ZEIT: "Wo der Nahverkehr sein Geld wert ist"

Alles über Stadtverkehr, was woanders nicht passt, wie z.B. Verkehrsverbünde
Jogi
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Beitrag von Jogi »

Heute geht's los: "Die Zeit" und ihr Online-Ableger widmen sich ab heute in einer mehrteiligen Reihe dem städtischen ÖPNV. Die Eigenbeschreibung dazu aus dem ersten Artikel:
Die Fahrgastzahlen steigen und steigen: In Zeiten von Landflucht und Städtewachstum ist der öffentliche Nahverkehr wichtiger denn je. Dem trägt die Leistung vieler Verkehrsbetriebe nicht Rechnung. Zahlen aus mehr als 50 großen deutschen Städten, die ZEIT und ZEIT ONLINE exklusiv vorliegen, zeigen, wo der ÖPNV überfordert ist und wo die Bürger ein gutes Angebot vorfinden. Lesen Sie dazu in den nächsten Tagen auf ZEIT ONLINE:
  • Analyse: Deutschlands Nahverkehr in Grafiken
  • Die Datenbasis: Ein Interview mit Stefan Weigele von der Beratungsfirma Civity
  • Ortsbesuch Köln: Woran der Nahverkehr in der Domstadt krankt
  • Ortsbesuch Dresden: Was der ÖPNV an der Elbe anderen voraushat
  • Ortsbesuch Potsdam: Wie die Stadt mit dem Fahrgastwachstum kämpft
  • "Preiserhöhungen werden zunehmend kritisch gesehen": Interview mit einem ÖPNV-Experten
  • "Die Kommunen werden mit den Kosten allein gelassen": Interview mit dem Potsdamer Verkehrsbetrieb
Die weiteren Artikel werden nach und nach online gestellt.

Positiv auf jeden Fall, dass sich diesem Thema angenommen wird.
Magengrummeln bereitet mir (und einigen Kommentatoren) die gewählten Indikatoren.

Als erstes werden aus über 50 Großstädten "die Abfahrten aller Busse und Bahnen von allen Haltestellen zusammengezählt und durch die Zahl der Einwohner geteilt" (so heißt es im verlinkten Artikel), um... Ja, um was eigentlich? So richtig klar ist mir das nicht, so richtig erkärt wird es auch nicht. Aber ein tolles Streudiagramm gibt es dafür, denn der errechnete Quotient wird ins Verhältnis zum Preis einer Einzelfahrt gesetzt. Das steht dann unter der Frage, was bekommen ÖPNV-Kunden für ihr Geld bekämen.

Als zweites wurden von elf (vorher waren's noch 50) Städten die Parkgebührenentwicklung (minus 1,5%) mit der Ticketpreisentwicklung (+13% für Einzelfahrten) verglichen. Da klingeln bei mir zwar sämtliche Alarmglocken, weil der Grundsatz, nur Gleiches mit Gleichem vergleichen, um Ausprägungen sauber festzustellen verletzt werden - aber dafür gibt's als vollmundiges, durchaus berechtigtes Fazit, aus "politische Gründen" (natürlich ohne sie näher auszuführen) habe das Auto "über Jahrzehnte" "Vorzug" erhalten.

Als drittes werden die Haltestellenabfahrten je Hektar Siedlungs- und Verkehrsfläche ins Verhältnis gesetzt zum Anteil der ÖPNV-Nutzung an allen Wegen. Überschrift der entsprechenden Grafiken mit vielen Punkten, aber leider nur zehn Städtenamen: "Je mehr Abfahrten ein ÖPNV bietet, desto beliebter ist das Angebot".

So löblich (und wichtig!) die Themenwahl ist, in meinen Augen eignen sich die dargebotenenen Datensätze nicht, um die "Qualität" des städtischen ÖPNV zu bewerten. Die Zusammensetzung der Indikatoren wird nicht genau erklärt - es wird beispielsweise nicht gesagt, ob auch Abfahrten der S-Bahn in den ersten Indikator zählen - oder warum liegen Städte mit einem "echten" S-Bahn-Netz, das auch innerstädtische Verteilungen wahrnimmt (Hamburg, Berlin, Frankfurt, Stuttgart, München; mit Abstrichen Hannover, Dortmund, Düsseldorf, Köln, Nürnberg) im bzw. nahe des schlechten "Halbkreises" des Streudiagramms?
Was die Indikatoren messen sollen, wird nicht geklärt. Ihre Aussagekraft wird nicht kritisch betrachtet. Die gesammelten Schlussfolgerungen mag durchaus zugestimmt werden, ihre Untermauerung erscheint dagegen wackelig.

Wie seht Ihr das?
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Iarn
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Beitrag von Iarn »

Ich muss da an Polt denken
Bei einer Bettenauslastung von, sagen wir, neunzig Prozent wären das ungefähr 12 800 Übernachtungen pro Höhenmeter – damit lägen wir 26% unter dem Kilimandscharo.

Zwei Werte in einer Division ergeben nicht immer einen Indikator.
Autonome Volksfront für die Wiedererrichtung der klassischen 22er Tram in München
Nicht zu verwechseln mit der Populären Front
Mark8031
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Beitrag von Mark8031 »

Je mehr Abfahrten ein Verkehrs­angebot am Tag bietet, desto besser ist das Angebot.
Also ersetzen wir einfach jede U-Bahn-Linie durch Busse im Minutentakt, lassen sie zwischendrin auch noch zusätzlich halten und schon haben wir genügend Abfahrten um das beste Angebot zu haben. Dass man dann nicht mehr so viele Menschen transportieren kann, scheint ja irrelevant zu sein.
Diese Menschen, die in einem Eisenbahnforum pro Auto argumentieren und in ihrer Kleinsichtigkeit ständig für das Auto Werbung machen, finde ich hier schon etwas deplaziert.
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Jogi @ 9 Feb 2017, 16:52 hat geschrieben:Wie seht Ihr das?
Ich finde die Untersuchung durchaus interessant, stimme dir aber größtenteils bei der Kritik zu.

Es wäre in der Tat enorm wichtig zu erfahren, ob SPNV inkl. S-Bahn dazuzählt oder nicht. Leider finden sich direkt bei Civity keine weiteren Informationen oder gar die vollständige Studie.
Als zweites wurden von elf (vorher waren's noch 50) Städten die Parkgebührenentwicklung (minus 1,5%) mit der Ticketpreisentwicklung (+13% für Einzelfahrten) verglichen.
Der Vergleich ist sicher nicht optimal. Aber ich hatte ja auch bereits in der Diskussion um die Preiserhöhung des Bayerntickets kritisiert. Die Fahrpreise im ÖPNV sind seit 2010 mit 20% (Reiter Auto und Verkehr) deutlich stärker gestiegen als der um 8% gestiegene Verbraucherpreisindex.

Also ersetzen wir einfach jede U-Bahn-Linie durch Busse im Minutentakt, lassen sie zwischendrin auch noch zusätzlich halten und schon haben wir genügend Abfahrten um das beste Angebot zu haben. Dass man dann nicht mehr so viele Menschen transportieren kann, scheint ja irrelevant zu sein.
Da ist wohl etwas Wahres dran. Denn die besten Werte erreichen viele kleine Großstädte wie Regensburg, Osnabrück, Oldenburg oder Potsdam. Einziger Ausreißer ist Dresden. Außerdem fällt auf, dass ein großer Anteil Städte ohne Straßenbahn dabei vertreten ist, also die Gefäßgrößen besonders klein sind. Bei diesem Indikator dürften jedenfalls kleinere Städte mit niedriger Bevölkerungsdichte, die einer ÖPNV-Erschließung erschweren, vorteilhafter bewertet werden.

Außerdem lässt sich noch kritisieren, dass Nachtverkehr wegen der seltenen Bedienungshäufigkeit nahezu gar nicht betrachtet wird und Wochendendverkehr überhaupt nicht (es wurden nur Abfahrten werktags gezählt, ob Sa auch dazuzählt, geht aus dem Artikel leider nicht hervor.) Meiner Ansicht nach stellen diese Faktoren aber einen ganz entscheidenden Teil der Attraktivität eines ÖPNV dar. Wer sonntags oder nach 20 Uhr nicht mehr ans Ziel kommt, wird wohl kaum auf ein eigenes Auto verzichten. Und wer ein Auto hat, nutzt den ÖPNV wesentlich seltener. (Folie 18)

Ich habe mal stichprobenartig ein bisschen verglichen. Dabei habe ich immer das Hauptverkehrsmittel beachtet, also keine Quartiersbusse oder Regionalverkehr.

..........................................Mo-Fr....abends...Sa........So....Nacht
Oldenburg (163.000 EW):...15.........30.........15.......30.....Mo-Fr quasi nicht vorhanden, WE 60, aber nicht durchgängig // Auffallend dichte Intervalle auf den Hauptachsen unter der Woche (2-4 min) -> Ineffiziente Busbedienung
Potsdam (167.000 EW)......20..........20.........20.......20....Mo-Fr 60, WE 30 // Auf allen Hauptachsen Mo-Fr 2 Linien parallel -> Takt 10
Hamm (179.000 EW).........30..........60.........30.......60....Mo-Fr keinen, WE 60, aber nich durchgängig // Auf Hauptachsen 2 Linien parallel -> doppelte Bedienungshäufigkeit

Bei den kleinen Großstädten fällt der Vergleich eindeutig aus. Die gut abschneidenden Potsdam und Oldenburg bieten tatsächlich einen deutlich besseren ÖPNV als das Schlusslicht Hamm. In Potsdam dürfte die eingesetzte Fahrzeugzahl wesentlich niedriger ausfallen als in Oldenburg -> Punkt für die Tram.
Besonders klar wird der Vorsprung auch beim Vergleich Oldenburg - Hamm. Wo in Oldenburg Mo-Fr alle 2-5 Min. ein Bus kommt, fährt er in Hamm nur alle 15 Min.


.........................................Mo-Fr...abends...Sa........So.....Nacht
Dresden (545.000 EW)......10........15.........10/15...15.....70 // auf vielen Hauptachsen 2 Linien parallel mit doppelter Bedienungshäufigkeit
Bremen (557.000 EW).......5/10.....20.........10........20.....Mo-Fr nicht durchgängig, WE 60
Duisburg (491.000 EW)......7/15....30..........7/15....15/30..Mo-Fr keinen, WE 60 nicht durchgängig

Bei den großen Großstädten ist der Vergleich ebenfalls deutlich. Spitzenreiter Dresden bietet beinahe eine doppelte Bedienungshäufigkeit verglichen mit Schlusslicht Duisburg. Mittelfeld Bremen liegt dazwischen.

Die Stichprobe zeigt meiner Ansicht nach, dass der Indikator so schlecht nicht gewählt ist. Er trifft die Wirklichkeit ziemlich gut.

