"Berlin, Alexanderplatz" - die Vordertür im Winter

Strecken, Fahrzeuge und Technik von Straßenbahnen und Stadtbahnen
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hmmueller
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Beitrag von hmmueller »

Entdeckt von meinem Sohn, der darüber im Gymnasium irgendwas schreiben muss - und auch mittellange Suche am Internet hat nichts ergeben ... Ich frage einmal hier, bevor ich mich bei Berliner Lokalforen anmelde:

In Alfred Döblins "Berlin, Alexanderplatz" steht:
Die Elektrische Nr.68 fährt über den Rosenthaler Platz, [...] Während der Wintermonate darf die Vordertür nicht zum Ein- und Aussteigen geöffnet werden, 39 Sitzplätze, 5918, wer aussteigen will, melde sich rechtzeitig, [...]
Weiß irgendwer, (a) ob's diese Regel mit der Vordertür wirklich gab (was ich annehme: Döblin hat das sicher irgendwo abgeschrieben); (b) wieso es diese Regel in Berlin bei der Straßenbahn (und/oder wo noch?) gab?

Grüße
H.M.
Meine Eisenbahngeschichten - "Von Stellwerken und anderen Maschinen ..."
Die Organe der Bahnerhaltung sind ermächtigt, den Arbeitern zur Aneiferung angemessene Quantitäten von Brot, Wein oder Branntwein unentgeltlich zu verabfolgen. Nr. XXVII - Vorschriften für das Verhalten bei Schneefällen, K. k. Österreichische Staatsbahnen, Gültig vom 1. Oktober 1906; Artikel 14(5)
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jonashdf
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Beitrag von jonashdf »

Vielleicht, damit es dem Fahrer nicht friert?
Früher gab es ja oft solche skurrilen Regelungen.
Stellwerk des Monats Dezember: Saulgrub, Fdl, mech E, IB 1950, AB 08.11.2007, zum Schluß nur Deckungsstelle für BÜ, nur 1 Dksig, Gegenrichtung Zp9
flickr Bilder jonashdf
marco
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Beitrag von marco »

Kann mich daran erinnern das man mir so etwas bei einer Führung durchs Straßenbahnmuseum in Stuttgart auch erzählt hat. Damit wollte man verhindern das es durch den Wagen zieht. Kann mich aber nur noch vage dran erinnern.
FloKi
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Beitrag von FloKi »

Ich kenne aus anderen Städten auch diese Erzählungen mit der vorderen Tür und als Erklärung wahlweise
- Damit der Fahrer nicht friert
- Damit die Technik nicht einfriert
- Damit es im Wagen nicht zieht

Am Stichhaltigsten dürfte die letzte Variante sein, da die Wagen und erst recht die Fahrerplatform nicht beheizt war und so wenigstens etwas Wärme gerettet wurde.
Die Technik scheidet meiner Meinung nach aus, da sie das abkönnen muss und ja damals auf der hinteren Platform ebenfalls vorhanden war, da die meisten Wagen für beide Fahrtrichtungen ausgerüstet war.
Um das Personal hat man sich damals erst recht keine Sorgen gemacht, immerhin hatte man ihm schon einen warmen Mantel spendiert.
Bleibt die Frage warum hinten einsteigen und vorne zulassen. Das lässt sich erklären, dass der Schaffner normalerweise auf der hinteren Platform kassiert hat und diese demnach gerne zum Einstieg gemacht wurde. Das wurde aber in den verschiedenen Städten unterschiedlich gehandhabt.
marco
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Beitrag von marco »

Waren die Wagen damals nicht beheizt? Ok bei der großen Bahn gab es die Dampfheizung, aber so nen primitiven Heizlüfter würds doch damals schon gegeben haben?
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hmmueller
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Beitrag von hmmueller »

Danke für die Infos, dass das kein Einzelfall war.

Zur Überlegungen/Variante mit dem Ziehen: Klingt einerseits vernünftig.

Aber: Beim Stehen zieht es ja nicht (sehr); also wäre das nur nötig gewesen, wenn die Vordertür aufgrund des Ein/Aussteigens (teilweise) offen geblieben wäre.
War der Grund dafür (um 1928), dass die Türen nicht fernbedient waren und deshalb die Fahrgäste so freundlich hätten sein müssten, die Tür zu schließen? Oder der Schaffner sich hätte durchdrängen müssen, um dieses zu tun?
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P-fan
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Beitrag von P-fan »

Schild an der (vorderen) Innentür eines Nürnberger Oldtimers lautet ungefähr so:

Von 15. Oktober bis 15. April ist die Tür geschlossen zu halten.
Symmetrische Fahrpläne: Voraussetzung für gute Anschlüsse in beiden Richtungen Symmetrieminute
FloKi
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Beitrag von FloKi »

Jetzt habe ich doch noch eine logische Erklärung gefunden: Man wollte verhindern das die Frontscheibe innen beschlägt, wenn die warme Luft aus einem gut gefüllten Innenraum auf die kalte Frontscheibe trifft. Das ist nämlich ein Problem welches nur im Winter oder bei längerem feuchtem Wetter im Frühjahr und Herbst auftritt.

Zur Heizungsfrage:
Die Wagen waren früher sehr spartanisch ausgerüstet. Besonders in den frühen Jahren kam hinzu, dass das Stromnetz wesentlich leichter überlastet werden konnte und die frühen Elektromotoren im Winter auch nicht sehr zuverlässig waren. Also wäre ein Heizlüfter eher kontraproduktiv. Und jede andere Heizungsmethode war zu umständlich. Ausserdem war man damals noch nicht so Luxusverwöhnt. In den Häusern wurde ja auch meisstens nur die Stube beheizt und die Alternative zur Tram wäre Fahrrad oder Motorrad gewesen, und die sind beide noch viel kälter.
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