Fahrscheinfreier ÖPNV

Fragen und Diskussionen zu den Tarifen von Bahnen und Verkehrsverbünden.
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JNK
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Beitrag von JNK »

Bayernlover @ 8 Jul 2013, 18:23 hat geschrieben:Ich hab jetzt alle Kommentare gelesen. Wo versucht denn die Verwaltung, den Vorschlag zu manipulieren?
In den gelben "Power-Kommentaren". In Nr.1 schreibt die Verwaltung, dass eine Grundsteuer B-Erhöhung über 800 % rechtlich nicht zulässig ist. Dieser Kommentar wurde Freitag morgens eingestellt und erst Montags dahingehend ergänzt, dass in z.B. Selm 825% erlaubt wurden. Das ganze bezieht sich auf ein aktuelles Urteil vom VG Gelsenkirchen:
Der Gemeinde steht bei der Festlegung des Grundsteuerhebesatzes ein weiter (kommunalpolitischer) Entschließungsspielraum zu. Das Gericht prüft nur, ob die Gemeinde die sich aus höherrangigem Recht ergebenden Grenzen dieses Entschließungsspielraums willkürfrei eingehalten hat.
Die Gemeinde handelt willkürfrei, wenn sie bei ihrer eigenverantwortlichen Abschätzung des Finanzbedarfs keine grob unsachlichen Entschließungskriterien tragend werden lässt oder gar den zu bestimmenden Hebesatz ohne jede Würdigung seiner Wirkung auf die Steuerpflichtigen "greift". Insofern hat der Satzungsgeber im Hinblick auf den gewählten Grundsteuerhebesatz die Aufgabe, die tatsächlichen Grundlagen der Besteuerung sorgfältig zu ermitteln und unter Abwägung aller betroffenen Interessen einen Grundsteuerhebesatz zu bestimmen.
http://openjur.de/u/562532.html

Die einzige Grenze, die das VG Gelsenkirchen zieht, ist a) willkürfreiheit und b) Erdrosselungsfreiheit, dass heißt die Höhe der Grundsteuer B darf nicht dazu führen, dass die Mehrheit der Steuerpflichtigen die Steuer nicht erbringen kann.
Daher halte ich den Kommentar der Verwaltung für falsch.

In Power-Kommentar Nr. 2 bringt die Verwaltung ein Rechenbeispiel mit einem Einfamilienhaus mit Grundsteuermessbetrag von 155. Der durchschnittliche Grundsteuermessbetrag in Wuppertal beträgt 114, inkl. "Gewerblich genutzte Objekte, die z.T. mit erheblichen Messbeträgen belegt sind". Mir fehlt da eine Einordnung dieser Zahl. Wuppertal hat 38.762 Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern und 153.470 in Mehrfamilienhäusern. Warum wird ein Einfamilienhaus genommen? Warum dieser Hohe Grundsteuermessbetrag? Wie ist der zu bewerten? Ist das Standard, ist das viel, ist das wenig? Wie soll der Leser diese Zahlen bewerten?

Mir fehlt da der offene Diskussionscharakter und letztendlich manipuliert die Verwaltung so die Abstimmung, zumal man nicht direkt auf die Power-Kommentare reagieren kann.
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Beitrag von JNK »

