[CH] Die Schweiz mal wieder.

Eure Reportagen und Reiseberichte finden hier ihren Platz, gerne auch Bilder abseits von Gleisen
Antworten
Benutzeravatar
Entenfang
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 8138
Registriert: 27 Aug 2012, 23:19
Wohnort: München

Re: [CH] Die Schweiz mal wieder.

Beitrag von Entenfang »

Kontraste zwischen Chavornay, Orbe und Sainte-Croix

Gibt es eigentlich noch Bahnen in der Schweiz, auf denen nicht Stadler-Triebwagen an barrierefreien Bahnsteigen halten? Zugegebenermaßen – nicht mehr allzu viele, aber ein rustikales Kuriosum wollte ich noch besuchen, ehe es wohl bald verschwindet.
Nach über 4 Jahren ist es inzwischen gar nicht mehr so einfach, noch unbefahrene Strecken in einen sinnvollen Tagesausflug zu integrieren. Meine Streckenbefahrungsquote in der Schweiz dürfte wohl inzwischen 80% überschreiten.

Zuerst geht es mit Neigetechnik erst nach Biel, dann nach Yverdon-les-Bains.
Bild

Nach wenigen Minuten im KISS steige ich in Chavornay aus. Von dort führt die nur rund 4 km kurze Stichstrecke nach Orbe. EIU und EVU ist Travys.
Die Strecke ist aufgrund der Elektrifizierung mit 700 V Gleichstrom ein Exot im Eisenbahnnetz. Als 2020 der letzte verbliebene Triebwagen kaputt gegangen ist, stellte sich die Frage nach dem zukünftigen Fahrzeugeinsatz. Abhilfe fand man schließlich nach monatelangem SEV in Form von zwei Gebrauchtwagen der Stadtbahn Karlsruhe.

Bild
003 ist gerade aus Orbe angekommen und wird in Kürze seine 3 (!) Fahrgäste aussteigen lassen. Zum recht bescheidenen Fahrgastaufkommen trägt sicher bei, dass das nahegelegene Mittelzentrum Yverdon-les-Bains einen direkten Bus nach Orbe hat und man nach Lausanne hier in Chavornay umsteigen muss.
Der Bahnsteig reicht gerade so für die Türen. Oben ist der Streckentrenner zur SBB-Strecke zu sehen. Wie üblich, bleibt die Zulassung im Ursprungsland, daher das Kürzel D-TVYS. Angeboten wird Mo-Sa ein annähernder Halbstundentakt, wofür ein Fahrzeug ausreichend ist – theoretisch. Praktisch wollte ich den Ausflug bereits vor einer Woche machen – alle Züge im SEV mit Prognose bis Donnerstag. Also probiere ich es am Freitag und noch morgens sieht es so aus, als würden tatsächlich wieder alle Züge normal fahren. Ich nehme mein Fahrrad mit, um die Fotostellen besser erreichen zu können und anschließend noch eine kleine Tour in die Berge zu machen.

Der Bahnsteig liegt in einem engen Bogen vor dem Bahnhofsgebäude.
Bild

Der Innenraum ist nahezu im Originalzustand - die Polster sogar historisch.
Bild
Sogar die AVG-Piktogramme sind teils noch vorhanden, ergänzt um die Schweizer.

Bild
Der Rollbandkasten wurde durch einen Linienverlauf getauscht – viel gibt es da nicht darzustellen…

Bild
Ein Vorteil der AVG-Fahrzeuge dürfte neben der passenden Spannung die bereits vorhandene selektive Türfreigabe sein, denn auch im Karlsruher Netz gibt es diverse Bahnsteige, an denen nicht alle Türen geöffnet werden können.

Nach 8 Minuten ist bereits der Bahnhof Orbe erreicht.
Bild

Nach wenigen Minuten tritt der Triebwagen bereits die Rückfahrt an.
Bild

Während ich nun die nächste Verbindung heraussuche, stoße ich auf eine Hiobsbotschaft – ab 15:00 werden wieder alle Züge im SEV gefahren. Das bedeutet, dass ich insgesamt genau 6 Aufnahmen machen kann. Als Gründe für den häufigen SEV werden nur wage betriebliche oder technische Probleme genannt. Welche das sind, konnte ich nicht herausfinden.

Bild
Mit Blick auf die Alpenkulisse erreicht der Triebwagen nach nicht einmal einem halben Kilometer bereits den Hp St-Eloi.

Östlich von Orbe gibt es ein recht großes Industriegebiet, das durch den Hp Les Granges erschlossen wird. Irgendwie finde ich, dass dieser stark osteuropäisches Flair hat…
Bild

Und da marschieren gerade ein paar Männer in Orange zum abgestellten Güterzug. Wenige Minuten später wird vor der malerischen Kulisse von Orbe rangiert. Der Güterverkehr hat auf dieser Strecke durchaus Bedeutung. Unter der Woche verkehren mehrere Zugpaare pro Tag.
Bild

Bild
Der ganze Bereich hat etwas Unfertiges, Provisorisches, so ganz untypisch für die Schweiz. Den Verkehr an dieser perfekt geteerten Kreuzung regeln teils Baustellenampeln. Interessanterweise gibt es hier weder Andreaskreuze noch entsprechend BÜ-Warnanlagen.
Wenige 100 Meter weiter ist die Straße dagegen löchrig und ich muss Schlaglöchern ausweichen.

Bild
Das intensive Gelb des Rapsfeldes stellt den etwas blass lackierten Triebwagen in den Hintergrund.

Bild
In einem großen Bogen überwindet die Bahnstrecke den Höhenunterschied nach Orbe, im Hintergrund der Le Suchet.

Bild
Die Strecke zwischen Orbe und St-Eloi ist absolut modellbahntauglich mit ihren Brücken und dem reingequetschten Haltepunkt zwischen Brücke und BÜ…

Bild
Auf der Rückfahrt nochmal ein Bild mit Raps.

Bild
Um ein Haar hätte eine Baustelle und der deswegen gesperrte Feldweg mir das nächste Motiv versaut – keine Minute vor der Durchfahrt komme ich an der Fotostelle an. Im Hintergrund erhebt sich der Chasseron

Bild
Entlang der Kantonsstraße rollt der Triebwagen nach Chavornay. Links im Hintergrund entsteht bereits die neue Trasse, welche die Zukunft der Bahn sichern soll. Diese Lösung hingegen ist wieder sehr schweiztypisch – da sich der jetzige Bahnsteig weder sinnvoll verlängern noch barrierefrei ausbauen lässt, entsteht eine rund 1 km lange Neubaustrecke, die weiter nördlich von der Hauptbahn ausfädelt und zweigleisig ist. Ab 2027 sollen dann Direktzüge aus Lausanne nach Orbe verkehren, wofür auch das Stromsystem umgebaut wird. Ich bin mal gespannt, wie man die anderen beiden Haltepunkte umbaut.

Zwischen den zahlreichen Anschlussgleisen des Industriegebiets fährt der letzte Zug des Tages nach Orbe.
Bild

So bleibt noch ausreichend Zeit für eine Fahrradtour in die Berge.
Orbe stellt sich als sehr hübscher Geheimtipp heraus.
Bild

Bild

Bild

Bild

Bild

Bild

Schließlich bringen mich Landstraßen den Bergen näher.
Bild

Steil bergauf kreuze ich die Bahnstrecke Yverdon-les-Bains – Ste-Croix, welche ich vor etwa einem Monat ebenfalls befahren habe.
Bild

Bild
Die Felsen des Aiguilles de Baulmes ragen steil empor.

Rückblick – dort oben war ich Mitte März unterwegs, von Yverdon-les-Bains bin ich nach Sainte-Croix gefahren, was knapp unter der Schneegrenze lag.
Bild

Bild

Auf den Stadler-Triebwagen von Travys findet sich eine Sammlung an Worten.
Bild

Sie bieten einen etwas verbauten Zugang zum Mehrzweckbereich…
Bild

…sind auch innen unverkennbar in den Travys-Farben gehalten…
Bild

…und haben eine sehr luxuriöse 1. Klasse.
Bild

Ein paar Meter angestiegen, hat Puderzucker die Landschaft bestäubt.
Bild

Oben auf dem Grat war tiefster Winter…
Bild

Bild

…und die Sichtweite sehr beschränkt.
Bild

Bild

Bild

Bild

Neben ein paar Trailrunnern treffe ich nur noch Gämsen.
Bild

Bis zu meiner Rückkehr am Nachmittag war in den tiefsten Lagen der Schnee schon merkbar weniger geworden und dichter Nebel hing über dem Tal.
Bild
Beim Durchqueren der Nebelschicht fiel die Sichtweite deutlich unter 100 Meter.

Kehren wir in den sommerlichen Frühling zurück…
Bild

Vom Col de l´Aiguillon schweift der Blick über den Neuenburgersee zu den Alpen
Bild

Und weit oben das Gipfelkreuz des Aiguilles de Baulmes.
Bild

Und so sah es dort vor 1 Monat aus:
Bild

Bild

Blick über Ste-Croix – kaum zu glauben, wie sehr sich der Anblick der Landschaft in einem Monat ändern kann…
Bild

Nun kann ich erstmal entspannt rollen lassen. Ups, eine Straßensperrung wird angekündigt. Zum Glück kann man mit dem Fahrrad einen kleinen Feldweg fahren, ohne einen riesigen Umweg zu nehmen, sonst würde es mir nicht mehr zum nächsten Zug reichen… Der grandiose Blick entschädigt dafür großzügig.
Bild

Wieder unten im Tal komme ich nochmal an der Bahnstrecke vorbei und der BÜ schaltet sich gerade ein. Da kann man noch ein Bild im abendlichen Streiflicht mitnehmen…
Bild

Diese urigen Triebwagen sind leider nicht mehr im Einsatz.
Bild

Einen Besuch dieser Strecke kann ich nur empfehlen – hier gibt es sehr abwechslungsreiche Motive auf kurzem Weg in einer wenig bekannten Region. Wer sich das noch anschauen möchte, muss sich allerdings beeilen. Es ist davon auszugehen, dass ab Ende 2025 alle Züge im SEV verkehren werden, bis der Umbau ein Jahr später abgeschlossen ist. Hoffen wir, dass bis dahin den AVG-Triebwagen noch ein paar Betriebstage vergönnt sind.
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
Benutzeravatar
Jean
*Lebende Forenlegende*
Beiträge: 17181
Registriert: 29 Nov 2002, 10:51
Wohnort: München

Re: [CH] Die Schweiz mal wieder.

Beitrag von Jean »

Schöne Bilder. Danke.
Für den ÖPNV Ausbau Gegen Experimente und Träuereien. Eine Trambahn braucht einen eigenen Fahrweg, unabhängig vom MIV!
Fahrradwege auf Kosten des ÖPNV braucht keiner!
Benutzeravatar
Entenfang
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 8138
Registriert: 27 Aug 2012, 23:19
Wohnort: München

Re: [CH] Die Schweiz mal wieder.

