Taschenschieber @ 11 Jun 2009, 11:35 hat geschrieben: Imho muss jetzt auch wieder diskutiert werden, ob vllt. die Nothalte nicht wirklich wahrgenommen werden und man vllt. eine Hinweisbroschüre mit Notfallhinweisen auslegen sollte, damit die Leute im Notfall wissen, wo Nothalt, Notbremse, Defillibratoren etc. sind.
Wurde ja gemacht, u.a. über Spots auf Infoscreen und mit Plakaten. Ich glaube nicht dass das viel bringt, die Leute sind alle der Meinung "brauch ich doch eh nie" - bis sies halt doch mal brauchen.
Bei einem Vorfall treffen mehrere Probleme aufeinander.
Zum einen denken viele Leute "es kümmert sich schon ein andrer drum" und tun dann gar nicht, könnte ja mit Umständen verbunden oder gar gefährlich sein. Als ich einmal bei ner Schlägerei dabei war (also als Passant), war ich der einzige, der nachm Handy gegriffen und die Polizei gerufen hat - das dürfte nicht daran gelegen haben, dass die anderen nicht wussten, wie man ein Handy bedient.
Zum anderen stellt sich aber auch das Problem, dass man im Notfall ziemlich aufgeregt ist, und da nicht so reagiert, wie man es sich zu Hause vorm PC ausmalt. Hinterher fragt man sich dann, warum man das nicht so und so gemacht hat.Das kann ich ebenfalls aus eigener Erfahrung so sagen.
Beide Probleme kann man durch eine normale Infokampagne nur sehr eingeschränkt angehen. Um für den Notfall gerüstet zu sein, reicht es nicht, sich einmal son Flugblatt mit mäßigem Interesse anzuschauen, sondern man muss sich öfters mal vor die Notfalleinrichtungen stellen, schauen, wie man sie bedient, wo sie sind etc. Und auch dann besteht immer noch die Gefahr, falsch oder zu langsam zu reagieren.
Als größtes Problem sehe ich aber nach wie vor, dass eben nur ein sehr kleiner Teil der Leute wirklich was tut. Wenn auf einem Bahnsteig 20 Leute anfangen zu reagieren, steht die Chance nicht schlecht, dass wenigstens einer davon zum Nothalt rennt. Wenn aber 19 sehen, dass einer irgendwas tut, und dann eben selber nichts tun, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass dieser eine irgendwas macht, was nicht zielführend ist, und nicht zielführend wäre in dem Fall z.B. die Betätigung des Bahnsteignotrufs.
Außerdem sollte es bei der MVG "Mobilitätshelfer" geben, die Blinden, Rollstuhlfahrern und anderen Leuten mit Mobilitätseinschränkung bei Bus- und Bahnfahrten helfen. Nicht an jeder HST, aber an einigen Knotenpunkten, an anderen Stellen kann einer mit Voranmeldung 30 Min. vor Fahrtantritt "bestellt" werden. Auch das würde helfen, solche Unfälle zu vermeiden.
Die Silberhornstraße ist kein allzu wichtiger Knotenpunkt (weil irgendwie Knotenpunkt mit Bus oder Tram ist eigentlich fast jeder U-Bahnhof), und wäre daher nach Deinem Modell ohnehin unbesetzt gewesen. Außerdem kann ein Mobilitätshelfer auch nur an einer Stelle sein, und hätte von dem Unfall ggf. gar nichts mitbekommen.
Ich halte ehrlich gesagt nicht so viel von der Idee, weil in irgendeiner Weise körperlich behinderte Leute haben ja noch mehr Gefahren als nur die U-Bahn, ein Blinder könnte z.B. einen Abhang runterfallen oder von einem Auto erwischt werden.
Wenn ein Blinder Begleitung braucht, sollte er sie bekommen, dann aber nicht nur im Bereich von U-Bahnhöfen, und auch da nur wenn zufällig ein Mitarbeiter da ist, sondern auf dem gesamten Weg, wo er die Hilfe braucht. Deswegen kann so ein Begleitdienst auch nur allgemeiner Art und nicht auf die eigentlichen Verkehrsmittel beschränkt sein. Wenn der Blinde dagegen der Meinung ist, er schafft den Weg auch alleine, wird er sich sicherlich auch nicht vorher bei der MVG anmelden - schon allein der Selbstständigkeit wegen.
Lazarus @ 11 Jun 2009, 15:15 hat geschrieben:kein Wunder, das sich keiner traut, einen Nothalt oder Notbremse zubetättigen. Da steht ja gross drunter Missbrauch strafbar und das istein äusserst dehnbarer Begriff juristisch gesehen
Nein, der Begriff ist nicht dehnbar. Missbrauch ist es, wenn eindeutig ohne Grund gezogen wurde. Eine Fehleinschätzung ist kein Missbrauch! Wir können ja einfach mal ins Gesetz schauen. $145 StGB meint dazu:
(1) Wer absichtlich oder wissentlich
1. Notrufe oder Notzeichen mißbraucht oder
2. vortäuscht, daß wegen eines Unglücksfalles oder wegen gemeiner Gefahr oder Not die Hilfe anderer erforderlich sei,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Wer absichtlich oder wissentlich
1. die zur Verhütung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr dienenden Warn- oder Verbotszeichen beseitigt, unkenntlich macht oder in ihrem Sinn entstellt oder
2. die zur Verhütung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr dienenden Schutzvorrichtungen oder die zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr bestimmten Rettungsgeräte oder anderen Sachen beseitigt, verändert oder unbrauchbar macht,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 303 oder § 304 mit Strafe bedroht ist.
Man muss sich also bewusst sein, dass es ein Missbrauch ist.
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Zu dem Fall selber: Auch wenns mal wieder modern ist, den Fahrern alles mögliche vorzuwerfen, sehe ich das hier nicht so.
Die Abendzeitung schreibt dazu:
Laut Polizei kann er die Frau im Gewusel nicht gesehen haben
Sobald auch nur eine Person zwischen Fahrer und Ort des Unfalls steht (was bei dem Unfallort am vorletzten Wagen schon ein Wunder wäre, wenn da keiner im Weg steht), hat der Fahrer keine Chance, davon etwas mitzubekommen, ganz egal ob er jetzt in den Spiegel schaut oder draußen steht. Das kann jeder selber nachprüfen, schaut halt mal beim Einsteigen an der ersten Türe nach rechts, und achtet mal darauf, wie viel man da sieht.
Auch das Hochklettern selber konnte er nicht sehen, außer die Frau war schon halb auf dem Bahnsteig - schließlich steht da sogar ein massiver Zug in der Sicht.
Die Spiegelabfertigung ist tendentiell sogar sicherer als die Abfertigung per rausgehen, weil der Zeitraum, in der der Fahrer den Zug einsehen kann, länger ist - und er den Zug bis zur Vorbeifahrt am Spiegel im Blick hat.
Bis zur vollzogenen Anbringung von ausreichenden Sandstreuapparaten an allen Maschinen haben die Bahnwärter bei aufwärtsgehenden Zügen auf stärkeren Steigungen die Schienen ausgiebig mit trockenem Sand zu bestreuen und für die Bereithaltung eines entsprechenden Vorrathes zu sorgen.
Fahrdienstvorschrift bayerische Staatsbahnen 1876