autolos @ 23 Sep 2015, 14:03 hat geschrieben: Du vermengst den Euro mit der EU. Die Anfänge der EU liegen rd. 60 Jahre zurück. Die positiven Wirkungen fingen dementsprechend nicht erst vor 10 Jahren an.
Jein ... also vor 50 Jahren war das Ganze ein mickriger Zusammenschluss für einen gemeinsamen Kohle und Stahlmarkt. Man fing also ganz klein mit einem Teilmarkt an.
Damit kann man dann auch gegen TTIP argumentieren, dass auf Teufel komm raus sofort alles und jeden behandeln will.
Und die 10 Jahre .. tja ... mit der Osterweiterung nach der Euroeinführung kamen da ein ganz schöner Schwung an Fläche, Ländern und Einwohnern dazu.
Klar, wegen des Euros kamen die nicht, aber mittlerweile gehört der Euro zur EU.
Die Sogkraft der EU hat auch nichts mit dem Euro zu tun.
Ja gerne, darauf können wir uns einigen, aber am Freihandel liegts ebenfalls nicht. Vor ein paar Monaten hab ich ein interview mit einer Ukrainerin gelesen, die meinte halt schlicht: Wir wollen so gut leben wie Ihr (in der EU/Deutschland, genau bin ich mir nicht sicher, es war auf alle Fälle ein deutsches Medium, dass ich las).
Dagegen kann man nichts haben, das ist das Gute Recht der Menschen dort, aber der Gedanke ist schon arg naiv. Wenn ein Freihandel mit der Ukraine käme, dann wären deren verbliebene Fabriken so schnell dicht, wie die in der ehem. DDR nach der Wiedervereinigung - und zwar aus dem gleichen Grund, da sie nicht konkurrenzfähig wären. Resultat: Der Westen hätte einen größeren Absatzmarkt und die Ukrainer wären sogar ihre schlecht bezahlten Jobs los. Das gäb nur wieder ne weitere Flüchtlingswelle, analog zu den Mexikanern in den USA nach der NAFTA.
Kannst du heute noch sagen, wie öffentlich oder nichtöffentlich in den 50er und 60er Jahren die Verhandlungen geführt wurden?
Ja, ich kann der sagen, dass alle Verhandlungen von offiziell gewählten Volksvertretern durchgeführt wurden, die das Mandat dazu hatten.
TTIP dagegen ist ein Witz. Irgendwer verhandelt da was hinter verschlossenen Türen und das Resultat wird dann zum Abnicken den Parlamentariern vorgelegt. Das ist demokratisch gesehen maximal auf DDR-Niveau. Dort kamen die Gesetzesvorlage aus dem ähnlich verschwiegenen Politbüro und die Politiker in der Volkskammer durften abnicken. Vor ~25 Jahren hat man so nem System in Gesamt(ost)europa den Rest gegeben und nun fangen wir selbst damit an? Wirklich ein Witz der Weltgeschichte.
Eine Diskussion lässt sich einfacher führen, wenn zwischen inhaltlichen und formalen Aspekten differenziert wird. Inhaltlich, finde ich, kann man ein Freihandelsabkommen nur begrüßen, wobei "frei" natürlich "frei" heißen muss und kein Geschacher über das Maß an Unfreiheit stattfinden sollte.
Was genau ist denn "frei"? "Frei" und Freiheit sind die mMn am meisten missbrauchten Wörter der Menschheitgeschichte. Am treffendsten finde ich noch die Folgenden Zitate:
1. „Die Wörter der Freiheit sind zahlreich in jenen Völkern, die deren Ausmaß nicht erkennen.“
2. Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden."
3. "Zwischen dem Starken und dem Schwachen, zwischen dem Reichen und dem Armen, zwischen dem Herrn und dem Diener ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit.“
Beispiel: Die Finanzmärkte hat man seit den 1990er weltweit "dereguliert", auf Deutsch: Barrieren und Gesetze abgeschafft, Finanzjongleure waren in Ihrer Tätigkeit total "frei". Was es uns gebracht hat siehe Wirtschaftskrise 2008ff...
Oder Steueroasen ... Firmen rechnen sich dort ihre Steuern klein. Hast DU solche Freiheiten als Arbeitnehmer? Kannst ja mal versuchen Deine eigene Zeitarbeitsfirma in Form einer ICH-AG zu gründen und dem aktuellen Arbeitgeber vorschlagen Deine Stelle outzusourcen und dafür einen Angestellten der "Autolos Limited" (also Dich), registiert auf ner englischen Kanalinsel oder sonstwo wiedereinzustellen. Dafür brauchst Du halt ne Menge Know-How, damit auch wirklich alles wasserdicht und gesetzeskonform verläuft. Bei große Firmen macht das die Rechtsabteilung mit dem kleinen Finger, aber der Sklav... äh kleine Mann kann Mangels Expertise diese " steuerlichen Freiheiten" nicht nutzen.
Soviel zum Thema Freiheit ... Freihandel ist aus meiner Sicht ebenfalls kein Stein der Weisen. Alle Leute reden vom Wachstum, größeren Märkten, mehr Arbeitsplätzen etc. pp, aber das es eben auch mehr Konkurrenz geben wird - daran denkt überhaupt niemand, genausowenig wie an die mahnenden Beispiele z.B. NAFTA.
Möglicherweise kann man auch die aktuelle EU mit dem Euro als Negativbeispiel nehmen. Da spielt Exportweltmeister Deutschland durch relativ günstige Löhne und einer sehr hohen Produktivität den Rest Europas an die Wand. Hätten wir noch DM, könnten sich die franz./span./ital./port. etc. Konkurrenten noch wehren, so aber bleibt ihnen nicht viel übrig, friss die Sparvorgaben der Troika oder stirb, survival of the fittest, böse Zungen nennen es Raubtierkapitalismus.
Formal ist eine offene Diskussion notwendig, damit man sich mit allen Aspekten auseinandersetzen kann. Nur so können auch die Befürworter den Gegnern die Totschlagargumente nehmen.
Na dann wären wir uns in dem zentralen Punkt ja einig. Aber nach dem ganzen bisherigen Fiasko hab ich wenig Hoffnung, dass sich noch was bei TTIP Ändern könnte. CETA ist ja auch fertig, und daran wird nichts mehr geändert. Man will erst nach dem In-Kraft-Treten Änderungswünsche mit Kanada besprechen:
http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-09/ttip...men-ceta-kanada
Suuuper Strategie, wenn mir ein Kaufvertrag eines Autos zu teuer ist, unterschreib ich den auch erst und rede erst danach über einen Nachlass mit dem Verkäufer. (Der würde einem natürlich den Vogel zeigen und auf den rechtskräftigen Vertrag verweisen, genauso wirds mit CETA auch laufen).
Was ich auch nicht kapiere: Wieso müssen die Verträge so hoppla-hopp zackig in Kraft treten? Kann man die nicht mal in Ruhe diskutieren? Dauert dann vielleicht ~5 Jahre, ja und? Die Wirtschaftskrise haben wir auch überstanden, schlimmer kanns nicht kommen, und wie anfangs gesagt, die EU startete auch mal ganz klein und wuchs erst über 60 Jahre an.