stfn @ 22 Sep 2011, 11:28 hat geschrieben:Naja, ich stehe der Sache durchaus skeptisch gegenüber, für mich bleiben immernoch einige wichtige Fragen offen.
1. Wer soll zahlen ? Ich lese hier oft "alle" - aber wer sind denn alle ? Gehen wir mal von einer Umsetzung auf kommunaler Ebene aus, gerne auch München, daher verzeiht mir wenn ich hier geografische Fehler einbauen sollte.
Danke für Deine ausführliche und sachliche Kritik.
Ich habe mir meine Gedanken über den Wuppertaler ÖPNV gemacht, von München habe ich keine Ahnung. Meine Idee wäre in der Tat, dass alle die ihren Wohnsitz in Wuppertal haben, zahlen müssen.
Man müsste überlegen, was man mit über die Stadtgrenzen laufenden Linien (Nicht SPNV) macht, ob man sie dort bricht, oder die Verträge anpasst. Wieder das Beispiel Wuppertal: auf der Linie 615 fahren 3 Busse der WSW und 1 Bus der SR. Mit Solingen ist es so, dass die WSW die Linie CE 64 komplett betreibt, die SWS dafür die 683. Dafür gibt es vermutlich Verträge zur Aufteilung der Fahrgelder, die müsste man anpassen. Man könnte beispielsweise hier ebenfalls Pauschalen von den benachbarten Verkehrsbetrieben nehmen, damit ein Teil der Kosten gedeckt ist.
Da bleiben die Pendler aussen vor.
Stimmt. Aber die Pendler zahlen ja auch nichts, wenn sie mit dem Auto kommen (Außer Parkgebühren und Strafzettel

) Die Idee, die dahinter steckt, ist die der Gemeinschaft der Bürger einer Stadt.
Ausserdem lässt man da ja auch die vielen Menschen zahlen, die bewusst ( und meist auch allein um Geld zu sparen ) ihre Wege mit dem Rad oder zu Fuß erledigen. Wie erkläre ich bspw. dem Frisörgesellen mit 1000 € Netto p.M., der jeden Morgen 10 Minuten in seinen Salon läuft / radelt, dass er jetzt eine Abgabe zahlen muss, damit alle umsonst den ÖPNV nutzen können ?
Der Frisörgeselle zahlt ja jetzt schon, da die Stadt Kredite aufnimmt um das Defizit zu bezahlen. Er zahlt bei meinem Vorschlag mehr, dafür kann die Stadt ihr Geld anders verwenden und zum Beispiel Schulden tilgen oder einen Kindergarten einrichten. Außerdem bezweifel ich, dass der Frisörgeselle immer nur zwischen Arbeit und Wohnung pendelt und Sonntags und Montags zu Hause bleibt... Aber Du hast Recht, wie heute auch, wird es bei der Idee des Fahrscheinlosen Nahverkehrs Gewinner und Verlierer geben. Wie zum Beispiel:
Man könnte "Alle" auch über den Einzugsbereich des Streckennetzes der MVG definieren, aber auch hier: Wie groß ist dieser ? Muss denn jetzt Herr Schmidt zahlen und sein Nachbar Müller nicht, weil zwischen den Grundstücken die Grenze des Einzugsbereiches verläuft ?
Wenn Herr Schmidt in Wuppertal wohnt und Herr Müller schon in Remscheid, muss Herr Schmidt zahlen und Herr Müller kann zehn Meter weiter nach Wuppertal gehen und wirklich kostenlos fahren. Aber vielleicht hat Herr Schmidt dafür viel höhere Energiekosten, weil die Remscheider Stadtwerke so das Defizit ihres Nahverkehrs auffangen.
Ein Problem in dieser Diskussion ist doch, dass viele Kosten ineinander verschachtelt sind und man nicht klar erkennen kann, wie hoch die Kosten exakt sind und wer sie letztendlich zu zahlen hat. Der Fahrscheinlose Nahverkehr würde da Klarheit und Transparenz schaffen.
2. Was wird aus den Verkehrsbetrieben ? Wenn diese zu 90% über öffentliche Abgaben finanziert werden, bleiben ihnen nur noch Sparmaßnahmen, um weiter gewinnbringend zu arbeiten. ( Es sei denn ich habe jetzt eine große Einnahmequelle übersehen ). Doch wo will man denn sparen ? Gehen wir vom Optimalfall aus und der fahrscheinfreie ÖPNV führt zu einem Anstieg der Fahrgastzahlen, dann kann ich weder Fahrpersonal einsparen noch die Wartung reduzieren. Wohl eher werden durch eine evtl nötige Taktverdichtung weitere Investitionen notwendig. Klar könnte man die Verkehrsgesellschaften in Anstalten des öffentlichen Rechts umwandeln, aber auch soetwas kostet erstmal. Ein Unternehmen umzustrukturieren macht sich nicht von selbst. Und wenn ich z.B. sehe, in welchem zustand so manche städtische Schule ist, möchte ich mir das nicht auf Trams, Busse und Haltestellen übertragen vorstellen.