Beitrag von Entenfang »

Bahnhofsfest Etzwilen

Ein schöner Sonntag soll für Trambahnfreak und Entenfang nicht ungenutzt bleiben – das Bahnhofsfest Etzwilen bietet eine gute Gelegenheit, regulär nicht im Personenverkehr bediente Strecken abzufahren.

Los geht’s viiiiiiiel zu früh in Basel, wo der Giruno zum Europapark noch mit technischen Problemen zu kämpfen hat.
Bild

Der IC nach Olten fährt dagegen relativ pünktlich. Von dort geht es weiter mit einem Extrazug zum Bahnhofsfest Etzwilen von SBB Historic. Aus der Beschreibung ging es nicht zweifelsfrei hervor, ob dieser die nicht im Personenverkehr bediente Strecke Mellingen – Wettingen befahren würde, aber es erschien mir zumindest plausibel. Also bleibt es spannend bis zum Schluss.

Eingesetzt wird ein Leichtstahl-Pendelzug aus 4 Wagen und einer Re 4/4 I.
Bild

Bild

Bild
Mit einem Rumms schließen die Türen, die auf mich etwas bunkerartig wirken.

Eine historische ÖV-Karte hängt im Einstiegsbereich.
Bild
Da die Farbe der Bundesbahnstrecken bereits ausgeblichen ist, wirkt es so, als gäbe es nur einzelne Bruchstücke des Netzes.

Der Zug ist gut gefüllt, doch es sind nicht alle Sitzplätze belegt. Man musste im Voraus Online-Tickets kaufen, um mitzufahren.

In Zofingen gibt es einen Betriebshalt zum Fahrtrichtungswechsel, doch man darf auch aussteigen. Einige Fahrgäste nutzen den Halt zum Fotografieren, andere eher zum Rauchen.
Bild

Alte und moderne Kanten
Bild

Dann geht es weiter über die wenig bekannte Nebenbahn nach Lenzburg. „Ah, hier an der Autobahn bin ich auch noch nie langgefahren“, bemerkt ein älterer Herr in der Nähe. Etwa dreiviertel der Fahrgäste dürften im Rentenalter sein, wie üblich fast nur Männer.
In Hunzenschwil wird zur Kreuzung nochmal ein längerer Halt eingelegt.
Bild

Interessant finde ich, dass auch die Lok mit den Wagen durchgängig begehbar verbunden ist.
Bild

Die Schweizer Eisenbahnfans verhalten sich im Allgemeinen sehr rücksichtsvoll und achten auf die Fotolinie.
Bild

Konzentriert im Führerstand – für etwa 700 CHF konnte man eine Führerstandsmitfahrt buchen.
Bild

Der Steuerwagen ist zur Hälfte ein Gepäckwagen mit Snackbar, aber irgendwie eine ziemliche Platzverschwendung.
Bild

Eine Zugbegleiterin geht durch den Zug und bietet Kaffee und Gipfeli an. Als sie zurückkommt, bekommt sie die Zwischentür nicht mehr auf. Sie zerrt und drückt, doch nichts passiert. Irgendein älterer Herr kommt ihr zu Hilfe und bekommt die störrische Tür schließlich auf. „Ich hatte auf dem Zug noch nie Dienst…“, meint die Zugbegleiterin.

Wir durchfahren Lenzburg ohne Halt. Die nächste Abzweigstelle fahren wir nach links, so weit, so klar. An der nächsten wird sich entscheiden, ob ich meine Streckenbefahrung bekomme oder nicht. Theoretisch wäre auch eine Fahrtroute über Brugg und Baden denkbar.
Es folgt Othmarsingen uuuuuuund…
…wir fahren rechts und damit via Mellingen! Tatsächlich stelle ich nach der Fahrt bei der Begutachtung meiner Streckenkarte fest, dass mir auch die Strecke Othmarsingen – Brugg noch fehlt, aber das kann man ja immer machen…
Obwohl es seit 1975 den zweigleisigen Heitersbergtunnel gibt, wurde die eingleisige Altstrecke betriebsfähig als Umleitungsroute behalten, auch wenn sie keinen regulären Personenverkehr mehr aufweist.

Bild
In Kloten gibt es nochmal einen längeren Fotostop.

In Winterthur wird nochmal ein kurzer Betriebshalt zum Tf-Wechsel eingelegt, dann geht es weiter durch Hügelland über die Strecke nach Etzwilen, wo der Museumszug pünktlich auf die Minute eintrifft.
Auf dem Bahnsteig ist es derart voll, dass man sich kaum bewegen kann. Hier kann man vernünftige Aufnahmen komplett vergessen. Ein Sicherheitsmann versucht zu verhindern, dass die Fotografen ins Gleisbett latschen. Doch für den perfekten Winkel wäre das eigentlich erforderlich, und so haben sie bereits ein paar Meter hinter das Bahnsteigende gedrängt. „Heee, jetzt bleibt mal bitte hier. Ihr geht immer weiter!“, versucht er mit mäßigem Erfolg die Fuzzis aufzuhalten.
Ok, das hier macht echt keinen Spaß und wir haben ohnehin nicht allzu viel Zeit, denn die nächste Streckenbefahrung steht bereits an – nämlich die mit der Museumsbahn Etzwilen – Singen, welche nur an wenigen Tagen im Jahr fährt.

Blick über die bunte Mischung ausgestellten Fahrzeuge – man hat mitgedacht und die S-Bahnen auf Doppeltraktionen verstärkt, was angesichts des hohen Andrangs auf jeden Fall eine gute Idee war.
Bild

Der Museumszug nach Singen soll auf einem grasüberwucherten Nebengleis halten – das bin ich aus der Schweiz gar nicht gewohnt... Mehr und mehr Fahrgäste sammeln sich, als die Abfahrtszeit näher rückt. Irgendwo in der Ferne des großen Bahnhofs dampft es, doch kein Zug ist in Sicht und die Abfahrtszeit verstreicht.

