Grundsatzdiskussion Ausschreibungen bei Bahn & ÖV

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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Sind Ausschreibungen sinnvoll und welche Vor- und Nachteile gibt es?

Da dieses Thema aktuell hierzuforum ziemlich eifrig und kontrovers diskutiert wird, erlaube ich mir mal dazu einen neuen Thread zu eröffnen. Er soll bewusst allgemein gehalten sein und damit die vielen parallelen Diskussionen in unzähligen Threads ersetzen, um diese leichter lesbar zu machen. Ich würde daher vorschlagen, nicht unter jeder Meldung über eine misslungene Betriebsaufnahme oder einen Zugausfall dort die Grundsatzdiskussion loszutreten. Ich habe einfach mal versucht, einige Aussagen aus verschiedenen Themen hier miteinzubauen.

Die erste Frage wäre - was ist bzw. war eigentlich mal das Hauptziel von Ausschreibungen von Verkehrsleistungen? Also abgesehen davon, dass gerade in den 90ern Privatisierung von allem einfach in war.
  • Kosten senken. Anstatt die Bundesbahn rumwurschteln zu lassen im Wissen, dass sämtliche Ineffizienzen ohnehin vom Steuerzahler getragen werden, definiert der Aufgabenträger zu erbringende Verkehrsleistungen und wer das billigste Angebot macht, gewinnt. Klingt für mich grundsätzlich erstmal sinnvoll. Aber volkswirtschaftlich betrachtet würde das doch bedeuten, dass man davon ausgeht, dass ein privates Unternehmen trotz des Gewinns, den es erwirtschaften muss und der auch mit Steuergeldern finanziert wird, immer noch weniger kostet als ein Staatsbetrieb.
  • Konkurrenz belebt das Geschäft. Es soll ein Wettbewerb mehrerer Anbieter bestehen und dadurch die Qualität steigen. Halte ich für fraglich, denn der Wettbewerb bezieht sich ja eigentlich nur auf die vom Aufgabenträger gestellten Forderungen. Warum sollte man mehr anbieten?
Und das wars irgendwie schon, was mir dazu einfällt...


