146225 @ 5 Jul 2017, 05:57 hat geschrieben:Busreisen dürfen halt deswegen als statistisch sicher gelten weil es trotz allem Hype um Fernbus & Co. ein Randverkehrsmittel ist, d.h. viel weniger Leute Busse auf Langstrecken nutzen als andere Verkehrsmittel. [...]
Damit machst Du es Dir zu einfach.
Ohne selber zu sagen, was "sicher" ist bzw. was Du darunter verstehst, unterstellst Du gleichzeitig irgendeinen schwammigen Taschenspielertrick von wegen irrelevanter Kleinstanteil bei Langstrecken (wo auch wieder gefragt werden kann, was das ist...), Randverkehrsmittel, Hype, der wohl implizit die "wahre" Gefahr nicht erkennen lasse.
Ganz ehrlich: Arbeit mit Statistiken ist eine schwierige Sache, so wie es das einfache Darstellen komplexer Zusammenhänge überhaupt ist. Wenn dann noch Emotionalisierung oder ein bewegendes, schlimmes Ereignis dazu kommt, ist es auch heikel, eine als gut oder schlecht eingeschätzte Sache statistisch darzustellen. Nicht weniger heikel ist es sich hinzustellen, statistische Mängel ohne Belege in den Raum zu werfen und sich selber noch einen schlanken Fuß zu machen und keine Quellen heranzuziehen, um die Einschätzung zu unterfüttern.
Zuletzt: Wer jetzt den beliebten angeblichen Churchill-Claim von wegen glauben, gefälscht und Statistik vorbringen will, um sich auf das nicht bestreitbare Manipulationspotential, das statstischen Darstellungen samt ihrer Datengrundlage inneliegt, zurückzuziehen, der liest sich
bitte mal diese vier Seiten Esssay (PDF, statstik-bw.de) durch, ist recht interessant, wie so ein Propagandaspruch sich bis heute gehalten hat.
Zur Sache: Ausgehend von dem Umstand, die absolute Sicherheit könne es nicht geben, kann es auch keine absolute Zahlengrenze geben, aber der etwas als unsicher gilt. Also muss die geringere Sicherheit in Relationen zu etwas Anderem, etwas Vergleichbarem gebracht werden. Konkret muss also die Unfallgefahr von Bussen in Bezug gesetzt werden zu der von anderen Verkehrsmitteln.
Populäre Kenngröße ist die Zahl der Todesfälle in Bezug zu den Personenkilometern zu setzen - mit dem Mangel, die Unsicherheit auf eine auffällige Kenngröße runtergebrochen zu haben. Jüngste, "neutrale" Zahl, die ich auf die Schnelle gefunden habe, ist
von 2013 (PDF, destatis.de, Folie 40f.):
Das Risiko im Pkw tödlich zu verunglücken ist über zwanzigmal höher als im ÖPV
Bezogen auf eine Milliarde Personenkilometer gab es im Jahresdurchschnitt 2007 bis 2011 in Pkws 2,49 Todesfälle. Im ÖPV kamen deutlich weniger Todesfälle auf eine Milliarde Personenkilometer: Im Omnibusverkehr starben 0,23 Fahrgäste, mit Straßenbahnen, U-Bahnen und ähnlichen Verkehrsmitteln verunglückten 0,04 Fahrgäste tödlich und auch in Eisenbahnen kamen 0,04 getötete Fahrgäste auf eine Milliarde Personenkilometer. Im ÖPV vermindern Sicherheitssysteme die Folgen menschlichen Fehlverhaltens im Verkehr. Am geringsten war das Sterbensrisiko mit nahezu 0 getöteten Passagieren auf eine Milliarde Personenkilometer in Flugzeugen mit einem Startgewicht über 5,7 Tonnen. Auch hier scheinen die hohen Sicherheitsauflagen zu wirken. Das Fliegen dürfte aber im Alltag nur selten eine realistische Alternative zu anderen Verkehrsmitteln sein.
Etwas jünger, aber von einer "parteiischen" Quelle und als Durchschnittszahl liefert der
Automobilclub Europa (PDF) die Kennzahl in vergleichbarer Größenordnung (S.7):
Der Reisebus ist seit Jahren das sicherste Straßenverkehrsmittel. Das Risiko, während einer Fahrt mit dem Bus tödlich verletzt zu werden, ist etwa 14-mal geringer als mit dem Auto. Im Durchschnitt der Jahre 2004 bis 2014 ermittelte das Statistische Bundesamt 0,18 getötete Businsassen auf eine Milliarde Personenkilometer. Der Pkw schneidet mit 2,54 Getöteten pro eine Milliarde Personenkilometer vergleichsweise schlecht ab.