ropix @ 8 Jul 2013, 18:46 hat geschrieben: Wer stellt denn die 68 Stimmen? Die beteiligten Bürger? Das ist aber ganz schön mager, sinnvolle Bürgerbeteiligung sieht in meinen Augen anders aus. Da hat die Stadt versäumt das ganze bekannt zu machen?
Ja, ja und ja. Werbung gab es nicht, nur zwei Zeitungsartikel und ein Bericht im LokalTV des WDR: Das ganze ist mehr oder weniger nur ein Feigenblatt der Verwaltung. Wirklich von Herzen gewollt ist das nicht.
Die andere Frage - wie unverbindlich für die Tonne sind all die Vorschläge eigentlich? Aus der Seite werde ich nicht so ganz schlau. Meine Vermutung, das ganze wird irgendwann dem Finanzausschuss des Stadtrates vorgelegt und dann abgelehnt? /Edit: ach da steht es ja doch. Ja, Vermutung war wohl richtig
Die TOP 50 werden mit einer Stellungnahme der Verwaltung in den Rat eingebracht. Wie das aussehen wird bleibt abzuwarten. Letztes Jahr war die Einbringung in den Rat eine Statistik der Vorschläge mit "Entgegennahme ohne Beschluss". (Rundablage)
Außerdem müsste man sich irgendwas überlegen um von den Japanern und Chinesen und allen anderen nicht-Wuppertalern trotzdem etwas Geld in die Kasse zu bekommen?
Hotels zahlen auch Grundsteuer B, Kurtaxe wäre auch noch möglich. Tagesgäste, die nur Schwebebahnfahren und nix kaufen, nix trinken fahren in der Tat kostenlos. (Wie alle auswärtigen Autofahrer auch, sofern sie nicht auf einem kostenpflichtigen Parkplatz parken.)
historischen S-Bahn-Nutzern
Was soll das denn sein? ;)
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Beitrag von Autoverbot »

Die Grundsteuer zu erhöhen, das ist nicht sozial :o

Wnnschon, dann sollen alle irgendwie beteiligen!
U5 = letzter U-Bahn-Neu- und Ausbau in München!
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spock5407
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Beitrag von spock5407 »

Womit wir wieder bei der Frage "was ist ein gerechter Kostenschlüssel" sind.

Antwort aus meiner Controllererfahrung: es gibt "den gerechten" Schlüssel in aller Regel nie. Jeder, der Kosten tragen soll, frotzlt (mehr oder weniger). Mehr Transparenz ist in der Regel mehr Wert als zu versuchen, das "i"-Tüpfelchen für letztendlich unterschiedlich gefühlte Gerechtigkeit in ein Modell reinzudesignen.

Das mit dem einfachen "alle Anwohner zahlen" klappt net. Tourismus ist das eine, aber es sind auch die Einpendler zu beteiligen. Stellt euch das mal in München vor. Die Stadtmünchner sollen die Kosten, verursacht durch gefühlt halb Südbayern, alleine tragen?
Das wird niemals akzeptiert werden

Anderseits gibts sicher auch genug Orte, deren ÖPNV kaum durch Einpendler oder Touristen beeinflusst wird. Dort trägt ein Grundsteuermodell eher.
IMO müsste das gemischt aus Länder- und Kommunaltöpfen kommen. Was Tür und Tor wieder für Streitigkeiten öffnet.
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Beitrag von JNK »

spock5407 @ 8 Jul 2013, 20:19 hat geschrieben:Womit wir wieder bei der Frage "was ist ein gerechter Kostenschlüssel" sind.

Antwort aus meiner Controllererfahrung: es gibt "den gerechten" Schlüssel in aller Regel nie.
D'Accord.

Das Problem ist, man muss eine gerechte Umlage finden, die gleichzeitig kommunalrechtlich möglich ist. Das ist enorm schwierig.

Meine Argumentation ist immer: Die Bürger zahlen für die Einheimischen, die Betriebe (zahlen auch Grundsteuer B) für die Pendler und die Hotels für die Touristen. Das lässt sich natürlich nicht gerecht umsetzen, keine Frage. Das Problem ist: der Nahverkehr in Wuppertal lebt von der Quersubventionierung durch die Energieleistungen der WSW, die das Defizit ausgleichen. Die Stadt zahlt keinen Cent. Die Energiemarktliberalisierung durch den Bund zerstört das Geschäftsmodell der WSW. Dafür müssen wir eine Alternative entwerfen, wenn wir weiterhin akzeptablen ÖPNV haben wollen. Weder ÖPNV (-138,25 €/Jahr/EW) noch MIV (-145 €/Jahr/EW) sind marktwirtschaftlich zu betreiben. Man darf auch nicht vergessen, dass Pendler und Touristen ihr Geld in der Stadt lassen und man davon profitiert.
IMO müsste das gemischt aus Länder- und Kommunaltöpfen kommen. Was Tür und Tor wieder für Streitigkeiten öffnet.
Vor allem braucht man da die Zustimmung von gleich zwei Parlamenten...

