittige" Front hast, führst du die Luft voll auf den ersten Wagen, der meistens recht senkrecht steht. Bei der Entwicklung der 103 hat man damals deswegen eine Frontgestaltung gesucht, die vorne die Luft gut führt, aber dann nicht zwischen Lok und Wagen gleich wieder durch so viel Wirbel, Unter- oder Überdruck mehr kaputtmacht als der Überdruck vorne. Wenn du im Schnellzug früher alle Fenster aufgemacht hast, hat das wahrscheinlich mehr Luftwiderstand erzeugt als die ganze Lok hatte. Wahrscheinlich deswegen kann man heute die Fenster nimmer aufmachen und die Loks sind seit der 120 wieder eher praktisch kastig.
mapic hat geschrieben: ↑12 Jun 2024, 09:25
Spontan fällt mir da erst mal nur der klassische Diesel Lint ein, der seit Ende der 90er bis heute praktisch das gleiche Design aufweist.
Ich meinte jetzt nicht nur, dass Fahrzeugtypen angeblich ewige Zeiten unverändert gebaut werden, was außer im Framing eines bestimmten Users früher schon nicht stimmte, weil schon damals mindestens Betriebserfahrungen oder neue Normen dazugekommen sind, sondern dass man die Zeit eben nicht sieht. Farbe spielt ja auch immer noch eine zusätzliche Rolle. Das DB-Design ist seit 1997 außen wie innen gleich, deswegen fällt den meisten Fahrgästen nicht auf, ob sie in einem 445 von 2016 sitzen oder in einem Wagen von 1997. Natürlich ist der 445-Kopf völlig neu, optisch aber nah an dem von 1997. Das fahrzeugunabhängige DB-Design innen mit blauem DBM-Stoff, ein bisschen hellem Holz und ansonsten hellgrau und außen verkehrsrot mit den lichtgrauen Kontrastflächen gibt's jetzt mit 27 Jahren länger am Markt als alles, was die angeblich schnarchige Bundesbahn je an Moden hatte ... "Blau-Beige" gab's von 1974 bis 1986/87, also ganze 12-13 Jahre, das ist eine Ausschreibungsperiode, also gar nicht so ewig.
Auch das ICE-Design von ebenfalls 1997 wird es nach der Lieferung der aktuell bestellten Züge auch dann schon länger gegeben haben als neue Fernzüge TEE-Farben (1957-85) geliefert wurden. Bewertet man die Änderung des ICE-Designs 1997 als zu marginal bzw. das erste Seriendesign als vorübergehend, weil der ICE-V keinen Begleitsreifen hatte und der rote Steifen nicht über die Front ging, dann lackiert man die recht konservativ gestalteten ICE-L bis auf minimale Abweichungen beim Farbton gerade exakt wie den ICE-V, dessen Design 1981/82 entstanden ist. Wenn man's wieder runterbricht auf die geteilte Frontscheibe, die Rundscheinwerfer in einem rechteckigen Gehäuse, das leicht angepfeilte Seitenfenster mit der fensterlosen Tür direkt darinter, hui, ist nicht vielleicht die vollverkleidete, sehr gecleante, leicht aufgeblasen, rundlich wirkende Nase von Anfang der 80er die "modernere" Version? Ich sag mal so, wenn man Zeit wieder realtiv sieht und seinen ersten ICE damals noch zusammen mit dem BDyg in den Oberlandzügen live gesehen hat, dann ist die heutige "Zukunft" vergliehen mit heute 40 Jahre alten Rumpelzügen irgendwie ziemlich konservativ geraten, oder? Oder wenn man überlegt, wie der Integral damals auch hinsichtlich technischer Innovationen gewirkt hat. Da reden wir jetzt auch bei Regionalzügen über ein bisschen "bösen Blick" bei eigentlich ziemlich konservativ weiterentwickelten Drehgestellzügen mit ganz vielen Stufen innen drin. In der Hinsicht ist der Talgo, wenn auch das Konzept nicht neu ist, aber die heutige Anforderung an einen echten Niederflurzug mit möglichst optimiertem Achs- und Gewichtsverhältnis schon wieder sehr viel weiter vorne, auch wenn die dadurch nötige Auslagerung des Antriebs in eine Lok und das Design auf den ersten Blick klassisch wirkt. Die neue 105 könnte optisch, wenn man es nicht wüsste, auch ein Taurus-Wettbewerber anno 2005 sein, oder?