Ich denke, dass ein bürgerfinanzierter Nahverkehr nicht gewinnorientiert arbeiten sollte, sondern +-0. Ich gebe zu, dass mir das auch Kopfschmerzen bereitet, da der Markt den Preis regeln sollte. Aber im Fall des ÖPNV liegt meiner Meinung nach eh ein Marktversagen seit den 1950er Jahren vor. Man muss halt effektive Kontrollmechanismen schaffen, die verhindern, dass innerhalb des Verkehrsbetriebs "kommunistische" Verhältnisse eintreten. Ein Bürgerbeirat wäre möglich evtl. auch Abstimmungen, wenn Abgabenerhöhungen anliegen oder das Angebot ausgeweitet werden soll. Man muss klare Kriterien schaffen und ein wenig an das Gute glauben.
3. Wie gestalte ich die Abgabe in der Zukunft ? Mir ist bis jetzt noch kein Mittel eingefallen, das tatsächliche Fahrgastaufkommen zu protokollieren und zu dokumentieren. Dies wird heutzutage idR über den Fahrkahrtenverkauf gemacht. Fällt dieser weg, muss man sich auf Schätzwerte berufen. Doch wenn man jetzt eine Pauschale verlangen würde ( die mittels den heute bekannten Zahlen berechnet wird ) und man sich verspricht, dadurch mehr Menschen zum ÖPNV zu bewegen, muss man auch die Entwicklung irgendwie erfassen, um die Pauschale an die veränderten Gegebenheiten anzupassen. Und da redet noch keiner davon, dass möglichst genaue Fahrgastzahlen eine wichtige Berechnungsgrundlage für die gesamte Verkehrsplanung - und steuerung sind.
Ein guter Einwand. Aber ist es denn heute möglich mittels Fahrscheinen die Nutzung zu ermitteln? Die überwiegende Mehrzahl der Fahrgäste benutzt ein Monats-Abonnement, daraus lässt sich nicht ableiten, wie oft jemand fährt, wann er dies tut und wohin am liebsten.
Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren, aber die gesamte Idee, die Gesamtbelastung für den Einzelnen zu erhöhen, damit die Gemeinschaft profitiert kommt mir doch etwas sozialistisch vor. Und Sozialismus ist eine nette Theorie, hat aber in der Praxis mehrfach versagt. Insbesondere in der heutigen Zeit, wo wirklich viele Menschen jeden Euro umdrehen müssen, sehe ich da genau so eine Streitfrage ankommen wie zur GEZ Gebühr. Und auch ich bezahle lieber für eine Leistung, die ich tatsächlich in Anspruch nehme, als dass ich eine Gebühr bezahle, damit ich eine Leistung in Anspruch nehmen könnte. ( Der letzte Satz war wieder auf den ÖPNV bezogen, die GEZ war nur eine Randbemerkung )
Ich sehe das so: Wir haben die Möglichkeit den ÖPNV kapitalistisch zu gestalten, gemeinschaftlich oder in Mischform.
Kapitalistisch: Du zahlst 15,00€ für die Kurzstrecke, zahlst aber wirklich nur die Leistung die
du in Anspruch nimmst. Das Angebot wird auf lukrative Strecken ausgedünnt, für alle anderen Destinition muss ein Taxi her. Es entstehen keine Kosten, die von Stadt oder Energieverbraucher bezahlt werden müssen.
Gemeinschaftlich: Alle übernehmen einen Teil der Kosten, das Angebot steht allen offen. Es entstehen keine Kosten, die von Stadt oder Energieverbraucher bezahlt werden müssen.
Mischform: Wir tun so, als wäre ÖPNV nach den Gesetzen des Kapitalismus möglich, belasten aber Städte und Energieverbraucher mit ca. der Hälfte der Kosten. Dieses Geld fehlt an anderen Stellen.
Ich kann durchaus nachvollziehen, wenn man mit diesem Vorschlag unzufrieden ist, ich bin mit der gegenwärtigen Situation unzufrieden.
@GSIISp64b: Manchmal ist schweigen wirklich Gold. Es schadet nicht, wenn man einen Faden um 00:47 Uhr abschneidet und ihm am folgenden Tat in alter Frische wiederaufnimmt. Ich habe mir angwöhnt (das musste ich lernen), lieber nichts zu schreiben, wenn ich nicht sicher bin, ob ich am nächsten Tag damit zufrieden bin. (Klappt aber auch nicht immer)
