Rathgeber @ 26 Feb 2005, 13:56 hat geschrieben:Daß es in diesem Forum zwei Lager gibt, läßt sich nicht von der Hand weisen. Fahrgäste und Bedienstete stehen nun mal nicht immer auf einer Seite. Ich finde das auch normal. Manchmal treten die Konflikte eben offener zutage, manchmal nicht.
Das ist sicherlich richtig. Und ich finde es auch auf jeden Fall positiv, wenn sich beide Seiten in Foren wie diesem hier recht formlos und zeitnah austauschen können.
Man kann meines Erachtens auch nicht erwarten, sich in die Situation seines Gegenübers hineinzuversetzen. Ich kann mich mich nicht in die Lage eines TFs versetzen, weil ich von dem Beruf sehr wenig Ahnung. Ich kann mir seine Sichtweise anhören und mir ein Bild machen, wie ich auch lediglich meine Sichtweise deutlich machen kann. Aber ich kann auch nicht erwarten, daß sich ein Tf (oder wer auch immer) in die Situation eines Rollstuhlfahreres reinversetzt (ich kann es auch nicht).
Nun, in gewissem Maße denke ich schon, dass man das erwarten kann. Dass jeder Bahnfahrgast sich fundierte Kenntnisse über den Bahnbetrieb aneignet, erwarte ich dabei ja gar nicht. Das Problem liegt meiner Meinung nach vielmehr darin, dass, wenn sich Betriebler und Fahrgäste so unmittelbar austauschen wie hier, einerseits die "Fahrgastfraktion" von den Betrieblern erwartet, einen Sachverhalt aus ihrem Blickwinkel zu sehen, aber zugleich die Bereitschaft der Fahrgastseite, den gleichen Sachverhalt aus der Perspektive eines Eisenbahners zu sehen, häufig niedrig bis nicht vorhanden ist. Wie gesagt, vielleicht kommt das daher, dass die Betreffenden meinen, das dafür notwendige Wissen sei zu speziell. Ich sehe die Sache allerdings so, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, die Darstellung eines Bahners von vornherein in Frage zu stellen, nur weil er halt ein Bahner ist.
Ganz besonders deutlich wird mir dies z.B. auch bei der immer wieder mal aktuellen Diskussion zu Personenunfällen und dem Umgang von Tfs damit. Sicherlich erscheint es auf den ersten Blick "unerhört", wenn ein Tf sich sinngemäß so äußert, ihn ließe es völlig kalt, wenn ihm einer vor den Zug latscht und verhackstückelt wird.
Aber: Unterscheidet sich diese Reaktion so sehr von der Art und Weise, wie z.B. ein Unfallarzt mit den weniger angenehmen Aspekten seines Jobs umgeht? Muss auch er nicht eine Art Schutzwall um sich errichten, um auch nach dem zehnten verstümmelten Unfallopfer, das unter seinen Händen gestorben ist, seinen Job weiterhin tun zu können? Mir scheint, als ob dies z.B. bei medizinischen Berufen viel eher akzeptabel ist als etwa im Falle eines Lokführers.
Ebenso klar dürfte sein, daß die die hier schreibenden Bediensteten der verschiedenen Verkehrsunternehmen nicht für das zu verantworten sind, was in den höheren Etagen ausgebrütet und beschlossen wird. Und es ist sicher nicht angenehm, immer wieder zu lesen, wie beschissen doch alles ist. Daß man seinen Arbeitgeber auch in Schutz nimmt, ist auch in Ordnung. Letztlich hat man als Arbeitnehmer auch eine gewisse Loyalitätspflicht. Wer hier alles mitliest, wissen wir eh nicht. Wir können es allenfalls erahnen. Und das Internet ist nicht anonym.
Ich meine auch, dass es absolut nicht verwerflich ist, wenn ein Mitarbeiter sich mit seiner Firma identifiziert und dies auch ohne Scham nach außen vertritt - anders gesagt, soll es nicht genau so sein? Dass es leider allzu häufig zu Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Betrieblern und Außenstehenden kommt, scheint mir einen anderen Grund zu haben - siehe oben.
Und wenn ich z.B. an Floks Beitrag von letztens zur Personalpolitik bei Railion denke, würde ich mitnichten sagen, dass Mitarbeiter des DB-Konzerns ganz und gar unkritisch den Geschehnissen im eigenen "Hause" gegenüberstehen. Auch das halte ich eigentlich für normal, dass sich ein Mitarbeiter mit dem beschäftigt, was in seiner Firma so läuft.
Zum Thema Betriebsblindheit:
Wer sich davon freisprechen kann, dem gratuliere ich herzlich. Ich kann es nach sechs Jahren Arbeit im Behindertenbereich so ohne weiteres nicht. Aber ich kann mir die Argumentation anderer (Betriebsfremder) anhören und sie in mnein Denken und Handeln einfließen lassen. Und dafür bin ich immer wieder sehr dankbar.
Wie gesagt: Ich meine, wenn man ernsthaft an einem Austausch in einem so formlosen Rahmen wie hier interessiert ist, muss man auch beide Seiten zu Wort kommen lassen. Und ich meine, dass daher auch die Kundenseite akzeptieren muss, dass ein und derselbe Sachverhalt von einem Betriebler anders wahrgenommen werden mag, und den Betriebler deshalb aber nicht verdammen sollte.