Höchstgeschwindigkeit > 300km/h sinnvoll?

Alles rund um die Eisenbahnen außerhalb von Deutschland
bayerhascherl
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Beitrag von bayerhascherl »

Die Debatte zeigt doch einmal mehr was ich kritisiere, dieser Hang zum Zentralismus und zu "one size fits all" Lösungen.

Bayern ist ein Flächenland, da muss man auch vergleichsweise kleine Städte wie Donauwörth anfahren um die Fläche zu erschließen. In NRW kann man auch mal eine kleinere Großstadt umfahren, ohne die Flächenerschließung zu vernachlässigen und trotzdem die Fahrtzeiteinbußen durch Haltepunkte zu begrenzen. Jedes Bundesland, nein jede Region, muss schlicht und ergreifend für sich betrachtet werden. Und nicht immer in irgendwelchen fernen Unternehmens- oder Regierungszentralen per Draufsicht, Landkarte oder Schemata a lá Haltestellenabstände.
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Beitrag von DumbShitAward »

bayerhascherl @ 29 Oct 2012, 15:35 hat geschrieben: dieser Hang zum Zentralismus
Du sprichst schon von Deutschland oder?

Sorry, bin etwas verwirrt... Zentralismus... Deutschland... sind normal keine Wörter die ich in einem Satz erwarte...
Lektion 73 in unserer Serie "Rechtsstaat für Anfänger", heute: §81 StGB

Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder die auf dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.
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Beitrag von bayerhascherl »

Dürfte eigentlich auch nicht so sein. Die umgangssprachlich sog. "Bundesländer" sind Länder des Bundes, das ist so alltäglich dass man sich schon die Bedeutung nicht vergegenwärtigt. Länder des Bundes, zuerst waren die Länder da - dann der Bund, den diese Länder eingegangen sind. Das ist nicht nur die Verfassungsidee der BUNDESrepublik Deutschland sondern auch der chronologische Ablauf. Zuerst wurden in den Westsektoren die Länder gegründet. Diese haben sich dann 1949 zu einer Republik verbündet. Und im Sinne einer besseren Regierbarkeit und des Grundrechtsschutzes haben diese sich dem Diktum des neuen Grundgesetztes unterworfen. Das ändert aber nichts daran dass Deutschland ein rein föderales Gebilde ist und kein Zentralstaat. Und wenn man sich das vor Augen hält ist der Zentralismus der überall bejubelt wird geradezu verfassungsfeindlich. Ein weiteres Staatsprinzip ist außerdem die Subsidiarität, Dinge werden so lokal und bürgernah wie möglich entschieden und erst wenn eine Ebene damit überfordert ist wird die nächsthöhere Ebene eingeschaltet. Was haben wir jedoch real, die Dinge werden in Berlin und Brüssel entschieden. Die Länder werden zu bloßen Vollziehern degradiert, die Kommunen interessieren ohnehin keinen in den fernen Regierungszentralen.

Überall da wo dieses Schema durchbrochen wird gelingt eine bessere Infrastrukturpolitik. Siehe "Bürgernetze" beim Strom, siehe energisch durchgesetzte Individuallösungen wie das "Karlsruher Modell" beim Nahverkehr. Nur der Bahnsektor ist nach wie vor überreguliert und ganz auf ein Unternehmen zugeschnitten, das in sich zentralistisch und nicht kooperativ-föderal organisiert ist (was durchaus möglich ist, vgl. Sparkassenverbund, vgl. Handelsgenossenschaften wie EDEKA, etc.). Was in der Zentrale keinen Manager findet der sich leidenschaftlich dafür interessiert geht rasch unter, was hingegen leidenschaftliche Befürworter findet (vgl. S21) wird durchgeboxt. So wird das nichts mit einer bürgerfreundlichen und bürgernahen Bürgerbahn - nach wie vor ist die ehemalige Bundesbahn ja nicht privatisiert, nur in eine andere Rechtsform überführt aber weiter zu 100% in Staatsbesitz und wird reichlich durch Steuergelder subventioniert. Aber die Unternehmenspolitik spiegelt diese implitzierte Gemeinwohlverpflichtung nicht wieder, meiner Meinung nach. Das ist es was ich meine.
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Beitrag von Caesarion »

bayerhascherl:
Respekt, sehr guter Beitrag :) Volle Zustimmung!
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Beitrag von DumbShitAward »

Was du hier beschreibst entspricht eher dem Deutschen Bund als dem was man unter "Bund" im Kaiserreich, Weimar und in der Bundesrepublik darunter verstand bzw. versteht.

Der Bund ist nicht nur ein Verwaltungs- und Stabilisierungsorgan sondern steht per definitionem über den Ländern, welche gewisse Selbstständigkeitsrechte haben. Wie "gut" sowas funktioniert sieht man ja beim Wahnsinn im Bildungssystem.
Lektion 73 in unserer Serie "Rechtsstaat für Anfänger", heute: §81 StGB

Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder die auf dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.
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Beitrag von firefly »

ICE-T-Fan @ 29 Oct 2012, 15:12 hat geschrieben: Also ab einem durchschnittlichen Abstand zweier Halte über 250 km lohnt sich der Ausbau auf 320 km/h. Für die Regelabstände in Deutschland zwischen 25 und 100 km lohnen sich maximal 230 km/h. Damit 380 km/h sinnvoll genutzt werden können, müsste der Haltabstand schon mehr als 500 km betragen.
Das sind kein Regelabstände. Das sind Haltabstände, die durch Zufall und den Einfluss von Kirchturm-Politikern zu Stande kamen. Mit stringenter und durchdachter Netzplanung, wie das Wort Regelabstand vermuten lassen würde, hat das nichts zu tun.
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Beitrag von ICE-T-Fan »

firefly @ 30 Oct 2012, 22:48 hat geschrieben: Das sind kein Regelabstände. Das sind Haltabstände, die durch Zufall und den Einfluss von Kirchturm-Politikern zu Stande kamen. Mit stringenter und durchdachter Netzplanung, wie das Wort Regelabstand vermuten lassen würde, hat das nichts zu tun.
Es ist ein natürlich gewachsener Regelabstand aufgrund der geografischen Verteilung der Ballungszentren. Es gibt ja schließlich auch etliche ICE, welche nur alle 100 km einen Halt einlegen.
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Beitrag von bayerhascherl »

DumbShitAward @ 30 Oct 2012, 20:27 hat geschrieben: Was du hier beschreibst entspricht eher dem Deutschen Bund als dem was man unter "Bund" im Kaiserreich, Weimar und in der Bundesrepublik darunter verstand bzw. versteht.