Edit meint noch, dass mein Fazit nur für Städte gleicher Größenordnung gilt. Der Indikator ist nicht geeignet, um Dresden mit Potsdam zu vergleichen, daher ist die Darstellung in einem Diagramm irreführend.
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
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Beitrag von Jogi »

Mittlerweile sind alle Artikel aus der Reihe online... - ich sag mal so, wer schon beim allerersten Artikel schlucken musste, der wird das auch bei den weiteren tun. Wobei die "Einblicke" in die Betriebe von Köln, Potsdam und Dresden durchaus interessant sind, nur wirken sie merkwürdig danach geformt und geschrieben, unbedingt im (sorry, schwachsinnigen) Ranking-Verständnis bloß keine Widersprüche zu erzeugen. Köln wurde als einer der schlechtesten ÖPNV-Betreiber ausgemacht, das muss der konkrete Eindruck natürlich bestätigen :rolleyes:

Außerdem ist das Interview mit Diplom-Geograf Jürgen Gieß noch lesenswert. In einer zugegebenermaßen verengenden Lesart könnte dieses fast als Gegenteil zur Civity-Studie verstanden werden, weil Gieß sich in seinen Antworten von Verallgemeinerungen fernhält und im Subtext doch recht stark dafür eintritt, jeden Fall für sich zu betrachten und die gewachsenen Strukturen mit zu bedenken.

Zweiter Teil ist ein Interview mit Civity-Geschäftsführer Stefan Weigele (geht das nur mir so oder findet noch jemand, dass Herr Weigele auf dem Foto in der "Zeit" aussieht wie Joko Winterscheidt, nur ohne Bart(-ansatz)?). Nochmal rhetorisch in das imaginäre Rund gefragt, wer Antworten zum Studiendesign oder nähere Erläuterungen zur Durchführung erwartet hat, wird auch hier enttäuscht werden. Lediglich die ersten beiden Fragen weisen konkreten Bezug zur Studie auf.

Als erstes wird gefragt, ob denn eine Befragung von Fahrgästen (= qualitative Datenerhebung) nicht sinnvoller gewesen wäre als eine quantitative Auswertung von Abfahrten. Das ist insoweit irreführend, weil die konkrete Fragestellung impliziert, es hätte nur die Wahl zwischen beiden Alternativen gegeben. Auf die Kritik an der konkreten Durchführung, auf Fragen, was überhaupt gemessen und abgebildet werden soll, wird damit überhaupt nicht eingegangen.

Die Antwort von Weigele lässt in gewisser Weise auch tief blicken.
Das kommt ganz darauf an was man messen möchten.
Richtig. Nur was sollte denn gemessen werden? Die Abfahrtszahlen in Relation zu den Einwohner, OK - aber was sagt das aus, was soll damit abgebildet werden? Was ist, beispielsweise, mit dem entfallenden Einpendleranteil, der z.B. in Frankfurt am Main an Werktagen besonders bedeutend ist?
Umfragen können zeigen, wie Bürger und Fahrgäste das Angebot in ihrer Stadt wahrnehmen. Solche Umfragen repräsentativ in über fünfzig Städten durchzuführen ist aber sehr aufwändig und teuer.
Durchaus richtig - wobei, siehe meine vorgebrachte Kritik an der Fragestellung, es nicht nur Weg A und Weg B gibt, um herauszufinden, "wo der Nahverkehr sein Geld wert" sei, sondern bildlich auch Weg A1.1., Weg A1.2., Weg A2.1. usw.
Unsere quantitativen Analysen ermöglichen es dagegen, den Umfang und die Dichte des öffentlichen Verkehrs objektiv zu erfassen – also eine ganz elementare Ausgangsbasis für den Kunden – und beides über Stadtgrenzen hinweg zu vergleichen [sic]
Dieser Satz ist der konkreteste in Bezug auf das Design der Studie. Neben der Kritik von Mark8031, die dahingehend verallgemeinert werden, dass Verbünde mit einem hohen Busanteil (kürzere Haltestellenfolge) vermutlich eher besser gestellt werden, ist mir nicht klar, warum das unbedingt mit dem Preis für eine Einzelfahrt in Bezug gesetzt werden muss. Was wird damit bezweckt, außer ein wohl derart tolles Streudiagramm zu erzeugen, das unbedingt ans Ende fast aller Artikel eingebaut werden muss.

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Iarn @ 9 Feb 2017, 18:19 hat geschrieben:Ich muss da an Polt denken
Sehr schön :D
Trifft die IMHO wesentliche Schwäche sehr gut :lol:

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Entenfang @ 12 Feb 2017, 00:48 hat geschrieben:Der Vergleich ist sicher nicht optimal. Aber ich hatte ja auch bereits in der Diskussion um die Preiserhöhung des Bayerntickets kritisiert. Die Fahrpreise im ÖPNV sind seit 2010 mit 20% (Reiter Auto und Verkehr) deutlich stärker gestiegen als der um 8% gestiegene Verbraucherpreisindex.
Wenn ich grad dabei bin, alles in einer verengenden Lesart darzustellen, kann ich hier gleich weitermachen: Der Civity-Vergleich zwischen der Preisentwicklung bei Einzel- und Tageskarten mit der Entwicklung von innerstädtischen Parkgebühren (natürlich ohne zu erwähnen, ob dort nur städtische oder auch private Abstellmöglichkeiten mit drin sind) ist mehr als "nicht optimal": Der gewählte Ausschnitt von zwei Faktoren dürfte vor allem dazu dienen, die Aussage ("Die Güte des jeweiligen Nahverkehrs spiegelt den Stellenwert wider, den eine Stadt ihren Bussen und Bahnen über Jahrzehnte eingeräumt hat. Lange bekam das private Auto vielerorts den Vorzug. Und bekommt es oft noch heute.", erster Artikel der Reihe) zu bebildern.

Die danach getroffene Aussage ist durchaus zustimmungsfähig - dass mit der "autogerechten Stadt" der 1960er- und frühen 1970er-Jahren in Verbindung mit dem damaligen Bauboom in Folge der wirtschaftlichen Stagnation und damaligen Planungseuphorie die infrastrukturellen Grundlagen gelegt wurden, von deren geringen Zugangshürden der MIV noch heute profitiert, dürfte unstrittig sein; nur die qualitative Bewertung dieser Ausgangslase dürfte vom ADAC bis zur Allianz pro Schiene unterschiedlich ausfallen - die faktuale Grundlage ist mit dem Äpfel-Birnen-Vergleich dagegen nicht gegeben. In gewisser Weise ist die Darstellung sogar manipulativ, weil zwei kleine Ausschnitte (Preisentwicklung bei einigen Ticketangeboten für den ÖPNV, Parkgebühren für den MIV) aus einem komplexen Feld gewählt und nicht näher begründet werden. Alleine schon, weil der Ticketpreis quasi der "Endpreis" ist, in dem sich alle Kosten widerspiegeln, während Parkgebühren nur einen Teil der MIV-Kosten darstellen. Das ist quasi das Pendant dazu, wenn die Bahnfaht nur mit den Spritkosten des Autos gegengerechnet wird.

Als zweites werden diese beiden Ausschnitte buchstäblich übereinander gelegt und daraus werden absolute Schlussfolgerungen gezogen: politische Spielereien bei der Preisbildung im ÖPNV, Auto wird vor allem deswegen gefahren, weil's Parken so günstig ist. Das geht so einfach nicht (man beachte die Doppeldeutigkeit des letzen Satzes ;)).

Das gleiche Problem sehe ich bei deinem Vergleich zwischen der Teuerungsrate für das Warenbündel "Verkehr" mit der durchschnittlichen Inflation. Aus dem Nebeneinanderlegen eines konkreten Gutes mit dem gesamten Warenkorb folgt formal nichts; an sich lässt sich damit nur die hohe Teuerungsrate illustrieren. Allerdings stehen 20 Prozent in sechs, sieben Jahren schon für sich.
Auch die implizite Bewertung (zumindest lese ich sie raus; ich trete Dir damit hoffentlich nicht zu nahe :unsure:), dass der Verkehr "zu teuer" (geworden) ist, steht da auf eher wackeligen Füßen. Im Preis spiegelt sich, neben anderen Faktoren, die von Civity resp. Weigele "politisch" genannt werden, auch das Angebot wieder, was in den letzten Jahren ausgebaut worden sein dürfte. In Bayern durch die BEG unzweifelhaft (ca. 10 Prozent mehr Zugkilometer); im städtischen ÖPNV bei den meisten Großstädten wohl auch.
Entenfang @ 12 Feb 2017, 00:48 hat geschrieben:Die Stichprobe zeigt meiner Ansicht nach, dass der Indikator so schlecht nicht gewählt ist. Er trifft die Wirklichkeit ziemlich gut.

Edit meint noch, dass mein Fazit nur für Städte gleicher Größenordnung gilt. Der Indikator ist nicht geeignet, um Dresden mit Potsdam zu vergleichen, daher ist die Darstellung in einem Diagramm irreführend.
Danke für die Illustrierung und die positive Einschätzung, dass Haltestellenabfahrten in Relation zur Einwohnerzahl doch zu was taugen können.

Allerdings, wenn's danach geht ist die recht globale Betrachtung, die in der "Zeit" angestellt wird und mutmaßlich auf den Ausarbeitungen Civitys fußt (im Wesentlichen: Potsdam gut, Dresden ganz, Köln dagegen nicht; sowie ÖPNV verschenkt sein Potential, weil politischer und sozialer Spielball) doch eigentlich - natürlich streng wissenschaftlich ausgedrückt - ziemlicher Käse, weil alles in einen Topf geworfen, gut umgeührt und ein paar Parkplätze für die Deko dazu gegeben werden? :unsure:

Von dem (nochmals sorry: kreuzdämlichen) Ranking-Gehabe gar nicht wirklich angefangen, um "guten" Nahverkehr ach so objektiv messen zu wollenkönnen.
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Beitrag von Entenfang »

Jogi @ 12 Feb 2017, 13:46 hat geschrieben:Köln wurde als einer der schlechtesten ÖPNV-Betreiber ausgemacht, das muss der konkrete Eindruck natürlich bestätigen :rolleyes:
"Es reicht, dass ein Auto zu nah an den Gleisen steht oder jemand zu lange die Tür einer Bahn aufhält", sagt Lückerath, "und schon gerät alles aus dem Takt."
Diese Tatsache dürfte wohl so ziemlich auf jeden Straßenbahnbetrieb der Welt zutreffen. Ich habe jedenfalls noch von keiner Tram gehört, die Falschparker wegbeamen kann...
Das gleiche Problem sehe ich bei deinem Vergleich zwischen der Teuerungsrate für das Warenbündel "Verkehr" mit der durchschnittlichen Inflation. Aus dem Nebeneinanderlegen eines konkreten Gutes mit dem gesamten Warenkorb folgt formal nichts; an sich lässt sich damit nur die hohe Teuerungsrate illustrieren. Allerdings stehen 20 Prozent in sechs, sieben Jahren schon für sich.
Ich finde es immer sehr positiv, wenn jemand meine Argumentation infrage stellt und dafür auch noch gute Gründe nennt. :)
Du hast natürlich recht, dass man die Angebotsausweitung auch betrachten muss. Aber um als konkretes Beispiel München zu nennen:

.....................................2010......................2015.......................Veränderung
Bevölkerung..................1.364.000...............1.521.000..............+11.5%.................Stat. Jahrbuch 2010 ; Stat. Jahrbuch 2016
Fahrpreise.....................100..........................119,5....................+19,5%.................Ich habe die Fahrpreise des Jahres 2010 auf 100 gesetzt und die in der alljährlichen PM des MVV bekanntgegebene durchschnittliche Preiserhöhung addiert.
Angebotsausweitung.....Hier wirds kompliziert. Selbst die MVG schweigt sich darüber ziemlich aus, gefunden habe ich nach laaaanger Suche nur Werte für die Fahrplanwechsel 2011 (+2%), 2012 und 2013 (+2,7 bzw. +4,3%), 2015 (+1,2%). Interessant ist bei der letzten Quelle der genannte Gesamtwert seit 2010: +14%. Nehmen wir also +14% als Veränderung 2010 - 2015.

