[CH] Die Schweiz mal wieder.

Eure Reportagen und Reiseberichte finden hier ihren Platz, gerne auch Bilder abseits von Gleisen
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Entenfang
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Re: [CH] Die Schweiz mal wieder.

Beitrag von Entenfang »

Kontraste zwischen Chavornay, Orbe und Sainte-Croix

Gibt es eigentlich noch Bahnen in der Schweiz, auf denen nicht Stadler-Triebwagen an barrierefreien Bahnsteigen halten? Zugegebenermaßen – nicht mehr allzu viele, aber ein rustikales Kuriosum wollte ich noch besuchen, ehe es wohl bald verschwindet.
Nach über 4 Jahren ist es inzwischen gar nicht mehr so einfach, noch unbefahrene Strecken in einen sinnvollen Tagesausflug zu integrieren. Meine Streckenbefahrungsquote in der Schweiz dürfte wohl inzwischen 80% überschreiten.

Zuerst geht es mit Neigetechnik erst nach Biel, dann nach Yverdon-les-Bains.
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Nach wenigen Minuten im KISS steige ich in Chavornay aus. Von dort führt die nur rund 4 km kurze Stichstrecke nach Orbe. EIU und EVU ist Travys.
Die Strecke ist aufgrund der Elektrifizierung mit 700 V Gleichstrom ein Exot im Eisenbahnnetz. Als 2020 der letzte verbliebene Triebwagen kaputt gegangen ist, stellte sich die Frage nach dem zukünftigen Fahrzeugeinsatz. Abhilfe fand man schließlich nach monatelangem SEV in Form von zwei Gebrauchtwagen der Stadtbahn Karlsruhe.

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003 ist gerade aus Orbe angekommen und wird in Kürze seine 3 (!) Fahrgäste aussteigen lassen. Zum recht bescheidenen Fahrgastaufkommen trägt sicher bei, dass das nahegelegene Mittelzentrum Yverdon-les-Bains einen direkten Bus nach Orbe hat und man nach Lausanne hier in Chavornay umsteigen muss.
Der Bahnsteig reicht gerade so für die Türen. Oben ist der Streckentrenner zur SBB-Strecke zu sehen. Wie üblich, bleibt die Zulassung im Ursprungsland, daher das Kürzel D-TVYS. Angeboten wird Mo-Sa ein annähernder Halbstundentakt, wofür ein Fahrzeug ausreichend ist – theoretisch. Praktisch wollte ich den Ausflug bereits vor einer Woche machen – alle Züge im SEV mit Prognose bis Donnerstag. Also probiere ich es am Freitag und noch morgens sieht es so aus, als würden tatsächlich wieder alle Züge normal fahren. Ich nehme mein Fahrrad mit, um die Fotostellen besser erreichen zu können und anschließend noch eine kleine Tour in die Berge zu machen.

Der Bahnsteig liegt in einem engen Bogen vor dem Bahnhofsgebäude.
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Der Innenraum ist nahezu im Originalzustand - die Polster sogar historisch.
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Sogar die AVG-Piktogramme sind teils noch vorhanden, ergänzt um die Schweizer.

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Der Rollbandkasten wurde durch einen Linienverlauf getauscht – viel gibt es da nicht darzustellen…

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Ein Vorteil der AVG-Fahrzeuge dürfte neben der passenden Spannung die bereits vorhandene selektive Türfreigabe sein, denn auch im Karlsruher Netz gibt es diverse Bahnsteige, an denen nicht alle Türen geöffnet werden können.

Nach 8 Minuten ist bereits der Bahnhof Orbe erreicht.
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Nach wenigen Minuten tritt der Triebwagen bereits die Rückfahrt an.
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Während ich nun die nächste Verbindung heraussuche, stoße ich auf eine Hiobsbotschaft – ab 15:00 werden wieder alle Züge im SEV gefahren. Das bedeutet, dass ich insgesamt genau 6 Aufnahmen machen kann. Als Gründe für den häufigen SEV werden nur wage betriebliche oder technische Probleme genannt. Welche das sind, konnte ich nicht herausfinden.

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Mit Blick auf die Alpenkulisse erreicht der Triebwagen nach nicht einmal einem halben Kilometer bereits den Hp St-Eloi.