Der Bund ist nicht nur ein Verwaltungs- und Stabilisierungsorgan sondern steht per definitionem über den Ländern, welche gewisse Selbstständigkeitsrechte haben. Wie "gut" sowas funktioniert sieht man ja beim Wahnsinn im Bildungssystem.
Das ist schlicht nicht korrekt.
Dass man den Leuten über die letzten 140 Jahre hinweg tatsächlich erfolgreich eingeredet hat dass es ein "deutsches Volk" mit gemeinsamer Abstammung, kulturell wie ethnisch, gäbe und die föderale Vielfalt demzufolge gerne als "Kleinstaaterei" diffamiert wird (wobei sie nur letztes Zeugnis davon ist dass es eben nicht "das deutsche Volk" gab und gibt, wir vielmehr ein Vielvölkerstaat sind) ändert nichts an den Tatsachen.
Der Freistaat Bayern wurde beispielsweise als vollkommen in sich funktionierender, eigener, Staat 1946 gegründet. Die Verfassung dieses Staates wurde von den Wählern in einer Volksabstimmung gebilligt. Das Parlament dieses Staates nahm dann deutlich später, 1949, in einer Abstimmung das Grundgesetz, unter Vorbehalten, an. Wäre es nicht angenommen worden so wäre Bayern jetzt kein Teil der Bundesrepublik, sondern hätte nach dem zweiten Weltkrieg, ebenso wie Österreich, den Weg der kompletten staatlichen Eigenständigkeit eingeschlagen. Das ist eine unumstößliche historische Tatsache. Auch schön illustriert durch die Volksabstimmung im Saarland, welches erst seit 1956 zu der Bundesrepublik gehört.

Die Bundesrepublik wurde von den Ländern gegründet, nicht die Länder wurden als eine Art von "Verwaltungsbezirk" von Gnaden der Bundesebene her gegründet.

Dementsprechend liegt ja auch die Hoheit für jeglichen Vollzug staatlicher Ordnung bei den Ländern. Nicht nur Bildung sondern auch die Polizeien, die Finanzbehörden, Feuerwehren, Krankenhäuser,...(im Bildungsbereich funktioniert es im Übrigen ausgezeichnet, keiner braucht sich der Illusion hingeben dass bundesweit einheitliche Bildungsstandards auf dem Standard von Bayern, BaWü oder Sachsen liegen würden, man würde sich stattdessen beim kleinsten gemeinsamen Nenner treffen; der föderale Wettbewerb im Bildungsbereich führt wenigstens dazu dass die Bildung in Deutschland nicht vollkommen im Mittelmaß versinkt, dadurch dass zumindest die Schulen bzgl. der Standards in einigen südlichen Bundesländern international noch in der Oberliga mitspielen).

Nur im Schienenbereich, da herrscht teilweise ein Rechtslage aus Kaisers Zeiten vor, wo man die alte Reichsbahn vor Wettbewerb schützen wollte. Dementsprechend ist es ja bis heute und auch auf absehbare Zeit nicht vollkommen unreguliert möglich Fernbuslinien anzubieten, in Konkurrenz zur Schiene. Ob man nun ein Eisenbahnfreund ist oder nicht, wenn "wir" die Leute mit der Eisenbahn zwangsbeglücken müssen und nicht mit den Leistungen des Systems Bahn überzeugen können/wollen/müssen dann stimmt doch was nicht.

Ich behaupte, gäbe es einen - regulierten - Wettbewerb und größere lokale Zuständigkeit für die Planung des Schienenverkehres dann wäre die Fläche besser erschlossen und gleichzeitig gäbe es auch im Fernverkehr attraktivere Verbindungen. Wenn preislich die Fernbuslinien davonfahren, zeitlich (und in Punkto Service, für Geschäftsreisende nicht unerheblich) der Flugverkehr davonfliegt und gleichzeitig die Bequemlichkeit und Wirtschaftlichkeit des Automobiles erhalten bleibt, also beispielsweise keine PKW Maut eingeführt wird (dann würden die Karten im Scheinenfernverkehr komplett neu gemischt!), dann wäre der Wettbewerbsdruck einfach in Summe so groß dass sich einerseits Verbesserungen ergeben müssten, andererseits aber in einem liberalen Schienenmarkt auch private Konkurrenten mehr Fuß fassen würden. Wer sagt denn dass guter Fernverkehr immer nur von einem Marktführer stammen muss? Wir reden über dieses Thema als wäre es ein Naturgesetz dass in der Bundesrepublik Deutschland ein Unternehmen den Schienenfernverkehr führt.
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Beitrag von Caesarion »

bayerhascherl @ 31 Oct 2012, 15:31 hat geschrieben: Das ist schlicht nicht korrekt.
Dass man den Leuten über die letzten 140 Jahre hinweg tatsächlich erfolgreich eingeredet hat dass es ein "deutsches Volk" mit gemeinsamer Abstammung, kulturell wie ethnisch, gäbe und die föderale Vielfalt demzufolge gerne als "Kleinstaaterei" diffamiert wird (wobei sie nur letztes Zeugnis davon ist dass es eben nicht "das deutsche Volk" gab und gibt, wir vielmehr ein Vielvölkerstaat sind) ändert nichts an den Tatsachen.
Der Freistaat Bayern wurde beispielsweise als vollkommen in sich funktionierender, eigener, Staat 1946 gegründet. Die Verfassung dieses Staates wurde von den Wählern in einer Volksabstimmung gebilligt. Das Parlament dieses Staates nahm dann deutlich später, 1949, in einer Abstimmung das Grundgesetz, unter Vorbehalten, an. Wäre es nicht angenommen worden so wäre Bayern jetzt kein Teil der Bundesrepublik, sondern hätte nach dem zweiten Weltkrieg, ebenso wie Österreich, den Weg der kompletten staatlichen Eigenständigkeit eingeschlagen. Das ist eine unumstößliche historische Tatsache. Auch schön illustriert durch die Volksabstimmung im Saarland, welches erst seit 1956 zu der Bundesrepublik gehört.