Als der Zug dann mit +15 bereitgestellt wird, ist er rappelvoll und es dauert mehrere Minuten, bis alle ausgestiegen sind. Wir sichern uns flott zwei Sitzplätze neben einem älteren deutschen Ehepaar.
Bild

Zahlreiche Fahrgäste stehen auf den offenen Plattformen und im Gang. Weitere Minuten verstreichen, der ältere Mann schaut die ganze Zeit unruhig aus dem offenen Fenster des stehenden Zuges. Jemand geht durch den Zug und verteilt Infoflyer zur Reaktivierung der Strecke für den Regelbetrieb. „Die kriegen ja nicht mal die Züge heute hin. Und dann wollen die so einen Unsinn machen“, grantelt der ältere Mann kurz darauf und schaut dann wieder aus dem Fenster. Mit +30 setzt sich der Zug dann mit einem Ruck in Bewegung. Der Mann setzt sich – ganz offensichtlich schlecht gelaunt – hin. Nach einer kurzen Strecke in Schrittgeschwindigkeit halten wir wieder an. Ein paar Minuten vergehen. „Wahrscheinlich stehen da wieder zu viele Leute auf den Gleisen. Die mussten schon mal die Polizei rufen…“, brummelt der Mann zu seiner Frau. Schließlich setzt sich der Zug wieder in Bewegung, abermals in Schrittgeschwindigkeit und der Mann setzt sich hin. Doch auch dieses Mal kommen wir nicht weit und halten nach 100 Metern wieder an, woraufhin der Mann wieder aufsteht und angestrengt aus dem Fenster blickt, als ob er dadurch den Zug schneller in Bewegung setzen könnte. Es dauert nochmal ein paar Minuten, ehe es weitergeht und dieses Mal verlassen wir den Bahnhof.
Bild

Bald folgt die spektakuläre Rheinbrücke und die ältere Frau bietet mir freundlicherweise an, vorübergehend ihren Fensterplatz einzunehmen, damit ich bessere Fotos machen kann.
Bild
Der Schaffner kämpft sich durch die vollen Wagen. „Wer zum SBB historic-Zug nach Olten möchte, steigt bitte in Rielasingen aus! Sie werden dort vom Postauto abgeholt.“ Auch wir überprüfen nochmal unseren weiteren Plan, doch der sieht ausreichend große Puffer vor, sodass uns die Verspätung vermutlich keine Probleme bereitet, vorausgesetzt, sie steigt nicht weiter an.
Wir erfahren noch, dass es offenbar ein technisches Problem gegeben hat und man deswegen zwei Wagen abhängen musste, was die Verspätung und zu geringe Kapazität erklärt.
Auch in Rielasingen gibt es ein großes Bahnhofsfest und das ältere Ehepaar steigt hier aus. Es wird mir ewig ein Rätsel bleiben, wie man sich so sehr über die Verspätung eines Museumszug echauffieren kann, wo man ja ohnehin nur zum Spaß mitfährt…
Der Zug setzt seine Fahrt durch Felder und vorbei an Häusern mit kleinen Gärten fort. Immer wieder winken Kinder dem Zug zu und Erwachsene filmen mit dem Handy.

Erst seit 2020 ist wieder die gesamte Strecke bis Singen befahrbar. Die größte Herausforderung war offenbar dieser Kreisverkehr in Singen, welcher mit großem Aufwand für die Zugdurchfahrt gesichert wird.
Bild

Bild

Schließlich nähern wir uns dem Bahnhof Singen, links ein Anschlussgleis, dass offenbar noch benutzt wird.
Bild

Nach regem Fahrgastwechsel und Umsetzen der Lok geht es immer noch sehr gut gefüllt wieder zurück.
Bild

In Ramsen hält der Zug dann wieder länger und aufgrund des Verhaltens des Zugpersonals ist zu erwarten, dass es auch noch ein bisschen länger dauern wird. So beschließen wir, hier auszusteigen und mit dem Bus weiterzufahren.
Bild

Die Reaktivierungsstudien haben der Strecke einen positiven Nutzen-Kosten-Faktor bescheinigt und es ist mit Förderung durch das Land Baden-Württemberg zu rechnen. Auf Schweizer Seite ist das Interesse aber überraschend gering und so scheint derzeit eine Reaktivierung nur zwischen Singen und Ramsen am wahrscheinlichsten, was schon sehr kurios wäre.

https://www.singen.de/informieren/aktue ... gen+ramsen

https://www.singen.de/informieren/aktue ... eitsstudie

Saubere Trennung der Haltekanten zwischen deutschem und Schweizer Bus
Bild

Der Bus kommt leicht hinter Plan und der Busfahrer schaut uns unmotiviert an, als wir einsteigen. Dementsprechend ist auch sein Fahrstil. Nach rund zehn Minuten erreichen wir den Rand der Altstadt von Stein am Rhein.
Bild

Hier gibt es eine kleine Parkeisenbahn
Bild

Hübsch ist Stein am Rhein auf jeden Fall
Bild

Bild
Aber wird es auch hübsch bleiben? Ob mit dem Bau von Windrädern nun 200 Meter hohe Masten die Landschaft prägen oder man gar nichts davon sieht, bleibt unklar…

Bild
Durch die Trockenheit im Frühjahr herrscht im Rhein Niedrigwasser

Bild
Auf dem Weg zum Bahnhof kann ich gleich noch einen der Fotospots der Grand Tour of Switzerland mitnehmen. Irgendwann möchte ich mal alle 88 besuchen...