Östlich von Orbe gibt es ein recht großes Industriegebiet, das durch den Hp Les Granges erschlossen wird. Irgendwie finde ich, dass dieser stark osteuropäisches Flair hat…
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Und da marschieren gerade ein paar Männer in Orange zum abgestellten Güterzug. Wenige Minuten später wird vor der malerischen Kulisse von Orbe rangiert. Der Güterverkehr hat auf dieser Strecke durchaus Bedeutung. Unter der Woche verkehren mehrere Zugpaare pro Tag.
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Der ganze Bereich hat etwas Unfertiges, Provisorisches, so ganz untypisch für die Schweiz. Den Verkehr an dieser perfekt geteerten Kreuzung regeln teils Baustellenampeln. Interessanterweise gibt es hier weder Andreaskreuze noch entsprechend BÜ-Warnanlagen.
Wenige 100 Meter weiter ist die Straße dagegen löchrig und ich muss Schlaglöchern ausweichen.

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Das intensive Gelb des Rapsfeldes stellt den etwas blass lackierten Triebwagen in den Hintergrund.

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In einem großen Bogen überwindet die Bahnstrecke den Höhenunterschied nach Orbe, im Hintergrund der Le Suchet.

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Die Strecke zwischen Orbe und St-Eloi ist absolut modellbahntauglich mit ihren Brücken und dem reingequetschten Haltepunkt zwischen Brücke und BÜ…

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Auf der Rückfahrt nochmal ein Bild mit Raps.

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Um ein Haar hätte eine Baustelle und der deswegen gesperrte Feldweg mir das nächste Motiv versaut – keine Minute vor der Durchfahrt komme ich an der Fotostelle an. Im Hintergrund erhebt sich der Chasseron

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Entlang der Kantonsstraße rollt der Triebwagen nach Chavornay. Links im Hintergrund entsteht bereits die neue Trasse, welche die Zukunft der Bahn sichern soll. Diese Lösung hingegen ist wieder sehr schweiztypisch – da sich der jetzige Bahnsteig weder sinnvoll verlängern noch barrierefrei ausbauen lässt, entsteht eine rund 1 km lange Neubaustrecke, die weiter nördlich von der Hauptbahn ausfädelt und zweigleisig ist. Ab 2027 sollen dann Direktzüge aus Lausanne nach Orbe verkehren, wofür auch das Stromsystem umgebaut wird. Ich bin mal gespannt, wie man die anderen beiden Haltepunkte umbaut.

Zwischen den zahlreichen Anschlussgleisen des Industriegebiets fährt der letzte Zug des Tages nach Orbe.
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So bleibt noch ausreichend Zeit für eine Fahrradtour in die Berge.
Orbe stellt sich als sehr hübscher Geheimtipp heraus.
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Schließlich bringen mich Landstraßen den Bergen näher.
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Steil bergauf kreuze ich die Bahnstrecke Yverdon-les-Bains – Ste-Croix, welche ich vor etwa einem Monat ebenfalls befahren habe.
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Die Felsen des Aiguilles de Baulmes ragen steil empor.

Rückblick – dort oben war ich Mitte März unterwegs, von Yverdon-les-Bains bin ich nach Sainte-Croix gefahren, was knapp unter der Schneegrenze lag.
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Auf den Stadler-Triebwagen von Travys findet sich eine Sammlung an Worten.
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Sie bieten einen etwas verbauten Zugang zum Mehrzweckbereich…
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…sind auch innen unverkennbar in den Travys-Farben gehalten…
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…und haben eine sehr luxuriöse 1. Klasse.
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Ein paar Meter angestiegen, hat Puderzucker die Landschaft bestäubt.
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Oben auf dem Grat war tiefster Winter…
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…und die Sichtweite sehr beschränkt.
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Neben ein paar Trailrunnern treffe ich nur noch Gämsen.
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Bis zu meiner Rückkehr am Nachmittag war in den tiefsten Lagen der Schnee schon merkbar weniger geworden und dichter Nebel hing über dem Tal.
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Beim Durchqueren der Nebelschicht fiel die Sichtweite deutlich unter 100 Meter.