Die Bundesrepublik wurde von den Ländern gegründet, nicht die Länder wurden als eine Art von "Verwaltungsbezirk" von Gnaden der Bundesebene her gegründet.

Dementsprechend liegt ja auch die Hoheit für jeglichen Vollzug staatlicher Ordnung bei den Ländern. Nicht nur Bildung sondern auch die Polizeien, die Finanzbehörden, Feuerwehren, Krankenhäuser,...(im Bildungsbereich funktioniert es im Übrigen ausgezeichnet, keiner braucht sich der Illusion hingeben dass bundesweit einheitliche Bildungsstandards auf dem Standard von Bayern, BaWü oder Sachsen liegen würden, man würde sich stattdessen beim kleinsten gemeinsamen Nenner treffen; der föderale Wettbewerb im Bildungsbereich führt wenigstens dazu dass die Bildung in Deutschland nicht vollkommen im Mittelmaß versinkt, dadurch dass zumindest die Schulen bzgl. der Standards in einigen südlichen Bundesländern international noch in der Oberliga mitspielen).

Ich behaupte, gäbe es einen - regulierten - Wettbewerb und größere lokale Zuständigkeit für die Planung des Schienenverkehres dann wäre die Fläche besser erschlossen und gleichzeitig gäbe es auch im Fernverkehr attraktivere Verbindungen. Wenn preislich die Fernbuslinien davonfahren, zeitlich (und in Punkto Service, für Geschäftsreisende nicht unerheblich) der Flugverkehr davonfliegt und gleichzeitig die Bequemlichkeit und Wirtschaftlichkeit des Automobiles erhalten bleibt, also beispielsweise keine PKW Maut eingeführt wird (dann würden die Karten im Scheinenfernverkehr komplett neu gemischt!), dann wäre der Wettbewerbsdruck einfach in Summe so groß dass sich einerseits Verbesserungen ergeben müssten, andererseits aber in einem liberalen Schienenmarkt auch private Konkurrenten mehr Fuß fassen würden. Wer sagt denn dass guter Fernverkehr immer nur von einem Marktführer stammen muss? Wir reden über dieses Thema als wäre es ein Naturgesetz dass in der Bundesrepublik Deutschland ein Unternehmen den Schienenfernverkehr führt.
Wie wahr deine Worte nur sind!
In der Tat war Deutschland schon immer durch den Föderalismus geprägt. Historisch gesehen ist die Idee einer Deutschen Nation gerade 200 Jahre lang, Deutschland als Staat besteht gerade mal seit 150 Jahren. Die Kompetenzverteilung, dass der Bund solch große Zuständigkeit in allen Belangen erhält, ist sogar erst 1919 der Fall, 1949 hat man in der Hinsicht etwas zurückgerudert.
Jedes Land der Bundesrepublik wäre als eigener Staat funktionsfähig (bei Berlin ist das fraglich, ist aber ein eigenes Kapitel). Mehr noch, sie waren selbständig und alleine funktionsfähig, nicht nur 1945-49, sondern damit meine ich vor allem 1806-1871, ein Zeitalter des relativen Friedens und Wohlstandes in Deutschland, z.B. wurde das meiste an Eisenbahnstrecken im Länderbahnzeitalter gebaut.

Der Föderalismus gehört zu den Grundlangen unseres Staates. Das föderale Prinzip als "Kleinstaaterei" zu brandmarken ist genauso ungehörig wie das Demokratieprinzip als Ochlokratie abzutun.

Dass Kompetenzverlagerung nach oben eine Qualitätsverbesserung bringt, ist ein weit verbreiteter Irrtum. Das betrifft sowohl die Verlagerung von Zuständigkeiten an Bund als auch an die EU. Es ist vollkommen richtig, dass je größer die Einheit ist, desto eher man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt, und dieser nimmt mit zunehmender Größe der Einheit ab. Übersetzt auf das Bildungswesen heisst das, dass wir bei weitem nicht plötzlich sächsische und bayerische Verhältnisse in der ganzen Republik haben werden, sondern viel eher den Mischmasch aus dreigliedrigem Schulsystem und Einheitsschule, was die meisten Länder "erfolgreich" praktizieren. Man sieht es jetzt bei den bundeseinheitlichen Abituraufgaben: Man hat sich geeignigt, dass der Standard des bildungsschwachen Länder das Minimum beim Abitur ist, die Länder können darüber hinausgehende Aufgaben stellen. Wäre das nun statt ein Bundesgesetz gewesen, könnten die Länder nicht davon abweichen und wir hätten das tolle Niveau von Berlin und Bremen überall.