Bild


Als wir am Bahnhof eintreffen, fährt auch schon die hier wendende S29 ein, welche uns zurück nach Winterthur bringen wird.
Bild

Bild

Das Bahnsteiggleis wurde zum Stumpfgleis, um Platz für die Rampe zum anderen Bahnsteig zu schaffen.
Bild

Mit leichten Schleudereinlagen (die entgegen der ersten Vermutung von Trambahnfreak wohl doch nicht nur auf den bei Thurbo üblichen Fahrstil zurückzuführen sind) rollen wir durch das sanfte Hügelland mit kleinen Dörfern, die von Kirchtürmen mit ihren riesigen Uhren geprägt sind.
Von Winterthur geht es weiter nach Bülach, dann mit der S-Bahn Zürich (2 min zu spät, abgesehen vom Museumszug die erste Verspätung heute!) bis Oberglatt und dann zwecks Streckenbefahrung auf die Stichstrecke nach Niederweningen. Aufgrund der baustellenbedingten Wochenendsperrung Zürich – Pfäffikon gibt es eine Durchbindung Niederweningen – Chur via Zürich - Rapperswil, ein wirklich sehr kurioser Zuglauf, welcher kapazitätsstarke 12-Wagen-KISS auf die kleine Nebenbahn bringt.
Bild

Der erste Teil der Strecke ist industriell geprägt, dann folgen wieder saftig grüne Wiesen mit Kühen. IN Niederweningen gibt es nicht viel abgesehen von einem komfortablen Übergang zum Bus.
Bild
Dass man hier 300 Meter lange Bahnsteige gebaut hat, ist auch sehr beeindruckend – auf jeden Fall war es sehr weitsichtig.

Bild
Angeschrieben ist der Zug allerdings nur bis Rapperswil, was einer Vorgabe der Alliance Swisspass als Branchenorganisation darstellt, die sich u.A. mit einem einheitlichen Erscheinungsbild von DFI und Wegeleitsystemen befasst, aber auch Standards für Fahrzeugbeschilderung im Umleitungsfall setzt (es soll immer der letzte Halt auf dem regulären Linienverlauf angezeigt und dann das Ziel gewechselt werden).

Für mich geht es mit dem Bus weiter nach Baden. Auf einer Exkursion von der Uni war ich 2018 dort und konnte den im Bau befindlichen Bustunnel besichtigen. Also könnte ich diesen jetzt mal befahren. Doch leider verkehrt diese Linie nicht durch den Tunnel, also muss ich nochmal wiederkommen.
Am Bahnhof gelingt mir dann noch eine Aufnahme eines in den Tunnel einfahrenden Busses.
Bild
Nach links geht es übrigens nicht nur in eine Tiefgarage, sondern auch auf die Hauptfahrradroute und einen Fußweg vom Bahnhof in die Stadt. Der mag zwar wettergeschützt sein, aber ganz sicher nicht schön. Die Frage, ob es denn noch zeitgemäß ist, Fußgänger und ÖV unter die Erde zu vergraben, damit oben Platz für Autos ist, wurde damals auf der Exkursion auch kurz angerissen und im Fall Baden offensichtlich mit ja beantwortet.

Bild
Da es an diesem Wochenende auch Bauarbeiten zwischen Basel und Olten mit einigen Zugausfällen gab, wurden die IR 36 auf 12-Wagen-KISS verstärkt, um zusätzliche Kapazität zwischen Basel und Zürich anzubieten. Solche Kapazitätsanpassungen gelingen in der Schweiz i.d.R. sehr gut – ganz im Gegenteil zu Deutschland, wo auf der Gäubahn am Ostermontag lauter sehr überfüllte KISS und IC2 unterwegs waren, da die Rheintalbahn gesperrt war. Wer hätte das auch ahnen können, dass an diesem Tag wohl mit hohem Fahrgastaufkommen zu rechnen ist?

Bild
Und da kommt auch schon mein 12-Wagen-KISS in Gegenrichtung unter der Burg hervor und wird mich überpünktlich zurück nach Basel bringen.
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
Benutzeravatar
Entenfang
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 8138
Registriert: 27 Aug 2012, 23:19
Wohnort: München

Re: [CH] Die Schweiz mal wieder.

Beitrag von Entenfang »

ÖPNV für Großveranstaltungen – ein Praxisbeispiel mit fotografischer Begleitung

Dieses Jahr hört man in Basel gelegentlich vom „Event-Sommer“. Und der hat schon begonnen, bevor der Sommer überhaupt angefangen hat. Neben den alljährlich wiederkehrenden Veranstaltungen wie Fasnacht, Fantasy und Herbstmesse gibt es dieses Jahr auch noch ESC und Frauen-Fußball-EM, neben ungefähr 176 verschiedenen Baustellen. Nun ist der ESC zu Ende gegangen – Zeit für einen kleinen Rückblick.

Teil 1

Der ESC begann am Sonntag vor 1 Woche mit einer fulminanten Eröffnungsfeier, bei der die ESC-Stars mit historischen Trambahnen vom Marktplatz zum Messeplatz in die Eurovision Village gefahren wurden. Da war ich aber nicht vor Ort, also gibt es davon leider keine Bilder.