In der Gesamtbetrachtung der Verkehrsmittel zeigt sich allerdings, dass die Eisenbahn noch risikoärmer abschneidet. Mit 0,04 Getöteten pro eine Milliarde Personenkilometer ist die Bahn um den Faktor 4,5 sicherer als der Bus. [...]
Zwischenfazit bzw. eher Binsenweisheit, bezüglich Todesfällen bei den Landverkehrsmitteln ist in Relation das Auto das gefährlichste, die Eisenbahn das ungefährlichste, der Bus deutlich ungefährlicher als das Auto bzw. etwas gefährlicher als der Zug. In absoluten Zahlen geben sich Bus und Bahn wenig – viermal so groß klingt zwar nach viel, ist aber angesichts des geringen Ausgangsniveaus immer noch wenig.
Die ACE-Pressemitteilung geht auch einen Schritt weiter und benennt deutlich die statstisch gestiegene Gefahr, in Busunfälle auf Autobahnen verwickelt zu werden (S. 8f.):
Seit der Liberalisierung des Marktes ist die Gesamtzahl schwerer Busunfälle um nur 1,34 Prozent angestiegen. Zugrunde gelegt wurden die Unfallzahlen der Jahre 2012 und 2014.
Eine ungünstigere Tendenz weisen die Verunglücktenzahlen auf. So verdoppelte sich trotz rückläufiger Unfallzahl die Anzahl der Schwerverletzten [sic] Businsassen außerhalb geschlossener Ortschaften, die Zahl der Getöteten stieg von einer auf zehn Personen.
Eine durchgängig negative Entwicklung war bei den Busunfällen auf deutschen Autobahnen zu verzeichnen:
- Die Zahl der Busunfälle mit Personenschaden stieg zwischen 2012 und 2014 um 10 Prozent an.
- Die Anzahl der Verunglückten Businsassen stieg im gleichen Zeitraum von 224 auf 408 Personen. Dies entspricht einer Steigerung von 82 Prozent.
- Die Anzahl der Leichtverletzten stieg um 54 Prozent von 193 auf 297 Personen.
- Wurden im Jahr 2012 noch 30 Fahrgäste schwer verletzt, waren es zwei Jahre darauf schon 103. Dies entspricht einer Steigerung von 243 Prozent.
- 2012 kam ein Businsasse auf der Autobahn bei einem Verkehrsunfall ums Leben. 2014 waren acht tödlich verletzte Benutzer eines Busses zu beklagen.
Die häufigsten Unfallursachen bei außerörtlichen Unfällen mit Bussen waren im Jahr 2014 mangelnder Abstand, falsche Straßenbenutzung und Vorfahrtverstöße. Übermüdung dagegen wurden nur bei sechs Unfällen mit Personenschaden protokolliert.
Eine 2011 veröffentlichte Studie der Unfallforschung der Versicherer UDV kam zu dem Schluss, dass besonders Kollisionen zwischen Bussen und Lkw ein erhöhtes Gefahrenpotenzial aufweisen. Nach einer Auswertung von Busunfällen waren bei Bus/Lkw-Kollisionen mehr Schwerverletzte und Getötete zu beklagen als bei Alleinunfällen von Bussen. In Anbetracht der besonders auf Autobahnen gestiegenen Unfallgefährdung erscheint die im August 2015 erhobene Forderung der Busunternehmer unverständlich, die bislang auf 100 Km/h limitierte Höchstgeschwindigkeit aufzuheben und ein Maximaltempo von 120 Km/h zuzulassen. Begründet wird dieser Gedanke mit der in den vergangenen 30 Jahren verbesserten Sicherheitsausstattung von Reisebussen und zügiger vollziehbaren Überholvorgängen von langsameren Lkw. Experten weisen jedoch darauf hin, dass Unfallfolgen umso schwerer ausfallen, je höher die Geschwindigkeit ist.
Zweites Zwischenfazit, als These lässt sich postulieren, (i) die Gefahr im Jahr 4 der Fernbusliberalisierung in Bussen tödlich zu verunglücken bleibt auf vergleichbar, sehr geringem Niveau. (ii) Die Gefahr in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden und dabei möglicherweise verletzt zu werden ist gestiegen.