Kehren wir in den sommerlichen Frühling zurück…
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Vom Col de l´Aiguillon schweift der Blick über den Neuenburgersee zu den Alpen
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Und weit oben das Gipfelkreuz des Aiguilles de Baulmes.
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Und so sah es dort vor 1 Monat aus:
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Blick über Ste-Croix – kaum zu glauben, wie sehr sich der Anblick der Landschaft in einem Monat ändern kann…
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Nun kann ich erstmal entspannt rollen lassen. Ups, eine Straßensperrung wird angekündigt. Zum Glück kann man mit dem Fahrrad einen kleinen Feldweg fahren, ohne einen riesigen Umweg zu nehmen, sonst würde es mir nicht mehr zum nächsten Zug reichen… Der grandiose Blick entschädigt dafür großzügig.
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Wieder unten im Tal komme ich nochmal an der Bahnstrecke vorbei und der BÜ schaltet sich gerade ein. Da kann man noch ein Bild im abendlichen Streiflicht mitnehmen…
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Diese urigen Triebwagen sind leider nicht mehr im Einsatz.
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Einen Besuch dieser Strecke kann ich nur empfehlen – hier gibt es sehr abwechslungsreiche Motive auf kurzem Weg in einer wenig bekannten Region. Wer sich das noch anschauen möchte, muss sich allerdings beeilen. Es ist davon auszugehen, dass ab Ende 2025 alle Züge im SEV verkehren werden, bis der Umbau ein Jahr später abgeschlossen ist. Hoffen wir, dass bis dahin den AVG-Triebwagen noch ein paar Betriebstage vergönnt sind.
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
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Jean
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Re: [CH] Die Schweiz mal wieder.

Beitrag von Jean »

Schöne Bilder. Danke.
Für den ÖPNV Ausbau Gegen Experimente und Träuereien. Eine Trambahn braucht einen eigenen Fahrweg, unabhängig vom MIV!
Fahrradwege auf Kosten des ÖPNV braucht keiner!
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Entenfang
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Re: [CH] Die Schweiz mal wieder.

Beitrag von Entenfang »

Bahnhofsfest Etzwilen

Ein schöner Sonntag soll für Trambahnfreak und Entenfang nicht ungenutzt bleiben – das Bahnhofsfest Etzwilen bietet eine gute Gelegenheit, regulär nicht im Personenverkehr bediente Strecken abzufahren.

Los geht’s viiiiiiiel zu früh in Basel, wo der Giruno zum Europapark noch mit technischen Problemen zu kämpfen hat.
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Der IC nach Olten fährt dagegen relativ pünktlich. Von dort geht es weiter mit einem Extrazug zum Bahnhofsfest Etzwilen von SBB Historic. Aus der Beschreibung ging es nicht zweifelsfrei hervor, ob dieser die nicht im Personenverkehr bediente Strecke Mellingen – Wettingen befahren würde, aber es erschien mir zumindest plausibel. Also bleibt es spannend bis zum Schluss.

Eingesetzt wird ein Leichtstahl-Pendelzug aus 4 Wagen und einer Re 4/4 I.
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Mit einem Rumms schließen die Türen, die auf mich etwas bunkerartig wirken.

Eine historische ÖV-Karte hängt im Einstiegsbereich.
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Da die Farbe der Bundesbahnstrecken bereits ausgeblichen ist, wirkt es so, als gäbe es nur einzelne Bruchstücke des Netzes.

Der Zug ist gut gefüllt, doch es sind nicht alle Sitzplätze belegt. Man musste im Voraus Online-Tickets kaufen, um mitzufahren.

In Zofingen gibt es einen Betriebshalt zum Fahrtrichtungswechsel, doch man darf auch aussteigen. Einige Fahrgäste nutzen den Halt zum Fotografieren, andere eher zum Rauchen.
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Alte und moderne Kanten
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Dann geht es weiter über die wenig bekannte Nebenbahn nach Lenzburg. „Ah, hier an der Autobahn bin ich auch noch nie langgefahren“, bemerkt ein älterer Herr in der Nähe. Etwa dreiviertel der Fahrgäste dürften im Rentenalter sein, wie üblich fast nur Männer.
In Hunzenschwil wird zur Kreuzung nochmal ein längerer Halt eingelegt.
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Interessant finde ich, dass auch die Lok mit den Wagen durchgängig begehbar verbunden ist.
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Die Schweizer Eisenbahnfans verhalten sich im Allgemeinen sehr rücksichtsvoll und achten auf die Fotolinie.
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Konzentriert im Führerstand – für etwa 700 CHF konnte man eine Führerstandsmitfahrt buchen.
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Der Steuerwagen ist zur Hälfte ein Gepäckwagen mit Snackbar, aber irgendwie eine ziemliche Platzverschwendung.
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Eine Zugbegleiterin geht durch den Zug und bietet Kaffee und Gipfeli an. Als sie zurückkommt, bekommt sie die Zwischentür nicht mehr auf. Sie zerrt und drückt, doch nichts passiert. Irgendein älterer Herr kommt ihr zu Hilfe und bekommt die störrische Tür schließlich auf. „Ich hatte auf dem Zug noch nie Dienst…“, meint die Zugbegleiterin.