Während der ESC-Woche wurde der Düwag 628, welcher in eine Partytram umgebaut wurde, zur Karaoke-Tram. Diese Idee hat eingeschlagen wie eine Bombe und war äußerst beliebt bei den Fahrgästen. Zunehmend wurde auch die Presse darauf aufmerksam und es gab zahlreiche Berichte darüber.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stad ... ld.2772887
Ricola trat als Sponsor auf und so konnte man seine Stimme vor und nach dem Gesang gleich ölen 😉
Mitfahren konnte man nur mit einem vorab online zu buchenden Gratis-Ticket, aber oft gab es auch spontan noch freie Plätze. Eine Runde dauerte etwa eine Stunde und führte kreuz und quer durch die Stadt. Da habe ich mich natürlich auf die Lauer gelegt und auch die eine oder andere Gelegenheit zur Mitfahrt genutzt. Zum Glück hatte ich Ohrstöpsel dabei - und das nicht nur wegen des teils schrägen Gesangs, sondern vor allem wegen der Lautstärke…
Bild

Bild

Dafür sorgten passende Lautsprecher. Zur Stromversorgung mussten zusätzliche Akkus mitgeführt werden.
Bild

Vor dem Einsteigen gab es für jeden Fahrgast eine Nummer. Während der Fahrt zog der DJ dann eine „Lottokugel“ und die entsprechende Person durfte dann singen.
Bild

Gefahren wurde stündlich von 14 bis 21 Uhr, wobei die ersten Fahrten oft weniger voll waren und man im vorderen Teil reichlich Sitzplätze vorfand, wenn man nicht auf die Sing- und Tanzfläche wollte.
Bild

Mit dem Fahrrad konnte man auf jeder Runde mehrere Fotos machen, sodass sich in kurzer Zeit ein umfangreicher Bilderbogen erstellen ließ.

Brombacherstrasse
Bild

Dreirosenbrücke
Bild

Johanniterbrücke
Bild

Unispital
Bild

Margarethenbrücke
Bild

Tellplatz
Bild

Heiliggeistkirche
Bild

Denkmal
Bild

Aeschenplatz
Bild

Dichter Trambetrieb…
Bild

Schifflände
Bild

Mittlere Brücke (nur echt mit der Endlosbaustelle Globus im Hintergrund)
Bild

Treffen der Veteranen an der Rheingasse – die Schindler-Wagen der BLT sollen bis Ende des Jahres endgültig ausgemustert werden.
Bild

Wettsteinbrücke
Bild

Bild

Clarastrasse
Bild

Neben den Hauptproben gab es auch noch die beiden Halbfinale in der St. Jakobs-Halle zu bestaunen, sozusagen auch die Generalprobe für den ÖPNV.
Am Dienstagabend wartet Wagen 5021 in ESC-Vollwerbung auf Fahrgäste Richtung Stadt.
Bild

Da bei diesen Veranstaltungen nur rund 6000 Zuschauer in der Halle Platz fanden, stellte der Abtransport keine allzu große Herausforderung dar.
Bild

Eine kleine Überraschung war dann aber, dass vor dem Voting plötzlich recht viele Menschen aus der Halle kamen und nicht bis zum Showende blieben.


Ein paar weitere Eindrücke aus der Stadt:
Wie üblich mit bunten Fahnen geschmückt ist die Mittlere Brücke, die ein TINA berumpelt äh fährt.
Bild

Abgesehen vom Regen am Montag wurde Basel während dieser Woche mit viel Sonne belohnt
Bild

Sicherheit wurde sehr wichtig genommen. Alle Veranstaltungsorte waren durch Fahrzeugsperren abgesichert. Nur die Tram durfte durch und so entstand am Messeplatz für mich fast der Eindruck, dass sich die Trambahnen um Panzersperren schlängeln…
Bild

Bild

Um in die Innenbereiche der Veranstaltungen zu kommen, musste man sämtliche Taschen abgeben und auch noch durch eine Sicherheitskontrolle, vor der sich oft lange Schlangen bildeten.
Bild

Speziell für Events wurde ein neuer interaktiver Infopoint entwickelt, welcher aber nach meinen Beobachtungen nicht allzu rege genutzt wurde.
Bild

Die ESC-Tram fährt in die letztes Jahr frisch sanierte Haltestelle Messeplatz ein.
Bild
Hier befand sich auch der Einstieg zur Karaoke-Tram, was angesichts des dichten Takts nicht immer ganz behinderungsfrei für die Plankurse vonstattenging, aber mangels geeigneter Ausweichgleise in Innenstadtnähe auch nicht wirklich anders machbar war.

Wohldurchdacht waren auch Bühnen unter dem riesigen Dach der Messe aufgebaut, in denen frei zugängliche Konzerte stattfanden, aber man teils auch selbst Karaoke praktizieren konnte. Weniger wohldurchdacht war dagegen, dass sich auch die öffentlichen Toiletten nur hinter der Sicherheitskontrolle befanden und die Ausrichtung der Bühne dazu einlud, dass sich die Zuschauer auf die Gleise stellten.
Bild

Bild

Bild

Eine Kunstinstallation, die Klangwellen darstellen soll, findet sich am Messeplatz.
Bild

Ein Novum in Basel waren Bodenmarkierungen zur Orientierung. Man kann es gar nicht glauben, wie viele verschiedene Stellen für etwas vermeintlich so Simples ihren Senf dazugeben…
Bild

Neben den Bodenmarkierungen wurden auch an den Haltestellen sowie auf der DFI in den Fahrzeugen entsprechende Hinweise auf die wichtigsten ESC-Orte angezeigt.
Bild
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
Benutzeravatar
Entenfang
"Lebende Forenlegende"
Beiträge: 8138
Registriert: 27 Aug 2012, 23:19
Wohnort: München

Re: [CH] Die Schweiz mal wieder.