Damit liegt die Angebotsausweitung etwas über dem Zuwachs der Bevölkerung, die Fahrpreise sind aber deutlich stärker gestiegen, obwohl auch die Fahrgastzahlen der MVG etwa mit der Bevölkerung gestiegen sind. 2010-2015: +10,5%

Natürlich darf man nicht nur die niedrigen Benzinpreise oder die Parkkosten damit vergleichen, doch letztlich ist das die allgemeine Wahrnehmung: Die Preise des ÖPNV steigen deutlich stärker als die des MIV. Daher würde ich schon von einem Attarktivitätsverlust aus diesem Grund sprechen.
Auch die implizite Bewertung (zumindest lese ich sie raus; ich trete Dir damit hoffentlich nicht zu nahe unsure.gif), dass der Verkehr "zu teuer" (geworden) ist, steht da auf eher wackeligen Füßen.
Das hast du nicht ganz richtig interpretiert. Ich möchte damit vor allem zeigen, dass die Preise des ÖPNV stärker gestiegen sind als die des MIV oder der allgemeinen Lebenshaltungskosten. Ich finde auch nicht unbedingt, dass ÖPNV billiger werden muss. Beispielsweise könnte man aber deutlich an der Kostenschraube des MIV drehen, z.B. mittels Citymaut.
Insbesondere sehe ich ein Akzeptanzproblem des Nahverkehrs verglichen mit dem Fernverkehr. In Zeiten der Fernbusse, Sparpreis Aktion und Billigflieger ist meiner Ansicht nach eine Schieflage aufgetreten. Es lässt sich nur schwer vermitteln, warum eine verbundweite Einzelfahrt des MDV mit 10,20€ nah in die Kategorie eines Sparpreis Aktion mit BC 25 kommt (14,25€), eine Fahrt mit dem Regionalbus auf Rügen mehr kostet (5,70€) als eine Fahrt mit dem Fernbus von Berlin nach Dresden (5€) oder ein Flug mit Wizzair von Memmingen Munich West nach Nis (19,99) so viel kostet wie die Anreise mit dem Allgäu-Schwaben-Ticket (20€).

Zum Thema Dresden:
Aktuell arbeite man an einer "Weltneuheit", sagt TU-Professor Jürgen Krimmling. Es geht darum, die Ampeln der Stadt und den ÖPNV intelligent zu vernetzen, sodass Straßenbahnen noch pünktlicher und effizienter fahren.
Die Weltneuheit COSEL wird hier kurz erläutert. Überspitzt formuliert, das Fahrerassistenzsystem empfiehlt dem Fahrer, wie er die verlorene Zeit aufgrund der grottigen Ampelschaltung am besten verbummeln soll. Dazu habe ich mal unter der Hand gehört: In 1/3 der Fälle gibt es kein geeignetes Smartphone im Führerstand, in 1/3 der Fälle funktioniert das System nicht und in 1/3 der Fälle beachten die Fahrer es nicht.

Auch wird mir nicht klar, warum
Dresden verfügt nämlich über ein großes, dichtes Straßenbahnnetz – zwölf Linien mit zusammen einer Länge von 213 Kilometern.
das ein entscheidender Faktor sein soll. Leipzig hat eine ähnliche Linienlänge zu bieten, landet aber nur im Mittelfeld.
Außerdem sollen von 2020 an modernere und besonders breite Straßenbahnen die bisherigen ersetzen.
Das hingegen ist definitiv richtig. Um 2,65m breite Fahrzeuge einsetzen zu können, werden in den nächsten Jahren erst vor wenigen jahren sanierte Strecken nochmal umgebaut, um den Gleisabstand auf 3,0m zu vergrößern und den Einsatz zu ermöglichen.

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Allerdings, wenn's danach geht ist die recht globale Betrachtung, die in der "Zeit" angestellt wird und mutmaßlich auf den Ausarbeitungen Civitys fußt (im Wesentlichen: Potsdam gut, Dresden ganz, Köln dagegen nicht; sowie ÖPNV verschenkt sein Potential, weil politischer und sozialer Spielball) doch eigentlich - natürlich streng wissenschaftlich ausgedrückt - ziemlicher Käse, weil alles in einen Topf geworfen, gut umgeührt und ein paar Parkplätze für die Deko dazu gegeben werden? unsure.gif
So lange die Herkunft der Daten nicht geklärt ist (S-Bahn oder nicht?), kann man die Untersuchung streng wissenschaftlich betrachtet natürlich in die Tonne kloppen.
In Ansätzen finde ich sie richtig, was die Zeit daraus gemacht hat, kann man wohl tatsächlich als größtenteils Käse bezeichnen.

Als erstes wird gefragt, ob denn eine Befragung von Fahrgästen (= qualitative Datenerhebung) nicht sinnvoller gewesen wäre als eine quantitative Auswertung von Abfahrten. Das ist insoweit irreführend, weil die konkrete Fragestellung impliziert, es hätte nur die Wahl zwischen beiden Alternativen gegeben. Auf die Kritik an der konkreten Durchführung, auf Fragen, was überhaupt gemessen und abgebildet werden soll, wird damit überhaupt nicht eingegangen.
Nachdem wir hierzuforum nun gemeinschaftlich die Untersuchung zerpflückt haben, würde ich abschließend die Frage in die Runde werfen, ob jemand eine Idee hat, wie man die Qualität des ÖPNV zwischen unterschiedlichen Städten objektiv miteinander vergleichen kann (also nicht ausschließlich durch Kundenzufriedenheitsbefragung). Das wäre mal eine sehr interessante Aufgabe...
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Beitrag von 218217-8 »

Erstmal vielen Dank euch beiden für die fundierte Auswertung, Bewertung und Diskussion. Das Thema ist ja schon sehr interessant. Einmal die Schwächen der Untersuchung und Berichterstattung beiseite gelassen: Es ist ja erfreulich, dass das in den Medien überhaupt einmal thematisiert wird und wenigstens der Versuch einer detaillierteren und nicht nur oberflächlichen Betrachtung unternommen wird und man sich bemüht, es dem fachfremden, durchschnittlichen Leser auch möglichst anschaulich darzustellen.
Entenfang @ 12 Feb 2017, 23:06 hat geschrieben:Nachdem wir hierzuforum nun gemeinschaftlich die Untersuchung zerpflückt haben, würde ich abschließend die Frage in die Runde werfen, ob jemand eine Idee hat, wie man die Qualität des ÖPNV zwischen unterschiedlichen Städten objektiv miteinander vergleichen kann (also nicht ausschließlich durch Kundenzufriedenheitsbefragung). Das wäre mal eine sehr interessante Aufgabe...
Darauf habe ich auf die Schnelle leider auch keine Antwort ...
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Beitrag von Bayernlover »

Das ist ganz einfach. ÖPNV ist kein Selbstzweck und die Rahmenbedingungen in jeder Stadt andere (Parkplätze, Fahrpreise etc.). Definieren wir also "guten" ÖPNV dadurch, dass möglichst viele Leute damit fahren. Für jede Stadt einzeln müsste es einen Anteil am Gesamtverkehr geben, ab dem man sagt, dass der ÖPNV "gut" ist.
So würde Dresden auch mit 200 km U-Bahn nicht den Münchner Anteil erreichen, weil Auto fahren in dieser Stadt einfach zu komfortabel ist (ich überlege auch schon wieder, nicht, weil die DVB schlecht wäre, aber einfach zu langsam auf vielen Relationen. Bin aber noch nicht völlig überzeugt :P).

Die Einwohnerzahl ist hier kein gutes Kriterium, da Stuttgart nicht wesentlich viel mehr Einwohner als Dresden oder Leipzig hat, dafür aber eine komplett andere Verkehrsstruktur. Ihr seht, eigentlich ist ganz leicht :D (nicht)
Für mehr Administration. Gegen Sittenverfall. Für den Ausschluss nerviger Weiber.
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Beitrag von Jogi »

Entenfang @ 13 Feb 2017, 00:06 hat geschrieben:Diese Tatsache dürfte wohl so ziemlich auf jeden Straßenbahnbetrieb der Welt zutreffen. Ich habe jedenfalls noch von keiner Tram gehört, die Falschparker wegbeamen kann...
Speziell bezüglich Köln meinte ich Formulierungen wie diese (Quelle) N.b. in dieser URL heißt es: "http (...) koen[sic]-nahverkehr-bahnnetz-rankings-verlierer[!]". Eigentlich könnte ich hier schon aufhören zu schreiben, bei der offensichtlichen Merkhilfe...

Relativ am Anfang des Artikels heißt es: [quote="-"Die Zeit"\ @ 9.Feb 2017"]Kölns Bus- und Bahnnetz gehört zu den schlechtesten der Republik. In Köln kommen auf einen Einwohner so wenig Haltestellen-Abfahrten wie in sonst kaum einer deutschen Großstadt. Kölner überrascht das kaum, sie erleben das Drama ja jeden Tag. Und auch Ortsfremde wundert es nicht: Köln – das ist doch jene Stadt, wo der Neubau einer U-Bahn erst einen Kirchturm in Schieflage und dann das Stadtarchiv zum Einsturz brachte.[/quote]
Damit ist die Stoßrichtung schon mal klar: "Unsere" Studie hat die KVB als schlechtesten kommunalen Verkehrsbetrieb ausgemacht und jeder Nutzer kann das am eigenen Leib erfahren. Weil ist so. Zumindest ich als verkehrstechnisch interessierter Laie denke bei der KVB an eine weitere Sache, die subjektiv höhere Durchschnittsgeschwindigkeit der saumäßig unbequemen Stadtbahnen dank recht großzügiger Haltestellenfolge. Ist zwar eher ungewähnlich, aber es unterläuft diese imaginierte Gemeinschaft, die mit den zwei erwähnten Gruppen (Stammnutzer und Ortsfremde) aufgebaut wurde, ein bisschen nach dem Motto, jeder, der mit der KVB unterwegs ist, kennt das doch.

