Auf Telepolis hat Goedart Palm einen zwar langen, aber sehr
lesenswerten Artikel veröffentlicht, welcher eine (erste) Analyse des "Phänomen Guttenbergs" vornimmt, wie die "Causa Guttenberg" einen Politiker sürzen konnte. Alles vor dem Hintergrund der freien, eigenständigen Wissenschaft mit ihrem eigenem Ethos, vor der Politik und der Demokratie und vor der Medieninszenierung bzw. deren Rolle.
Daraus:
Der Skandal [allgemein, nicht speziell auf Guttenberg bezogen] garantiert also gerade den Systemerhalt. Das gesellschaftliche Betriebssystem bleibt dagegen unbeanstandet, wenn das moralische Aufmerksamkeitsspektakel der Medien sich vor die Selbstreflektion einer Gesellschaft schiebt. Zumeist ist der Erregungsgrad so hoch, dass die Selbsttäuschung gelingt, dass immer die anderen die dubiosen Figuren sind. Der Skandal ist das Brennglas, in dem eine Gesellschaft ihre Doppelmoral, die von Unmoral noch nie zu trennen war, besonders gut erkennen könnte.
[...]
Helden wie Karl-Theodor zu Guttenberg, die gegen eine Welt von Feinden bestehen, lässt man nicht so leicht fallen, weil er in den medial geblendeten Augen des Wählers zur Überfigur aufgeblasen wurde. Die Verteidigung besteht dann aus Erschöpfungsgesten des überforderten Zeitgenossen: Geklaut wurde doch immer. [...] In den Bildern der Gefühlspolitik vieler Wähler geht es schließlich um größere Dinge. Der Mythos des handlungsstarken Politikers reichte diesmal zum Schutz des Aristokraten nicht aus.
Interessant ist auch ein Vergleich zu FJS und der "Spiegel-Affäre" aus den 1960ern:
Einige Politiker haben zwar mit deftigen Skandalen überlebt, wie es etwas der Sündenfall des Franz Josef Strauß in der Spiegel-Affäre zeigte. Aber es kommt immer kategorial auf die Natur des Skandals an. Der Skandal, der sich mit einer konkreten Amtsausübung verbindet, ist bedingt heilbar. Strauss hatte die Unwahrheit gesagt, als er den Spiegel wegen eines Artikels über die Verteidigungsbereitschaft in die Knie zwingen wollte und mit schneidigen Methoden die Redakteure bestrafte. Spiegelchef Rudolf Augstein erklärte später, Strauß habe gewusst, dass der inkriminierte Artikel keinerlei Staatsgeheimnisse enthalten habe:
"Während der SPIEGEL-Affäre traten alle seine minderen Eigenschaften ans Licht: Draufhauen, Verschwörungsbesessenheit, [...] Unfähigkeit zu jeder Selbstkritik, dazu eine außergewöhnliche Fähigkeit, sich und anderen in die Tasche zu lügen."
Mag sein, aber Franz Josef Strauß handelte im Rahmen der Amtsausübung und trat 1962 zurück, um 1966 als Bundesminister der Finanzen wiederaufzuerstehen. Ein persönliches Unwerturteil, das sich auf die Integrität des hinter dem Politiker stehenden Menschen richtet, ist dagegen nicht heilbar. Amt und Person werden auf dieser Ebene nicht mehr getrennt, so sehr die christlichen Parteien zunächst auf den schizophrenen Spagat zu hoffen schienen. In den Worten von Sachsens Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf: "Der Mensch wird gemessen, nicht das Amt. Und der Mensch ist auch nicht teilbar."
Deswegen konnte Guttenberg seinen Fall nicht politisch folgenlos überstehen [...].
Und weiter heißt es über die Integrität:
Es geht um die Integrität, die einen demokratisch geformten Traum von einem politischen Führer plausibel macht. Menschen brauchen das. Wenn der Staat salbungsvoll wird und seine Heroen inszeniert, geht es vor allem immer um die Liturgie des Rudels. Guttenberg bot sich, Umfragen zu folgen, als diese Lichtgestalt an. Geblieben ist ein Minister a.D., der viele schönfärbende Formeln benötigte, um doch immer unglaubwürdiger zu werden.
[...]
Zwar wissen wir, dass Täuschung eine menschliche Kondition ist, die evolutionär immer wieder erfolgreich ist. Aber kein Politiker kann für sich persönlich diese moralische Doppelbödigkeit reklamieren, die das System auszeichnet. Denn nur durch die echte oder gut inszenierte Aufrichtigkeit des Amtsträgers lässt sich die "höhere Amoralität" (Niklas Luhmann) des Systems erfolgreich kaschieren.
Ansonsten dürfen wir echt gespannt sein, wie sich das auf die CDU auswirkt. Angie hat sich mit ihrer Unterstützung und der (IMO teilweise richtigen, aber zu pauschalen Trennung zwischen Wissenschaft und politischer Arbeit bzw. dem Juristen Guttenberg und dem Minister Guttenberg sehr weit aus dem Fenster gelehnt.
Der erste Schritt dahin ist die Frage, wer sein Nachfolger wird. Ramsauer hat ziemlich deutlich gesagt, er werde es nicht aus familiären Gründen (seine Kinder seien zu jung, um in gepanzerten Wagen zu fahren). Dieser wird sich am hochgejubelten Gutti messen lassen müssen - und dabei wohl zwangsweise schlechter wegkommen als der gegelte Popstar. So gesehen dürfte vor dem 27. März nicht viel aus Verteidigungsministerium kommen.
Grüße
Jogi
Edit: Link zum Artikel eingefügt :rolleyes: