Am Sankt Jørgens Sø zeigt sich die Sonne nochmal
Am Vesterport begegnet mit 3315 vor einem kunterbunten Kino
Der imposante Bahnhof thront über den Gleisen (und die Uhr ist noch nicht auf Winterzeit umgestellt)
Zeit, das Fahrrad abzustellen und das geflügelte Rad zu nehmen.
Tatsächlich sind so gut wie alle Sitzplätze belegt und die Reservierung sicher nicht verkehrt - von einer außergewöhnlich hohen Auslastung kann aber keine Rede sein. Pünktlich verlässt die Gumminase Kopenhagen. Im Radio läuft Der letzte Tanz von Bosse - eigentlich ziemlich passend...
https://www.youtube.com/watch?v=Zfm1gMtZ3aI
Bald fliegen die bunten Bäume im Abendlicht vor dem Fenster vorbei. Auf mich warten über 15 Stunden Zugfahrt - das schöne daran ist, man hat einfach unendlich viel Zeit zum Nichtstun. Wir halten einmal auf freier Strecke, sammeln ein paar Bonusminuten ein.
Die Sonne verschwindet schon früh, die Winterzeit hat begonnen. Die blaue Stunde bricht an. Die deutschen Zugbegleiter übernehmen und erinnern an die Maskenpflicht. Die deutsche Polizei kontrolliert die Ausweise. Und schließlich erreiche ich überpünktlich Hamburg, welch ein Schock die "neue Normalität" nach nur ein paar Tagen in Dänemark schon wieder ist...
Der entfliehe ich lieber zum Bahnsteigende, links der NJ nach Österreich.
Ob das wohl eine Dreifach-Parallelausfahrt wird?

Doch nein, das Signal ganz links wird zurückgenommen, ohne dass ein Zug fährt und der NJ verlässt den Bahnhof vor dem Metronom.
Etwas später rollt auch mein NJ an den Bahnsteig.
Wie schön es eigentlich war, merkt man immer erst beim Abschied...
In mein Abteil gesellt sich bald ein Paar mit der dreijährigen Tochter dazu. "Wie heißt du?", fragt mich die Kleine. Sie hat sichtlich Freude daran, das Abteil zu erkunden. Hoch die Leiter und auf die oberen Liegen und wieder runter. "Ihhh, du hast ja ganz eklige Bapphände", meint die Mama. "Komm, wir gehen mal Händewaschen", meint der Papa und sie verschwinden im Gang.
"Ja, das ist eine ganz schöne Reizüberflutung. Erst die Großstadt und jetzt im Zug schlafen... Naja, wir wohnen hinter den Bergen bei den sieben Zwergen." Später stellt sich heraus, dass damit Interlaken gemeint ist.
Etwas später ertönt lautes Geschrei. Heulend kommt das kleine Mädchen wieder. "RABÄÄÄÄH!!!! ICH WILL ABER NICHT HÄNDE WASCHEN!!!" Dabei schlägt sie auf eines der Gepäckstücke, dass die Eltern geschleppt haben. "Ist jetzt eh schon passiert. Ist schon vorbei", meint der Papa. Doch das besänftigt sie überhaupt nicht, eher im Gegenteil. "KREEEEEEEIIIIIISCH!!!!! ICH WILL NICHT HÄNDE WASCHEN!!!" "Ella, du kannst jetzt so ins Bett gehen oder noch einen Nachtisch essen. Das geht aber nur mit sauberen Händen." "RABÄHHHHHH! Ich will aber nicht mit sauberen Händen essen! Ich will mit dreckigen Händen Nachtisch essen!" "Nicht so laut, Ella", versucht die Mama sie zu beruhigen, "hör mal, hat nicht eine Frau draußen im Gang gesagt, du sollst nicht so schreien?" Die Kleine überlegt einen Moment, schreit dann aber weiter. "Ach Ella. Schau doch mal. Wenn Entenfang je dachte, er könnte mal Kinder bekommen, dann überlegt der sich das jetzt bestimmt anders. Das wäre doch schade, oder?" Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen und nach einer Weile beruhigt sich das Mädchen doch.