[quote="-"Die Zeit"\ @ 9.Feb 2017"][SPD-Politikerin Susana dos Santos Herrmann:] In den 1960ern habe man sich dem Autowahn gebeugt, und statt ein geschlossenes und weniger anfälliges U-Bahn-System zu bauen, habe man U-Bahn und Straßenbahn verquickt.[/quote]
Ähnliches Problem wie oben, eine Stadtbahnlösung, also die "Verquickung", ist nicht schlecht, weil Systeme vermengt werden (Beispiel Stuttgarter Stadtbahn), sondern weil sie unkonsequent durchgezogen wurde. Nur ist halt kein Problem der Stadtbahn an sich - Symptom erkannt, Diagnose passt nicht. Aber es klingt wohl so schön griffig.

[quote="-"Die Zeit"\ @ 9.Feb 2017"]Doch trotz allem sagt [KVB-Chef & Präsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen Jürgen] Fenske: "Wir haben ein klasse Produkt und viele Kunden, auf manchen Linien sogar zu viele Kunden, die Nachfrage ist also da." Konfrontiert man ihn mit dem schlechten Ergebnis des Kölner Nahverkehrs im ZEIT-Vergleich, dann zieht er seine eigene Tabelle hervor. [...] [positive Aspekte, z.B. recht stabile Preise für einige Produkte, Social Media Aktivität, persönliches Engagement]

Fenske mag in seinem Optimismus etwas ignorant klingen. Aber er denkt groß: [...] "Köln mobil 2025". In etwa zehn Jahren solle jeder dritte Kölner den Nahverkehr nutzen, aktuell sei es etwa jeder fünfte. Das ist zumindest – mutig.[/quote]
Ein Chef, der sich mit (soweit ich es herauslese) den Dienstleistungen seines Unternehmens identifiziert und aus seinem "goldenen Käfig" herausgeht und sich die Sache an der Front anschaut, der Pläne zur Weiterentwicklung und Verbesserung verfolgt, klinge ignorant; und der zitierte, letzte Satz ist gleichzeitig der allerletzte Satz des Artikels. Was soll ich denn da bitte rauslesen außer dass diese positive Grundhaltung nicht zum eigenen Ergebnis passt und daher mit der Doppeldeutig des Mutigseins (postitive Eigenschaft oder Schraube locker) in die eigene Schablone gepresst werden muss, die zuvor aufgebaut wurde?

Zur Klarstellung, das ist keine Kritik an Civity, das richtet sich alleine gegen die Darstellung im Artikel.
Entenfang @ 13 Feb 2017, 00:06 hat geschrieben:Ich finde es immer sehr positiv, wenn jemand meine Argumentation infrage stellt und dafür auch noch gute Gründe nennt. :)
Danke :)
Entenfang @ 13 Feb 2017, 00:06 hat geschrieben:Du hast natürlich recht, dass man die Angebotsausweitung auch betrachten muss. Aber um als konkretes Beispiel München zu nennen: [...]

Damit liegt die Angebotsausweitung etwas über dem Zuwachs der Bevölkerung, die Fahrpreise sind aber deutlich stärker gestiegen, obwohl auch die Fahrgastzahlen der MVG etwa mit der Bevölkerung gestiegen sind. 2010-2015: +10,5%
Vorab, Respekt für die kleinteilige Fleißarbeit, die Zahlen rauszusuchen!

Ich würde (und tue es ;)) noch einwenden und fragen, wie sich die Angebotsverbesserung zusammensetzt: Die Quellen beziehen sich in ihrer Leistungsausweitung primär auf ausgeweitete "Netzplan-Kilometer", wie es in der 2011er-Quelle heißt. Neue Fahrzeuge (-> Anschaffungs- und Abschreibungskosten) wie z.B. die in der 2014er-Quelle erwähnten Buszüge würde ich, zugegebenermaßen durchaus willkürlich, auch unter Angebotsverbesserung stellen, fallen aber beim Blick auf die erbachten Kilometer dabei raus. Oder die ganzen Tests mit alternativen Antrieben (Hybrid, Wasserstoff, Elektro [?]), auch das kostet in der Anfangszeit primär ohne sich im Leistungsumfang widerzuspiegeln; die positiven Effekte (Wissenszuwachs, Marketing, Umwelt) fallen ebenso raus.
Entenfang @ 13 Feb 2017, 00:06 hat geschrieben:Natürlich darf man nicht nur die niedrigen Benzinpreise oder die Parkkosten damit vergleichen, doch letztlich ist das die allgemeine Wahrnehmung: Die Preise des ÖPNV steigen deutlich stärker als die des MIV. Daher würde ich schon von einem Attarktivitätsverlust aus diesem Grund sprechen.
Das stimmt natürlich (wie für andere Lebensbereiche auch, Strom, Salat, Stadtbibliothek), rechtfertigt aber nicht die sinnfreie Darstellung, indem mir nichts, dir nichts Parkkosten und Ticketpreise nebeneinander gelegt werden. In der Darstellung, mit der vollzogenen Kopplung ist das falsch. Griffig zwar, aber falsch, weil Kausalitäten impliziert werden, die vielleicht nicht gerade nicht stimmen, aber die Wirklichkeit stark verkürzen und damit Eindrücke vermitteln, die wiederum zum Schubladisieren einladen.

13 Prozent Inflation bei ÖPNV-Tickets klingen eindrucksvoller, wenn gleichzeitig die Parkkosten um ein Prozent zurückgehen.
14 Prozent Preiststeigerung bei der MVG klingen mindestens weniger schlimm, wenn man dafür ein zehn Prozent besseres Angebot bekommt.
Entenfang @ 13 Feb 2017, 00:06 hat geschrieben:Das hast du nicht ganz richtig interpretiert.

Das tut mir leid.
Entenfang @ 13 Feb 2017, 00:06 hat geschrieben:Ich möchte damit vor allem zeigen, dass die Preise des ÖPNV stärker gestiegen sind als die des MIV oder der allgemeinen Lebenshaltungskosten.
Das stimmt natürlich. "Notwendiger", die Grundversorgung sichernder Verkehr nimmt damit tendenziell einen größeren Anteil am zur Verfügung stehenden Budget ein (und das wird in Relation zum gesamten Warenkorb natürlich deutlich, insoweit muss ich da zurückrudern). Gerade für sozial Schwächere ist das ein Problem (auch wenn mit Sozialtickets Alternativen bestehen [die wiederum aus der Civity-Betrachtung rausfallen], die sich wiederum auf die Erlöse und damit auf die Preisstruktur auswirken).
Entenfang @ 13 Feb 2017, 00:06 hat geschrieben:Ich finde auch nicht unbedingt, dass ÖPNV billiger werden muss. Beispielsweise könnte man aber deutlich an der Kostenschraube des MIV drehen, z.B. mittels Citymaut.
Bin ich prinzipiell bei Dir - und klassischer Topos, der sofort hervorgebracht wird, wenn ein Gemeinderat und/oder Bürgermeister das vorschlägt, durch die lokalen Einzelhändler sind Befürchtungen, dass die Kunden wegbleiben, weil sie nicht mehr mit dem Auto bis vor's Geschäft kommen und dann woanders einkaufen. Der ADAC wird irgendwas sagen in die Richtung "Freie Fahrt für freie Bürger", wir haben nichts gegen Fußgänger und Radler, so lange der Autofahrer nicht behindert wird. Damit lässt sich wieder der Haken zu dem schlagen, was von Civity als "politisches Problem" des ÖPNV bezeichnet wurde...

Das soll nur andeuten, in welchem komplexen Feld sich der ÖPNV bewegt. Die präsentierten Statistiken in der "Zeit"-Reihe sind in meinen Augen dagegen unterkomplex, sie sehen so gewählt aus, dass sie zum einen eindrucksvoll und aufwändig anmuten (v.a. das Streudiagramm) und zum anderen riechen sie danach, dass sie vorgefertigte Aussagen untermauern, quasi bebildern sollen. Wie eben die Ticketkosten-Parkkosten-Diagramm: Das lässt sich langatmig, abstrakt, wenig griffig über die Geschichte ("autogerechte Stadt") und das politische Feld (Topos von oben) herleiten. Was aber lame ist: GÄÄÄHN.
Oder fachlich anmutend mit einem tollen Diagramm mit Linien, Zahlen und Querbalken. Das schaut investigativ aus, das sind Fakten, Fakten, Fakten.

So viel nochmals zur Kritik an der Studie. Zu deiner Ausführung, da mache ich mal ein großes Fass auf: Will man (Gesellschaft, damit die Politik und auch Interessenvertreter) wirklich eine "Verkehrswende", verstanden dahingehend, das wirklich mehr Verkehr ökologisch sinnvoller angewickelt wird und nicht nur die Verkehrszunahme zu halbwegs gleichen Teilen auf die bestehnden Verkehrsträger umgelegt wird - dann müssen die Zugangsbarrieren für den MIV erhöht und gleichzeitig die Barrieren für die Alternativen gesenkt werden. Citymaut ist dafür eine mögliche Maßnahme. Gleichzeitig muss auch "unnötiger" Verkehr, inspiriert durch die Nordseekrabben, die danach Marokko gekart wurden (werden?) zum Pulen gekarrt werden, reduziert werden.

Aber ´, wie gesagt, großes Fass...