Beitrag von Entenfang »

Teil 2 – Finale furioso

Am Samstagabend fand das Finale statt. Bei schönstem Wetter waren jedoch auch im Verlaufe des Tages zunehmend mehr Menschen in der Innenstadt unterwegs. Um etwa 14:30 Uhr war die Lage am Messeplatz noch vergleichsweise ruhig, doch die Polizei hat bereits die hier querende Straße für den MIV komplett gesperrt. Die Autos konnten zu dem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr fahren, weil ständig Fußgänger über die Zebrastreifen gelaufen sind.
Bild

Da fährt mir gerade die ESC-Tram vor die Linse
Bild

Schnauzenvergleich zwischen ESC-Flexity und Combino
Bild

Gegen 16:00 musste die Polizei dann schon mithelfen, die Gleise halbwegs freizuhalten. Nicht zugelaufene Bilder waren zu diesem Zeitpunkt schon längst aussichtslos.
Bild
Zahlreiche Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe halfen bei der Fahrgastinformation sowie bei der Abfertigung mit.
Als ich wenig später mit der Tram durch die Stadt fahre, schiebt sich diese quasi durch die Menschenmassen. Das System beginnt zu kippen, wenig später entstand der in Basel allzu bekannte Tramstau durch die Innenstadt.


Bild
Der Schein eines ruhigen Abends trügt. Ab etwa 20 Uhr legt eine unbewilligte Palästina-Demo den Verkehr in der Innenstadt lahm. Zum Glück war zu diesem Zeitpunkt bereits ein Großteil der Zuschauer zum Veranstaltungsort am St. Jakob gelangt.
Zwischenzeitlich war die Mittlere Brücke komplett gesperrt. Nicht nur alle Tramlinien, sondern sogar Fußgänger mussten über die Wettsteinbrücke ausweichen.
Bild

Bild
Erst mit massivem Polizeiaufgebot kann die Demo etwa zwei Stunden später in der Feldbergstraße gestoppt werden. Die Auflösung wird bis in die frühen Morgenstunden dauern.

Ein letztes Mal bricht die Karaoke-Tram in der Dämmerung auf und überquert die Dreirosenbrücke.
Bild

Da ich kein Fahrrad dabeihabe und unklar ist, wo der Düwag aufgrund der Demo durchfahren wird, kehre ich bald zum Messeplatz zurück. Zur blau-lila-Stunde wartet ein Flexity den Fahrgastwechsel ab.
Bild

Es folgt 5042 – schön zu sehen sind hier die um das türkise Band ergänzten Stelen mit dem Hinweis auf die Eurovision Village.
Bild

Klare Beschilderung weist den Weg zu den wichtigsten Veranstaltungsorten.
Bild

Zahlreiche Zuschauer eines frei zugänglichen Konzerts stehen im Haltestellenbereich.
Bild

Bald sollte der Düwag wiederkehren…
Bild

Und hier ist er. …gonna be a good, good night… dröhnt es aus dem Wagen. Da bleibt noch reichlich Zeit für ein Foto, bis der letzte Song zu Ende gesungen ist. …tonight´s gonna be a good night…
Bild

Dann kehrt Ruhe ein.
Bild

Bild

Bild
Jetzt ist es nur noch das krrrk-krrrk der Kurbel, die Musik macht.

Die Nacht schreitet ebenso voran wie das Finale. Zeit, zum Hotspot des Abtransports zu fahren. Als ich mit dem Bus ankomme, warten bereits zahlreiche Menschen, die abermals vor dem Beginn des Votings gegangen sind. Während des Finales ist der gesamte Straßenbereich um das Stadion als Veranstaltungsort gesperrt. Die Busse fahren eine Umleitung, wie sie auch zu Fußballspielen üblich ist und insbesondere bei Spielen am Nachmittag oft für große Verspätungen sorgt, weil sie über einen stauanfälligen Autobahnabschnitt führt. Doch jetzt, bereits nach Mitternacht, stellt das kein Problem dar.
Bild
Die Ersatzhaltestelle in der Hagnaustrasse ist eigentlich eher ungeeignet für den Abtransport großer Massen, da die Wartefläche dort sehr eng ist. Aber es gibt keine wirklich sinnvolle Alternative.

Muss man in kurzer Zeit so viele Menschen transportieren, braucht man viele, viele Busse. Doch was tun, wenn man gar nicht so viele hat? Busse zu organisieren, ist leichter gesagt als getan. In der Regel ist es kein allzu großes Problem, irgendwo in der Schweiz überzählige Busse aufzutreiben. Das Personal dafür zu finden, ist schon etwas schwieriger, vor allem, wenn idealerweise auch zumindest rudimentäre Ortskenntnisse vorhanden sein sollen.
Damit die Fahrzeuge sinnvoll auf einer regulären Linie mitschwimmen können, müssen sie zumindest die LSA ansteuern können und in der Leitstelle sichtbar sein. Dies funktioniert nur mit Bussen, welche das passende System auf dem Bordrechner haben. In Basel sind das BVB und BLT, das Subunternehmen Margarethenbus sowie in geringen Umfang Südbadenbus (DB). Da die Margarethenbus keine Gelenkbusse hat, sind deren Fahrzeuge für den Veranstaltungsverkehr völlig ungeeignet.
Im Fall ESC konnte Unterstützung durch die AAGL Liestal gestellt werden, deren Busse jedoch weder die LSA ansteuern noch mit der Leitstelle in Kontakt treten können. Daher wurden sie ausschließlich auf ausgewählten Verstärkerkursen zwischen St. Jakob und Badischer Bahnhof eingesetzt (an einer Bus-LSA musste währenddessen durch eine Person vor Ort die Freigabe manuell angefordert werden) sowie auf dem P+R-Shuttle.
Bild
Die angebotenen Parkflächen, welche sich alle in großer Entfernung zum Veranstaltungsort befanden, waren nicht vollständig ausgelastet – ein erfreulich hoher Anteil der Besucher reiste mit dem ÖV an.