@Autoverbot:
Grundsteuer B können Hausbesitzer auf Vermieter umlegen.
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Beitrag von Cloakmaster »

JNK @ 8 Jul 2013, 20:36 hat geschrieben:
Grundsteuer B können Hausbesitzer auf Vermieter umlegen.
linke Tasche - rechte Tasche? Ich würds ja eher auf die Mieter umlegen, aber wenn du meinst...
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Beitrag von JNK »

Cloakmaster @ 8 Jul 2013, 20:51 hat geschrieben:
JNK @ 8 Jul 2013, 20:36 hat geschrieben:
Grundsteuer B können Hausbesitzer auf Vermieter umlegen.
linke Tasche - rechte Tasche? Ich würds ja eher auf die Mieter umlegen, aber wenn du meinst...
:P
ropix
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Beitrag von ropix »

JNK @ 8 Jul 2013, 20:04 hat geschrieben:
ropix @ 8 Jul 2013, 18:46 hat geschrieben:Wir hatten am Samstag die Diskussion unter ein paar historischen S-Bahn-Nutzern auch.
Was soll das denn sein? ;)
Nutzer der historischen S-Bahn. Also Fahrgäste der 420er Fahrt nach Nördlingen.

Und ich denke dass ich mit dem Argument nicht von heute auf morgen, sondern wenn dann schrittweise durchaus überzeugen konnte. München ist halt nochmal ein anderes Kaliver mit jetzt schon überlastetem ÖPNV - ich will mir nicht vorstellen was passiert wenn man den z.B. ab Dezember kostenfrei nutzen könnte (außerdem wäre dann die schöne Semesterticketverhandlung völlig für die Katz *miau* gewesen)
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Beitrag von JNK »

Das Bündnis Unsere Stadtwerke Wuppertal veranstaltet am 10.September eine Diskussionsveranstaltung zum Bürgerticket: http://www.unsere-wsw.de/2013/07/vorankund...altung-zum.html

Meine Wenigkeit ist Mitglied im Bündnis und Mitorganisator.
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Beitrag von FR16 »

JNK @ 21 Aug 2013, 09:59 hat geschrieben:Das Bündnis Unsere Stadtwerke Wuppertal veranstaltet am 10.September eine Diskussionsveranstaltung zum Bürgerticket: http://www.unsere-wsw.de/2013/07/vorankund...altung-zum.html

Meine Wenigkeit ist Mitglied im Bündnis und Mitorganisator.
Wahrscheinlich habe ich eure Seite zu schnell quergelesen, aber mir erschließt sich nicht, ob es um fahrscheinlosen ÖPNV an sich gehen soll, oder ob das Bürgerticket eine konkrete Forderung ist. Wenn letzteres zutrifft: wie sieht euer Modell aus?
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Beitrag von JNK »

Das Ziel der Veranstaltung ist, das Bürgerticket überhaupt erstmal in den Fokus der Wuppertaler Öffentlichkeit zu bringen und die Debatte im Blick auf die Kommunalwahlen 2014 anzustoßen.
Ich persönlich favorisiere das Modell der Finanzierung über die Grundsteuer B, in aller Ausführlichkeit hier nachzulesen:
http://www.tal-journal.net/2013/03/ein-sol...nahverkehr.html

Bei der Bürgerbeteiligung zum Haushalt 2014/15 hat die Idee 42 Befürworter und 25 Gegner gehabt: https://haushalt.wuppertal.de/dito/explore?...icleshow&id=292

Ein großes Problem des Bürgertickets ist das beschränkte Steuerfindungsrecht der Kommunen.
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Beitrag von JNK »

Am 10. September 2013 fand in der City-Kirche die Bürgerticket-Veranstaltung des Bündnis Unsere Stadtwerke statt. Ungefähr 70 Gäste, darunter Ulrich Jaeger, Geschäftsführer der WSW mobil, und Frank Meyer, Beigeordneter der Stadt Wuppertal, lauschten den drei Referenten und diskutierten anschließend. Im Blog zeigen wir nun die Vorträge von Prof. Heiner Monheim und Martin Randelhoff als Video-Mitschnitt und die Zusammenfassung von Dr. Michael Kopatz' Vortrag als Text. (Der Diskussionsteil folgt noch, da gibt es noch einige Dinge zu klären)