Der Topos lässt sich übrigens auch widerlegen (zukunft-mobilitaet.net).
Entenfang @ 13 Feb 2017, 00:06 hat geschrieben:Insbesondere sehe ich ein Akzeptanzproblem des Nahverkehrs verglichen mit dem Fernverkehr. In Zeiten der Fernbusse, Sparpreis Aktion und Billigflieger ist meiner Ansicht nach eine Schieflage aufgetreten. Es lässt sich nur schwer vermitteln, warum eine verbundweite Einzelfahrt des MDV mit 10,20€ nah in die Kategorie eines Sparpreis Aktion mit BC 25 kommt (14,25€), eine Fahrt mit dem Regionalbus auf Rügen mehr kostet (5,70€) als eine Fahrt mit dem Fernbus von Berlin nach Dresden (5€) oder ein Flug mit Wizzair von Memmingen Munich West nach Nis (19,99) so viel kostet wie die Anreise mit dem Allgäu-Schwaben-Ticket (20€).
Auch hier erntest Du von mir Zustimmung. Aktuell fällt die Preiswahrnehmung auseinander, wobei ich als Folge befürchte, dass der wirkliche (Waren-)Wert der Dienstleistung, von A nach B transportiert zu werden, fehleingeschätzt wird. So könnte DB Fernverkehr angesichts seiner permanten 19-Euro-Sparpreis-Rumaktionierei Probleme bekommen, höhere Preise durchzusetzen, weil zum einen die zahlungskräftigen Stammkunden darauf ausweichen oder sich sogar gänzlich abwenden und weil zum anderen die angelockten Nutzer höhere Preise gar nicht gewohnt sind.
Entenfang @ 13 Feb 2017, 00:06 hat geschrieben:Die Weltneuheit COSEL wird hier kurz erläutert. Überspitzt formuliert, das Fahrerassistenzsystem empfiehlt dem Fahrer, wie er die verlorene Zeit aufgrund der grottigen Ampelschaltung am besten verbummeln soll. Dazu habe ich mal unter der Hand gehört: In 1/3 der Fälle gibt es kein geeignetes Smartphone im Führerstand, in 1/3 der Fälle funktioniert das System nicht und in 1/3 der Fälle beachten die Fahrer es nicht.
Statt Vorrangschaltung wird ein eigenes Betriebssystem entwickelt, um die Standzeit sinnvoll zu nutzen bzw. zu minimieren? Das ist auch wieder so was, was außenstehend nicht so richtig nachzuvollziehen ist...

Nebenbei, hätte da nicht ein "Countdown" am Fahrtanzeiger wie an manchen Fußgängerampeln (grün in 10, 9, 8, ... Sekunden) den gleichen Effekt?
Entenfang @ 13 Feb 2017, 00:06 hat geschrieben:Auch wird mir nicht klar, warum [Länge und Dichte des Dresdner Netzes] das ein entscheidender Faktor sein soll. Leipzig hat eine ähnliche Linienlänge zu bieten, landet aber nur im Mittelfeld.
Zwei Möglichkeiten sehe ich da: Entweder hat Leipzig eine geringere Haltestellendichte je Hektar Nutzfläche (oder was auch immer die Bezugsgröße war :lol:) oder der Verbund ist recht teuer. Rein subjektiv würde ich eher auf zweiteres tippen...
Entenfang @ 13 Feb 2017, 00:06 hat geschrieben:Nachdem wir hierzuforum nun gemeinschaftlich die Untersuchung zerpflückt haben, würde ich abschließend die Frage in die Runde werfen, ob jemand eine Idee hat, wie man die Qualität des ÖPNV zwischen unterschiedlichen Städten objektiv miteinander vergleichen kann (also nicht ausschließlich durch Kundenzufriedenheitsbefragung). Das wäre mal eine sehr interessante Aufgabe...
Speziell beim Gedanken an Frankfurt am Main, wo der hohe Einpendleranteil bei dem alleinigen Bezug auf die Einwohnerzahl unter den Tisch fiel, drängt sich mir auf, irgendwie die tatsächliche Nutzerzahl einzurechnen. Also in die Richtung gehend, die tatsäche Fahrgastzahl in einem definierten Bereich ins Verhältnis zur Abfahrtszahl setzen.

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218217-8 @ 13 Feb 2017, 02:43 hat geschrieben:[...] Es ist ja erfreulich, dass das in den Medien überhaupt einmal thematisiert wird und wenigstens der Versuch einer detaillierteren und nicht nur oberflächlichen Betrachtung unternommen wird und man sich bemüht, es dem fachfremden, durchschnittlichen Leser auch möglichst anschaulich darzustellen.
Finde ich auch (und deswegen habe ich dieses Positive im Ausgangsbeitrag extra als erstes genannt).

Wegen der Anschaulichkeit: Das ist natürlich auch richtig, es dahingehend zu reduzieren und entsprechend aufzubereiten, um es verständlich zu machen. Wichtig dabei, das ist auch eine durchaus schwere Aufgabe.

Nur, wenn die Veranschaulichung zu Lasten der Kausalität geht und damit Gefahr läuft, Wirkungszusammenhänge verfälschend darzustellen, verfehlt die Veranschaulichung ihr Ziel. Damit sind wir wieder bei der Präsentation der Ticke-/Parkkosten. Das ist einfach falsch, weil Kausalitäten impliziert werden (politische Bevorzugung des MIV gegenüber des ÖPNV), die falsch dargestellt werden, weil sich dieses komplexe Thema nicht an zwei Linien in einem Diagramm hinreichend belgen lässt. Von der Wirkung dieser vermeintlich objektiven Darstellung, die den Kommentaren in den Artikeln nach, dazu verführt, individuell den jeweiligen ÖPNV abzuklopfen, ob denn die Studie auf die eigene Lebenswirklichkeit passt, gar nicht gesprochen.

Das kann man nun auf unterschiedliche Weise bewerten. Das Ergebnis mag stimmen (frei nach dem Motto, hinten ist die Ente fett) und es kommt doch eh auf die Aussage an - das kann durchaus positiv gesehen werden. Die Herleitung dagegen, die Darstellung halte ich für unangebracht, weil vereinfacht und sehr stark auf die Wirkung der Darstellung setzend (wieder dieses Streudiagramm, was fast jeden Artikel der Reihe abschließt).

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Bayernlover @ 13 Feb 2017, 08:38 hat geschrieben:Das ist ganz einfach.
Ich sag's ja, die Chance von Mario Gomez gestern um die 49. Minute rum, als er an Baumann scheiterte, die hätte ich rein gemacht ;)
Bayernlover @ 13 Feb 2017, 08:38 hat geschrieben:ÖPNV ist kein Selbstzweck und die Rahmenbedingungen in jeder Stadt andere (Parkplätze, Fahrpreise etc.). Definieren wir also "guten" ÖPNV dadurch, dass möglichst viele Leute damit fahren. Für jede Stadt einzeln müsste es einen Anteil am Gesamtverkehr geben, ab dem man sagt, dass der ÖPNV "gut" ist.
Auf jeden Fall positiv an dem Gedanken, dass jeder Fall einzeln betrachtet wird. Quasi wie in der Schule, eine 4+ mag nicht gut sein, für ein Kind dagegen, dass das Geometrie kaum durchdringen und sich nur schwer aneignen konnte, mag es durchaus gut sein.
Nachteilig allerdings, dass sich Kategorien und die Bewertung, ab wann etwas "gut" ist, nicht gänzlich objektiv herleiten lassen. Es muss sich ja an igrendwelchen Merkmalen objektiv (also valide, wiederholbar, reliabel usw.) festmachen lassen, ab wann ÖPNV in A "gut" und der in B "schlecht" oder "weniger gut" ist. Im zweiten Schritt leidet dann auch die Vergleichbarkeit der Ergebnisse untereinander (was anscheinend auch ein Ziel der Civity-Arbeit war).
Bayernlover @ 13 Feb 2017, 08:38 hat geschrieben:So würde Dresden auch mit 200 km U-Bahn nicht den Münchner Anteil erreichen, weil Auto fahren in dieser Stadt einfach zu komfortabel ist ([...] weil die DVB [...] einfach zu langsam auf vielen Relationen. Bin aber noch nicht völlig überzeugt :P).
Dagegen würde mit einer U-Bahn die Reisegeschwindigkeit zunehmen, so dass auf entsprechenden Hauptrelationen eine kürzere Reisezeit zu erwarten wäre. Bei gleichzeitig höherer Kapazität und Zuverlässigkeit (Trennung vom MIV) wäre bei der höheren Attraktivität ein Fahrgastzwachs zu erwarten, so dass eine Erhöhung des Modal Splits im Bereich des Möglichen liegt (die dann höhere Attraktivität durch freiere Straßen ausgeklammert).
Kurz, das wäre durchaus "besserer" ÖPNV, nur inwieweit ist das dann mit München vergleichbar? Überhaupt, hierzuforum würdest Du für die Behauptung, dass München "guten" ÖPNV habe, mindestens ein dickes ABER kassieren. Die Qualität wird also bei einem Blick auf den Modal Split auch nicht wirklich erfasst, es braucht wiederum eigene Kenntzahlen dafür.
Bayernlover @ 13 Feb 2017, 08:38 hat geschrieben:Die Einwohnerzahl ist hier kein gutes Kriterium, da Stuttgart nicht wesentlich viel mehr Einwohner als Dresden oder Leipzig hat,...
Gut 14 Prozent (Stuttgart vs. Dresden) würde ich schon als wesentlich mehr ansehen. Wenn dein imaginäres Auto 14 Prozent mehr Sprit braucht als vom Verkäufer angekündigt, würdest Du doch hoffentlich ein Wörtchen mit ihm reden - oder wenigstens mal zu einem Check vorbeifahren ;)
Bayernlover @ 13 Feb 2017, 08:38 hat geschrieben:... dafür aber eine komplett andere Verkehrsstruktur. Ihr seht, eigentlich ist ganz leicht :D (nicht)
Neben einem Bezug zur tatsächlichen Nutzerzahl anstatt nur zur Einwohnerzahl, könnte man vielleicht noch die Netzabdeckung mit einbeziehen, um irgendwie die Erschließung mit rein zu kriegen. Davon ausgehend, dass damit ein attraktiveres Angebot möglich ist, denn wenn nur 100 statt 500 Meter zur nächsten Haltestelle gelaufen werden muss, steigt die Nutzungdwahrscheinlichkeit. Vielleicht könnte man dies noch irgendwie an die Abfahrtsanzahl koppeln...

Ist also zu sehen, da gibt's einige Möglichkeiten, die allerdings mit einigem Aufwand verknüpft sind. Es sieht zumindest nach mehr Aufwand aus, als die Haltestellenabfahrten zusammenzuzählen (mit einem gut geschriebenen Programm dürfte das in ein paar Stunden gesammelt sein) und das ins Verhältnis zur Einwohnerzahl zu setzen (die Zahlen sind ja leicht zufinden).
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Beitrag von Jo B. »

Wer allen Ernstes den ÖPNV in Köln mit dem mangelhaften ÖPNV in Duisburg gleich setzt, hat eindrucksvoll bewiesen, dass er keinerlei Vor-Ort-Erfahrung hat und ein vollkommen ungeeignetes System verwendet, um seine Ergebnisse zu erzielen. Diese Studie ist es nicht wert, dass man ihr wertvolle Lebenszeit opfert! Von daher: Setzen sechs!
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Beitrag von Entenfang »

Jogi @ 13 Feb 2017, 13:49 hat geschrieben:Gleichzeitig muss auch "unnötiger" Verkehr, inspiriert durch die Nordseekrabben, die danach Marokko gekart wurden (werden?) zum Pulen gekarrt werden, reduziert werden.
Hier bin ich auf jeden Fall bei dir. Dazu müssten aber entsprechende Anreize geschafft werden, die das unattraktiv machen, z.B. durch eine deutlich höhere LKW-Maut. Verkehr muss teurer werden, dann würde auch nicht so viel unnötig durch die Gegend gekarrt werden. Wenn die Milch aus der Region nur die Hälfte des Preises der Milch vom anderen Ende der Republik hätte, würden die Verbraucher auch mit den Füßen abstimmen. Aber wir kommen vom Thema ab...
Statt Vorrangschaltung wird ein eigenes Betriebssystem entwickelt, um die Standzeit sinnvoll zu nutzen bzw. zu minimieren? Das ist auch wieder so was, was außenstehend nicht so richtig nachzuvollziehen ist...

