Rohrbacher @ 23 Jul 2007, 23:51 hat geschrieben: und dann werden plötzlich ganz ohne den bösen Euro die Schnitzel teurer...
Es ist absolut ungerechtfertigt, hier vor Inflation zu warnen. Deutschland hat eine Inflationsrate von deutlich unter 2%, und das trotz der Tatsache, daß die Energiepreise aufgrund der privatisierten Energieversorgung explodieren. Sieht man einmal davon ab, haben wir in Deutschland eine reale Deflationsgefahr, das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn sinkende Löhne (die wir in Deutschland seit Jahrzehnten real und seit einigen Jahren auch nominal haben) sorgen nunmal für sinkende Preise.
Die deutsche, aber auch die europäische Wirtschaftspolitik ist ausschließlich auf Preisstabilität fixiert. Von den anderen drei Zielen der Wirtschaftspolitik hört man gar nichts mehr, das magische Viereck scheint nicht mehr von Interesse zu sein. Preisstabilität, ein hoher Beschäftigungsgrad, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges angemessenes Wachstum, von diesen vier Punkten interessiert man sich nur noch für Preisstabilität, die anderen drei Punkte werden vernachlässigt. Wir haben Massenarbeitslosigkeit, da nutzt die beste Statistik-Schönung nichts, wir haben seit Jahrzehnten kein Wirtschaftswachstum und von einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht kann bei unserer exportorientierten Volkswirtschaft auch niemand mehr sprechen.
Zwischen Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit gibt es einen direkten Wirkungszusammenhang. Solange die Produktivität stärker steigt als das Bruttoinlandsprodukt, steigt die Arbeitslosigkeit, da die freigesetzten Arbeitskräfte, die in einzelnen Betrieben nicht mehr benötigt werden, nicht mehr in anderen Betrieben unterkommen. Sehen wir uns einmal die Konjunkturdaten der letzten Jahrzehnte an.
Die erste große Rezession von 1967 wurde durch Globalsteuerung überwunden, konkret mit zwei Konjunkturprogrammen. Während die Bundesrepublik 1967 mit -0,3% ein negatives Wirtschaftswachstum hatte, gab es bereits 1968 ein Wirtschaftswachstum von 5,5% und 1969 ein Wirtschaftswachstum von 7,5%. In diesem Jahr konnte die große Koaliton durch die boomende Konjunktur einen Haushaltsüberschuß von vier Milliarden Mark erzielen. Hieran sieht man auch deutlich, daß Sparversuche nicht zwingend zu Sparerfolgen führen. Als z.B. Hans Eichel 2000/2001 ehrlich versucht hat, den Staatshaushalt durch Ausgabenkürzungen zu sanieren, ist der Hauptschullehrer daran gescheitert, daß er nicht erkannt hat, daß seine Ausgabenkürzungen zu massiven Konjunkturverschlechterungen führen würden, die dafür sorgen, daß die Staatseinnahmen um ein vielfaches des weniger ausgegebenen Betrages sinken würden. Das hat man in den 60er Jahren anders gemacht.
Gehen wir weiter in die 70er Jahre. Die massiven Zinserhöhung der Deutschen Bundesbank und die erste Ölpreiskrise im Oktober 1973 machen sich bemerkbar. 1974 gab es noch 0,2% Wirtschaftswachstum, 1975 war es -1,3%. die Arbeitslosenrate stieg von 1,2% 1973 auf 4,7% 1975. Wertschöpfung in Milliardenhöhe floß direkt in die OPEC-Länder. Die Regierung Schmidt steuerte mit mehreren Konjunkturprogrammen entgegen. Bereits 1976 konnte man ein Wirtschaftswachstum von 5,3% generieren bis 1979 hatte man durchschnittlich 3,8%. Die Arbeitslosenquote sank auf 3,8%. Aber auch dieser Aufschwung wurde von der Deutschen Bundesbank zunichte gemacht. Durch die Erhöhung der kurzfristigen Zinsen 1980 von 3,7% auf 12,2% brach die Konjunktur ab, 1981 gab es noch 0,1% Wirtschaftswachstum, 1982 waren es -0,9% und die Arbeitslosenquote stieg 1983 auf 9,1%.