Welche Vorteile sollen Ausschreibungen bringen bzw. haben sie gebracht?
  • Kosten senken. Wenn ich mich recht erinnere, haben sich die durchschnittlichen Preise pro Zugkm in den ausgeschriebenen Netzen in BaWü gegenüber dem großen Vertrag mit DB Regio annähernd halbiert. Mit begrenzten Mitteln kann also mehr Eisenbahnbetrieb finanziert werden.
  • Einflussnahme des Aufgabenträgers. Durch Bestellungen kann der Aufgabenträger nicht nur die Anzahl der Fahrten festlegen, sondern auch Komfortmerkmale wie Sitzabstand, Klimatisierung oder WLAN fordern.
  • Überschaubare Strukturen statt Wasserkopf. Flachere Hierarchien und kleinere Unternehmen verkürzen Entscheidungswege. Bei diesem Punkt möchte ich grundsätzlich zustimmen, in Großkonzernen scheint es oftmals Schwierigkeiten mit Zuständigkeiten zu geben. Insofern Zustimmung zu Hot Doc:
    Viele Miseren im Bahnverkehr hängen tatsächlich mit dem einen großen Wasserkopf zusammen, bei dem am Ende sich keiner Zuständig fühlt oder wo Entscheidungen so lange hin und hergeschoben werden, bis es zu spät ist.
  • Konkurrenz belebt das Geschäft. In Tschechien beispielsweise werden Ausschreibungen im Eisenbahnverkehr sehr positiv gesehen. Ich habe schon einige Male gehört, dass die CD erst durch die Konkurrenz von Regiojet und Leo Express ihre Qualität verbessert hat, sei es durch klimatisierte und moderne Wagen, WLAN, kostenlose Sitzplatzreservierungen. Nur ist diese Tatsache meiner Ansicht nach schlecht auf Ausschreibungen von SPNV-Linien übertragbar, weil nach gewonnener Ausschreibung im Gegensatz zum SPFV ein Monopol vorliegt.
Welche Nachteile bringen Ausschreibungen?
[*]Verursachen unnötige Kosten. Die Frage ist, ob sich Ausschreibungen überhaupt volkswirtschaftlich lohnen. Denn weder das Vorbereiten von ordnerweise Unterlagen noch die Gerichtsprozesse durch unterlegene Bieter müssten bei einer Direktvergabe sein. Und wenn dann bestellte Leistungen nicht erbracht werden, müssen Gelder einbehalten werden und dann landet der Fall wieder vor Gericht… Pönale in der richtigen Höhe zu setzen ist außerdem schwierig, denn sind sie zu teuer, werden sie im Angebot miteingepreist und die Kosten steigen. Sind sie zu niedrig, ist es für die privaten Unternehmen billiger, Leistungen einfach nicht zu erbringen und die Pönale zu bezahlen. Insbesondere kritisch ist es natürlich, wenn es ein Maximum gibt und weitere Ausfälle keine Rolle spielen, weil dadurch die Leistungen nicht weiter gekürzt werden.
Außerdem werden Parallelstrukturen gefördert, wenn jedes Unternehmen seinen eigenen Kundenservice, seine eigene App und Fahrkartenautomaten braucht.
[*]Sind ungeeignet für dauerhafte Preissenkungen. Ich bin sehr skeptisch, was die Finanzierung von Angebotsausweitungen durch Einsparungen bei den Kosten pro Zug-km betrifft. Um beim Beispiel Ba-Wü zu bleiben. Jetzt wird gejubelt, welch große Angebotsausweitungen durch die geringeren Kosten finanziert werden können. Die Frage ist nur, was passiert, wenn das Minimum erreicht ist? Spätestens bei der nächsten Ausschreibung wird es ganz sicher kein so großes Einsparpotenzial mehr geben und die Preise wohl eher wieder steigen. Und außerdem
[*]Senken die Qualität. Um die Ausschreibung zu gewinnen, muss man in Deutschland das billigste Angebot abgeben. Nun weiß jeder, dass billig nicht gleich gut ist. Also gewinnt im Zweifel das Unternehmen, welches die kreativsten Klappsitzpositionen findet, um die vorgeschriebene Sitzplatzzahl in einem möglichst kleinen Triebwagen unterzubringen.
NEB: https://flic.kr/p/LKECsh S-Bahn Mitteldeutschland: https://flic.kr/p/CjbLd8 Und mein persönlicher Negativfavorit, BRB: https://flic.kr/p/2gdCdro
Oder es gewinnt das Unternehmen, welches mit der geringsten Fahrzeugzahl auskommt. Was im Zweifel bedeutet, dass die Reserve kleiner ist und damit häufiger Ausfälle verursacht werden oder Folgeverspätungen durch zu kurze Wendezeiten entstehen.
Oder es gewinnt das Unternehmen, welches das Personal am schlechtesten bezahlt und geht dann pleite, wenn es plötzlich Tariflohn bezahlen muss (Städtebahn). Meiner Ansicht nach keine erstrebenswerte Basis für Kostensenkungen.
[*]Sorgen für unflexibleren Betrieb. Eine bundesweite Bahngesellschaft hätte die Möglichkeit, einen Mangel an Fahrzeugen in einem Netz durch Fahrzeuge aus einem anderen Netz auszugleichen. Oder einfach eine Diesellok vorzuspannen, wenn die Oberleitung ausfällt. Oder Tf auf einer anderen Leistung einzusetzen. Selbst wenn Reserven vorhanden sind, können diese nicht genutzt werden, weil sie zu einem anderen Betreiber gehören. Dazu kommt die Vielfalt von Fahrzeugen und Softwareständen, die Kuppeln von Fahrzeugen untereinander unmöglich machen - z.B. sind weder die Hamster aus dem Netz Mitteldeutsche S-Bahn 1 mit denen aus dem Netz Mitteldeutsche S-Bahn 2 noch mit denen von Abellio kuppelbar.
[*]Verschärfen den Personalmangel. Dass das Zugpersonal nach verlorener Ausschreibung ohne Übernahmegarantie um die Zukunft bangen muss, macht den Beruf nicht attraktiver.