Nebenbei, hätte da nicht ein "Countdown" am Fahrtanzeiger wie an manchen Fußgängerampeln (grün in 10, 9, 8, ... Sekunden) den gleichen Effekt?
Ich jedenfalls mache mich bei jeder Gelegenheit über das ach-so-innovative COSEL lustig. Du glaubst gar nicht, wie viele Vorträge wir schon dazu gehört haben, wie wahnsinnig toll das ist. <_<

Zum Thema Countdown: Das System soll den Fahrer auch unterstützen, z.B. bei der Fahrt zwischen den Haltestellen nicht auf Höchstgeschwindigkeit zu beschleunigen, dann an der nächsten Ampel auf 0 runterzubremsen, um nach 5 Sekunden Wartezeit weiterzudüsen. In so einem Fall würde das Smartphone empfehlen, nur 30 zu fahren und dafür ohne Halt durchzukommen. Das funktioniert mit einem simplen Countdown an der Ampel nicht, zumal die Sicht auch nicht überall gegeben wäre. Soweit die Theorie, zur Realität hatte ich ja bereits geschrieben.
Ich will auch nicht die grundsätzliche Sinnhaftigkeit eines Fahrerassistenzsystems infrage stellen. Aber meiner Meinung nach wäre das Geld viel besser in einer Optimierung der Ampelschaltung aufgehoben - das wiederum ist aber vor allem ein politisches Problem der heiligen Koordinierung für den MIV. In Dresden ist es außerhalb der HVZ durchaus möglich, auf den Hauptachsen die Stadt mit dem Auto ohne einen einzigen Halt komplett zu durchfahren. Das macht sich für die anderen Verkehrsteilnehmer natürlich deutlich bemerkbar.
Zwei Möglichkeiten sehe ich da: Entweder hat Leipzig eine geringere Haltestellendichte je Hektar Nutzfläche (oder was auch immer die Bezugsgröße war :lol:) oder der Verbund ist recht teuer. Rein subjektiv würde ich eher auf zweiteres tippen...
Da ich zur Gesamtzahl der Haltestellen im Stadtgebiet nichts finden konnte, habe ich einfach mal die Anzahl der Haltestellen im Leipziger und Dresdner Tramnetz miteinander verglichen. Wikipedia nennt für Leipzig 522, für Dresden 259. Das kann bei etwa gleicher Länge des Netzes natürlich nicht stimmen, also habe ich anhand des Netzplans Leipzig die Zahl der Punkte gezählt. (Man merkt, ich habe Semesterferien.) Ohne Anspruch auf Richtigkeit bin ich auf 239 gekommen. Da für Leipzig als durchschnittlicher Haltestellenabstand 522 m abgegeben wird, würde ich vom Gefühl her sagen, dass mein Ergebnis stimmt. Für Dresden habe ich keinen Vergleichswert gefunden, würde ihn aber etwas geringer als den Leipziger Wert einschätzen.

Zum Thema Fahrpreise, die natürlich sehr schwer vergleichbar sind aufgrund der unterschiedlichen Bestimmungen (Kurzstrecke in Dresden z.B. nur als 4er-Karte, Einzelfahrt in Leipzig und Dresden nur 1h gültig, Tageskarte in Leipzig dafür 24h usw.). Ich habe jeweils den Wert für das Stadtgebiet rausgesucht, also Tarifzone Leipzig, Dresden, München Innenraum.

...........................München............Leipzig....................Dresden
Kurzstrecke.........1,40..................1,80.......................1,38
Einzelfahrt...........2,80..................2,60........................2,30
Tageskarte..........6,60..................7,20........................6,00
Monatskarte........78,20................71,80.....................59,00

Ja, da würde ich dir durchaus zustimmen, dass Leipzig relativ teuer ist.
Ist also zu sehen, da gibt's einige Möglichkeiten, die allerdings mit einigem Aufwand verknüpft sind. Es sieht zumindest nach mehr Aufwand aus, als die Haltestellenabfahrten zusammenzuzählen (mit einem gut geschriebenen Programm dürfte das in ein paar Stunden gesammelt sein) und das ins Verhältnis zur Einwohnerzahl zu setzen (die Zahlen sind ja leicht zufinden).
"Entwicklung eines Indikators zum Vergleich der Angebotsqualität des ÖPNV in unterschiedlichen Städten"
Tja, jetzt habe ich wohl mein Diplomarbeitsthema gefunden :P
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Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
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Beitrag von Lobedan »

Entenfang @ 24 Feb 2017, 15:58 hat geschrieben:
Zwei Möglichkeiten sehe ich da: Entweder hat Leipzig eine geringere Haltestellendichte je Hektar Nutzfläche (oder was auch immer die Bezugsgröße war :lol:) oder der Verbund ist recht teuer. Rein subjektiv würde ich eher auf zweiteres tippen...
Da ich zur Gesamtzahl der Haltestellen im Stadtgebiet nichts finden konnte, habe ich einfach mal die Anzahl der Haltestellen im Leipziger und Dresdner Tramnetz miteinander verglichen. Wikipedia nennt für Leipzig 522, für Dresden 259. Das kann bei etwa gleicher Länge des Netzes natürlich nicht stimmen, also habe ich anhand des Netzplans Leipzig die Zahl der Punkte gezählt. (Man merkt, ich habe Semesterferien.) Ohne Anspruch auf Richtigkeit bin ich auf 239 gekommen. Da für Leipzig als durchschnittlicher Haltestellenabstand 522 m abgegeben wird, würde ich vom Gefühl her sagen, dass mein Ergebnis stimmt. Für Dresden habe ich keinen Vergleichswert gefunden, würde ihn aber etwas geringer als den Leipziger Wert einschätzen.
Leipzig hat tatsächlich eine geringere Haltestellendichte. Oder vielmehr: Größere Haltestellenabstände. Oder ganz genau: Der Abstand vieler Haltestellen heute entspricht dem Abstand von zwei Haltestellen aus dem ursprünglichen Netz. Als das Netz massiv ausgebaut wurde, hat man nämlich auf vielen Altstrecken jede zwei Haltestelle gestrichen (außer eine betroffene Haltestelle war für Umstiegsbeziehungen wichtig), um die Linien zu beschleunigen. Auf der Strecke nach Wahren ist das beispielsweise sehr deutlich zu bemerken.
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Beitrag von Michi Greger »

Jogi @ 13 Feb 2017, 14:49 hat geschrieben: Nebenbei, hätte da nicht ein "Countdown" am Fahrtanzeiger wie an manchen Fußgängerampeln (grün in 10, 9, 8, ... Sekunden) den gleichen Effekt?
Ein guter Fahrer kennt seine Ampeln. Aus der Schaltung anderer Signale (Querverkehr, Abbieger, Fußgänger) kann man meistens sehr genau abzählen wie lange es noch dauert, bis das eigene Signal kommt.

Gruß Michi
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Beitrag von Rohrbacher »

Michi Greger @ 24 Feb 2017, 21:15 hat geschrieben:Ein guter Fahrer kennt seine Ampeln. Aus der Schaltung anderer Signale (Querverkehr, Abbieger, Fußgänger) kann man meistens sehr genau abzählen wie lange es noch dauert, bis das eigene Signal kommt.
Geht so. Wenn du so dynamische Teile hast, die den Verkehrsfluss irgendwie registieren, dann war's das mit der Gewohnheit. Letztens war ich total irritiert von der Schaltung. Du fährst abends fast allein auf weiter Flur auf der B13 durch Pfaffenhofen, die Ampel in etwa 200 Meter Entfernung springt auf Rot, man lässt schonmal ausrollen, du weißt, normalerweise stehst du da jetzt gleich, ein einzelnes Fahrzeug kreuzt und geschätzt 10 Sekunden nachdem sie auf Rot ging, schaltet die Ampel schon wieder auf Grün. Der Querverkehr war durch, dann kam ich, also krieg ich mal Grün für Gradaus inkl. Linksabbiegen, weil in Gegenrichtung kam keiner. An der nächsten Kreuzung das selbe, nur dass ich als Linksabbieger hätte warten müssen, weil etwa zeitgleich wie ich einer in Gegenrichtung kam und dann im Zweifel vermutlich der Durchgangsverkehr auf der B13 bevorzugt wird. Vermutlich. Ähnliches bei Ampel drei. Kann eigentlich kein Zufall sein, so schnell von Grün auf Rot und wieder auf Grün gingen die früher definitiv nie, behaupte ich.
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Beitrag von Jogi »

Entenfang @ 24 Feb 2017, 16:58 hat geschrieben:Hier bin ich auf jeden Fall bei dir. Dazu müssten aber entsprechende Anreize geschafft werden, die das unattraktiv machen, z.B. durch eine deutlich höhere LKW-Maut. Verkehr muss teurer werden, dann würde auch nicht so viel unnötig durch die Gegend gekarrt werden. [...] Aber wir kommen vom Thema ab...
Jein... ;)
Mit der Studie an sich hat's natürlich kaum was zu tun. Allerdings gehört eine ausgebaute, attraktiver gemachte Alternative dazu, wenn man den MIV gleichzeitig zurückbauen will.
Wobei ich da einen eher weit gefassten Begriff von Anreizen habe: Ein Kinderticket an Feinstaubalaramtagen alleine reicht nicht aus, um den ÖPNV zu stärken (auch wenn der Anreiz durchaus nachvollziehbar ist, die Stammkunden, die bewusst öffentlich fahren und am Feinstaub noch die geringste Schuld tragen, werden damit doppelt verhöhnt). Die hohe Attraktivität des eigenen Stinkers bleibt damit erhalten (Parkplatz direkt vor dem Haus, immer verfügbar usw.) und am nächsten Tag fällt die Wahl nach dem eingeschliffenen Verhaltensmuster. Soll sich also wirklich und nachhaltig spürbar den Modal Split zu Gunsten der Öffis verschieben, braucht es auch erhöhte Zugangsbarrieren (z.B. City-Maut, mit der der ÖPNV-Ausbau gegenfinanziert werden könnte) und Verbote (z.B. keine Dieselfahrzeuge oder nur Fahrzeuge mit geraden Nummern), braucht es eine veränderte Steuerung des MIV (z.B. mittels Parkraummanagement, veränderter Verkehrsführung und Ausweiten der verkehrsberuhigten), damit die Hemmschwelle zum Stehenlassen des PKws und Umsteigen in Bus & Co. gesenkt wird.