Die Ruhe vor dem Sturm – um 0:31 ist das Fahrgastaufkommen noch recht überschaubar.
Bild

Um 1:00 sind die Einsatzkurse in der Abstellanlage bereitgestellt und warten auf den Abruf, der durch das Personal vor Ort koordiniert wird.
Bild

Dann – um 1:01 - bricht auf einmal großer Jubel aus. Ein kurzes Feuerwerk erleuchtet den Nachthimmel…
Bild

…und nur Sekunden später kommen die ersten aus dem Stadion vom Public Viewing gerannt. Dann setzt ein Menschenstrom von allen Seiten ein. Nur sieben Minuten sind seit dem vorherigen Bild vergangen und sowohl die Haltestelle stadteinwärts wie auch die stadtauswärts sind voller Menschen.
Bild

Weitere 11 Minuten später drängen sich die Menschen im gesamten Haltestellenbereich und darüber hinaus.
Bild

Nur durch starken personellen Einsatz können die Gleise freigehalten werden. Der nächste Kurs rollt im Schritttempo in die Haltestelle.
Bild

Der gesamte Abtransport geht äußerst gesittet und gut organisiert vonstatten. Das ESC-Publikum wirkte auf mich sehr angenehm und vernünftig, ganz anders als Fußballfans üblicherweise sind.
Bild

Aber nun die große Frage – wie komme ich jetzt eigentlich zurück in die Stadt, ohne mich ins Getümmel zu stürzen? Die Lösung: Shuttle-Züge der SBB, auf die per Durchsagen hingewiesen wird, damit die größtenteils ortsunkundigen Gäste den versteckten Bahnsteig finden. Im 7-Minuten-Takt fahren kapazitätsstarke Züge zum Bahnhof SBB und von dort weiter zu verschiedenen Destinationen in der ganzen Schweiz.
Bild
Neben den regulären Nacht-S-Bahnen, die in allen Wochenendnächten verkehren, konnte man bis Lausanne, Zürich und sogar nach Strasbourg und Freiburg fahren. Das Angebot an zusätzlichen Zügen war hervorragend.

Bild
Auch das städtische Nachtangebot wurde in der ESC-Woche deutlich ausgeweitet. Als Novum für Basel gab es auch in den Nächten von Sonntag bis Donnerstag ein Nachtangebot, welches aus einem speziell auf den ESC abgestimmten Nachtnetz bestand.
https://eurovision-basel.ch/wp-content/ ... htnetz.pdf
Neben den Nacht-S-Bahnen verkehrten die BLT-Tramlinien 11 und 17 auf einem besonderen Linienweg, um vom Messeplatz über die Eurovision Street am Barfüsserplatz Direktverbindungen in die Region zu schaffen. Durch die BVB wurden die Tramlinie 6 sowie eine Tram-Ringlinie türkis und eine Bus-Ringlinie pink angeboten. Die Ringlinien verkehrten im 20-min-Takt, alle anderen Linien im üblichen Stundentakt. Am Wochenende wurde das reguläre Nachtnetz im Stundentakt um die Sonderlinien im Stundentakt und die beiden Ringlinien im 20 Min-Takt ergänzt. Dem Vernehmen nach war die Nachfrage insbesondere unter der Woche eher bescheiden, was möglicherweise auch auf das etwas schwer verständliche Angebot zurückzuführen ist.

Ungewohntes Bild am Messeplatz – ein Tango sammelt Fahrgäste Richtung Ettingen ein.
Bild

Ein TINA wartet auf die Abfahrt Richtung Badischer Bahnhof.
Bild
Bereits ab 2028 könnte das zum Alltag werden, denn die „Margarethenverbindung“ genannte Gleisverbindung zwischen Dorenbach und Margarethen soll dann fertiggestellt sein und die Tramlinie 17 aus dem Leimental via Bahnhof SBB und Wettsteinplatz zum Badischen Bahnhof verkehren.

Ein unbekannter Flexity passiert die Klangwellen
Bild

Flexity 5006 wartet auf die Abfahrtszeit am Messeplatz
Bild
Zwar wurde die Linie korrekt in der EFA und auf den DFI angezeigt, dennoch dürfte das nicht vorhandene Ziel möglicherweise eine Hürde zur Nutzung gewesen sein.

Ähnlich verhielt es sich mit der Bus-Ringlinie.
Bild

Bild
Im Fahrzeug war diese als Linie 595, der internen Liniennummer, angeschrieben. Die „bunten“ Linien orientierten sich an der Museums- und Industrienacht, während denen es ebenfalls mit Farben bezeichnete Speziallinien gibt, um die Veranstaltungsorte bestmöglich zu erschließen.

Fazit:
Auch wenn es sicher noch den einen oder anderen Punkt gibt, den man hätte verbessern können, war mein Eindruck, dass der ÖPNV sehr gut funktioniert hat. Das Konzept war wohldurchdacht und vorbildlich zwischen den unterschiedlichen Verkehrsunternehmen abgestimmt. Insbesondere durch die Karaoke-Tram gab es zahlreiche positive Presseberichte und dadurch auch endlich mal eine entsprechende öffentliche Wahrnehmung – allzu oft erscheint der ÖPNV ja nur im Zusammenhang mit Verspätungen, Ausfällen, Unfällen oder durch Gegner von Tramprojekten in der Presse…
Der ESC war eine Chance für den ÖPNV in der Region Basel, die genutzt wurde.
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
Antworten