Das Bürgerticket - Chance oder Risiko hatten wir gefragt. Und die Antwort lautet ganz eindeutig Chance!

http://www.unsere-wsw.de/2013/09/nachberic...t-ist-eine.html

(Diskussionsteil fehlt noch, wir warten noch eine Autorisierung - oder auch nicht - ab.)
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Beitrag von JNK »

Neues Projekt meinerseits: www.bürgerticket.info
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Beitrag von Cloakmaster »

Und was sagt man dazu, daß "Erfolgsstädtge" wie Hasselt sich inzwischen - vom eigenen Erfolg überrollt - vom fahrscheinlosen Nahverkehr wieder abgewandt haben?
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Beitrag von Hans Mayerson »

JNK @ 9 Jan 2014, 18:39 hat geschrieben:Neues Projekt meinerseits: www.bürgerticket.info
Interessant zu lesen, aber:

Ich bin gerne bereit, für die Nutzung des ÖPNV zu zahlen. Ich bin aber nicht bereit, für die Nichtnutzung zu Kasse gebeten werden. Und nein, ich fahre auch kein Auto!

Wuppertal wird dann aus dem VRR aussteigen müssen und die Bewohner der Stadt müssen sich dann bei Fahrten über die Stadtgrenzen dennoch einen Fahrschein kaufen. Auch innerhalb des Stadtgebietes werden S- und RE-Linien sicher nicht ohne Fahrschein nutzbar sein.

Es ist auch eine Mär, dass Autobesitzer dann plötzlich mit Bus und Bahn fahren, weil sei es ja schließlich durch eine Umlage bezahlt hätten. Soweit geht die „Geiz ist Geil“-Mentalität nun doch nicht. Das Auto ist nämlich auch bezahlt und Steuer und Versicherung fallen als fixe Kosten auch an.

P.S.: Auf Grund der Topografie der Stadt Wuppertal kann ich jeden Autobesitzer in der Stadt verstehen ;)
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JNK
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Beitrag von JNK »

Cloakmaster @ 9 Jan 2014, 19:52 hat geschrieben: Und was sagt man dazu, daß "Erfolgsstädtge" wie Hasselt sich inzwischen - vom eigenen Erfolg überrollt - vom fahrscheinlosen Nahverkehr wieder abgewandt haben?
Hasselt hat den fahrscheinlosen ÖPNV durch Einsparung durch Nichtbau des dritten Umgehungsrings finanziert. Als die Gelder aufgebraucht waren, die Stadt durch die Wirtschaftskrise in finanzielle Schwierigkeiten gekommen ist und die Neuauschreibung teurer ausfiel als geplant, hat man das leider abgeschafft, auch, weil es einen Politikwechsel gab. Daraus kann man lernen.
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Beitrag von 146225 »

Hans Mayerson @ 9 Jan 2014, 20:50 hat geschrieben: Ich bin gerne bereit, für die Nutzung des ÖPNV zu zahlen. Ich bin aber nicht bereit, für die Nichtnutzung zu Kasse gebeten werden. Und nein, ich fahre auch kein Auto!
Sorry, aber das ist eine zweifelhafte Aussage: Dann müsstest Du ehrlicherweise auch gegen alle anderen öffentlichen Güter und Einrichtungen protestieren. Meine Heimatstadt Heilbronn hat den kostenlosen Kindergarten. Ich habe mit 35 nix davon. Und jetzt?
München kann jeder. Duisburg muss man wollen!
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Beitrag von Hans Mayerson »

146225 @ 9 Jan 2014, 22:24 hat geschrieben:Meine Heimatstadt Heilbronn hat den kostenlosen Kindergarten. Ich habe mit 35 nix davon. Und jetzt?
Wäre auch zu schön, wenn Du in Deinem Alter noch in den Kindergarten gehst :lol:

Was Du sagen willst ist sicher, das Du keine Kinder hast. Als meine Kinder in den Kindergarten gegangen sind, habe ich selbstverständlich die Gebühren bezahlt und nicht von den kinderlosen Nachbarn erwartet, dass sie es mit bezahlen.
TravellerMunich
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Beitrag von TravellerMunich »

