Autobahn @ 8 Jul 2008, 22:48 hat geschrieben:Ich muss Deine Überzeugung etwas trüben. Durch meinen Job habe ich täglich mit vielen Migranten zu tun. Türken, Ex-Jugoslawen, arabisch-stämmige ect. Alle sprechen perfekt Deutsch, zusätzlich Englisch oder Französich und natürlich ihre Muttersprache. Die meisten von ihnen sind hier geboren und haben eine gute bis exelente Ausbildung genossen. Eine befreundete kroatische Familie, die seit 16 Jahren hier lebt und seit zehn Jahren kenne, spricht auch innerhalb der Familie meistens Deutsch, die Tochter besucht eine Realschule.
Italiener, Spanier oder Portugiesen habe ich gar nicht mit in die Liste aufgenommen, weil sie gar nicht mehr als "Ausländer" auffallen.
Die von Dir geschilderte Klientel fällt doch dadurch auf, dass ihr Integrationswille leider nicht so ausgeprägt ist. Hassan (Türke der dritten Generation) holt sich seine Emine aus Ostanatolien, weil ihm die in Deutschland geborenen Türkinnen zu emanzipiert sind. Er "sperrt" sie in Neukölln in die Wohnung, die sie nur in seiner Begleitung verlassen darf. Im ganzen Straßenzug lebt kein Deutscher (aber auch kein anderer "Ausländer"), es gibt nur türkische Geschäfte. Er zeugt Kinder mit ihr. Diese wachsen in einem rein patriachalischem Umfeld auf. Bis zu ihrer Einschulung haben sie kein deutsches Wort gehört. Durch die patriarchalische Erziehung fehlt den Jungen (bayr.: Buben)jeglicher Respekt vor weiblichem Lehrpersonal. Lernen? Wozu? Die Mutter kann da kaum etwas unternehmen. Durch ihre eigene mangelhafte Bildung versteht sie ja nicht einmal, worum es geht. Und der Vater kümmert sich einen Dreck um die "Erziehung". Sein Sohn muss groß und stark werden und kann dann später auf dem Bau oder in der Fabrik arbeiten, so wie er es selbst tut. Und die Tochter, nun die wird an einen türkischen Mann verheiratet, der die "Vorzüge" einer unterwürfigen Frau schätzt.
Nun versuche mal, in diesen Teufelskreis einzudringen. Du kannst Horden von Sozialarbeitern mit Migrationshintergrund zu diesen Leuten schicken, sie rennen sich die Köpfe ein. Das ist natürlich kein Grund, es nicht trotzdem zu tun, und es wird ja auch gemacht.
Klar gibt es dieses Parallelgesellschaften mit patriarchischer Prägung. Ich hatte selbst aus beruflichen Gründen mit vielen Türken und anderen "Ausländern", oft islamischen Glaubens, zu tun. Dabei habe ich auch viel aus der Sichtweise meiner Kollegen erfahren. Und gelernt, dass alles viel zu komplex ist, als dass man es durch ein einfaches Regelwerk darstellen könnte. Es gibt solche und solche Türken respektive Moslems. Durchaus ist auch der angepasste Deutschtürke, der sich schon in übertriebener Weise integrieren möchte und panische Angst davor hat, irgendwelche Gesetze zu brechen, vertreten. Natürlich ist mein Bild etwas verzerrt, denn wer in der Hightechbranche landet, der ist nicht ganz unten in der Gesellschaft und der spiegelt auch nicht unbedingt das Elend wider. Meine Erfahrung ist die, dass man mit den meisten Moslems, selbst mit den eher fundamentalistisch geprägten, auch religiöse Diskussionen führen kann. Ich hatte auch den Mut, den ganzen Islam infrage in stellen. Natürlich kann ich dadurch kaum was ändern, aber manche mussten sich um Kopf und Kragen reden. Bereits bei der Frage, wo Mohammeds Position auf anderen Planeten sei (die potenzielle Existenz von hoch entwickeltem außerirdischem Leben wurde mir von der "Gegenseite" selbst "verkauft"), kann religiöse Fundamentalisten arg ins Straucheln bringen. Mit artverwandeten Argumenten und vielen weiteren gemeinen Einwänden kann man einen christlichen Fundamentalisten natürlich genauso aus dem Konzept bringen, der schlingert dann so wie der Kinderroller vom kleinen Fritz (oder meinetwegen vom kleinen Erkan), bei dem just in dem Moment ein Rad abfällt. Was habe ich alles für Geschichten gehört! Nach viel Nachhaken wurde mir von moslemischer Seite verkauft, dass auch ein Christ in das Paradies kommen kann, aber nie in die höchste, siebte Ebene! Was für ein Irrsinn, dass man das ernsthaft glaubt, wobei ich es schon wieder fast rührend finde, wenn man die Christen auch in das einzig existente - natürlich muslimische - Paradies lässt. Hier einen Dialog zu führen, ohne was selbst verkaufen zu wollen, schon gar nicht die ohnehin nicht existierende Wahrheit, sondern die Leute anzuregen, sich selbst mal unbequeme Fragen zu stellen, halte ich für außerordentlich wichtig.
