SZ, Druckausgabe, 17.05.2004Vergleich der S-Bahn-Systeme von Hamburg und München
Dort Pünktlichkeit, hier Geschwindigkeit
Die Hanseaten rüsten ihre Nahverkehrszüge teuer auf - die MVG hofft, ein paar technische Tricks zu lernen
Von Dominik Hutter
Macht was her - die Stahlkonstruktion, über die die weiß-roten Züge gen Hauptbahnhof rattern. Unten der breite Arm der Norderelbe inmitten einer gigantischen Industrielandschaft, im Hintergrund die Silhouette mit den Türmen von Rathaus und Michel. Hamburg wie aus dem Bilderbuch. Betrachtet von einem echten Engpass aus: Denn diese Eisenbahnbrücke ist die einzige Schienen-Querung Hamburgs über die Elbe - und die letzte vor der Mündung in die Nordsee. Wer mit der S-Bahn vom Stadtzentrum nach Südwesten will, muss erst einmal Richtung Südosten fahren.
Spricht man mit Exil-Hanseaten über die Hamburger S-Bahn, hört man wüste Flüche über Uralt-Züge und verwahrloste Bahnsteige. ¸¸Wir hatten ein echtes Image-Problem", gibt S-Bahn-Geschäftsführer Werner Wojtaschek zu. Betonung auf ¸¸hatten". 1997, mit Gründung einer eigenständigen S-Bahn-Gesellschaft, begann die Modernisierung des Nahverkehrssystems - in Form einer Halbmilliarden-Investition. Seither wurden die Bahnhöfe auf Vordermann gebracht und 103 neue Triebzüge angeschafft. Der Rest des 165 Fahrzeuge starken Fuhrparks erfährt ein Redesign-Programm. Eine neue Betriebs- und Service-Zentrale ist am Netz. Und die Verantwortlichen der Münchner S-Bahn, die ebenfalls ein Image-Problemen haben, beobachten nun die Renaissance im Norden mit großer Aufmerksamkeit.
An der Elbe halten im Jahresschnitt 94 Prozent der Züge den Fahrplan bis auf zwei Minuten ein. Rechnet man nach dem bahnüblichen Maßstab - Verspätungen von mehr als fünf Minuten - kommt man gar auf 98 Prozent Pünktlichkeit. Zum Vergleich: In München werden nicht einmal 91 Prozent erreicht - gerechnet nach dem großzügigeren Modell. Dieser Unterschied hat vor allem zwei Gründe: Da die Hamburger S-Bahn, anders als der Rest des DB-Netzes, mit 1200-Volt-Gleichstrom aus einer Stromschiene fährt, stehen ihr ganz zwangsläufig eigene Gleise zur Verfügung. Und: Ist im S-Bahn-Tunnel zwischen Hauptbahnhof und Altona alles dicht, weicht man einfach auf die parallel verlaufende Strecke übers Dammtor aus. In München läuft alles anders: Die S-Bahn, ausgelegt auf die bahnüblichen 15 000 Volt Wechselstrom aus der Oberleitung, teilt sich die Gleise mit diversen Regional- und Güterzügen. Und ist die Stammstrecke verstopft, dann steht mal eben alles still.
In Sack und Asche sieht sich Münchens S-Bahn-Chef Heinrich Beckmann dennoch nicht. Denn er steht dem leistungsstärkeren, komplizierteren und vor allem deutlich größeren System vor. So verfügt die Autofahrerstadt Hamburg, in deren Gebiet München zweimal hineinpassen würde, lediglich über sechs Linien mit 59 Bahnhöfen auf 110 Kilometern, die von täglich 500 000 Menschen genutzt werden. Die Zahlen fürs heimische Netz: zehn Linien auf 442 Kilometern. 147 Stationen. Bis zu 720 000 Fahrgäste. Und wenn man die U-Bahn dazurechnet, neigt sich die Waagschale noch mehr nach Süden.
Dabei hat Hamburg früh begonnen mit dem Ausbau seines Nahverkehrssystems. 1906 fuhr die erste Dampf-S-Bahn, von 1907 bis 1938/39 war man mit Wechselstrom unterwegs. Dann stieg die Hafenstadt nach dem Vorbild Berlins auf Gleichstrom um. Und sitzt seitdem im selben Boot: Das alte Netz kann nur von Spezialzügen befahren werden, die teuer angefertigt werden müssen. ¸¸Wir sind nicht einmal mit Berlin kompatibel", berichtet Wojtaschek von einem entsprechenden Versuch. Und auch der Gleichstromantrieb entpuppt sich nun bei Erweiterungen als Korsett.
Für die von 2007 an geplante Verlängerung nach Stade werden daher Zweisystem-Fahrzeuge entwickelt, die außerhalb des bestehenden S-Bahn-Netzes mit Wechselstrom aus der Oberleitung ¸¸gefüttert" werden. ¸¸Das klappt", versichert Michael Hüttel von der Angebotsplanung. Ein Experiment, das auch im fernen München genauestens beobachtet wird: von MVG-Chef Herbert König, für dessen ¸¸City-Spange" ein Zug benötigt wird, der sowohl U-Bahn als auch S-Bahn-Strecken befahren kann. Der Wechsel zwischen den Systemen soll in Hamburg übrigens auf abenteuerliche Art gelöst werden: über einen 135 Meter langen stromlosen Abschnitt, den die Züge ohne Antrieb und mit Schwung nehmen müssen.
Was in München von Dezember an auf zunächst zwei Linien winkt, ist im Norden längst Wirklichkeit: der Zehn-Minuten-Takt in der Hauptverkehrszeit. Dafür sind bayerische S-Bahnen aber deutlich schneller: Maximal-Tempo 140. Hamburg schafft nur 100. Ätsch.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.113, Montag, den 17. Mai 2004 , Seite 46
Fand ich sehr interessant, die Gegenüberstellung von Daten!
Gruß Flo