oder: schöner von A nach B(ex).
Tag 1: Mal eben bis an eines der Enden.
Da war sie wieder, diese Erkenntnis. Nein, nicht vordergründig die, dass ein paar Tage Abstand von der Arbeit auch mal wieder sinnvoll wären, das auch. Was in meinem Kopf herumspukte und mich dazu brachte, an einem Donnerstagmorgen im April mal wieder über den größten Grenzbahnhof Europas – das ist Basel SBB – zu laufen, war die Erkenntnis, dass es in unserem südlichen Nachbarland bislang noch mehr km Bahnstrecken gibt, als ich Zeit hatte, diese zu bereisen. Noch. Allen ernsthaften Versuchen zum Trotz.
Also soll jetzt das „Delta“ zwischen diesen beiden Polen kleiner werden, und deshalb steure ich das Stumpfgleis 3 an, wo ich in einem SBB-EW IV des IR nach Zürich Platz finde. Pünktlich zieht die Re 420 an, und über Muttenz und Pratteln geht es hinaus auf die Bözbergstrecke, s’näggschd ist Rheinfelden. Bei Stein-Säckingen verläuft die Bahnlinie in Halbhöhenlage und gibt einem ein Blickfeld auf den Rhein und die südbadische Seite, das man so von der DB-Hochrheinstrecke auf diesem Abschnitt nicht hat. Einzig die Autobahn unterhalb der Bahngleise trübt den Blick etwas. Im Zug ruhig-entspannte Atmosphäre, der Zugsbegleiter hat eine Bekannte getroffen und nutzt die Zeit bis zum nächsten Halt in Brugg für einen Plausch. Kurz darauf in Baden steige ich auch aus und vertausche den IR gegen einen RABe 514, das sind die Siemens-Doppelstock-ET, die auf der S-Bahn Zürich unterwegs sind. Ein solcher bringt mich, des Streckensammelns wegen, als S6 via Wettingen – Otelfingen – Regensdorf-Watt nach Zürich-Oerlikon. Dieser „Vorortbahnhof“ (vor dem das VBZ-Tram 11 verkehrt), weist dichten Zugsverkehr in alle Richtungen auf, so dass ich zeitnah Anschluss an die nächste S-Bahn habe, mit der ich eine weitere Strecke „erfahren“ möchte.

Blick in den Oberstock eines RABe 514 der Zürcher S-Bahn.
Meine S14 nach Hinwil entpuppt sich als „Klassiker“ der Zürcher S-Bahn, eine Re 450 schiebt 3 Doppelstockwagen. Es geht über Schwerzenbach ZH durch dicht besiedelte Agglomeration nach Uster und von dort weiter nach Wetzikon. Leider gibt es die weitere Tagesplanung nicht her, das „letzte Stück“ bis Hinwil auch noch gleich zu erledigen, dieser „Stumpen“ wird wohl einem nächsten Besuch vorbehalten bleiben. Ich darf dagegen die dritte Zugsbauart auf der dritten S-Bahn-Linie begrüßen, vom Nachbargleis aus fährt mich ein RABe 511 (Stadler KISS) als S5 über Rüti ZH zuerst in den Knoten Rapperswil und von dort aus über den Seedamm hinüber in den Kanton Schwyz – nach Pfäffikon SZ.

RABe 511 066 als RegioExpress 5066 Chur-Zürich in Pfäffikon SZ.

Am 843 001 führt einen Lokzug aus 1x Tm 232 + 2x Am 841 an – Pfäffikon SZ.
Dieser Bahnhof – am Ort ist der Hersteller der bekannten „Official Swiss Railway Watch“ ansässig – ist mir schon von früheren Schweiz-Reisen geläufig, und so gibt es nicht allzu viel Neues zu entdecken, während ich eine für örtliche Verhältnisse vergleichsweise lange Wartezeit auf den nächsten RABe 511 habe. Dieser ist allerdings ein 6-teiler mit grauem Rahmen (anstatt blau bei den 4-teilern der S-Bahn) und verkehrt als RE von Zürich nach Chur, nächster Halt Siebnen-Wangen, kurz darauf Ziegelbrücke, auch hier werde ich noch nicht das letzte Mal vorbei gekommen sein, denn die abgehenden Strecken nach Uznach und Linthal fehlen ebenfalls noch auf der persönlichen Streckenkarte. Als wir kurz darauf am Walensee entlang rollen, frage ich mich, ob ich für die heutige Fahrtroute den richtigen Tag ausgesucht habe, denn es ist eher noch etwas diesig, die Berge hängen in Wolken. Bäh, aber nicht zu ändern, der Zug fährt ja weiter und erreicht über Sargans dann Landquart. Noch immer auf die Minute pünktlich, steige ich im Bündnerland aus.