Na Gott sei Dank, denke ich nur,
wenn das jetzt die ganze Nacht so geht... Der Schaffner kommt vorbei, sammelt die Reservierungen ein und holt die Frühstückswünsche ab. Die Mama erklärt, dass sie entgegen der Fahrkarte mit der Tochter bereits in Frankfurt aussteigen würde, weil sich die Pläne geändert haben. Zu mir meint sie: "Ich entschuldige mich jetzt schon mal dafür." Sie verzichtet auf ihr Frühstück und der Schaffner fragt etwas verwundert nochmal nach. "Naja, um halb vier..." In Frankfurt kommen wir um 3:59 Uhr an. Der Mann fährt wie ich bis Basel und der Schaffner wird ihm das Frühstück eine Stunde vor der Ankunft vorbeibringen. Außerdem informiert er uns noch darüber, dass in Hannover noch jemand zusteigen würde, der bis Zürich drinbleibt. Da habe ich aber wirklich den Jackpot geknackt - da der Nightjet südwärts mangels freier Trassen via Bremen nach Hannover fährt, sind das über zwei Stunden Fahrzeit. Also steigt um halb zwölf noch jemand ein, um kurz vor vier wieder jemand aus und um halb sieben gibt es Frühstück. Und ich sollte morgen arbeiten... Vielleicht muss ich nächstes Mal doch in den Schlafwagen investieren.
"Möchtest du noch ein Puzzle machen, bevor wir Schlafen gehen?" Es gibt keine eindeutige Antwort, Ella lutscht lieber an einem Bändchen der Tasche herum. "Möchtest du nun Puzzlen oder sollen wir doch gleich schlafen gehen?" Auch ohne Antwort kramt die Frau in einer der Taschen herum und meint zu mir nur: "Boah, mit einem Kind Zug zu fahren ist echt eine Challenge..." Tja, wie schade, dass mir das Vergnügen als Kind nie vergönnt war. Ich glaube, das hätte mir auch Spaß gemacht.
Sie wird fündig und stellt das Puzzle auf der Liege bereit. "Wie viel Teile sind das?", fragt der Mann. "24, eigentlich viel zu viele." Ella sitzt etwas ratlos vor den Teilen, während sie Hilfestellungen bekommt. "Versuch mal, mit den Ecken anzufangen. Schau mal, hier ist eine Ecke." Doch wie herum und in welche Ecke des Schachteldeckels müssen die Teile? Zur Unterstützung gibt es das fertige Motiv als Unterlage. Doch Ella ist nicht so recht bei der Sache und lässt sich schnell vom übrigen Inhalt des Kartons ablenken. "Willst du lieber was anderes spielen?" "Ja, das hier."