Übrigens werden Wechsel von einem System in das andere nirgendwo durch detaillierte Abstimmung gelöst. Das hat folgenden Grund: Wenn z.B. ein Hochschulabschluss (Bachelor) nun infolge des Bologna-Prozesses den Anspruch hat, für einen Masterstudiengang in ganz Europa zu qualifizieren, wird bei der Zulassung geprüft, ob der auch zu 100 Prozent den Zulassungskriterien entspricht. Das tut sich meistens nicht, so enge Abstimmung ist unmöglich und hoch bürokratisch. Früher war das System aber trotz fehlender Abstimmung durchlässiger. Wieso das? Weil an bei der Zulassung gar nicht von der Gleichwertigkeit der Abschlüsse ausging, sondern man regelte alles auf Kulanz.
Genau das selbe Prinzip greift innerhalb Deutschlands mit Schulabschlüssen und der Abstimmung im Rahmen des KMK. Je krampfhafter man versucht, alles gleich zu machen, desto weniger durchlässig wird das System.
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Beitrag von bayerhascherl »

An das historische Beispiel dachte ich noch gar nicht, aber es stimmt.
Die erste Eisenbahn in deutschsprachigen Landen fuhr ja einst in Bayern, zwischen Nürnberg und Fürth. Die erste planmäßige Fernverkehrsstrecke war ebenfalls in Bayern zu finden, zwischen Augsburg und München. Die Preußen maßen der Eisenbahn zunächst vorallem eine Funktion für das Militär zu (man geht davon aus dass Preußen so den Preußisch-Österreichischen Krieg gewinnen konnte). Und der Beginn der Eisenbahn lag ohnehin nicht beim Staat, nirgendwo, sondern in Händen von privaten Investoren. Auch in der restlichen Welt. Das goldene Zeitalter der Eisenbahn, lange ist es her, war ein nahezu unregulierter Weltmarkt, auf dem sich unzählige private Investoren tummelten und ganz Europa und Nordamerika per Scheine erschlossen haben. Je mehr Staatlichkeit, v.a. je mehr Zentralbürokratien, entstanden sind je mehr hat sich die Expansion der Eisenbahn verlangsamt und schließlich umgekehrt. Daran ist nicht einzig der Siegeszug des Automobils schuld.

Das wäre doch mal, die Schiene komplett in Staatshand überführen und so wie das Straßennetz für Unternehmen allgemein zugänglich erklären, solange Kapazitäten da sind und Sicherheitsstandards eingehalten werden darf jeder fahren der was anbieten will, gibt es mehrere Bewerber auf einen "Streckenslot" entscheidet ein Ausschreibungsverfahren, wo sich dann die Bewerber um diesen Slot gegenseitig in Punkto Fahrpreis unterbieten und in Punkto Komfort und Service überbieten können. Es gewinnt der Bieter der dem Fahrgast das beste Preisleistungspaket bietet. Dazu kann auch ein Schnellzug gehören. Ein frisches Reservoir wenn wir mal nach Asien schauen, hätten wir einen echten freien Markt auf der Schiene, wieso sollten sich nicht die japanischen Bahngesellschaften mit ihrem Skinkansen, in einer auf das hiesige Netz angepassten Version, bewerben?
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Beitrag von JeDi »

bayerhascherl @ 31 Oct 2012, 16:21 hat geschrieben: Die erste planmäßige Fernverkehrsstrecke war ebenfalls in Bayern zu finden, zwischen Augsburg und München.
Irrtum - die Sachsen waren zwischen Leipzig und Dresden ein Jahr schneller...

(Und statt "Streckenslot" einfach "Trasse" zu sagen, ist zu viel verlangt?)
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Beitrag von firefly »

Caesarion @ 31 Oct 2012, 15:08 hat geschrieben:Jedes Land der Bundesrepublik wäre als eigener Staat funktionsfähig (bei Berlin ist das fraglich, ist aber ein eigenes Kapitel). Mehr noch, sie waren selbständig und alleine funktionsfähig, nicht nur 1945-49, sondern damit meine ich vor allem 1806-1871, ein Zeitalter des relativen Friedens und Wohlstandes in Deutschland, z.B. wurde das meiste an Eisenbahnstrecken im Länderbahnzeitalter gebaut.
Das ist Unsinn. Die meisten Länder sind und waren eben nicht überlebensfähig. Und genau deswegen sind sie auch verschwunden. Die beiden Ausnahmen waren Preussen und Österreich.
Auch der Wohlstand setzte erst nach 1871 ein. Und dass die meisten Bahnstrecken vor 1871 gebaut wurden, liegt eher an der zeitlichen Distanz zwischen Erfindung dieses Transport-Systems und der Reichseinigung. In Bahnstrecken wurde nach 1871 jedenfalls nicht weniger investiert. Genau genommen sogar viel mehr.
Caesarion @ 31 Oct 2012, 15:08 hat geschrieben:Dass Kompetenzverlagerung nach oben eine Qualitätsverbesserung bringt, ist ein weit verbreiteter Irrtum. Das betrifft sowohl die Verlagerung von Zuständigkeiten an Bund als auch an die EU. Es ist vollkommen richtig, dass je größer die Einheit ist, desto eher man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt, und dieser nimmt mit zunehmender Größe der Einheit ab. Übersetzt auf das Bildungswesen heisst das, dass wir bei weitem nicht plötzlich sächsische und bayerische Verhältnisse in der ganzen Republik haben werden, sondern viel eher den Mischmasch aus dreigliedrigem Schulsystem und Einheitsschule, was die meisten Länder "erfolgreich" praktizieren. Man sieht es jetzt bei den bundeseinheitlichen Abituraufgaben: Man hat sich geeignigt, dass der Standard des bildungsschwachen Länder das Minimum beim Abitur ist, die Länder können darüber hinausgehende Aufgaben stellen. Wäre das nun statt ein Bundesgesetz gewesen, könnten die Länder nicht davon abweichen und wir hätten das tolle Niveau von Berlin und Bremen überall.
Die Mini-Standards beim einheitlichen Abitur sind gerade das Ergebnis des Föderalismus. Hier musste wieder auf den Bildungssenator aus Bremen Rücksicht genommen werden. Mit einer Zentralregierung wäre das nicht passiert. Da hätte es sehr viel höhere Standards gegeben, da ein Bildungsminister die Ergebnisse im ganzen Land rechtfertigen müsste. Und die Ergebnisse wäre dann auch besser gewesen.
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Beitrag von bayerhascherl »

firefly @ 1 Nov 2012, 19:00 hat geschrieben: Das ist Unsinn. Die meisten Länder sind und waren eben nicht überlebensfähig. Und genau deswegen sind sie auch verschwunden. Die beiden Ausnahmen waren Preussen und Österreich.
Auch der Wohlstand setzte erst nach 1871 ein. Und dass die meisten Bahnstrecken vor 1871 gebaut wurden, liegt eher an der zeitlichen Distanz zwischen Erfindung dieses Transport-Systems und der Reichseinigung. In Bahnstrecken wurde nach 1871 jedenfalls nicht weniger investiert. Genau genommen sogar viel mehr.