Hans Mayerson @ 9 Jan 2014, 23:21 hat geschrieben: Wäre auch zu schön, wenn Du in Deinem Alter noch in den Kindergarten gehst :lol:

Was Du sagen willst ist sicher, das Du keine Kinder hast. Als meine Kinder in den Kindergarten gegangen sind, habe ich selbstverständlich die Gebühren bezahlt und nicht von den kinderlosen Nachbarn erwartet, dass sie es mit bezahlen.
Das glaube ich nicht. In Deutschland decken die Kindergartengebühren gerade mal zwischen 15% und 20% der realen Kosten. Früher sogar eher weniger. Also haben Deine kinderlosen Nachbarn auf jeden Fall mit gezahlt. Und das zurecht. Sonst könnten wir unsere Gesellschaft gleich dicht machen und "jeder macht sein Ding, auf eigenes Risiko".
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Beitrag von Cloakmaster »

JNK @ 9 Jan 2014, 21:50 hat geschrieben: Hasselt hat den fahrscheinlosen ÖPNV durch Einsparung durch Nichtbau des dritten Umgehungsrings finanziert. Als die Gelder aufgebraucht waren, die Stadt durch die Wirtschaftskrise in finanzielle Schwierigkeiten gekommen ist und die Neuauschreibung teurer ausfiel als geplant, hat man das leider abgeschafft, auch, weil es einen Politikwechsel gab. Daraus kann man lernen.
Und was soll man daraus lernen? Daß Verkehrskonzepte nur so lange gültig sind, wie die richtige Person auf dem Regierungsstuhl sitzt? Oder daß Fahrscheinloser Nahverkehr nur auf Kosten anderer öffentlicher Projekte und in wirtschaftlichen guten Zeiten finanzierbar ist?

Einen Zweifler (und von denen gibt es bekanntlich mehrere) wird man damit nicht überzeugen.
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Beitrag von bayerhascherl »

Dass nicht nur in Deutschland "Schwäbische Hausfrau" und "Bauchgefühl" regieren, wenn es um Ökonomie geht. Volkswirtschaft ist nicht ohne Grund eine eigenständige Disziplin, neben der Betriebswirtschaft. Dinge die isoliert, betriebswirtschaftlich, ein Verlustgeschäft sind, können volkswirtschaftliche Idealinvestments sein. Wir alle haben darüber auch bei vielen Themen längst einen Konsens gefunden. So wissen wir, dass solidarische Gesundheitsversorgung unter dem Strich billiger ist, als Menschen, die es sich nicht leisten können, unversichert zu lassen und erst dann medizinisch zu helfen, wenn die in der Notaufnahme auftauchen (wie dies zB in den USA gemacht wird, nicht ohne Grund sind die Gesundheitsausgaben dort pro Kopf viel höher als bei uns, mit schlechteren Ergebnissen für die Volksgesundheit). Oder wir tragen den riesigen Sektor der Grund- und weiterführenden Schulen als reines "Defizitprojekt" mit. Das ist nicht selbstverständlich, bis zur Neuzeit war das undenkbar. Weil wir wissen, dass der Nutzen gesamtgesellschaftlich unbestreitbar ist.

Kommen wir zur Infrastruktur. Unser ganzes riesiges Straßennetz ist, abgesehen von der LKW Maut auf Autobahnen und ggf. in Zukunft dort auch einer PKW Maut, ein einziges riesiges Verlust- und Draufzahlgeschäft. Aber keiner wird bestreiten, dass dieses Straßennetz unverzichtbar ist, aucha ls Basis für weitere Wertschöpfung, es also eine Milchmädchenrechnung wäre, hier Defizite zu beklagen.