Als es Ende der 80er Jahre im Boom der Deutschen Einheit zu höherem Wirtschaftswachstum kam, konnte man zwischen 1988 und 1991 ein durchschnittliches reales Wachstum von 4,5% erzielen. Doch dieser Aufschwung wurde ebenfalls abgebrochen. Der Leitzins wurde von 2,9% auf 8,75% erhöht, die Folge war, daß wir seit Beginn der 90er Jahre so gut wie gar kein Wirtschaftswachstum mehr generieren konnten. Auch die kleine Erholung seit 1998 wurde 2000/2001 durch Eichels Sparversuche abgebrochen. Auch der jetzige, in den Massenmedien als „Boom“ bezeichnete winzige Aufschwung hat nichts mit der großen Koalition, sondern mit der Weltwirtschaft zu tun. Zunächst einmal: Angesichts des massiven Nachholbedarfes benötigt die Bundesrepublik Deutschland über mehrere Jahre ein Wachstum von 4-5%, um überhaupt auch nur annähernd von einem Boom sprechen zu können. Die kleine Erholung, die wir momentan erleben definiert sich ausschließlich über einen Boom in der Exportindustrie. Anders als in der Vergangenheit liegt der Binnemarkt allerdings auch weiterhin brach. Der Grund ist die Tatsache, daß die Lohnentwicklung seit Jahrzehnten nicht mehr der Produktivitätsregel folgt ebenso wie die anhaltende Umverteilung von unten nach oben. Während Renten, BAFöG, Arbeitslosengeld 1 und 2, Kindergeld, Krankengeld und vieles mehr durch die Mehrwertsteuererhöhung faktisch gesenkt werden, werden Besser- und Bestverdienende durch immer neue Steuersenkungen entlastet. Auch die Exportwirtschaft wird zugunsten der auf den Binnenmarkt angewiesenen Wirtschaft entlastet. Während die Mehrwertsteuer bei der Exportwirtschaft nur ein durchlaufender Posten ist, ist sie für den Binnenmarkt ganz entscheidend. Die Unternehmenssteuern sinken sowohl für die auf den Binnenmarkt angewiesenen Wirtschaftszweige als auch für die Exportindustrie. Die Mehrwertsteuererhöhung belastet aber einseitig die auf den Binnenmarkt angewiesenen Wirtschaftszweige, und das obwohl beide Teile staatliche Leistungen in Anspruch nehmen. Die Exportwirtschaft wurde durch diese Maßnahme gestärkt, die Binnenwirtschaft geschwächt. Das Ziel, außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu erzielen, wird dabei wissentlich über Bord geworfen. Daß wir bei einem Dollar-Crash, der angesichts des massiven Außenhandelsdefizites der Vereinigten Staaten, immer wahrscheinlicher wird, in ernsthafte Schwierigkeiten geraten werden, wird völlig ignoriert. Dabei haben wir bereits jetzt einen außergewöhnlich schwachen Dollar. Die Verlockung für asiatische Länder, ihre Dollarreserven vor allen anderen zu verkaufen, ist groß.
Man sieht deutlich, daß kein einziger Aufschwung der letzten Jahrzehnte an Altersschwäche ausgelaufen wäre, sondern daß jeder Aufschwung durch die Deutsche Bundesbank und ihre ausschließlich auf Geldwertstabilität ausgerichtete Zinspolitik abgewürgt wurde. Damit wurden aber das Streben nach Wirtschaftswachstum und hohem Beschäftigungsgrad ebenfalls konterkariert.
Geldwertstabilität haben wir, wie anfangs erwähnt, abgesehen von den explodierenden Energiepreisen problemlos. Dabei ist eine Deflation genauso wenig erstrebenswert wie eine Inflation. Allerdings: Helmut Schmidt sagte einmal, fünf Prozent Inflation seien sozialer als fünf Prozent Arbeitslosigkeit.
Alles in allem sieht man deutlich, daß Wirtschaftspolitik weitaus komplizierter und vielschichtiger ist als die Drohung „wenn Ihr mehr Lohn wollt, werden die Schnitzel teurer!“