Keine Minute später kommt ein Mann zielstrebig in den Führerstand. Ich vermute, er führt jetzt vielleicht irgendwas vor, z.B. ZZA einstellen, wie ich es zuvor beobachtet habe. Er nimmt Platz, schließt die Türen, pfeift und fährt ohne Ankündigung los.
Wow, sogar eine Demonstrationsfahrt. Hmm, ganz schön lange Demonstrationsfahrt. Er nimmt das Telefon in die Hand und von der Antwort des Fdl verstehe ich nur irgendwas von Pardubice. Er gibt eine Zugnummer in den Bordcomputer ein. Ein paar Leute gucken neugierig über die Schulter und filmen, während wir durch den Bahnhof zuckeln. Wenig später stehen wir in Ceská Trebová am Bahnsteig. Es sieht nicht danach aus, dass hier Schluss wäre und ich frage nach, während alle anderen aussteigen. Ja, der Zug würde jetzt nach Pardubice fahren. Der Mann, welcher vor mir im Führerstand saß, kommt zurück und verkündet, dass das Fahrzeug jetzt leer wäre. Ich wittere eine Chance.
Darf ich vielleicht hierbleiben und mitfahren?
Ich darf. Die Fdl bringt den Fahrplan vorbei. Zu dritt im Führerstand warten wir die Überholung des Regiojets ab, ehe wir Ausfahrt erhalten.
Ich erkundige mich, ob die Züge hier in Tschechien auch so viele Probleme machen würden wie in Deutschland. So direkt will der Tf das nicht bestätigen. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist seiner Meinung nach das größte Problem, dass die Heizung/Klimaanlage gelegentlich mal Wasser verliert und/oder nicht funktioniert. Mit den MTU-Motoren wäre man wohl auch nicht ganz glücklich.
Dann rauschen wir mit grüner Welle Richtung Westen. Die Triebwagen haben eine AFB-ähnliche Geschwindigkeitsregelung und der Tf lobt sie, da sie im Gegensatz zu anderen Fahrzeugen sehr sanft regeln und nicht ständig beschleunigen und bremsen würde. Außerdem besteht die Möglichkeit, Leistung individuell (z.B. auf 80%) zu drosseln. Ich könnte mir vorstellen, dass das nicht nur zum energiesparenden Fahren bei pünktlicher Abfahrt sinnvoll ist sondern auch, um bei schlüpfrigen Schienen nicht allzu sehr ins Schleudern zu geraten. Die grüne Welle finde ich ja ein bisschen schade, denn ich würde gerne mal die tschechische Zugbeeinflussung in Aktion sehen.
Überall stehen Fuzzis unterwegs, wohl um die später folgende zweite Runde des ´abotlam-Triebwagens zu verewigen. Alles Freaks hier. "Nene", meint der Tf, "das sind nicht alles Tschechen. Sogar englische Bahnfreaks sind extra für dieses Event angereist."
In Ùstí nad Orlicí halten wir am äußersten Ende des Bahnsteigs, um keine blinden Passagiere zu bekommen. Der andere Mann wird hier abgesetzt und winkt uns über die Kameras zu, welche eine entspannte Abfertigung ohne den typischen Blick aus dem Fenster ermöglichen.
Der Fahrradweg von Chocen nach Ùstí wäre wunderschön, empfiehlt mir der Tf, während wir den einzigen wirklich kurvigen und landschaftlich sehr reizvollen Abschnitt der Strecke Prag - Ostrava befahren. Zur Abkürzung einer Flussschleife und Erhöhung der Geschwindigkeit von 90 auf 160 km/h gibt es verschiedene Trassierungsvarianten, die sich in der Tunnellänge unterscheiden. Wenig überraschend ist die mit dem längsten Tunnel am teuersten, sodass sie vermutlich nicht kommen wird. Anschließend geht es schnurgerade weiter. Oh, ich sehe Halt erwarten. Sehr gut. Die in Tschechien (erforderlich ab 100 km/h) und der Slowakei (erforderlich ab 120 km/h) eingesetzte Zugbeeinflussung LS ist eine linienförmige Beeinflussung, d.h. im Gegensatz zur PZB kann sie ein zwischenzeitlich frei gewordenes Signal sofort erkennen und im Führerstand anzeigen. Beim Passieren eines Signals in Warnstellung oder einer Geschwindigkeitsreduktion drückt der Tf eine Quittierungstaste, die unserer Wachsamkeitstaste gleicht. Eine Optik zeigt die Stellung des nächsten Signals an.
https://de.wikipedia.org/wiki/LS_(Zugsicher...zobrazovac1.JPG
Im Regioshark ist sie digital auf einem Bildschirm. Das gelbe Licht mit schwarzem Punkt unten deutet auf eine Geschwindigkeitsreduktion hin.