Die Mini-Standards beim einheitlichen Abitur sind gerade das Ergebnis des Föderalismus. Hier musste wieder auf den Bildungssenator aus Bremen Rücksicht genommen werden. Mit einer Zentralregierung wäre das nicht passiert. Da hätte es sehr viel höhere Standards gegeben, da ein Bildungsminister die Ergebnisse im ganzen Land rechtfertigen müsste. Und die Ergebnisse wäre dann auch besser gewesen.
Dennoch wären keine bundesweiten Standards auf dem Niveau von BaWü, Bayern und Sachsen eingeführt worden, das hätte alle anderen 13 Länder komplett überfordert und eine Generation von "Abi-Gescheiterten" erzeugt, wäre niemals durchzusetzen. Es wäre entweder der kleinste gemeinsame Nenner, maximal Mittelmaß geworden. Das heißt dass die Standards für Millionen von Schülern ohne sachlichen Grund gesenkt worden wären, damit deren Qualifizierung, nur damit es vereinheitlicht ist auf einem niedrigeren Standard (hätte man hingegen die höheren Standards "freiwillig" belassen hätte man sich den ganzen Prozess auch gleich sparen können). Der Standort Deutschland hätte in Summe nur verloren. Und der Grund wieso diese drei Länder ein besseres Bildungssystem haben ist der Föderalismus, in den 70ern galt beispielsweise NRW als führend. Es hat sein System aber seitdem kaum reformiert, ist ja alles relativ zur Zeit. Andere haben dafür reformiert und sich hervorgetan. Dadurch dass man 16 Schulsysteme hat hat man 16x die Möglichkeit Verbesserungen zu erproben und dann unter dem Strich, im Ländervergleich, zu schauen wie die besten Bildungsstandards und das höchste Niveau erzeugt werden kann. Das ist dann keine Debatte im luftleeren Raum sondern erprobt, q.e.d., beispielsweise wurde damit die Gesamtschule als dem Leistungsniveau nicht zuträglich identifiziert. Hätte man bundesweit in den 70ern die Gesamtschule eingeführt, galt ja als große Mode, dann hätten wir das nun überall. Und spätestens seit PISA wissen wir wie wichtig es ist verschiedene Bildungssysteme zu vergleichen. Der föderale Wettbewerb nützt Deutschland unter dem Strich mehr als dass er schadet.

Kein einziges der Bundesländer ist kleiner als ein unabhängiger Staat den es hier und heute in Europa gibt. Ein unabhängiges Bayern wäre gar was Fläche und/oder Einwohner angeht im Mittelfeld und würde Irland, Belgien, Österreich, Tschechien, Dänemark, Portugal, etc. hinter sich lassen - alles keine Staaten denen jemand die Überlebensfähigkeit abspricht.

Der Wohlstand setzte nicht erst mit der Gründung des wilhelminischen Reichs ein. Die ersten Bahnstrecken wurden lange zuvor erbaut. Und das "Reich" wurde nicht geeint sondern von Preußen unterworfen, das neu geschaffene "Deutschland" wurde preußifiziert. Bismarck hat den Krieg mit Frankreich provoziert, die anderen deutschen Staaten in ein Militärbündnis gegen Frankreich gezwungen und als Preußen als Anführer dieser Aliierten dann als Sieger hervorgegangen ist, und man die Schlagkraft der preußischen Armee demonstriert hat, wer sollte sich da schon Preußen in den Weg stellen wenn selbst Frankreich nichts ausrichten konnte (und schon Österreich zuvor geschlagen wurde). Das wird auch schön dadurch illustriert dass das zuvor historisch unbedeutende Berlin, mitten in Preußen gelegen, nun die Hauptstadt werden sollte. Es gab nie eine "deutsche Hauptstadt", die meisten deutschen Kaiser hatten ihren Sitz allerdings in Wien. Karl der Große hatte seine Haupt-Kaiserpfalz in Aachen. Die Reichstage wurden in verschiedenen Städten, vorallem Regensburg, abgehalten. Berlin hatte keinerlei historische Bedeutung.

Bayern hatte die Wahl Wilhelm die Kaiserkrone anzubieten, seine Königlich Bayerische Eisenbahn und sein Gesicht zu wahren oder ebenso von Preußen einverleibt zu werden wie zuvor z.B. schon das Königreich Hannover. Das ist keine "Einigung", oder wie auch immer das heute dargestellt wird, sondern das war knallharter Imperialismus. Was im Übrigen auch erstmal einen Rückschlag in der Entwicklung der Eisenbahn mit sich brachte, denn die Preußen nutzten die Eisenbahn vorallem für ihr Militär, später auch für die Industrie. Während in südlichen deutschen Landen der Personentransport bereits von Anfang an eine Hauptrolle spielte. Bis zur "Reichsgründung" war das spätere Reichsgebiet bereits flächendeckend mit Schienen erschlossen.

Und ganz im Gegensatz zu deiner Darstellung brachte die "Reichsgründung" die Eisenbahn im "Reich" zum Kollaps. Denn zwei Jahre nach "Reichsgründung" gab es den sog. "Gründerkrach", einen Börsenkrach - und wirtschaftliche Depression - auch in Folge der von Oben erzwungenen Verschmelzung bis dahin getrennter Volkswirtschaften. Unzählige private Bahngesellschaften gingen in die Pleite, die Verstaatlichung der Eisenbahn war die Folge. Für die Menschen damals war es so normal dass Bayern und Preußen zwei verschiedene Staaten waren wie heute für uns dass die Schweiz und Österreich Ausland sind (mit "Kleinstaaterei" hatte das also gar nichts zu tun). Übrigens breitete sich in Folge auch Antisemitismus quer durch alle Bevölkerungsschichten aus (da man die Juden verantwortlich machte für die Krise; dieses dunkle Kapitel hat nicht erst mit einem Herrn aus Braunau begonnen, dieser traf vielmehr auf fruchtbaren Boden im ach so tollen "Deutschen Reich").