[*]Plötzliche Umstellungen gehen immer schief. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass der Start mit neuen Betreibern oft holprig verläuft. Entweder die neuen Züge sind nicht rechtzeitig ausgeliefert oder nicht zugelassen oder nicht ausreichend erprobt oder es fehlt Personal oder das nötige Know-How. Dabei muss ich an die Betriebsaufnahme der MRB denken: https://www.eisenbahnforum.de/index.php?s=6...90&#entry618397
Insofern würde ich auch der Aussage widersprechen, dass das Personal kleinerer Unternehmen besser mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut ist. Denn bei einem einzigen Betreiber würden die Beschäftigten dieselben bleiben und nicht auf einen Schlag ausgetauscht werden.
Dieser Aussage von Hot Doc möchte ich daher widersprechen.
Ich denke, dass es durchaus Sinn machen kann bestimmte Teilnetzte auszuschreiben. Die BOB z.B. (würde sie nicht wieder von einem größeren Betreiber geführt) wäre so eine sinnvolle kleine Größe. Hier hat noch wirklich jeder Mitarbeiter einen Bezug zu der eigentlichen Tätigkeit und sei es nur einen Wohnsitz im Einzugsgebiet. In kleinerern Einheiten fühlen sich Mitarbeiter eher für etwas verantwortlich, sind aufmerksamer etc.
Nur ein einziges EVU würde doch die Möglichkeiten deutlich erhöhen, dass Personal in Wohnortnähe zu beschäftigen. Gerade auf tschechischen Nebenbahnen habe ich es schon oft erlebt, dass das Zugpersonal Fahrgäste kennt und das fährt kein Unternehmen aus der Region sondern die CD. Aber auch in Deutschland habe ich das unabhängig vom Betreiber schon mehrfach gesehen.
[*]Vor dem Ende eines auslaufenden Verkehrsvertrags läuft alles schief. Wenn bereits bekannt ist, dass die nächste Ausschreibung verloren ist, hat das beauftragte Unternehmen oft gar kein Interesse mehr, beispielsweise neues Personal einzustellen. Außerdem bewerben sich die Beschäftigten verständlicherweise bei anderen Unternehmen und verschärfen so den Personalmangel. Die Folge: Alex-Totalausfall Immenstadt - Oberstdorf bereits seit Juli.
Insofern möchte ich auch der Aussage von gmg widersprechen:
Konkret jetzt bei der S-Bahn Berlin könnte ich mir auch vorstellen, dass jeder Auftragnehmer dann auch sein Bestes geben würde, weil er genau weiß, dass er den Auftrag sonst schnell auch verlieren kann. Wenn z.B. der Betreiber der Stadtbahn-Linien sich auch lauter Zugausfälle leisten würde, so wie ein großer S-Bahnbetreiber in einem süddeutschen Ballungsraum, dann wäre klar, dass der Auftrag bei der nächstbesten Gelegenheit an einen der anderen beiden Betreiber fällt.
Ist erstens nicht notwendigerweise zutreffend...
https://taz.de/Zugausfaelle-bei-der-Nordwes...n/!5607946/
https://www.lok-report.de/news/deutschland/...n-bis-2036.html
...und selbst wenn es so wäre, was passiert, deckt deine Vermutung nicht den Umstand ab, wenn die Ausschreibung schon verloren ist - man siehts man beim Alex Süd.
[*]Nachträgliche Änderungen sind kaum möglich. Durch Ausschreibungen wird ein bestimmtes Verkehrsangebot für einen bestimmten Zeitraum festgelegt. Wenn sich später herausstellt, dass das Angebot nicht ausreicht, ist eine nachträgliche Erweiterung der Kapazität schwierig. Schlechte Verträge können außerdem nicht aufgelöst werden, wie der nun endende große Verkehrsvertrag mit DB Regio in BaWü oder die anhaltenden Probleme mit der Eurobahn zwischen Münster und Bielefeld zeigen.
https://www.kontextwochenzeitung.de/politik...-deal-2306.html
https://www.lz.de/owl/22372606_Leistungen-s...Kuendigung.html
[*]Fahrgäste können nicht das gesamte Angebot nutzen. In Deutschland sieht es ja glücklicherweise sehr gut mit der gegenseitigen Anerkennung von Fahrscheinen aus, in Großbritannien oder Tschechien ist es deutlich schwieriger. Besonders ärgerlich ist es in diesem Zusammenhang, wenn der eigene Zug Verspätung hat und man einen anderen Zug derselben Strecke nicht nutzen darf, weil er von einem anderen EVU ist.
[*]Der Wettbewerb ist sinnlos. Ich würde einfach die Sinnfrage stellen - warum soll die DB Züge in Großbritannien und Tschechien betreiben, die NS (Abellio), SNCF (Keolis) und FS (Netinera) dafür Züge in Deutschland? Ich habe irgendwie Zweifel daran, dass sich damit Kosten senken lassen.
Und wenn man bereits nahe der minimalen Kosten steht oder es ohnehin nur einen Bewerber auf die Ausschreibung gibt, können durch Ausschreibungen ohnehin kaum Kosten eingespart werden. Mir hat ein Wirtschaftler mal erklärt, dass der Sinn von Ausschreibungen ist, dass alleine die Möglichkeit, dass ein anderes Unternehmen bieten könnte, Preissteigerungen verhindert. Das erscheint mir soweit plausibel, erklärt aber immer noch nicht, warum man nicht Verträge verlängert, in denen es gut läuft, wenn die Kosten ohnehin nur unwesentlich höher sind.
Und am Ende muss es eh der Staat richten, wenn sich die Privaten verkalkuliert haben - siehe London North Eastern Railway.
https://en.wikipedia.org/wiki/Virgin_Trains_East_Coast
"Given it was the third instance of the East Coast franchise needing to be terminated early for financial reasons, it was announced the next permanent arrangement, to begin in 2020, would feature closer co-operation between the private sector and Network Rail, the state-owned operator of the infrastructure."[/LIST]