Die 102 fällt halt hierzulande durchaus auf, dass sie natürlich nicht die typische tausendfache ADtranz/DB-Einheitsfront hat, ist aber tatsächlich aus einem Auftrag von 2003. Und auch wenn sich hinsichtlich Crashfront von Traxx 1 auf 2 was verändert hat und optisch von Traxx 2 auf 3 und wenn die 101 eine völlig andere Lok, aber optisch ist bei dieser ADtranz/DB-Einheitsfront bis zur Traxx 3 nicht so viel mehr passiert als von der 140.0 mit Einfachlampen, umlaufender Regenrinne+Griffstange, Schwaigerlüfter etc. bis zu 140.8 mit Doppellampen und Verschleißpufferbohle ("neue Crashnorm") in kürzerer Zeit. Man meint heute ja auch die 101 001 in TEE-Farben museumstauglicher zu kriegen, weil das Ding halt für die Leute sonst ausschaut wie eine moderne Lok ...
Und Optik ist ja auch nicht Technik. Wenn man das europäische Produktdesign gewohnt ist, sehe manche durchaus modernen Produkte aus Amerika älter aus als sie sind. Bei amerikanischen Lokomotiven tu ich mir immer sehr schwer, ob die
aus den 70ern oder
von heute sind.
Wobei Technik natürlich auch Optik ist. Vieles, was z.B. die 151 alt aussehen lässt sind halt z.B. auch Fertigungsmethoden wie der zu einem Stück geschweißte Kasten mit runden Ecken und die geklebten, meist nicht mehr abgerundeten Scheiben, die großen Lüfter etc. Aber letztlich baut man das mit der eher kantigen "Segmentbauweise" und den glatten Außenwänden teils seit den späten 80ern so, weswegen eine neue Lok, die im Grunde genauso gebaut wird, die alte nicht aussehen lässt als wäre die aus Wellblech genietet, dunkelgrün und hätte den Führerstand in der Mitte oder so. Solche immensen, vor allem sichtbaren Entwicklungsschritte gibt's irgendwann nicht mehr bis irgendwer wieder völlig neue Fertigungs- und Antriebstechniken, Fahrzeuglayouts oder Normen erfindet. Das ist auch bei den Autos so, man sich ab dem Golf 4 von 1997 auch ohne genaueren Blick oder die Kenntnisse immer schwerer tut, die noch zu unterscheiden, weil eigentlich da der letzte wirkliche Generationsprung war, seither sind' nur immer wieder neue, optimierte (oder verschlimmbesserte) Produkte, die halt einen kürzeren Zyklus haben als Lokomotiven, die aber seither mit nahezu gleichen Techniken gebaut werden. Der 3er war noch so ein Mittelding, aber wenn jetzt z.B. der 5er oder 6er
auf dem viertletzten Bild unten vertauscht wären, würde das wahrscheinlich erstmal nicht auffallen. Vielleicht sind sie's ja.

Selbst in den Entwicklungszyklen von Automodellen sieht man, dass in den 90ern was passiert ist, weswegen eben z.B. der Golf 4 auch mit 27 Jahren selbst für ein Auto nicht alt aussieht. Ursprünglich bedeutete ja auch das Wort Oldtimer nur, dass es ein Vorkriegsauto war, auch da gab's dann in den 50ern mit selbsttragenden, "modernen" Karosserien, die gar nix mehr mit Kutschenbau zu tun hatten, einen großen, sichtbaren Generationswechsel, der auch bei der Eisenbahn nicht ganz so häufig vorkommt wie ein Modellwechsel.
PS: Auch die Vorstellung davon, was "modern" aussieht, hat sich hierzulande seit den 90ern im Grunde nicht wirklich nennenswert verändert wie z.B. damals als wir aus der Nierentisch- und Heckflossen-Ära so langsam ins IKEA- und Windkanal-Zeitalter gingen.