Es sind runde Pappscheiben mit jeweils einem Bild drauf. Diese werden dann mit drei Holzscheiben abgedeckt. Oder? "Kannst du das nochmal erklären?" "Tja, ich weiß auch nicht mehr so genau, wie das geht", meint die Mama etwas ratlos, "und die Anleitung haben wir nicht dabei." Irgendwie deckt man drei Motive ab und muss dann raten, was drunter ist. Oder so ähnlich. Jedenfalls ist Ella auch hier nicht bei der Sache und die Mama erzählt schließlich lieber spontan eine Geschichte. "Guck mal, hier: Das Segelboot. Ein Mann ist damit auf Reisen gegangen. Und schließlich hat er in einem Hafen angelegt. Dann ist er auf den Elefanten gestiegen und weil der sooo groß ist, konnte er die Birnen direkt vom Baum essen. Vor der Weiterfahrt wollte er noch in eine Kneipe ein Bier trinken." "Aha. Und dann? Kannst du zur Katze auch was sagen?" "Ja, natürlich. Also, er wollte ein Bier trinken. Aber er hat dann Fliegenpilze gegessen und weil die giftig sind, hat er komische Träume gehabt und plötzlich nur noch rollende Katzen gesehen." Sie verdeutlicht das, indem sie die Pappscheibe über die Liege rollt. "Und das Auto?" "Sein Boot war dann kaputt und er musste per Anhalter nach Hause fahren. Das ist, wenn man bei jemandem fragt, ob man im Auto mitfahren kann. So, das war die Gute-Nacht-Geschichte. Morgen erzählst du Oma eine." "Aber ich kann doch gar keine Geschichte erzählen." "Natürlich. Dann denkst du dir zusammen mit Oma eine aus." "So, jetzt putzen wir noch Zähne und dann legen wir uns hin. Morgen musst du ganz früh aufstehen", meint Papa. Mama kramt in der Tasche und zieht eine Zahnbürste heraus. Ella steckt sie sich direkt in den Mund. "Warte, da muss noch Zahnpasta drauf", meint Papa und drückt ein bisschen was aus der Tube. Ella lutscht an der Zahnbürste. "Hey, putz deine Zähne ordentlich. Du hast doch gute Zähne und das soll auch so bleiben, oder?" Wenig später nimmt er es selbst in die Hand.
"So, fertig. Komm, wir gehen nochmal raus in einen anderen Raum, dort kannst du dann ausspucken."
Als sie wiederkehren, biete ich an, meine Liege zu beziehen und das Feld zu räumen. In weiser Voraussicht des erst in über einer Stunde zusteigenden letzten Fahrgasts beziehe ich auch gleich die vierte Liege - nicht, dass ich dann plötzlich wieder in die helle Deckenlampe starre...
Ella legt sich neben Papa, die Augen zu. Mama kramt aus dem Rucksack einen Schokoriegel heraus und beißt davon ab. "Mama, was isst du da?" "Nichts." "Mama?!?! Was isst du da???" "Nichts." "Zeig mal, was das ist." "Das ist ein Erwachsenen-Bonbon." "Wo hast du das her?" "Der Schaffner hat es mir gegeben." Damit gibt sich Ella zufrieden und schließt die Augen wieder.
Und dann heißt es - ungewöhnlich früh für mich - Licht aus. Wirklich bequem sitzen kann ich oben nicht und im Liegen am Handy rumpfuschen mag mein Magen nicht. Eigentlich bin ich eh müde, muss morgen um kurz nach sieben raus und habe eine Arbeitswoche vor mir. Bald fallen mir die Augen zu.
Den Zustieg des letzten Fahrgasts bekomme ich nur am Rande mit. Vom Ausstieg mitten in der Nacht bekomme ich überhaupt nichts mit. Als ich das erste Mal richtig aufwache, fährt der Zug gerade über eine Weichenstraße. Etwas später fühlt es sich so an, als würden wir schnell, aber ruhig fahren. Der SFS-Abschnitt der Rheintalbahn? Aber kann das wirklich sein? Dann wäre es noch deutlich vor 6 Uhr und von draußen schimmert schon Tageslicht herein. Ich döse weiter, doch ich wundere mich weiterhin, warum ich schon so früh wach bin. Das alles passt trotz der gestrigen Zeitumstellung eigentlich nicht zusammen.
*Klopfklopf* "So, guten Morgen. Noch eine Stunde bis Basel. Ich bringe Ihnen jetzt das Frühstück." Mit halb geöffnetem Auge blicke ich auf mein Handy. Der blaue Punkt ist noch ein gutes Stück vor Freiburg, es ist richtig hell draußen und ich schon erstaunlich wach. Oh, Moment. Es ist ja schon 7:35 Uhr. Wir haben +90. Ich drehe mich um und mache die Augen wieder zu. Mir solls recht sein.
Nachdem ich heruntergeklettert bin, erzählt mir der Mann noch, dass wir schon in Göttingen eine Stunde Verspätung hatten. Erstaunlich, da der NJ doch so viel Reserve hat. Mit +72 geht die Reise schließlich in Basel zu Ende.