Ge 4/4 II 633 steht mit dem RE 1241 in Landquart bereit.
In der (Beton)-Bahnsteigunterführung von Landquart sorgt ein Musikerpaar mit Country-artigen Klängen für Live-Beschallung, während sein Gitarrenspiel etwas müde klingt, hat sie eine schöne klare Gesangsstimme. Für mich geht es aber weiter, auf den Meterspurgleisen der RhB stehen die RE schon im Doppelpack nebeneinander, ich wähle den – vom Rampenaufgang her gesehen – linken Zug, gebildet aus einer Ge 4/4 II und diversen älteren Reisezugwagen. Allegra! – nein, das ist nicht nur ein Name für einen ET von Stadler, sondern, wieder etwas dazu gelernt, im Rätoromanischen ein gebräuchliches Grußwort. „Rhaetian Railways“ – jaja, die Touris aus aller Welt – begrüßen mich so auf der Prättigaustrecke, auch diese sehe ich zum ersten Mal. Gleich die erste Zugskreuzung in Malans ist ein Güterzug mit Ge 6/6 II, … - naja, hätte man ja vielleicht auch gerne als Bild gehabt, aber nicht zu ändern. Die variierenden RE (nach ihren Zielen) haben hier auch variierende Halte, mein Zug hält bis Klosters Platz noch in Schiers, Jenaz und Küblis, die Strecke steigt dabei auch merkbar an.
Nach Klosters Platz wird es dann dunkel – dabei ist das hier erst der Zugerwaldtunnel, der in einer leichten Steigung hinauf nach Klosters Selfranga führt, das ohne Halt durchfahren wird. Hier ist die Autoverladung für den nun folgenden „längsten Meterspurtunnel der Welt“, den 19 km langen Vereinatunnel. Gebaut in den 1990ern als ganzjährig wintersichere Verbindung ins Oberengadin, ist das wieder mal Schweizer Denken – in Deutschland wären die 800 Millionen CHF Baukosten (seinerzeit) und mehr höchst wahrscheinlich in einen Ausbau der Flüela-Straße geflossen. Die Einfahrt in den Vereinatunnel ist zweigleisig, und tatsächlich begegnet meinem RE dann auch ein Stück weit im Berginnern ein Autozug, bevor die Trasse dann eingleisig wird. 19 Minuten geht es durchs Dunkel, bevor über den Abzweig Sasslatsch das Engadiner Tunnelende am Bahnhof Sagliains erreicht ist. Dieser ist als Umsteigepunkt zu Zügen in Richtung Zernez – Filisur und als Autoverlad angelegt. Rund 240 Höhenmeter waren seit Klosters auch noch zu überwinden. Und noch viel wichtiger: im Engadin strahlt die Sonne von einem blauen Himmel, was die Bergkulisse natürlich noch viel schöner zur Geltung bringt. Mein RE fährt jetzt weiter auf die Unterengadinstrecke in Richtung Scuol-Tarasp.

Bündner Bergpanoramen von unterwegs.
Auf den noch folgenden 17 km durch Berglandschaft windet sich die Strecke hauptsächlich durch Wiesen, der alpinen Landschaft folgend sind Tunnel und Brücken nicht selten. Scuol-Tarasp ist Endbahnhof, von hier aus ginge es nur noch mit dem Postauto weiter, das neben dem Bahnhof auch nach Landeck in Österreich abfährt.

Aussterbende Art – ein Reisezugwagen mit Hauptgattungskennzeichen „D“ – hier bei der RhB in Scuol-Tarasp für den Velo-Transport vorgehalten.
Mein nächster Zug ist dann der Regio nach Pontresina, auch dieser ist mit Ge 4/4 II bespannt, im Gegensatz zum RE aus Landquart ist es aber ein Pendelzug und wird ab Scuol-Tarasp geschoben. Bis Sagliains kenne ich die Strecke natürlich schon, danach geht es nicht in den Tunnel, sondern über Susch dem Inntal folgend, auch den Inn auf einem Viadukt überquerend, nach Zernez. Auch dort besteht internationaler Poschti-Anschluss, durch das Val Müstair und über den Ofenpass nach Mals im Südtiroler Vinschgau. Rätoromanisch lässt sich im Übrigen in seiner Aussprache nicht vom Italienischen her ableiten, das merke ich im weiteren Streckenverlauf mit Halten an Bahnhöfen wie Cinous-chel-Breil, S-chanf oder La Punt – Chamues-ch doch sehr deutlich. Auch wenn die RhB natürlich hier auch schon längst mit moderner Technik arbeitet und all diese Stationen unbesetzt sind, gibt die Infrastruktur im Allgemeinen ein gepflegteres Bild ab, als man das von DB Station & Service so im Durchschnitt gewohnt ist. Der österreichische Einfluss macht sich durch Aufschriften wie „Kassa und Wartraum“ bemerkbar. Über die Verzweigung in Bever erreicht der Zug dann den Knoten Samedan, wo ich aussteige und eine weitere Strecke auf der Schweizkarte „abhaken“ kann.