Die neuere Geschichte in Mitteleuropa zeigt dass Zentralismus und der Mythos vom "großen, geeinten Deutschland" nie etwas Positives bewirkt hat. Man sollte aus der Geschichte lernen und das einfach bleiben lassen. Ein Europa der Regionen ist die Zukunft. Und zu der Theorie der nicht überlebensfähigen Kleinstaaten, wer ist denn wohlhabender in Europa? Kleinstaaten wie Dänemark, die Schweiz, Österreich, etc. um uns herum oder das große Deutschland, das große Frankreich, das große Italien, das große Spanien? Große Einheiten sind unbeweglicher, können nicht differenziert auf unterschiedliche lokale Gegebenheiten eingehen. Und in Zeiten wie unseren, schneller Veränderung, sind große Staaten zunehmend ein Hemmschuh, und kein Garant, für eine dynamische Entwicklung und moderne Politik. Ich bin heilfroh dass wenigstens die Regionalisierung der Schiene 1996 vom Bund zu den Ländern gegeben wurde und seitdem die Länder die Regionalbahnen bestellen können, seitdem ging es mit dem Regionalverkehr steil bergauf und innovative Angebote wie das Bayernticket wurden geschaffen, in jedem Bundesland gibt es ähnliche Angebote, ganz auf die regionalen Gegebenheiten zugeschnitten. Im Regionalverkehr wird inzwischen auch das mit Abstand meiste Geld im deutschen Bahnverkehr verdient. Man kann sich schwer ausmalen welchen Boom der Schienenfernverkehr erleben würde wenn man den großen bundesweiten Monopolisten in kleine Landesgesellschaften zerschlägt, die einander gegenseitig Konkurrenz machen. Zum Wohle des Fahrgastes. So hat man es im Übrigen in Japan gemacht, dem Musterland des Bahnverkehrs (sauber, modern und unschlagbar pünktlich, auch die ach so tugendhaften Schweizer können nur vor Neid erblassen bezüglich der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit japanischer Bahnen). Man hat die große Bahngesellschaft "Japan Railways" in den 1980ern in sieben eigenständige Bahngesellschaften zerschlagen. Und das gesamte Angebot wurde seitdem stetig besser (bzw. noch besser) und ist nun auf dem weltweit unerreichten hohen Standard. Die durchschnittliche Verspätung im Shinkansen-Fernverkehr beträgt ca. 0,1 Minute, inklusive der in Japan häufigen Naturkatastrophen (Taifune, Erdbeben). Und wer schonmal in Japan war, vom Boden der Züge und Bahnhöfe kann man essen, so sauber sind die.
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Beitrag von 146225 »

Caesarion @ 31 Oct 2012, 15:08 hat geschrieben: Dass Kompetenzverlagerung nach oben eine Qualitätsverbesserung bringt, ist ein weit verbreiteter Irrtum. Das betrifft sowohl die Verlagerung von Zuständigkeiten an Bund als auch an die EU.
In manchen Bereichen ist Einigkeit und Normung dann doch entschieden sinnvoller als alles andere - Du nimmst ja auch als gegeben an, daß 1 km = 1000 m sind, und daß 1 m auch überall gleich lang ist. Von zigtausend anderen Grundlagen des Alltages und der Technik mal ganz zu schweigen.

Von daher ist es fast unmöglich hier ein generelles "gut" oder "schlecht" zu urteilen - es muß am jeweiligen Objekt sachbezogen entschieden werden.
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Beitrag von bayerhascherl »

146225 @ 1 Nov 2012, 19:35 hat geschrieben: In manchen Bereichen ist Einigkeit und Normung dann doch entschieden sinnvoller als alles andere - Du nimmst ja auch als gegeben an, daß 1 km = 1000 m sind, und daß 1 m auch überall gleich lang ist. Von zigtausend anderen Grundlagen des Alltages und der Technik mal ganz zu schweigen.

Von daher ist es fast unmöglich hier ein generelles "gut" oder "schlecht" zu urteilen - es muß am jeweiligen Objekt sachbezogen entschieden werden.
Das ist ein ganz anderes Thema und ja auch die Grundidee hinter der EU. Nur weil EU-weit viele Standards harmonisiert sind würde trotzdem keiner behaupten dass Portugiesen und Brandenburger dem selben Volk und der selben Kultur angehören. Gleichwohl gibt es auch hier einen gewissen "Neo-Imperialismus", der am liebsten einen europäischen Superstaat gründen würde. Dabei, das beweist dein Beispiel, braucht man den gar nicht damit man in Portugal wie in Brandenburg weiss dass 1 km gleich 1000 m sind.
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Beitrag von Caesarion »

Danke bayerhascherl für einen hervorragenden Beitrag, dem ich nur beipflichten kann.
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Beitrag von ICE-T-Fan »

146225 @ 1 Nov 2012, 19:35 hat geschrieben: In manchen Bereichen ist Einigkeit und Normung dann doch entschieden sinnvoller als alles andere - Du nimmst ja auch als gegeben an, daß 1 km = 1000 m sind, und daß 1 m auch überall gleich lang ist. Von zigtausend anderen Grundlagen des Alltages und der Technik mal ganz zu schweigen.

Von daher ist es fast unmöglich hier ein generelles "gut" oder "schlecht" zu urteilen - es muß am jeweiligen Objekt sachbezogen entschieden werden.
Auch wenn ich bayerhascherl grundsätzlich beipflichten kann, sehe ich das aber genauso.