Wie also könnte man die Situation für die Fahrgäste verbessern, für die letztlich ein gutes Angebot geschaffen werden soll?
  • Fahrzeuge durch den Besteller beschaffen und Altfahrzeuge erst nach und nach durch ausreichend erprobte Neufahrzeuge ablösen. Verhindert außerdem kreative Klappsitze.
  • Personalübernahme vom vorherigen Betreiber festlegen, damit das Personal vor Vertragsende nicht davonläuft.
  • Gegenseitige Anerkennung von Fahrkarten fordern und ein Auskunftsmedium für alle Betreiber schaffen. In Deutschland funktioniert das sehr gut, in Tschechien bis dato weniger. Zumindest im Nahverkehr soll es ab Dezember auch durchgehende Fahrkarten für Verbindungen mit mehreren Betreibern geben.
  • Tf direkt bei den Bestellern einstellen, um sie bei Mangel gegen Gebühr an die EVU zwangsauszuleihen.
  • Ausschreibungen so ändern, dass Qualität angemessen berücksichtigt wird und nicht (fast) ausschließlich der Preis. So gibt es in der Schweiz beispielsweise einen Kostenrahmen - wer mehr Qualität anbietet, darf auch mehr verlangen.
So, und jetzt dürft ihr die Liste gerne ergänzen, korrigieren, Gegenargumente bringen oder Vorschläge machen, wie es zukünftig besser laufen könnte. Denn dass es momentan im deutschen SPNV ordentlich kriselt, ist allzu offensichtlich. Und die bei uns praktizierte Ausschreibungspraxis trägt meiner Meinung nach einen wesentlichen Teil dazu bei.
Mein Bahnjahr 2023
Zurückgelegte Strecke: 28.430 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 18,3 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 1436 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 65 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 5,5% - Fahrtkosten: 8,9 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 84,1%
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218 466-1
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Beitrag von 218 466-1 »