Zu (i) sind zwei Sachen generell anzumerken: Einmal setzt sich die Zahl der Busunfälle i.d.R. aus Reise-, Linien- und Schulbussen zusammen. Einmal führt das geringe Zahlenniveau der tödlichen Busunfälle dazu, dass einzelne, schwere Unfälle zu starken Ausschlägen führen können. Im
Verkehrssicherheitsreport 2016 Personenverkehr von DEKRA (PDF) heißt es dazu (S. 24f.):
Die Zahlen [tödlich verletzter Businsassen - J.] sind insgesamt sehr klein und aufgrund einzelner schwerer Unfälle stark schwankend. So ereignete sich beispielsweise im September 2010 ein Unfall auf einer Autobahn, bei dem ein Reisebus gegen einen Brückenpfeiler prallte, nachdem ein Pkw mit dem Bus kollidiert war. Dabei kamen 13 Businsassen ums Leben. Das entspricht 59 Prozent aller 22 im Jahr 2010 getöteten Reisebusinsassen. Für die Jahre 1998, 2001 und 2006 weist die Statistik keinen infolge eines Unfalls auf deutschen Straßen getöteten Reisebusinsassen aus.
Allerdings gibt es auch Jahre, in denen die Gesamtzahl tödlich verletzter Businsassen deutliche Peaks aufweist (z.B. 2007 ca. 26 Personen, 2009 ca. 32), bei denen der Anteil von Reisebusinsassen relativ einen deutlich größeren Anteil aufweisen (2007 ca. 18 Personen in Reisebussen, 2009 ca. 21). Die Zahlen sind aus dem Balkendiagramm auf S. 24 abgelesen, daher die Circa-Angaben.
Das Statistische Bundesamt hat in seiner
Rubrik „Im Fokus“ am 4. Juli (falls der Link irgendwann einen anderen text anzeigt, über's Archiv müsste er mit dem Datum zu finden sein) einige aktuelle Zahlen aus dem Jahr 2016 zusammengestellt:
Insgesamt starben 2016 auf Deutschlands Straßen 3 206 Menschen, vier von ihnen waren Businsassen. Damit waren nur 0,1 % aller Verkehrstoten mit dem Bus unterwegs, als sie verunglückten. Nach vorläufigen Ergebnissen wurden 2016 außerdem 387 Menschen bei Verkehrsunfällen in Bussen schwer- und 5 140 leichtverletzt. Das entsprach 1,7 % aller bei Straßenverkehrsunfällen verletzten Personen.
Betrachtet man alle Verkehrsmittel und ihre Beförderungsleistung, gelten Pkws als besonders gefährlich: Das Risiko, mit einem Pkw tödlich zu verunglücken, ist fast zehnmal höher als im Omnibusverkehr: Bezogen auf eine Beförderungsleistung von einer Milliarde Personenkilometern gab es im Jahresdurchschnitt 2010 bis 2014 in Pkws 1,95 Todesfälle. Im Omnibusverkehr waren es 0,2 Todesfälle.
Man könnte da noch die Eisenbahn zwecks Vergleich daneben legen, die Zahlen gibt’s durchaus bei Destatis, nur liegen sie etwas verstreut und weil sie sich hier vor allem auf die gesamte Eisenbahn und nicht nur auf den Fernverkehr beziehen, sind sie mit der Reise- bzw. Fernbussicherheit nicht direkt vergleichbar. Von dem her sei einfach auf diese
Übersicht über Schienenverkehrsunfälle bei Destatis verwiesen und einige Kennzahlen daraus genannt:
Im Jahr 2015 starben drei Fahrgäste bei Schienenverkehrsunfällen, 2014 und 2013 kein einziger. In den gleichen Jahren verloren elf, acht und nochmals acht Bahnbedienstete ihr Leben. Insgesamt verunglückten 2015 791 Personen (darunter 159 Fahrgäste und 238 Bedienstete), ein Jahr vorher 822 (158/252) und 2013 765 (145/201).
Unterm Strich wird es aus statistischer Sicht dabei bleiben: Eisenbahn und Bus sind die sichersten Landverkehrsmittel. Der Zug mag noch einen Zacken sicherer sein, deutlich gefährlicher bleibt das Fortbewegen im PKW, auf dem Rad oder selbst zu Fuß. Ohne das irgendjemand diese als brachiale Todesgefahr bewerten und deswegen zu Hause bleiben und auf Lieferdienste zurückgreifen wird.