Das blaue Licht leuchtet immer. Ist der Zug in einer Beeinflussung, geht es in regelmäßigen Abständen - ich würde vielleicht 20-30 Sekunden schätzen - aus. Der Tf hat dann 3,5 s Zeit, es zu quittieren und das blaue Licht geht wieder an. Andernfalls erfolgt eine Zwangsbremsung. Ein wesentlicher Sicherheitsnachteil gegenüber der PZB ist aber die fehlende Geschwindigkeitsüberwachung, d.h. bei korrekter Quittierung kann der Zug mit Höchstgeschwindigkeit weiterfahren, ohne zwangsgebremst zu werden.
Wir kommen vor dem Asig zum Stehen. "Hmm, was soll das? Der Regiojet müsste doch schon längst weg sein."
Hat der Fdl bestimmt gemacht, damit ich mal die Zugbeeinflussung in Aktion sehen kann.
Ein paar Minuten vergehen. "Ich wollte heute eigentlich ganz gerne noch grillen und ein Bier trinken. Meine Freundin wartet schon auf mich."
Die Weiche geht in abzweigende Stellung. "Komisch, neben uns ist doch auch Rot. Da kann uns ja nichts überholen."
Und des Rätsels Lösung: ein Ex kommt uns auf dem Gegengleis entgegen. Wenig später kommt auf dem Regelgleis ein Railjet entgegen. Hübsche Parallelfahrt muss das gewesen sein...
Kaum ist der Ex durch, können wir weiterfahren. Sobald das Signal auf Fahrt geht, wird das Display grün. Zuckeln mit 24,9 km/h bis zum Signal ist hier nicht bekannt.
Während wir wieder mit 120 dahinsausen, erzählt mit der Tf noch, dass es hier in Moravany vor ca. 10 Jahren einen Eisenbahnunfall gegeben hat. Den Hergang verstehe ich zwar nicht, doch das nachträgliche googlen ergibt einen Unfallhergang unter Beteiligung von Sand und Freimeldung mit Gleisstromkreisen. Der Tf eines Personenzugs hatte bei schlüpfrigen Schienen in der Steigung zum Anfahren gesandet. Aufgrund eines technischen Defekts hat sich das Sandrohr jedoch nicht wieder geschlossen und so fiel beim Bremsen im nächsten Bahnhof viel Sand auf die Schienen und ließ den haltenden Personenzug für die Gleisfreimeldeanlage unsichtbar werden, da der Widerstand für den Gleisstromkreis zu groß wurde. Die darauffolgende Tfzf ist dann reingerauscht.
Außerdem fällt mir bei einer Diskussion um Signalisierungen zum ersten Mal auf, dass das tschechische Signalsystem nicht mit dem Hl-System identisch ist.
Hl 2 würde in Tschechien nämlich 80 km/h, vMax erwarten bedeuten. Mit dem
tschechischen Signalsystem lässt sich im Gegensatz zum Hl-System auch 80 km/h anzeigen. Auch das gelbe Blinken, welches im Hl-System sowohl 40 als auch 60 km/h erwarten bedeuten kann, ist in Tschechien unterschiedlich: Schnelles Blinken: 60 erwarten. Langsames Blinken: 40 erwarten. Knuffig finde ich auch zwei grüne Streifen für 100 km/h.
Schon bald rollen wir in Pardubice ein, wie schnell 1 Stunde vergeht, wenn man vorne im Führerstand plaudert... Ich springe ins Gleisbett, klettere auf den Bahnsteig und der Regioshark verabschiedet sich schon wieder auf Rangierfahrt in Gegenrichtung.