Autobahn @ 23 Nov 2011, 01:38 hat geschrieben:Bis 1933 war es so wie in allen anderen Staaten. Eine (relativ) bürgerliche Regierung, Kloppereien zwischen Links und Rechts. Gelegentlich kam dabei schon mal ein Kämpfer ums Leben.
Ich habe selten so einen Stuss gelesen.
1.)"wie in allen anderen Staaten".
Schauen wir uns das doch mal an.
1914 gab es in Europa nur 3 Republiken.
1919 gab es in Europa 26 Staaten, davon 13 Monarchien und 13 Republiken
1939 gab es in Europa 17 Diktaturen und 11 parlamentarische Demokratien.
Wenn wir sehen, dass es zur Hälfte Monarchien und zur Hälfte Republiken 1919 in Europa hab, ist die Behauptung in allen anderen Staaten gab es bürgerliche Regierungen falsch. Darüber hinaus war die ganze Lage in Deutschland alles andere als vergleichbar mit anderen Ländern im Allgemeinen. Wenn wir uns konkret ein Land angucken, kann man vergleichen, aber nicht so.
2.)"Gelegentlich kam dabei schon mal ein Kämpfer ums Leben."
Im Vorfeld der Juli Wahlen 1932 gab es bei diesen "Kloppereien" 300 Tote und über 1100 Verletzte. Auch diese Behauptung ist gelinde gesagt totaler Quatsch.
Nach dem Krieg war aber das Gedankengut in den Köpfen noch vorhanden. Sowohl im Westen, wie im Osten Deutschlands. Im Westen wurde er durch das Wirtschaftswunder zum größten Teil erstickt, im Osten unter den Teppich gekehrt. Aber das Gedankengut wurde "weiter vererbt", auf beiden Seiten der Mauer. Nur wer es allzu doll trieb, wurde verfolgt.
Man muss durchaus genauer Unterscheiden zwischen Ost und West. In der Sowjet-Zone wurde am gründlichsten und konsequentesten denazifiziert. Auch in der späteren DDR hatten Nazi-Funktionäre keine Chance, die meisten waren schon während der Denazifizierung in den Westen gegangen. Hier lief die Denazifizierung kaum, auch wenn viel überprüft wurde. In Wuppertal lebte 1945 ein Jurist (Fritz Bosshammer), der im Referat IV B 4 des Reichssicherungshauptamtes beschäftigt war, dem sogenannten Eichmann-Referat. Er war aktiv am Holocaust beteiligt, wurde 1947 denunziert und erhielt zahlreiche Leumundszeugnisse, unter anderen vom Bischof von Padua. Er wurde zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, die durch Internierung bereits abgesessen war. Von seiner eigentlichen Funktion dieses SS-Mitglieds hatten die Richter keine Ahnung. Er wurde durch den Entnazifizierungsausschuss als "Mitläufer" eingestuft, was grotesk war und ist. Dieser Fall ist exemplarisch für viele.
Der BND bestand bei seiner Gründung aus lauter Alt-Nazis, die sich gegenseitig deckten.
In der Bundesrepublik waren die Altnazis (NPD-alt) eine kleine Minderheit, die es schon mal schafften, in einen Landtag einzuziehen. Es gab auch ein paar jüngere Spinner, aber die waren leicht zu steuern. "Echte" Nazis waren verboten.
Ich würde Alt-Nazis in der früheren Bundesrepublik ja nicht als Mitglieder der NPD definieren, sondern als Ex-NSDAP-Mitglieder. Und da war es kein Problem Ministerpräsident eines große süddeutschen Bundeslands zu werden. "Echte"-Nazis, wie jener Bosshammer aus Wuppertal, lebten unbelästigt in Deutschland, bis es in den 70ern nach dem Eichmann-Prozess in Israel neue Verfahren gab.
Natürlich sind die Morde der Gruppe schlimm, es ist auch richtig, die Hintergründe komplett aufzuklären. Aber eine Parallele zu RAF sehe ich nicht. Der Verfassungsschutz hat auch V-Männer in linken Gruppen.
Es ist völlig irrelevant, ob ein Vergleich mit der RAF zieht. Fakt ist, dass ein braunes Mordkommando ein Blutspur durch unser Land zog und der Verfassungsschutz a) nichts wusste oder b) nichts dagegen tat. Das ist unakzeptabel! Das Innenministerium hatte rechtsextremistischen Terror nicht auf dem Schirm, jetzt werden wir mit der Wirklichkeit konfrontiert. Da ist ein Versagen der Sicherheitsbehörden.
Der von mir geschätzte Hans Leyendecker sagte gestern in der Phönix-Runde, dass jeder Präsident eines Sicherheitsorgans die Zahl untergetauchten Islamisten benennen könne, bei untergetauchten Nazis würde nur mit der Schulter gezuckt. Wir haben es uns zu bequem gemacht! Und dafür bekommen wir jetzt die Quittung.
In der Aktuellen Stunde war die Tage ein Bericht über eine Kölner Nazi-Größe, der vor einer Demo von der Polizei durchsucht wurde und anschließend verbotene Gegenstände weiter mit sich tragen durfte. Wo leben wir denn? Als letzten Januar die Nazis in Wuppertal am Unterbarmer Bahnhof sich versammelten (Es war unklar, wo sie demonstrieren durften) wurden die friedlichen Gegendemonstranten schon 1,4 Kilometer (Luftlinie) vorher von der Polizei gestoppt. Wieso bekommen 20 Nazis in Deutschland einen Sicherheitsbereich von 1,4 Kilometer?
Mich hat der ehemalige NRW-Integrationsminister Laschet (CDU) die Tage im Landtag sehr beeindruckt. Er sagte:
"Wir müssen für die Familien der Opfer genauso viel Empathie haben wie für die Familien Ponto, Buback und Schleyer! [...] Diese Schicksale haben uns nicht erreicht. Das sollte uns alle nachdenklich machen und wir sollten uns auch dafür entschuldigen."
Außerdem zitierte er Joseph Wirth, der als Reichskanzler, dem Zentrum zugehörig, am 25.Juni 1922 nach dem Rathenau-Mord im Deutschen Reichstag ausrief:
„Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. – Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!“