Viel gibt es da nicht zu ergänzen oder zu kritisieren. Ganz gut erörtert. :)

Vorallem müssen die Besteller einmal früher aufstehen mit ihren Ausschreibungen - insbesondere dann, wenn Neufahrzeuge zu Einsatz kommen, die sich noch nicht bei anderen Verkehrsnetzen bewährt haben.
Es ist schlicht naiv zu glauben, dass man den Beschaffungsprozess der Bundesbahn verkürzen könnte. Es braucht weiterhin Vorserien mit Testfahrten, bevor die Serienbeschaffung gestartet werden kann.
Evtl. müsste man die Hersteller dazu verpflichten, die Leistugsfähigkeit ihrer Züge samt Zulassungen praktisch nachzuweisen, sodass die nichts mehr anbieten dürfen, das nur auf dem Papier und auf digitalen Bildern existiert und theoretisch auch in echt fahren soll.
Die Ausschreibungen sollten neun Jahre vor Betriebsaufnahme starten und die Aufträge mindestens acht Jahre vor Betriensaufnahme vergeben und die Züge dafür bestellt sein.

Der Bund zahlt die SPNV-Gelder und sollte dies mit einigen pauschalen Vorgaben an die Länder verbinden, die da wären:
- Mindesteinsatzzeit neuer Züge 25 Jahre
- Beinfreiheit mindestens 89 cm (1. Klasse) mindestens 82 cm (2. Klasse). Das sind die aktuellen ICE-Werte die leider auf RE-Niveau gesunken sind.
- Bei mindestens 4% des Fahrzeugbestand muss es sich um Reservefahrzeuge handeln, sodass defekte Züge nicht zu Ausfällen führen.

Zumindest Fahrzeugprobleme könnte man kurzfristiger z.B. mit RAILPOOL, RP, railadventure u.a. neutralen EVU lösen, wenn die neben Loks auch ET/VT und Reisezugwagen vorhalten würden, die bei Bedarf an die EVU bzw. Besteller vermietet werden können. Gebrauchtes Geraffel ist jedenfalls besser als Ausfälle.
Kritisch sehe ich Tf, die bei den Bestellern angestellt sind. Diese müssten praktisch alle BR kennen, die in grösserem Umkreis ihrer jew. Einsatzstellen im Einsatz sind, sowie überall Streckenkenntnis haben. Dazu besteht die theoretische Möglichkeit, dass diese Tf über Wochen hinweg nur herumsitzen und nichts zu tun haben, falls es beim Personal der EVU doch einmal gut läuft. Sie müssen aber regelmäsdig alles fahren, um die jew. Lizenzen nicht zu verlieren.
Dann doch besser alle Tf bei den Bestellern mit Tfz der Besteller. Nur gibt es dann nichts mehr auszuschreiben was uns zu Erkenntnis bringt, dass die ganze Idee des Wettbewerbs einfach eine Schnapsidee war.
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Rohrbacher
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Beitrag von Rohrbacher »

Nett gemeint, aber im Forum haben derzeit viel zu viele Sonnenscheine Freigang, die an einer inhaltlichen Diskussion gar nicht interessiert sind. Man darf eines nicht vergessen: Die Fragestellung wird von vielen DB-Hassern einfach nur zum Rumhaten missbraucht. Wenn eine andere Unternehmung eine viel schlechtere Leistung erbingt, ist das scheinbar völlig okay, Hauptsache die DB ist weg. Einige schaffen auch nicht den gedanklichen Transfer, dass alles anderes als das was heute praktiziert wird, nicht einen originalen Rückfall in die frühen 90er bedeuten würde. Und andere wiederum sind einfach Freaks, die sich einfach schöne bunte Züge zum Fotografieren wünschen, Hauptsache bunte Motive, gefahren wird eh mit'm Auto.
Entenfang @ 19 Nov 2019, 01:24 hat geschrieben:Kosten senken. Wenn ich mich recht erinnere, haben sich die durchschnittlichen Preise pro Zugkm in den ausgeschriebenen Netzen in BaWü gegenüber dem großen Vertrag mit DB Regio annähernd halbiert. Mit begrenzten Mitteln kann also mehr Eisenbahnbetrieb finanziert werden.
Das ist zu weiten Teilen kein Effekt der Ausschreibungen, sondern der neuen Zuggenerationen, wenn man mal vergleicht, was da vorher noch gefahren ist. Solche Preissprünge hatte die Bundesbahn vor 60 Jahren beim Übergang von Lokalbahndampf auf den Schienenbus. Das ist beim Übergang von Trabi auf Mireo oder so sicher ziemlich ähnlich. Ein Kilometer 420 kostet in München im selben Vertrag oder zumindest in der Produktion auch deutlich über einem Kilometer 423, würde ich mal vermuten. Und wenn jetzt wieder behauptet wird, ohne Ausschreibung würden die alten Züge ewig fahren, dann sage ich 420 und verweise auf die im vorigen Absatz erwähnte gedankliche Transferaufgabe.