Unterwegshalt: Der Bahnhof von La Punt – Chamues-ch, GR.
In Samedan scheinen sich die Sprachprioritäten wieder verschoben zu haben, denn hier werden Züge nicht nur in Deutsch und dem in der Schweiz aufgrund des internationalen Publikums schon recht üblich gewordenen Englisch angekündigt, sondern auch in Italienisch. Na mir soll es recht sein. Schönwetter übrigens auch hier, wo auf über 1700 m der höchste Punkt meiner heutigen Reise erreicht ist. Hier sehe ich dann auch Drehstrom vor den Zügen, einerseits in Form der moderneren Ge 4/4 III, andererseits auch mit den ABe 8/12, den „Allegras“ – ein solcher bespannt dann auch meinen nächsten Zug, den RE in Richtung Chur.

So komme ich also doch noch zu einem Bild von einer RhB - Ge 6/6 II – Samedan.
Ich suche mir dann auch einen Platz im ET, und bin angenehm überrascht: die RhB-Allegra sind nicht nur starke Schlepptriebwagen, sondern überzeugen auch durch eine vergleichsweise hochwertige Inneneinrichtung. Wieder verlasse ich den Bahnhof in Richtung Bever, aber dieses Mal geht es nicht mehr ins Unterengadin, sondern auf das Weltkulturerbe Albulabahn, dessen Schleifen, Brücken, Rampen und Kehrtunnel ich über Bergün hinunter bis in das noch „gerade mal“ auf 1080 m gelegene Filisur genießen kann. Hier steht mein Anschlusszug bereit, wieder ein Pendelzug mit Steuerwagen voraus, nur schiebt hier eine Ge 4/4 III mich wieder hinauf, der Zielbahnhof des Zuges ist Davos Platz. Auch diese Strecke ist eine sehenswerte Gebirgsbahn, es geht durch die Schlucht des Landwasssers, durch Tunnel und über Brücken, deren bekannteste das Wiesener Viadukt ist. Vom auf knapp 1200 m gelegenen Halt in Davos Wiesen klettert dann die „Ortsverbindung“ noch um 340 m höher bis zum Zielbahnhof in Davos Platz, wo der Fahrplan mir ein wenig Zeit einräumt. Davos ist ja immer wieder in den Medien, ich persönlich finde es bei meinem kurzen Rundgang jetzt nicht zwingend spektakulärer, schöner oder glamouröser als andere Schweizer Touristenorte in den Bergen. Das Bahnhofsgebäude ist ein – abweichend zum sonst bei der RhB vorherrschenden Stil – klar gegliederter, auch recht großer „Neubau“ von 1949, auf dessen Hausbahnsteig ich dann den RE entere, der mich zurück nach Landquart bringen wird. Bis Davos Wolfgang geht die Strecke noch bergauf (1625 m), und danach geht es „bis Basel nur noch bergab!“ – was aber nur topographisch, keinesfalls wörtlich gemeint ist. Von der Davoser Seite ist zweifellos die schönere Einfahrt nach Klosters Platz, man sieht den Bahnhof bereits lange vorher von oben, bis man in einer Schleife dort einfährt. Danach geht es nochmals durch die Kalkfelsen- und Wiesenlandschaft des Prättigau bis Landquart, wo ich der „kleinen Roten“ auf Wiedersehen sage, und mich anschicke Graubünden zu verlassen. Weil es Abend geworden ist, darf dies ruhig komfortabel und schnell geschehen, und so wähle ich den IC, der aus IC-Doppelstöckern gebildet ist und bis Basel SBB noch genau zwei Zwischenhalte haben wird: Sargans und Zürich HB. Nun ist auch das Wetter am Walensee noch schön geworden, und dieser Streckenabschnitt lässt sich ja auch im Licht der untergehenden Abendsonne genießen. In Thalwil haben wir eine Paralleleinfahrt mit dem IR aus Luzern, der aus demselben Wagenmaterial gebildet ist, aber dort halten muss, so dass mein IC durchfahrend der erste Zug ist, der den Zürcher HB erreicht. Lernende der SBB machen zwischenzeitlich noch Fahrgastbefragungen, unter anderem auch über die Reiseroute. Kurz denke ich darüber nach, ob ich „böse“ sein soll und Cinous-chel-Breil nach Siselen-Finsterhennen oder etwas ähnliches als Reiseroute angeben, nur um hinterher die Schreibfehler zu zählen – nein, ich bin zu den Nachwuchseisenbahnern natürlich fair geblieben. Der Zug fährt in die Zürcher Kopfbahnsteighalle ein, und aufgrund der Anschlüsse in alle und aus allen Richtungen findet natürlich ein reger Fahrgastwechsel statt. Nach 11 Minuten Aufenthalt geht es dann weiter, nur dass im Gegensatz zur Hinfahrt der Weg via Heitersbergtunnel – Aarau – Kurve Olten – Hauensteinlinie nach Basel führt, wo mich das Tram noch ins Nachtquartier bringt, um für den nächsten Tag auf Schweizer Gleisen gerüstet zu sein.