Wir durchfahren Lenzburg ohne Halt. Die nächste Abzweigstelle fahren wir nach links, so weit, so klar. An der nächsten wird sich entscheiden, ob ich meine Streckenbefahrung bekomme oder nicht. Theoretisch wäre auch eine Fahrtroute über Brugg und Baden denkbar.
Es folgt Othmarsingen uuuuuuund…
…wir fahren rechts und damit via Mellingen! Tatsächlich stelle ich nach der Fahrt bei der Begutachtung meiner Streckenkarte fest, dass mir auch die Strecke Othmarsingen – Brugg noch fehlt, aber das kann man ja immer machen…
Obwohl es seit 1975 den zweigleisigen Heitersbergtunnel gibt, wurde die eingleisige Altstrecke betriebsfähig als Umleitungsroute behalten, auch wenn sie keinen regulären Personenverkehr mehr aufweist.

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In Kloten gibt es nochmal einen längeren Fotostop.

In Winterthur wird nochmal ein kurzer Betriebshalt zum Tf-Wechsel eingelegt, dann geht es weiter durch Hügelland über die Strecke nach Etzwilen, wo der Museumszug pünktlich auf die Minute eintrifft.
Auf dem Bahnsteig ist es derart voll, dass man sich kaum bewegen kann. Hier kann man vernünftige Aufnahmen komplett vergessen. Ein Sicherheitsmann versucht zu verhindern, dass die Fotografen ins Gleisbett latschen. Doch für den perfekten Winkel wäre das eigentlich erforderlich, und so haben sie bereits ein paar Meter hinter das Bahnsteigende gedrängt. „Heee, jetzt bleibt mal bitte hier. Ihr geht immer weiter!“, versucht er mit mäßigem Erfolg die Fuzzis aufzuhalten.
Ok, das hier macht echt keinen Spaß und wir haben ohnehin nicht allzu viel Zeit, denn die nächste Streckenbefahrung steht bereits an – nämlich die mit der Museumsbahn Etzwilen – Singen, welche nur an wenigen Tagen im Jahr fährt.

Blick über die bunte Mischung ausgestellten Fahrzeuge – man hat mitgedacht und die S-Bahnen auf Doppeltraktionen verstärkt, was angesichts des hohen Andrangs auf jeden Fall eine gute Idee war.
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Der Museumszug nach Singen soll auf einem grasüberwucherten Nebengleis halten – das bin ich aus der Schweiz gar nicht gewohnt... Mehr und mehr Fahrgäste sammeln sich, als die Abfahrtszeit näher rückt. Irgendwo in der Ferne des großen Bahnhofs dampft es, doch kein Zug ist in Sicht und die Abfahrtszeit verstreicht.