Naja gut und man muss aufpassen, was man vergleicht. In den seltensten Fällen bzw. eigentlich nie ging man direkt von den Kosten aus Bundesbahnzeiten direkt in den Wettbewerb über. Daher ist der Vergleich eigentlich sinnlos. Was wir heute vergleichen sind vielleicht Wettbewerbspreise und Preise von Direktvergaben, aber eben nicht vom Eigenbetrieb. Wenn ich natürlich extern bestelle ohne Preisvergleich, dann ist das doof. Das ist auch so ein Unterschied, den viele gerne mal unter den Tisch fallen lassen. Daher bin ich eben NICHT für Direktvergaben, sondern für einen Eigenbetrieb des "Aufgabenträgers". Ob das jetzt wirklich das Land sein muss, zumal wenn das Geld eh vom Bund kommt, kann man diskutieren.

Das andere ist: Der Sinn der Bahnreform war nichtmal die Kosten wirklich zu senken, sonst wären trotz der angeblichen Einsparungen und Fahrgastzuwächse allein die Regionalisierungsmittel nicht so hoch wie das ganze Bahndefizit 1993 inkl. Einzelwagenverkehr und Großdieselfahren im Osten auf Strecken, die's heute gar nicht mehr gibt. Wichtig war in erster Linie, den Zugriff der Rosinenpicker Privatwirtschaft auf die Eisenbahn zu ermöglichen, die damals immerhin 3% der deutschen Landmasse ausmachte. Jetzt kommt wieder der Historiker durch, aber schon nach 1918 gab es eine starke Lobby, die sich massiv für die lukrativen Teile der Reichseisenbahnen mit noch ca. 80% Marktanteil interessiert haben. Das wurde nur dadurch verhindert dass die Bahn nach dem Ersten Weltkrieg wegen ihres gigantischen Werts ab 1924 als AG an die Siegermächte verpfändet war. Ansonsten hätten wir eventuell schon Mitte der 20er eine Bahn nach US-Vorbild bekommen, damals hatten die Länder eigentlich keinen Bock quasi pleite die ganzen Kriegsschäden zu sanieren und vor allem die ganzen Kriegerversehrten wieder einzustellen! Sonst hätten sie die Bahnen gar nicht an das Reich abgetreten, was 1871 ja noch an den Eigeninteressen der Länder, vor allem Bayerns gescheitert war. Funfact: Noch kurz vor der Übergabe an das Reich hat Bayern zehntausende Arbeitslose/Kriegsversehrte bei der Bay.Sts.B. verbeamtet, um den Preißn noch richtig einen reinzuwürgen und vor allem die Versorgungsansprüche los zu sein.^^ Das war auch der wirklich wichtige Grund der Bahnreform 1994, warum man da auch keinen Monat länger warten konnte: Der Bund wollte auf keinen Fall hunderttausende geerbter Reichsbahner verbeamten, wie es im Einheitsvertrag ab 1. Januar 1994 vorgesehen gewesen wäre, wenn man eben nicht noch kurz vor Weihnachten 1993 das Neubeamtentum bei der Bahn kurzfristig abgeschafft hätte. Das Bundesbahndefizit war ja auch 1976 schon hoch als man angefangen hat die ersten Post-/Bahnbusgesellschaften (u.a. RVO) regional zusammenzulegen (nicht aufzuspalten!!) und ("gestützt auf das Gutachten eines Unternehmensberaters", der oh Wunder eine marktwirtschaftliche Lösung empfahl.^^) marktwirtschaftlich zu reorganisieren. Und die hatten immerhin 50% der gesamten DB-Transportleistung im Personenverkehr... auch in dem Fall waren vor allem die teuren Beamtenregelungen der Grund für die Reform. Die Privatfahrer durften/mussten für weniger Geld länger fahren. Das wollte der Bund auch, sonst hätte man die Postverkehre ja auch flächendeckend ohne Strukturreform in die DB integrieren können, wie man es 1982-90 u.a. im Augsburger Raum ja dann noch kurzzeitig gemacht hat. Und heute macht man Bus-/SPNV-Wettbewerb in erster Linie über die Personalkosten. Also letztlich seit 100 Jahren immer das gleiche.
Entenfang @ 19 Nov 2019, 01:24 hat geschrieben:Konkurrenz belebt das Geschäft.
Käse schließt den Magen. *scnr* ;)
Entenfang @ 19 Nov 2019, 01:24 hat geschrieben:Einflussnahme des Aufgabenträgers. Durch Bestellungen kann der Aufgabenträger nicht nur die Anzahl der Fahrten festlegen, sondern auch Komfortmerkmale wie Sitzabstand, Klimatisierung oder WLAN fordern.
Wenn die Länder den Betrieb selbst durchführen, können sie ja genauso beim Bestellen der Züge festlegen, was sie haben wollen. Einfluss auf Fahrplan und Züge hatten die Länder auch schon bei den ersten Verträgen unter Beteiligung der Bundesländer Anfang der 80er. Selbst bestellte Fahrten anderer EVU auf DB-Gleisen gab es, z.B. HzL-Züge im Donautal oder die Regentalbahn sogar direkt als DB-Sub.
Entenfang @ 19 Nov 2019, 01:24 hat geschrieben:Überschaubare Strukturen statt Wasserkopf. Flachere Hierarchien und kleinere Unternehmen verkürzen Entscheidungswege.
Naja, wenn ich mir anschaue, wie lange es seit der Feststellung im März 2007 dauert, dass auf dem MüNüX größere Züge müssen bis zur noch immer nicht erfolgten Abnahme der Dostos Ende 2019, dann habe ich an den verkürzten Entscheidungswegen schwere Zweifel anzumelden. Oder man denke an fahrlässig herausgezögerte Entscheidung für eine neue S-Bahnflotte in München oder gar Dinge wie die Elektrifizierung der BOB-Strecken, wo dann eben nicht nur ein Teil, sondern wieder die ganze Eisenbahn von EVU, 2x EIU, Bund, Land, Aufgabenträger, EBA eingebunden ist, dann ist da heute erheblich mehr Wasserkopf als früher. Das Märchen mit dem abgebauten Wasserkopf erzählen nur Leute, die noch nie damit gearbeitet haben. Heute weiß oft gar immer welcher Teilwasserkopf für was überhaupt zuständig ist. Man sollte also nicht den Fehler machen, die "ganze Eisenbahn" früherer Tage oder was auch immer mit nur dem lediglich Teilbereich EVU zu vergleichen.