Seltsamerweise gilt dies aber beim ÖPNV schlagartig in den Augen der Öffentlichkeit nicht mehr. Obwohl makroökonomisch, für die ganze Volkswirtschaft, unter dem Strich auch Mobilitätskosten zu den defizitären Erstehungskosten des Bruttoinlandsproduktes zählen, die man gerne minimieren möchte. Nichts transportiert eine Personenzahl X ökonomischer (auch ökologischer) als insb. städtischer Personennahverkehr. Nicht nur bezogen auf öffentliche Aufwendungen für immer neue Straßenbauprojekte sondern insb. bezogen auf persönliche Mobilitätsausgaben. Wenn ich mir zB anschaue, dass hier in Augsburg eine "ÖPNV Flatrate", das Monatsabo für die 10er und 20er Zone (Augsburg + unmittelbares Umland) nur 47,80 kostet - dafür kriegt der durchschnittliche PKW nicht einmal eine Tankfüllung - dann ist evident, wo die Ersparnis liegt. Das ändert sich auch nicht durch die subventionierte Unterdeckung der ÖPNV Kosten, dieses Defizit liegt je nach Stadt um die 10% (+/-), das Abo in Augsburg wäre bei einer angenommenen Preiserhöhung um 10%, um kostendeckend ohne Steuersubventionen zu arbeiten, mit ca. 52 Euro im Monat auch nicht plötzlich unbezahlbar.

Was für das Individuum gilt, Ersparnis, gilt in Summe natürlich auch für die Gesamtbevölkerung. Zumal der Anteil an Personalkosten bei den ÖPNV Kosten sehr viel höher als beim Individualverkehr ist - das ist positiv, denn damit entstehen lokal viele Arbeitsplätze. Während beim Individualverkehr zB der Treibstoffkostenanteil viel höher ist, das Geld geht quasi direkt in's Ausland, nicht selten in Staaten, mit denen wir eigentlich gar nichts zu tun haben wollen würden, hätten die kein Öl, was wir ja unbedingt brauchen (denken wir). Man würde mit geringerem Spritverbrauch durch mehr ÖPNV Nutzung auch politische Abhängigen beenden. Ist Anstandsgefühl bepreisbar?

Und schließlich wird immer von Elektromobilität geredet, um vom Öl wegzukommen. Nun, die haben wir seit über einem Jahrhundert erprobt, in Form von Straßenbahnen, S-Bahnen, usw. anstatt mit Akkus rumzuprobieren einfach die nächste Straßenbahn nehmen. Auch würde der ganze Aufwand der Fahrpreiseinnahme entfallen, die teuren Fahrkartenautomaten beispielsweise. Das würde die Unkosten des ÖPNV sogar senken. Unter dem Strich würden wir volkswirtschaftlich daher sogar Geld sparen, wenn wir auf reine Steuerfinanzierung umstellen würden, selbst wenn noch kein einziger Fahrgast zusätzlich entsteht (was ich stark bezweifle, wir alle wissen, welche Nachfrage Deutsche entwickeln, sobald etwas kostenfrei ist).
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Beitrag von JNK »

Cloakmaster @ 10 Jan 2014, 04:51 hat geschrieben: Und was soll man daraus lernen? Daß Verkehrskonzepte nur so lange gültig sind, wie die richtige Person auf dem Regierungsstuhl sitzt? Oder daß Fahrscheinloser Nahverkehr nur auf Kosten anderer öffentlicher Projekte und in wirtschaftlichen guten Zeiten finanzierbar ist?

Einen Zweifler (und von denen gibt es bekanntlich mehrere) wird man damit nicht überzeugen.
1. Es braucht möglichst eine eigene Faninazierungsquelle geben, unter Beteiligung der Bürger. Z.B. Grundsteuer B. Dann hätte man eine unabhängige Finanzierung. Teilweise wird auch ein genossenschaftliches oder kirchliches Modell (Kirche als Äquivalent zu den Asten der Studierendenschaft) diskutiert.
2. Man muss Vorkehrung dafür schaffen, dass man nicht vom eigenen Erfolg überrollt wird.

Und: natürlich sind Verkehrskonzepte nur so lange gültig, wie man eine Mehrheit dafür findet. Was denn sonst?