Als der Zug dann mit +15 bereitgestellt wird, ist er rappelvoll und es dauert mehrere Minuten, bis alle ausgestiegen sind. Wir sichern uns flott zwei Sitzplätze neben einem älteren deutschen Ehepaar.
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Zahlreiche Fahrgäste stehen auf den offenen Plattformen und im Gang. Weitere Minuten verstreichen, der ältere Mann schaut die ganze Zeit unruhig aus dem offenen Fenster des stehenden Zuges. Jemand geht durch den Zug und verteilt Infoflyer zur Reaktivierung der Strecke für den Regelbetrieb. „Die kriegen ja nicht mal die Züge heute hin. Und dann wollen die so einen Unsinn machen“, grantelt der ältere Mann kurz darauf und schaut dann wieder aus dem Fenster. Mit +30 setzt sich der Zug dann mit einem Ruck in Bewegung. Der Mann setzt sich – ganz offensichtlich schlecht gelaunt – hin. Nach einer kurzen Strecke in Schrittgeschwindigkeit halten wir wieder an. Ein paar Minuten vergehen. „Wahrscheinlich stehen da wieder zu viele Leute auf den Gleisen. Die mussten schon mal die Polizei rufen…“, brummelt der Mann zu seiner Frau. Schließlich setzt sich der Zug wieder in Bewegung, abermals in Schrittgeschwindigkeit und der Mann setzt sich hin. Doch auch dieses Mal kommen wir nicht weit und halten nach 100 Metern wieder an, woraufhin der Mann wieder aufsteht und angestrengt aus dem Fenster blickt, als ob er dadurch den Zug schneller in Bewegung setzen könnte. Es dauert nochmal ein paar Minuten, ehe es weitergeht und dieses Mal verlassen wir den Bahnhof.
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Bald folgt die spektakuläre Rheinbrücke und die ältere Frau bietet mir freundlicherweise an, vorübergehend ihren Fensterplatz einzunehmen, damit ich bessere Fotos machen kann.
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Der Schaffner kämpft sich durch die vollen Wagen. „Wer zum SBB historic-Zug nach Olten möchte, steigt bitte in Rielasingen aus! Sie werden dort vom Postauto abgeholt.“ Auch wir überprüfen nochmal unseren weiteren Plan, doch der sieht ausreichend große Puffer vor, sodass uns die Verspätung vermutlich keine Probleme bereitet, vorausgesetzt, sie steigt nicht weiter an.
Wir erfahren noch, dass es offenbar ein technisches Problem gegeben hat und man deswegen zwei Wagen abhängen musste, was die Verspätung und zu geringe Kapazität erklärt.
Auch in Rielasingen gibt es ein großes Bahnhofsfest und das ältere Ehepaar steigt hier aus. Es wird mir ewig ein Rätsel bleiben, wie man sich so sehr über die Verspätung eines Museumszug echauffieren kann, wo man ja ohnehin nur zum Spaß mitfährt…
Der Zug setzt seine Fahrt durch Felder und vorbei an Häusern mit kleinen Gärten fort. Immer wieder winken Kinder dem Zug zu und Erwachsene filmen mit dem Handy.

Erst seit 2020 ist wieder die gesamte Strecke bis Singen befahrbar. Die größte Herausforderung war offenbar dieser Kreisverkehr in Singen, welcher mit großem Aufwand für die Zugdurchfahrt gesichert wird.
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Schließlich nähern wir uns dem Bahnhof Singen, links ein Anschlussgleis, dass offenbar noch benutzt wird.
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Nach regem Fahrgastwechsel und Umsetzen der Lok geht es immer noch sehr gut gefüllt wieder zurück.
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In Ramsen hält der Zug dann wieder länger und aufgrund des Verhaltens des Zugpersonals ist zu erwarten, dass es auch noch ein bisschen länger dauern wird. So beschließen wir, hier auszusteigen und mit dem Bus weiterzufahren.
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Die Reaktivierungsstudien haben der Strecke einen positiven Nutzen-Kosten-Faktor bescheinigt und es ist mit Förderung durch das Land Baden-Württemberg zu rechnen. Auf Schweizer Seite ist das Interesse aber überraschend gering und so scheint derzeit eine Reaktivierung nur zwischen Singen und Ramsen am wahrscheinlichsten, was schon sehr kurios wäre.

https://www.singen.de/informieren/aktue ... gen+ramsen

https://www.singen.de/informieren/aktue ... eitsstudie

Saubere Trennung der Haltekanten zwischen deutschem und Schweizer Bus
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Der Bus kommt leicht hinter Plan und der Busfahrer schaut uns unmotiviert an, als wir einsteigen. Dementsprechend ist auch sein Fahrstil. Nach rund zehn Minuten erreichen wir den Rand der Altstadt von Stein am Rhein.
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Hier gibt es eine kleine Parkeisenbahn
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Hübsch ist Stein am Rhein auf jeden Fall
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Aber wird es auch hübsch bleiben? Ob mit dem Bau von Windrädern nun 200 Meter hohe Masten die Landschaft prägen oder man gar nichts davon sieht, bleibt unklar…

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Durch die Trockenheit im Frühjahr herrscht im Rhein Niedrigwasser

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Auf dem Weg zum Bahnhof kann ich gleich noch einen der Fotospots der Grand Tour of Switzerland mitnehmen. Irgendwann möchte ich mal alle 88 besuchen...