Noch ein Aspekt, der aus Sicht der Politik für die Wettbewerbsvergaben spricht: Viel Show für den Wähler und ein System, das so undurchschaubar ist, dass jeder, vor allem Politiker, den schwarzen Peter nach Belieben weiterreichen können. "Man muss Gesetze kompliziert machen" Das gilt auch für Verwaltungsstrukturen. Umso komplizierter, umso weniger fällt der Pfusch auf oder dass es affig ist, wenn ausgerechnet der Verkehrsminister "der Bahn" ein Ultimatum stellt. ;)
Entenfang @ 19 Nov 2019, 01:24 hat geschrieben:Sorgen für unflexibleren Betrieb.
Das muss auch nicht unbedingt sein. Wenn die Fahrzeugauswahl nicht der Betreiber trifft, wäre auch ein Einheitsprogramm nach alter Schule bei Wettbewerbsvergabe möglich. Doof ist aus meiner Sicht aber, wenn man die Bieter die Fahrzeuge aussuchen lässt, die man ihnen dann über eine Landesgesellschaft abkauft. Da gehört dem Land dann hinterher ein bunter Strauß an Zügen, was betrieblich Null Sinn macht. Außer man denkt an die Finanzströme dahinter, dass das für das Land bei den derzeitigen (Negativ)Zinsen ein riesen Geschäft ist. Mehr nicht. Das zeigt aber eben auch, dass derzeit eine komplett staatliche Eisenbahn bessere Möglichkeiten hätte sich zu finanzieren. Ganz abgesehen davon, dass man Züge in Großserien und dann zu ganz anderen Preisen beschaffen könnte. Interessant ist ja z.B. diese Geschichte: ÖBB verleiht „Cityjet“-Züge an ODEG