Autobahn @ 8 Jul 2008, 22:48 hat geschrieben:Von daher sehe ich keine Mitschuld der deutschen Gesellschaft an solchen Verhältnissen.
Sorry, aber ich finde, damit machst du es Dir arg einfach. Dann nimm mal die andere Seite, die patriarchischen Türken, die suchen bei sich ebenso keinerlei Mitschuld. Beide Seiten beharren, im Recht zu sein, und dann kann es schnell knallen. Wäre nicht die Aufgabe beider Seiten, auch als Respekt der Gegenseite gegenüber, zu fragen, ob man nicht selbst was falsch gemacht hat?
Autobahn @ 8 Jul 2008, 22:48 hat geschrieben:Ein türkischstämmiger Kollege, mit dem ich kürzlich sprach, regt sich maßlos über die oben geschilderten Dinge auf. Er ist bekennender Kemalist, wie die meisten "Türken", die ich kenne (die Anführungszeichen haben Sinn wink.gif ). Vor allem auch deshalb, weil auch in der Türkei ein Riss durch die Gesellschaft geht. Das Problem ist also weniger die Staatsangehörigkeit oder ethnische Herkunft, sondern das als religiös bezeichnete Gesellschaftsmodell, das von konservativen Muslimen verfolgt wird. In Deutschland, aber auch in anderen Westeuropäischen Ländern hatten sie leichtes Spiel,. Die liberalen Verfassungen gaben ihnen fast jede Option. In Deutschland kommt zusätlich das schlechte Gewissen der Nazizeit hinzu. In der Türkei läuft ja bekanntlich ein Verbotsverfahren gegen die Regierungspartei AKP, weil sie gegen die Verfassung verstoßen haben soll (Aufhebung des Kopftuchverbotes an Universitäten). Das türkische Militär sieht sich immer noch als Wahrer des Erbes von Kemal Atatürk und die Offiziere werden es nicht hinnehmen, dass das Land eine weitere Islamisierung erfährt.
Die hier geschilderte These, die konservativen Nicht-Kemalisten suchen sich Europa als Schlachtfeld, weil sie dort leichtes Spiel haben, ist sicher ein Mosaiksteinchen in dem ganzen Problem. Doch welche Fälle furchtbar gescheiterter Integration lassen sich damit aber erklären? Bei den so genannten Ehrenmorde liefern sie ein Erklärungsmuster, sicher.
Der eigentliche Fall der U-Bahnschläger gehört sicher nicht dazu. Dieser entspricht ohnehin keinem üblichen Klischee. Der Türke trinkt Alkohol, obwohl ihm das seine Religion strengstens verbietet. Er ist mit einem Griechen unterwegs, obwohl Türken und Griechen nicht gerade als befreundete Völker gelten. Dennoch ist der Fall ein Musterbeispiel gescheiterter Integration.
Bei vielen anderen, weniger dramatischen Geschichten ist der - "verbotene" - Alkohol mit im Spiel. Die Täter sind oft weder konservativ-türkisch noch deutsch-christlich geprägt, sondern sie irren orientierungslos zwischen beiden Extremen hin und her. Sie haben keine Wurzeln, fühlen sich ausgegrenzt. Würden sie in die Türkei gehen, könnten sie dort nie echte Türken werden. Als Deutschtürken wären sie in der Türkei ebenso unbeliebt, wie sie es in weiten Kreisen in Deutschland sind. Viele sprechen auch nicht mehr so gut Türkisch, als dass es in der Türkei nicht auffallen würde. Ist es hier nicht die Aufgabe aller, ihnen die Hand zu reichen und Ängste untereinander abzubauen, als immer nach härteren Strafen zu rufen (wie es viele tun, Du, Autobahn, bist nicht gemeint), die ohnehin kaum abschreckend sind? Kein Straftäter überlegt sich die Sache anders, schon gar nicht im angetrunkenen Zustand, wenn ihm statt 10 Jahren auf einmal 15 drohen.