Mit dem deutschen "Freie Fahrt für freie Bürger"-Gequake wird das aber nichts, weil das alles Ekelpickel hervorruft, die FDP Bevormundung schreien und der ADAC vor Wut gelb anlaufen kann ("Südwest Presse"). Da werden selbst Umfrageergebnisse wie dieses ("Stuttgarter Zeitung") bejubelt, wenn 19 Prozent (nicht mal ein Fünftel!) angeben, bei einem besseren ÖPNV-Angebot würde ich "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf Bus und Bahn umsteigen" und von den genannten Interessenverbänden als "Umdenken in der Gesellschaft" bezeichnet. 19 Prozent ist lachhaft, zumal dann, wenn die soziale Erwünschtheit noch beachtet wird.

Bevor da jetzt einer kommt und mir was von wegen linksgrünsozialistischsozialisierter Bevormundungsvollpfosten unterstellt - in der Schweiz, trotz roter Flagge nicht wirklich als sozialistisches Land bekannt, hat sich diese Erkenntnis eines zurück zu drängenden MIV schon in den 1970ern durchgesetzt. Namentlich Zürich ist da Vorreiter, nachdem 1973 in einer Volksabstimmung (!) beschlossen wurde, kein U-Bahn-System aufzubauen - ist natürlich schon ein besonderer Dosenöffner, weil damit dem MIV von vorneherein nicht mehr Platz eingeräumt werden kann, wie in Deutschland gerne geschehen. Mithin gilt dieses Abstimmungsergebnis jedenfalls als Auslöser, das öffentliche Verkehrssystem auszubauen (neue Trolleybusse, mehr Trams, spezifische Tarifangebote) und gleichzeitig den MIV zu schwächen (zukunft-mobilitaet.net):
1974 formulierte die Verkehrskommission des Gemeindeparlaments für einen stadtgerechten Verkehr gültige Grundsätze mit der Kernaussage, dass die Nutzung des motorisierten Individualverkehrs bei gleichzeitiger Förderung des öffentlichen Verkehrs eingeschränkt werden müsse. Diese Grundsätze wurden im Jahr 1977 durch die Volksinitiative zur Beschleunigung des öffentlichen Verkehrs mit Leben und entsprechender Finanzierung gefüllt. Das Volk stimmte damals mit deutlicher Mehrheit dafür, bauliche Ergänzungen und Verbesserungen für Straßenbahn (Tram) und Bus durchzuführen, die negativen Einflüsse durch den MIV und betriebliche Defizite beheben. Die Investitionen wurden mit einem Kredit in Höhe von 200 Millionen Schweizer Franken finanziert.

Im Jahr 1979 beschloss der Stadtrat die Grundsatzweisung für die Bevorzugung des öffentlichen Verkehrs. Diese Entscheidung wurde in den kommenden Jahren mehrmals durch ergänzende Beschlüsse gestärkt.
Allein daran ist schön zu sehen, wie politische Entscheidungen diesen ÖPNV-freundlichen Kurs stütz(t)en und fortwährend weiterentwickelten, um die Steuerungsmöglichkeiten beizubehalten.

Damit zurück zur Studie: Eine gute Netzabdeckung ist da natürlich relevant. Der gewhlte Indikator könnte zumindest die Qualität anzeigen und in Beziehung zu anderen Städten stellen, wie Du es dankenswerterweise oben vorgeführt hast.
Entenfang @ 24 Feb 2017, 16:58 hat geschrieben:[...] Wenn die Milch aus der Region nur die Hälfte des Preises der Milch vom anderen Ende der Republik hätte, würden die Verbraucher auch mit den Füßen abstimmen. [...]
Hm, Milch ist aktuell ein schlechtes Beispiel angesichts des permanenten Preisverfalls durch die Überproduktion. Nicht dass die polnische Klischeemilch nicht weiterhin verwendet werden würde, für konventionelle Milch dürfte der aktuelle Preis aber niedrig genug sein, um derartige "Importe" weitgehend zu vermeiden.
Nimm als Beispiel am besten irgendwelche Erdbeeren aus Südamerika, die im Herbst und Winter hier feilgeboten werden. Oder Rosen aus Ostafrika (Süddeutsche)... Wobei da natürlich auch die übersichtliche Lohnzahlung im jeweiligen Land stark mit reinspielt. Oder Hang zu Just-in-Time an sich, wo das Vorhalten von Lagerkapazitäten gegen die Lieferkette gegengerechnet wird.
Entenfang @ 24 Feb 2017, 16:58 hat geschrieben:Zum Thema Countdown: Das System soll den Fahrer auch unterstützen, z.B. bei der Fahrt zwischen den Haltestellen nicht auf Höchstgeschwindigkeit zu beschleunigen, dann an der nächsten Ampel auf 0 runterzubremsen, um nach 5 Sekunden Wartezeit weiterzudüsen. In so einem Fall würde das Smartphone empfehlen, nur 30 zu fahren und dafür ohne Halt durchzukommen. Das funktioniert mit einem simplen Countdown an der Ampel nicht, zumal die Sicht auch nicht überall gegeben wäre. [...]
Ach so, quasi eine Art kabellose Mini-LZB für die Straßenbahn - da hilft der Countdown natürlich gar nicht.
So blöd finde ich die Sache aber nicht, beim Energie sparen hilft das, wenn nicht unnötig schnell gefahren wird oder ein Stillstand vermieden werden kann. Aber klar ist entsprechend auch, wenn dem keine Beachtung geschenkt wird oder das Smartphone (:huh: wäre da ein Fedtinstallation im Fst nicht besser? - Gut, kostet wahrscheinlich wieder zu viel Geld...) dank leerem Akku oder weil vergessen nicht genutzt werden, bringt es nichts ;)

Nebenbei, da fällt mir ein, die S-Bahn Berlin müsste da etwas ähnliches haben: FASSI, von "Punkt 3" "Öko-Navi" genannt.
Entenfang @ 24 Feb 2017, 16:58 hat geschrieben:Ich will auch nicht die grundsätzliche Sinnhaftigkeit eines Fahrerassistenzsystems infrage stellen. Aber meiner Meinung nach wäre das Geld viel besser in einer Optimierung der Ampelschaltung aufgehoben - das wiederum ist aber vor allem ein politisches Problem der heiligen Koordinierung für den MIV. In Dresden ist es außerhalb der HVZ durchaus möglich, auf den Hauptachsen die Stadt mit dem Auto ohne einen einzigen Halt komplett zu durchfahren. Das macht sich für die anderen Verkehrsteilnehmer natürlich deutlich bemerkbar.
Auch ein kleiner Baustein für die angesprochene "Verkehrswende", um den ÖPNV gegenüber dem MIV zu stärken. Die Bevorzugung mündet in eine höhere Pünktlichkeit, damit höhere Zuverlässigkeit und ein weiterer Anreiz für's Umsteigen ist möglich. Selbst im ach so autofreundlichen Stuttgart genießt die SSB seit der Umstellung auf die Stadtbahn diese Möglichkeit.
Entenfang @ 24 Feb 2017, 16:58 hat geschrieben:Ja, da würde ich dir durchaus zustimmen, dass Leipzig relativ teuer ist.
Mit Lobedans Einschätzung dürfte da eine Mischung aus beidem zum Tragen kommen, relativ hoher Preis und eine ordentliche Haltestellenanzahl bei einem großen Netz. So liegt die Stadt ziemlich genau in der Mitte des Streudiagramms, während Dresden als Beispiel eines guten ÖPNV genannt wurde.
Entenfang @ 24 Feb 2017, 16:58 hat geschrieben:"Entwicklung eines Indikators zum Vergleich der Angebotsqualität des ÖPNV in unterschiedlichen Städten"
Tja, jetzt habe ich wohl mein Diplomarbeitsthema gefunden :P
Ich helf doch gerne :lol:
Cloakmaster
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Beitrag von Cloakmaster »

Reisefreiheit ist hierzulande gesetzlich ziemlich hoch gehängt. Und damit ist und bleibt die freie Fahrt für freie Bürger eben weit mehr, als Gequake. Es ist quasi Staatsdoktrin. Und das auch nicht vollkommen zu unrecht.
Wenn aus den Umweltpolitischen Zielen mehr werden soll , als Lippen Bekenntnisse, müssen dafür erst einmal ein paar gesetzliche Grundlagen verändert werden.
146225
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Beitrag von 146225 »

Es ist richtig, es gibt ein Grundrecht sich frei bewegen zu dürfen. Es gibt aber kein Grundrecht, dies rücksichtslos auf eine Art und Weise zu tun, die auf Dauer die natürlichen Lebensgrundlagen allgemein sowie auch im besonderen das gleichfalls geschützte Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit anderer gefährdet. Das wird in der egozentrisch-bequemlichkeitsorientierten Sichtweise der "freifahrenden" Bürger doch ganz gerne mal "vergessen" bzw. ignoriert.
München kann jeder. Duisburg muss man wollen!
Bayernlover
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Beitrag von Bayernlover »

Cloakmaster @ 25 Feb 2017, 13:03 hat geschrieben: Reisefreiheit ist hierzulande gesetzlich ziemlich hoch gehängt. Und damit ist und bleibt die freie Fahrt für freie Bürger eben weit mehr, als Gequake. Es ist quasi Staatsdoktrin. Und das auch nicht vollkommen zu unrecht.
Das verstehe ich nicht. Meinst du damit, dass MIV = Reisefreiheit?
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Beitrag von Cloakmaster »

IV= Reisefreiheit. Ob da ein M davor steht/stehen muss, darüber könnte man wohl diskutieren.
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Beitrag von Jogi »

Cloakmaster @ 25 Feb 2017, 14:03 hat geschrieben:Reisefreiheit ist hierzulande gesetzlich ziemlich hoch gehängt. Und damit ist und bleibt die freie Fahrt für freie Bürger eben weit mehr, als Gequake. Es ist quasi Staatsdoktrin. Und das auch nicht vollkommen zu unrecht.
Joa. Bloß, was willst du damit sagen? Aus dem nicht zur Diskussion stehenden Grundrecht auf Freizügigkeit folgt, wie 146 225 auch schreibt, nicht, dass dies primär via MIV befriedigt werden muss.
Die nach WK2 gewachsenen resp. geförderten Strukturen erlauben speziell in D eine einfache Nutzung des MIV (Stichwort "autogerechte Stadt") zu Lasten anderer Verkehrsteilis und, wie sich mittlerweile die Ansicht durchsetzt, der Anwohner. Diese Strukturen sind aber nicht in Stein gemeißelt.