Und wie Bayerhascherl richtig anmerkt, muss man endlich volkswirtschaftlich denken und nicht betriebswirtschaftlich.
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Beitrag von Cloakmaster »

Ich sehe vor allem ein Problem im "vom Erfolg überrollt werden". Wenn man sich ansieht, wie voll bzw überfüllt einige unsere Nahverkehrsnetze jetzt schon sind - wie soll das dann bei einen fahrscheinlosen Nahverkehr aussehen? Oder anders rum: Wie viele zusätzliche Kilometer an S-, U- und Trambahnlinien müsste man in zB München hinzubauen, um dem zu erwartenden zusätzlichen Fahrgastandrang (neben dem bestehenden) gerecht zu werden? Wie viel Geld wird das Kosten - nebst Unterhaltsaufwendungen, Rückstellungen für Ersatzbeschaffungen etc.? Das dann wieder auf die Einwohner und Berufstätigen (ich würde - wie in dem Konzept vorgestellt - auch die Einpendler mit ins "Finanzierungs-boot" holen) umgelegt, könnte der aufzuwendende Betrag dann doch deutlich höher ausfallen, als zunächst gerechnet. Einfach weil ein 350-Kilometer Netz an U-Bahnen nunmal erheblich teurer ist als ein 100-Kilometer-Netz. Und schon hat man wieder die Wutbürger auf dem Plan, die nicht bereit sind, statt der versprochnen 25 Euro im Monat nun doch eher 45 oder gar 55 Euro berappen zu müssen.

Wenn das ganze dann noch nur auf jeweils eine Wahlperiode abgestimmt sein soll, kann man es eh gleich ganz vergessen.

Dieses 'volkswirtschaftliche' Denken findet eine gewisse Anlehung in 'sozialwirtschaftlichem' oder gar 'sozialistischen Denken. Und vom Sozialismus wissen wir nundendgültig, daß der zwar gut ist, nur eben nicht für alle reicht. Ähnlcih die Idee vom "Grundeinkommen für alle", wleches ebenfalls auf dem Papier schön aussieht, aber aus meiner Sicht nicht langfristig praxistauglich ist.
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Beitrag von Michi Greger »

JNK @ 9 Jan 2014, 21:50 hat geschrieben: Hasselt hat den fahrscheinlosen ÖPNV durch Einsparung durch Nichtbau des dritten Umgehungsrings finanziert. Als die Gelder aufgebraucht waren, die Stadt durch die Wirtschaftskrise in finanzielle Schwierigkeiten gekommen ist und die Neuauschreibung teurer ausfiel als geplant, hat man das leider abgeschafft, auch, weil es einen Politikwechsel gab. Daraus kann man lernen.
Und jetzt haben die weder Umgehungsstraße noch ÖPNV? Dann haben sie aber richtig in die Scheiße gegriffen...

Gruß Michi
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Beitrag von JNK »

Michi Greger @ 10 Jan 2014, 17:18 hat geschrieben: Und jetzt haben die weder Umgehungsstraße noch ÖPNV? Dann haben sie aber richtig in die Scheiße gegriffen...

Gruß Michi
ÖPNV kostet ab dem Alter von 18 Jahren 60 Cent die Fahrt.
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Beitrag von JNK »