Wenn wir in Europa schlau wären, hätten wir einheitliches Stromsystem und überall ETCS. Das würde die Bahn deutlich stärken. Das jede Nation ihr eigens Süppchen kochte, was technische Belange angeht, ist der größte Fehler von allen. Sicherlich ist es der Innovation zuträglich, wenn es Parallelentwicklungen mit anderen Ansätzen gibt, aber im praktischen Betrieb ist das dann eher hinderlich.

Gesellschaftlich und kulturell gesehen halte ich Deutschland als Staat auch für überflüssig. Ich definiere mich mehr über die Sprachkultur. Jeder der Deutsch spricht, ist für mich ein Landsmann. Deswegen sind Österreich und die Schweiz für mich auch gleichwertig. Da es in Europa auf absehbare Zeit keine Einheitssprache geben wird, fehlt mir auch das Zusammengehörigkeitsgefühl. Die EU ist einfach zu abstrakt, um sich als EU-Bürger zu fühlen, man kann es lediglich zur Kenntnis nehmen.
Gruß Markus aus Eisenach,
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Hallo,
eine "Katastrophe sehe ich weder im uneinheitlichen Bahnstromsystem noch bei den differenzierten Zugleitverfahren.

Noch sind die 'Reisendezahlen Grenzüberschreitend sehr gering, trotz "Europa", und einehtliche komaptibe Reiszugwagensysteme gibt es seit etlichen Jahrzehnten.

In der Dampflokzeit dauerten Lokwechsel nur wenige Minuten, auf 5min ( auch Triebfahrzeugführer brauchen diese Zeit bei Personawechsel und Zugübernahme ) kommt es eigentlich nicht an.

Wieviel Gäste fahren in Offenburg täglich mit TGV weit nach Frankreich, lohnt sich für diese wenigen Leute die Zweisystemtechnik? Wenn schon Hochgeschwindigkeit wäre Umsteigen in Straßburg auch keine schlimme Sache. Fahrzeit Straßburg-München mit TGV und mit einem IC lokbespannt?

Siehe auch Kanaltunnel oder Barcelona-Madrid, was die Spitzengeschwindigkeit > 280km/h da bringen könnte wird noch mehr mit Eincheckzeit und Sicherheitskontrolle vertan...., auch enorme Personalkosten...

Vmax 195km/h PortBeau-Madrid ohne checkin, welche Fahrzeit?
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ICE-T-Fan
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Beitrag von ICE-T-Fan »

Die Geschwindigkeit selbst ist ja egal, auf die Reisezeit kommt es an. Was wir hier im Forum betreiben, ist irgendwelche Fahrzeiten anhand eines vorgegebenen Geschwindigkeitsprofils zu ermitteln.

Vielleicht wäre es sinnvoller anhand einer Zielvorgabe bei der Reisezeit die dafür benötigten Höchstgeschwindigkeiten zu errechnen.

Persönliche Wunschfahrzeiten von mir, inklusive eines Umsteigevorgang von 10 min:
Eisenach-Leipzig 1 1/4 Stunden
Eisenach-Frankfurt 1 1/2 Stunden
Eisenach-Nürnberg 2 Stunden
Eisenach-Dresden 2 1/4 Stunden
Eisenach-Berlin 2 1/4 Stunden
Eisenach-Köln 2 1/2 Stunden
Eisenach-Stuttgart 2 1/2 Stunden
Eisenach-Hamburg 3 Stunden
Eisenach-München 3 Stunden

An diesen Zielvorgagen sollte man das dafür benötigte Streckenprofil berechnen. Was würde man dafür brauchen?

Streckenlängen:
Eisenach-Leipzig 150 km
Eisenach-Frankfurt 200 km
Eisenach-Nürnberg 250 km
Eisenach-Dresden 275 km
Eisenach-Berlin 300 km
Eisenach-Köln 375 km
Eisenach-Stuttgart 380 km
Eisenach-Hamburg 400 km
Eisenach-München 425 km

Daraus ergeben sich folgende Durchschnittsgeschwindigkeiten:
Eisenach-Leipzig 120 km/h
Eisenach-Frankfurt 133 km/h
Eisenach-Nürnberg 125 km/h
Eisenach-Berlin 133 km/h
Eisenach-Dresden 122 km
Eisenach-Köln 150 km/h
Eisenach-Stuttgart 152 km/h
Eisenach-Hamburg 133 km/h
Eisenach-München 142 km/h

Man kann sagen, dass für dieses gewählte Beispiel die Durchschnittsgeschwindigkeit bei etwa 150 km/h liegen soll. Rechnet man jetzt noch 10 min Umsteigezeit heraus, kommt man auf einen Schnitt von 165 km/h als reine durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit. Da nun aber noch im Schnitt alle 30 km ein Halt mit einer Haltezeit von 2 min und damit einem Fahrzeitverlust von 4 min hinzu kommt, erhöht sich der Schnitt auf 215 km/h als durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit zwischen zwei Halten. Damit wären wir dann bei einer Mischung aus ABS230 und NBS250 als Grundlage dieser Wunschfahrzeiten.
Gruß Markus aus Eisenach,
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Beitrag von firefly »

bayerhascherl @ 1 Nov 2012, 19:32 hat geschrieben:Dennoch wären keine bundesweiten Standards auf dem Niveau von BaWü, Bayern und Sachsen eingeführt worden, das hätte alle anderen 13 Länder komplett überfordert und eine Generation von "Abi-Gescheiterten" erzeugt, wäre niemals durchzusetzen. ... Und wer schonmal in Japan war, vom Boden der Züge und Bahnhöfe kann man essen, so sauber sind die.
Du schreibst viel, und vor allem viel tendenziösen Blödsinn. Einen Gründungskrach ohne den voraus gegangenen Gründungsboom zu erwähnen, ist das beste Beispiel dafür.