Ambrose Monk ausgenommen.
Von der Statistik losgelöst, sowohl (Reise-)Bus wie auch Bahn haben das Problem, dass aufgrund der hohen Masse der Fahrzeuge zusammen mit den recht hohen Geschwindigkeiten Unfälle drastische Ausmaße annehmen können. Man denke an das Unglück von Bad Aibling. „Unsicher“ ist die Eisenbahn deswegen nicht.
146225 @ 5 Jul 2017, 05:57 hat geschrieben:Gestern ging die mediale Diskussion dann - soweit ich sie mitbekommen habe - auch mehr um Fahrerassistenzsysteme als um alles andere.
Dann hast Du sie recht einseitig mitbekommen. Die Assistenzsysteme wurden natürlich auch thematisiert, sind sie doch Bestandteil des großen Themenkomplexes über Sicherheit von Bussen: Die
„Süddeutsche“beispielsweise postulierte bereits am Unfalltag, Reisebusse müssten noch sicherer werden. Der Darstellung von Vorschriften wie etwa bezüglich Lenkzeit oder der Gurtpflicht schließt sich der Hauptteil über Assistenzsysteme an. Die DPA fragt, nachlesbar z.B. in der
FAZ, warum das Notbremssystem deaktiviert werden könne und gibt etwas themenfremd als Antworten, dass zum einen das vollautonome Fahren noch nicht so weit ist, und dass zum anderen die Innenraum-Materialien nicht so strengen Vorschriften wie die der Eisenbahn unterliegen.
Recht schnell wandte sich die allgemeine Berichterstattung dann zwei Blöcken zu: Einmal die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass ein Bus binnen weniger Minuten komplett von einem Brand erfasst werden kann. Da wurden im Wesentlichen drei Theorien zusammengestellt, die in der
„Welt“ recht kompakt zu lesen sind. Ein ähnlicher Tenor findet sich bei der
„Tagesschau“ oder in der
„Süddeutschen“. Diese betont, dass Feuer in Reisebussen nur selten eine Rolle spielten, die davon ausgehende Gefahr aber „real“ sei. Dem ausgesprochenen Fazit, verbürgt durch die zwei Experten von einem Interessenverband und dem DVR, viel mehr könne man für die Sicherheit von Reisebusinsassen trotzdem nicht tun, „[w]ir haben Gurte, Feuerlöscher, Notausschalter, Hämmerchen für die Fenster, Notöffner für die Türen, moderne Assistenzsysteme - eigentlich ist alles da“, würde ich mit Blick auf die nicht ausgeschöpften Gestaltungen beim Einbau brandhemmender Materialien widersprechen.
Ungleich kritischer befasst sich die
„Süddeutsche“ mit der Thematik in diesem Artikel und gibt der Brandgefahr durch eingebaute Kunststoffverkleidungen, die mittlerweile oft die Hauptbrandlast bei Bussen trügen, mehr Raum, um im zweiten Schritt die Evakuierung eines Busses mit der Eisenbahn zu vergleichen. Recht hörenswert über die Evakuierung bei beiden Verkehrsmitteln, warum sie nicht eins zu eins vergleichabr sind und wo besonders beim Bus noch sprichwörtliche Luft nach oben ist, finde ich übrigens dieses Interview mit einem Unfallforscher der
„Tagesschau“.
Zweiter großer Block ist die Diskussion über die Rolle von Gaffern, wie sie Rettungsarbeiten behindern, wie generell kaum noch eine Rettungsgasse gebildet werde, wie sie Folgeunfälle provozieren und dass die Politik Strafen gerne verschärfen möchte. Beispiele in der
„Süddeutschen“ oder im „Was ist bisher bekannt?“ des
BR.
146225 @ 5 Jul 2017, 05:57 hat geschrieben:Ja, natürlich ist ein abstandsinduziertes Notbremssystem, welches nicht überbrückt werden kann, nett. Von Brandschutzvorschriften spricht allerdings schon wieder kaum jemand mehr, und das ist nicht gut (also außer für die Lobby der Fahrzeugbaukonzerne in Deutschland, klar) [...]
Neben einigen anderen Artikeln, wo das mindestens angerissen wurde – ist das
niemand beim BR?