Du schreibst es implizit ja selber: Weil das eine "ziemlich hoch hängt" hängen also andere Sachen noch höher: die körperliche Unvertheit beispielsweise. Wohl auf dieser Grundlage (zumindest verstehe ich "zum Schutz ihrer Gesundheit" so) klagten zwei Bürger aus Stuttgart gegen das Land BW, auf dass es Maßnahmen ergreifen solle, damit die gesetzlichen Grenzwerte für NOx und die Luftschadstoffe PM10 und PM 2,5 eingehalten werden würden.
Cloakmaster @ 25 Feb 2017, 14:03 hat geschrieben:Wenn aus den Umweltpolitischen Zielen mehr werden soll , als Lippen Bekenntnisse, müssen dafür erst einmal ein paar gesetzliche Grundlagen verändert werden.
Kommt auf die Ebene an, die du betrachtest.
Global gesehen würde ich erstmal einen Lernprozess als grundlegend ansehen, um zum einen Know-How zu Gunsten einer ÖPNV-freundlichen Politik (auf Kommunal-, Landes und Bundesebene) zu gewinnen und um zum anderen entsprechende Strukturen aufzubauen, Finanzzuweisungen zu treffen und politische Entscheidungen zu fällen.
Auf den einzelnen Ebenen braucht es dann natürlich auch entsprechende Gesetze, z.B. für diese diskutierte blaue Plakette, quasi als Teil der Strukturen.
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Beitrag von Bayernlover »

Cloakmaster @ 25 Feb 2017, 13:53 hat geschrieben: IV= Reisefreiheit. Ob da ein M davor steht/stehen muss, darüber könnte man wohl diskutieren.
Es sollen ja auch nicht alle Straßen abgerissen werden - mit der Erschließung eines jeden Grundstücks sollte dem Recht auf Reisefreiheit Genüge getan sein.

Das steht allerdings gar nicht zur Debatte. Man kann durchaus den ÖPNV bevorzugen, ohne Menschen in ihrem täglichen Leben einzuschränken. Ein Recht auf 100km Pendeln innerhalb von 45 Minuten über eine vierspurige Autobahn besteht jedenfalls nicht.
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Beitrag von Cloakmaster »

Lass mal alle Autos mit Elektromotoren fahren, und alle Schienenverkehrsmittel mittels Dmpf, oder im besten Falle Diesel. So, und jetzt zieh mal schön weiter gegen den MIV zu Felde.

Das Freiheitsprinzip bildet sich eben auch in der individuellen Freiheit, sich ungehindert im öffentlichen Raum bewegen zu dürfen. Das hierfür heutzutage ein M, und am alelrmeisten ein Verbrennungs-M vonnöten ist, um den IV praktisch durchfühten zu können, ist ja nur ein Teilaspekt.

Der köprerlichen Unversehrtheit steht als allgemeine Lebensrisiko entgegen. Die Verhandlung ist nun 10 Monate her, was ist denn daraus geworden?

Du brauchst andere Gesetze, um zB eine City-Maut einführen zu können. Mit den aktuellen wäre die Einführuing ein unzulässiger Eingriff in die Grundrechte der Bevölkerung. zu diesme Schluss kam ein Gremium, welche im Auftrag des Landes Berlin eine City-Maut juristisch prüfen sollte. Und die Grundrechte sind , ups, schon wieder ziemlich weit oben aufgehängt. Von da her mag ich nicht so recht an eine baldige Einführung einer City-Maut in deutschen Landen glauben.

Da sehe ich es noch als einfacher an, ÖPV als Staatsaufgabe einzustufen, und mit staatlichen Mitteln entsprechend auszustatten, statt diesen einer Farce von "Wettbewerb" auszusetzen. Ein guter, gut ausgestatteer ÖPV bewegt die Menschen von selbst dazu, freiwillig auf die individuellen Möglichkeiten des eigenen Reisemobils weitgehnd zu verzichten, und statt dessen ein öffentliches Gemeinschafts-Verkehrsmittel zu nutzen.
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Beitrag von Cloakmaster »

Bayernlover @ 25 Feb 2017, 15:07 hat geschrieben: Das steht allerdings gar nicht zur Debatte. Man kann durchaus den ÖPNV bevorzugen, ohne Menschen in ihrem täglichen Leben einzuschränken. Ein Recht auf 100km Pendeln innerhalb von 45 Minuten über eine vierspurige Autobahn besteht jedenfalls nicht.
Durchaus, ja. Allerdings sind all zu hohe finazielle Hürden, wie zB eine City-Maut, oder eine gernelle Maut für alle Straßenarten als eine Art von Diskriminierugn zu werten, da finanziell schwächer aufgestellte Personen damit in ihrer Reisefreiheit unzulässig eingeschränkt würden. Die 100 Kilometer Fahrt zur Arbeit mit einer Gebühr von 35 Euro je Fahrt zu belasten, wird als noch funktionieren.
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Beitrag von Lazarus »

Cloakmaster @ 25 Feb 2017, 14:28 hat geschrieben: Da sehe ich es noch als einfacher an, ÖPV als Staatsaufgabe einzustufen, und mit staatlichen Mitteln entsprechend auszustatten, statt diesen einer Farce von "Wettbewerb" auszusetzen. Ein guter, gut ausgestatteer ÖPV bewegt die Menschen von selbst dazu, freiwillig auf die individuellen Möglichkeiten des eigenen Reisemobils weitgehnd zu verzichten, und statt dessen ein öffentliches Gemeinschafts-Verkehrsmittel zu nutzen.
Das wird nur funktionieren, wenn man die EU verlassen würde. Ansonsten sehe ich da ganz ehrlich gesagt keine Möglichkeit, das man diesen Ausschreibungen entgehen kann. Problem ist, das die EU diese vorschreibt. Damit hat der Bund nur bedingt Möglichkeiten, das zu Umgehen.
Mehr Geld für den ÖPNV-Ausbau in München! Es wird höchste Zeit!
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Beitrag von Cloakmaster »

Was würde dei Bundesregierung daran hindern, in die Ausschreibung zB einen 10-Minuten-Takt auf allem S-Bahn Linien bis zu deren Endpunkten zu fordern, und dem Betreiber das Wagenmaterial das Schienennetz, und das Personal zur Verfügung zu stellen? Daß die Streckenauslastung es verhindert, so einen Takt fahrten zu können, wäre erst im zweiten Scheritt relevant.
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Beitrag von JeDi »

Lazarus @ 25 Feb 2017, 14:37 hat geschrieben: Das wird nur funktionieren, wenn man die EU verlassen würde. Ansonsten sehe ich da ganz ehrlich gesagt keine Möglichkeit, das man diesen Ausschreibungen entgehen kann. Problem ist, das die EU diese vorschreibt. Damit hat der Bund nur bedingt Möglichkeiten, das zu Umgehen.
Unfug. Lies die 1370 nochmal. Danach liest du das GWB. Und dann sagst du mir nochmal, wer ÖPNV als Staatsaufgabe verbietet.
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Beitrag von JeDi »

Cloakmaster @ 25 Feb 2017, 14:54 hat geschrieben: Was würde dei Bundesregierung daran hindern, in die Ausschreibung zB einen 10-Minuten-Takt auf allem S-Bahn Linien bis zu deren Endpunkten zu fordern, und dem Betreiber das Wagenmaterial das Schienennetz, und das Personal  zur Verfügung zu stellen? Daß die Streckenauslastung es verhindert, so einen Takt fahrten zu können, wäre erst im zweiten Scheritt relevant.
Vermutlich die vergaberechtswidrige Ausgestaltung der Anforderungen (WIMRE war das VOL/A - die Anforderungen müssen so sein, dass auch Wettbewerb entstehen kann).

Was spräche aber gegen eine öffentlich-öffentliche Vergabe nach §108 GWB/Artikel 5(2) VO 1370/2007?

Edit: 1371 und 1370 verwechsdingselt
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Beitrag von Cloakmaster »

JeDi @ 25 Feb 2017, 16:04 hat geschrieben: Vermutlich die vergaberechtswidrige Ausgestaltung der Anforderungen (WIMRE war das VOL/A - die Anforderungen müssen so sein, dass auch Wettbewerb entstehen kann).
Das sind böhmische Dörfer für mich. Jedenfalls sehe ich es auch dann, wenn ausgeschrieben wird, kein Hindernis darin, Merhverkehre zu bestellen, welche staatlich finanziert werden.
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Cloakmaster @ 25 Feb 2017, 14:31 hat geschrieben: Durchaus, ja. Allerdings sind all zu hohe finazielle Hürden, wie zB eine City-Maut, oder eine gernelle Maut für alle Straßenarten als eine Art von Diskriminierugn zu werten, da finanziell schwächer aufgestellte Personen damit in ihrer Reisefreiheit unzulässig eingeschränkt würden. Die 100 Kilometer Fahrt zur Arbeit mit einer Gebühr von 35 Euro je Fahrt zu belasten, wird als noch funktionieren.
Das Recht auf Reisefreiheit ist aber immer auch eine Abwägung - zum Beispiel gegenüber dem Recht auf körperliche Unversehrtheit. Das ist das, was jetzt in Stuttgart passiert, man versucht, körperliche Schäden zu minimieren und schränkt damit ein anderes Recht ein.

Was ich sagen will: Reisefreiheit ist nicht das oberste Gebot, sondern immer ein Abwägungssache. Mit der Begründung ist es dann auch kein Problem mehr, ÖPNV zu bevorzugen. Das sehe ich allerdings in Deutschland nicht.
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Beitrag von Cloakmaster »

siehe oben:
Cloakmaster @ 25 Feb 2017, 15:28 hat geschrieben:
Das Freiheitsprinzip bildet sich eben auch in der individuellen Freiheit, sich ungehindert im öffentlichen Raum bewegen zu dürfen.

Der köprerlichen Unversehrtheit steht als allgemeine Lebensrisiko entgegen. Die Verhandlung ist nun 10 Monate her, was ist denn daraus geworden?
Zudem zielt das Recht auf körperliche Unversehrtheit nur darauf, bestehende Umwelt-Grenzwerte einzuhalten. Umweltbelastungen kann man auch auf andere Weise reduzieren. Es gibt es nun einmal "unvermeidbare" Umweltbelastungen, welche einfach hinzunehmen sind. Generelle Fahrverbote werden damit ziemlich sicher nicht durzusetzen sein. Das sieht man allein schon an den zahlreichen Ausnahmegenehmigungen für Altfahrzeuge, welche keine Plakette bekommen, deren Einfahrt in die Innenstädte aber dennoch als "notwendig" angesehen wird.
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