Keines der deutschen Länder von heute gab es in der Form vor der Reichseinigung. Die Länder damals waren zum Teil nur kleine Flecken, zum Teil erstreckten sie sich über zwei oder mehr von einander getrennte Gebiete. Auch Zugang zum Meer war die krasse Ausnahme. All das sind extrem nachteilige Faktoren in einer Zeit sich stark industrialisierenden Nationalstaaten, die Zugang zu Absätzmärkten und günstigen Rohstoffen brauchten. Ohne das Deutsche Reich wären alle die kleinen Staaten ökonomisch verkümmert und hätten ihre militärisch ohnehin kaum verteidigbaren Territorien über kurz oder lang verloren. Mit dem Deutschen Reich jedoch kam der wirtschaftliche Aufstieg und damit einhergehend der Wohlstand.

All den kleinen Länder wie Dänemark, Österreich oder der Schweiz geht es heute genauso wie Bayern im 19ten Jh. Sie prosperieren, aber nur noch in einem stark erweiterten Zollgebiet. Um sich dem anschliessen zu können, mussten sie ihre Unabhängigkeit weitgehend aufgeben. Übrig bleibt nur noch eine Mini-Souveränität über belanglose Sachen.
Übrigens hat keines dieser drei Länder einen besseren HDI-Wert als Deutschland. Von grösserem Wohlstand als in Deutschland zu sprechen, ist daher falsch.

Antisemitismus ist ein Jahrtausende altes Phänomen. Dafür brauchte es keine Reichseinigung.

Berlin als Hauptstadt des erfolgreichsten deutschen Kleinstaates war mit Abstand die geeignetste Hauptstadt des neuen Deutschen Reiches. Sie war nach Wien schon anderthalb Jahrhunderte lang die zweitgrösste Stadt in Deutschland und nach der klein-deutschen Einigung, die grösste Stadt im Reich. Berlin hatte die Infrastruktur eines modernen Staates, mit Ministerien und Botschaften aller Länder. Das machte Berlin allemal geeigneter als all die kleinen Drecknester mit ihren verfallenen Kaiserpfalzen.
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Beitrag von Caesarion »

firefly @ 5 Nov 2012, 15:09 hat geschrieben: Keines der deutschen Länder von heute gab es in der Form vor der Reichseinigung.



Was ist mit Bayern, Bremen, Hamburg? Gut, Bayern hat 1945 die Pfalz verloren und Hamburg hat zur NS-Zeit Altona erhalten, aber das sind alles nur eher belanglose Gebietsänderungen, wie jeder Staat sie im Laufe der Jahrhunderte durchmacht.

Tatsache ist: Vom Mittelalter bis 1871 haben die deutschen Länder als eigene Akteure agiert, was insbesondere die Kriege gegeneinander zeigen. Auch in der Kaiserszeit waren nur wenige Kompetenzen auf Reichsebene angesiedelt, sodass insbesondere Wirtschaft eine Domäne der Länder war.
All den kleinen Länder wie Dänemark, Österreich oder der Schweiz geht es heute genauso wie Bayern im 19ten Jh. Sie prosperieren, aber nur noch in einem stark erweiterten Zollgebiet. Um sich dem anschliessen zu können, mussten sie ihre Unabhängigkeit weitgehend aufgeben. Übrig bleibt nur noch eine Mini-Souveränität über belanglose Sachen.
In welchem stark erweiterten Zollgebiet ist denn die Schweiz? Ich glaube du überschätzt die EFTA doch ein wenig. Auch die Aussage mit der Mini-Souveränität dieser Nationen würde ich nochmal überdenken.
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Autobahn
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Beitrag von Autobahn »

Was hat dies noch mit dem Thema zu tun?
Der Kapitalismus ist so alt wie die Menschheit, der Sozialismus ist nur Siebzig geworden. Er hatte keine Krise, er hatte kein Kapital.
AndiFant

Beitrag von AndiFant »

Nun, in der Zeit der Kleinstaaterei brauchte man keine Hochgeschwindigkeitsstrecken. Schon Hermann Löns schrieb in seiner Satire "Duodez" über die Kleinstaaterei:

"Wenn man von Köln nach Berlin fährt, dann erblickt man kurz hinter Minden blau, weiß und rot angestrichene Grenzpfähle, und wenn man seine Reisegefährten fragt: „Was ist denn das?", so erhält man die Antwort: „Ach, das war eben Schaumburg-Lippe ." Das Fürstentum ist nämlich sehr klein [..]"

Wenn der ICE in jeder (damaligen) fürstlichen Residenzstadt halten müsste ...
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Beitrag von firefly »

Caesarion @ 5 Nov 2012, 20:14 hat geschrieben:Was ist mit Bayern, Bremen, Hamburg? Gut, Bayern hat 1945 die Pfalz verloren und Hamburg hat zur NS-Zeit Altona erhalten, aber das sind alles nur eher belanglose Gebietsänderungen, wie jeder Staat sie im Laufe der Jahrhunderte durchmacht.
Hamburg und Bremen sind Städte und keine Länder. Und Bayern hat nicht nur die Pfalz verloren, sie haben auch Coburg dazugewonnen.
Caesarion @ 5 Nov 2012, 20:14 hat geschrieben:Tatsache ist: Vom Mittelalter bis 1871 haben die deutschen Länder als eigene Akteure agiert, was insbesondere die Kriege gegeneinander zeigen.
Und was daran für Deutschland vorteilhaft gewesen sein soll, erschliesst sich mir bis heute nicht.
Caesarion @ 5 Nov 2012, 20:14 hat geschrieben:In welchem stark erweiterten Zollgebiet ist denn die Schweiz? Ich glaube du überschätzt die EFTA doch ein wenig. Auch die Aussage mit der Mini-Souveränität dieser Nationen würde ich nochmal überdenken.
Dann nimm die Schweiz aus. Sie profitiert zumindest dahingehend, dass sie nur ein Zollabkommen aushandeln muss.
Was soll ich denn an der Mini-Souveränität überdenken? Die wichtigen Fragen werden in Brüssel entschieden und die unwichtigen in den nationalen Hauptstädten.
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