Cloakmaster @ 10 Jan 2014, 16:48 hat geschrieben:Ich sehe vor allem ein Problem im "vom Erfolg überrollt werden".  Wenn man sich ansieht, wie voll bzw überfüllt einige unsere Nahverkehrsnetze jetzt schon sind - wie soll das dann bei einen fahrscheinlosen Nahverkehr aussehen? Oder anders rum: Wie viele zusätzliche Kilometer an S-, U- und Trambahnlinien müsste man in zB München hinzubauen, um dem zu erwartenden zusätzlichen Fahrgastandrang (neben dem bestehenden) gerecht zu werden? Wie viel Geld wird das Kosten - nebst Unterhaltsaufwendungen, Rückstellungen für Ersatzbeschaffungen etc.? Das dann wieder auf die Einwohner und Berufstätigen (ich würde - wie in dem Konzept vorgestellt - auch die Einpendler mit ins "Finanzierungs-boot" holen) umgelegt, könnte der aufzuwendende Betrag dann doch deutlich höher ausfallen, als zunächst gerechnet. Einfach weil ein 350-Kilometer Netz an U-Bahnen nunmal erheblich teurer ist als ein 100-Kilometer-Netz. Und schon hat man wieder die Wutbürger auf dem Plan, die nicht bereit sind, statt der versprochnen 25 Euro im Monat nun doch eher 45 oder gar 55 Euro berappen zu müssen. 
Ja, die Fragen muss man aber erst stellen, bevor sie jemand beantwortet. Die Frage ist ja auch, wie sich der zusätzliche Verkehr dann verteilt. Sind das alles mehr Berufspendler, oder habe ich Samstagsabends mehr Verkehr? Und wie schnell kann man reagieren, z.B. durch zusätzliche Buslinien? Die Rheinbahn bietet von Bilk (S) bis zur Uni nun einen Schnellbus an, der nonstop in der studentischen HVZ zwischen dem Bahnhof und der Uni verkehrt. Der ist bequem, schnell und entlastet die Linien 835, 836 und 707 spürbar.
Dieses 'volkswirtschaftliche' Denken findet eine gewisse Anlehung in 'sozialwirtschaftlichem' oder gar 'sozialistischen Denken. Und vom Sozialismus wissen wir nundendgültig, daß der zwar gut ist, nur eben nicht für alle reicht. Ähnlcih die Idee vom "Grundeinkommen für alle", wleches ebenfalls auf dem Papier schön aussieht, aber aus meiner Sicht nicht langfristig praxistauglich ist.
Das halte ich für zu überspitzt. Volkswirtschaftliches Denken ist nichts anderes als soziale Marktwirtschaft. Es ist nun mal so, dass jeder Euro, der in den ÖPNV investiert wird einen messbaren Nutzen bringt, im deutschen Durchschnitt 3,8€, Nürnberg z.B. 5€, in Köln 5,3€. Das - plattgesagt - Blöde an Volkswirtschaft ist halt, dass der Nutzen dem Unternehmen nichts Vorzeigbares einbringt - die Stadtwerke haben nichts davon, wenn Menschen wegen weniger Lärmbelastung gesünder leben - die Krankenkassen profitieren. Die Stadtwerke haben nichts davon, wenn das Ressort Verkehr Geld durch geringere Benutzung einspart, die Stadtwerke bekommen keinen Bonus, weil die Stadt weniger CO2 Emission ausstößt (Wäre die Verkehrsleistung der KVB nur halb so groß, würde Köln 37.000 Tonnen CO2 im Jahr mehr in die Luft jagen) - all das ist nicht Teil der betriebswirtschaftlichen Rechnung.
Cloakmaster
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Beitrag von Cloakmaster »

Auch der aktuelle ÖPNV muss ja seinen volkswirtschaftlichen Nutzen belegen - der berühmt-berüchtigte NKF, welche über das Ja oder Nein von neuen Strecken hängt. Den volkswirtschaftlichen Nutzen nun aber so hoch anzusetzen, daß man trotz keinerlei Fahrgeldeinnahmen noch immer die magische 1 erreicht, stelle ich mir aber zumindest schwierig vor - vor allem, da der "Erfolg" sich nahezu nicht vorher sagen lässt. Ich glaube, wenn man im Jahr vor der Umstellung der Stadt Hasselt einmal 4 Millonen Fahrgäste prophezeiht hätte, hätte man laut und herzlich gelacht.

Oder kann/darf man hier die "Komensationzahlung" via Grundsteuer oder was auch immer, mit einfliessen lassen?

Zudem würden Fahrgäste, welche vom Fussgänger oder Radfahrer zum ÖPNV-Nutzer werden, in der Co2-Statistik eher negativ zu Buche schlagen.
GSIISp64b
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Beitrag von GSIISp64b »

Da "Nutzen" aber keine physikalische Einheit mit klarer Definition ist, ist die KNF-Grenze von 1 völlig willkürlich; bzw. es ist völlig willkürlich, wie viel Nutzen einen Wert von einem Euro entspricht.
Dauerhaft abwesend, und ich komme nicht mehr wieder.
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Beitrag von JNK »

Cloakmaster @ 10 Jan 2014, 21:33 hat geschrieben: Den volkswirtschaftlichen Nutzen nun aber so hoch anzusetzen, daß man trotz keinerlei Fahrgeldeinnahmen noch immer die magische 1 erreicht, stelle ich mir aber zumindest schwierig vor - vor allem, da der "Erfolg" sich nahezu nicht vorher sagen lässt.
Och, da kann man sicher von den Autobahnen lernen.
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