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Als wir am Bahnhof eintreffen, fährt auch schon die hier wendende S29 ein, welche uns zurück nach Winterthur bringen wird.
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Das Bahnsteiggleis wurde zum Stumpfgleis, um Platz für die Rampe zum anderen Bahnsteig zu schaffen.
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Mit leichten Schleudereinlagen (die entgegen der ersten Vermutung von Trambahnfreak wohl doch nicht nur auf den bei Thurbo üblichen Fahrstil zurückzuführen sind) rollen wir durch das sanfte Hügelland mit kleinen Dörfern, die von Kirchtürmen mit ihren riesigen Uhren geprägt sind.
Von Winterthur geht es weiter nach Bülach, dann mit der S-Bahn Zürich (2 min zu spät, abgesehen vom Museumszug die erste Verspätung heute!) bis Oberglatt und dann zwecks Streckenbefahrung auf die Stichstrecke nach Niederweningen. Aufgrund der baustellenbedingten Wochenendsperrung Zürich – Pfäffikon gibt es eine Durchbindung Niederweningen – Chur via Zürich - Rapperswil, ein wirklich sehr kurioser Zuglauf, welcher kapazitätsstarke 12-Wagen-KISS auf die kleine Nebenbahn bringt.
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Der erste Teil der Strecke ist industriell geprägt, dann folgen wieder saftig grüne Wiesen mit Kühen. IN Niederweningen gibt es nicht viel abgesehen von einem komfortablen Übergang zum Bus.
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Dass man hier 300 Meter lange Bahnsteige gebaut hat, ist auch sehr beeindruckend – auf jeden Fall war es sehr weitsichtig.

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Angeschrieben ist der Zug allerdings nur bis Rapperswil, was einer Vorgabe der Alliance Swisspass als Branchenorganisation darstellt, die sich u.A. mit einem einheitlichen Erscheinungsbild von DFI und Wegeleitsystemen befasst, aber auch Standards für Fahrzeugbeschilderung im Umleitungsfall setzt (es soll immer der letzte Halt auf dem regulären Linienverlauf angezeigt und dann das Ziel gewechselt werden).

Für mich geht es mit dem Bus weiter nach Baden. Auf einer Exkursion von der Uni war ich 2018 dort und konnte den im Bau befindlichen Bustunnel besichtigen. Also könnte ich diesen jetzt mal befahren. Doch leider verkehrt diese Linie nicht durch den Tunnel, also muss ich nochmal wiederkommen.
Am Bahnhof gelingt mir dann noch eine Aufnahme eines in den Tunnel einfahrenden Busses.
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Nach links geht es übrigens nicht nur in eine Tiefgarage, sondern auch auf die Hauptfahrradroute und einen Fußweg vom Bahnhof in die Stadt. Der mag zwar wettergeschützt sein, aber ganz sicher nicht schön. Die Frage, ob es denn noch zeitgemäß ist, Fußgänger und ÖV unter die Erde zu vergraben, damit oben Platz für Autos ist, wurde damals auf der Exkursion auch kurz angerissen und im Fall Baden offensichtlich mit ja beantwortet.

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Da es an diesem Wochenende auch Bauarbeiten zwischen Basel und Olten mit einigen Zugausfällen gab, wurden die IR 36 auf 12-Wagen-KISS verstärkt, um zusätzliche Kapazität zwischen Basel und Zürich anzubieten. Solche Kapazitätsanpassungen gelingen in der Schweiz i.d.R. sehr gut – ganz im Gegenteil zu Deutschland, wo auf der Gäubahn am Ostermontag lauter sehr überfüllte KISS und IC2 unterwegs waren, da die Rheintalbahn gesperrt war. Wer hätte das auch ahnen können, dass an diesem Tag wohl mit hohem Fahrgastaufkommen zu rechnen ist?

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Und da kommt auch schon mein 12-Wagen-KISS in Gegenrichtung unter der Burg hervor und wird mich überpünktlich zurück nach Basel bringen.
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
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