"Die Fahrzeuge sollen ab dem 15. Dezember vorübergehend auf den Verbindungen Rostock-Sassnitz/Binz und Rostock-Züssow in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs sein. Ohne diese Züge könnte das ostdeutsche Eisenbahnunternehmen (...) die Verkehrsleistungen nicht erbringen. (...) Der Verleih, der offenbar schon bei der Bestellung fixiert wurde, sei für die ÖBB "eine Win-win-Situation". Denn ohne den ODEG-Deal wären die letzten 24 Siemens-Züge aus dem Rahmenvertrag der ÖBB deutlich teurer gewesen, weil das letzte Los mit 24 Stück deutlich unter der kritischen Losgröße von 35 Stück lag"

Das ist das, was ich immer wieder sage: Stückzahlen!!! Jetzt nehmen wir nur diese 35 Stück als "kritische Losgröße" mal kurz fiktiv als allgemeingültig an, wo werden so "große" Stückzahlen pro Order im deutschen SPNV erreicht? Gehe ich mal in den Wikipedia-Artikel des Alstom Coradia Continental, dann habe ich zwar vermeintlich 380 Züge, die stückzahlenmäßig wie "zu Bundesbahnzeiten" aussehen, aber in so kleinen Losgrößen und so vielen Konfigurationen, dass der Steuerzahler sicher draufgezahlt hat. Bis auf die Züge für den Fugger-Express 2008 kommt keine einzige Einzelvariante auf unsere "kritische Losgröße". Wir kaufen heute im SPNV die Züge wie einst die Prototypen und dann auch noch mit Liefertermin am besten gestern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Art der Beschaffung günstig sein kann. Stichwort Kostensenkung als vermeindliches Ziel der Bahnreform.

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Stellen wir uns einfach mal vor, man würde den gleichen Zirkus z.B. bei Schulen machen. Es gibt keine staatlichen Schulen mehr, sondern nur noch Unterrichtskonzerne, die sich um den Betrieb der Schulen bewerben können. Würden wir das gut finden nach den Erfahrungen u.a. mit PPP-Autobahnen, privaten Mautbetreibern, Müllentsorgern etc.? Würde wir an öffentlichen Schulen zulassen, dass ein Betreiber erst zwei Jahre "reinfindet" und gegen Vertragsende so viel Geld mitnimmt, wie es nur geht? Oder man denke an private Flüchtlingsunterkünfte oder so manches Altenheim. Gewisse Dinge in einem Staat sollte man einfach nicht dem Kommerz unterwerfen. Da kann mit mit noch viel Aufwand, Punktesystemen und Rankings arbeiten, wenn's letztlich den Betreibern nur um's Geld, dann hat sich das in gewissen öffentlichen Infrastrukturen einfach nicht bewährt. Auch wenn ich bei der Telekommunikation keinen Bedarf für einen "Staatsfunk" sehe, aber vermutlich hat selbst die Bundespost das Telefonnetz ihrer Zeit mit den Mitteln der selben schneller flächendeckend ausgebaut als die Konzerne das moderne Mobilfunk- oder Glasfasernetz heute. :ph34r: Dass das allein am System Deutschland liegen muss, zeigt bekanntlich der Blick ins Ausland.

Fazit: Keine irgendwie gearteten Vergaben brauchen wir, sondern schlicht wieder den Eigenbetrieb.
„Herr Otto Mohl fühlt sich unwohl am Pol ohne Atomstrom.“
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Jean
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Beitrag von Jean »

Eisenbahn und ÖPNV gehört in meiner Vorstellung zur Grundversorgung. Somit würde ich nur gemeinnützige Organisationen erlauben die, wenn sie Gewinne realisieren, diese reinvestieren müssen. Nur so wird was erreicht.

Die Ausschreibungen haben nur eins bewirkt: es wurde mehr Angebot zum gleichen Preis geschaffen und im Bahnverkehr wurde das Preisdiktat von der Bahn gebrochen aber zu welchem Preis...
Für den ÖPNV Ausbau Gegen Experimente und Träuereien. Eine Trambahn braucht einen eigenen Fahrweg, unabhängig vom MIV!
Fahrradwege auf Kosten des ÖPNV braucht keiner!
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