Reiseerlebnisse mit der Bahn

Eure Reportagen und Reiseberichte finden hier ihren Platz, gerne auch Bilder abseits von Gleisen
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JeDi
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Beitrag von JeDi »

DumbShitAward @ 20 Jun 2014, 12:01 hat geschrieben:
JeDi @ 20 Jun 2014, 11:50 hat geschrieben: Eher 9,20 weniger, oder?
Ich hab zwar die Nacht fast nicht geschlafen, aber auf welche Route beziehst du dich?
Entenfang meinte, er hat 18,40 EUR für 3 Stunden Verspätung bekommen. Für 60-119 Minuten Verspätung hätte es nur die Hälfte davon, also 9,20 EUR weniger gegeben ;)

Das hätte aber vermutlich erst Recht nicht für ein Taxi von LL nach DOT gereicht ;)
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Wildwechsel
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Beitrag von Wildwechsel »

DumbShitAward @ 20 Jun 2014, 11:35 hat geschrieben: und grundsätzlich immer mit vollem Handy unterwegs zu sein (auch Wechselrichter fallen aus).
Ich habe in der Regel einen mobilen Ladeakku dabei. Gibt es in den diversesten Ausführungen (Google-Suchbegriff Power Bank), mit dem meinigen kann ich das Handy unterwegs 5x komplett aufladen, das sollte also auch für größere Abenteuerreisen mit der Bahn ausreichen. :)
Beste Grüße usw....
Christian


Die drei Grundsätze der öffentlichen Verwaltung in Bayern:
1. Des hamma no nia so gmacht
2. Wo kamat ma denn da hi
3. Da kannt ja a jeda kemma
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TramBahnFreak
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Beitrag von TramBahnFreak »

Bayernlover @ 20 Jun 2014, 06:09 hat geschrieben: Und wieder mal die Erkenntnis, dass Dresden bahntechnisch gesehen am Ende der Welt liegt.
Kommt drauf an, wo du her kommst bzw. hin willst. :P
Oliver-BergamLaim
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Beitrag von Oliver-BergamLaim »

Heute möchte ich auch mal was zum Besten geben. Ich sitze am Samstagmittag gemütlich im pünktlichen Alex gen Pilsen/Prag, und habe sogar das Abteil für mich, als etwa 30 Sekunden nach Abfahrt in Furth im Wald ein Ehepaar mit Kind und eine sichtlich aufgeregte, etwa 22jährige Frau zu mir ins Abteil kommen und sich setzen. Binnen einer Minute entnehme ich dem lebhaften Gespräch, dass die junge Frau versehentlich in den falschen Zug gestiegen ist - sie wollte eigentlich den Alex nach München (zu einer Hochzeit nehmen), der in Furth im Wald zwar am gleichen Bahnsteig, aber ca. 20 Minuten später abfährt als der Alex Richtung Prag. Die junge Dame hat sodann erzählt, sie ist am Bahnhof angekommen, hat einen Zug mit der Aufschrift "Alex" am Bahnsteig stehen gesehen, ist losgerannt und einfach eingestiegen. Noch im Einstiegsbereich, aber schon bei geschlossener Tür und anfahrendem Zug, ist sie offenbar auf die ebenfalls gerade (aber in die richtige Richtung) eingestiegene Familie getroffen und hat durch Fragen herausgefunden, dass sie im falschen Zug ist.

Es folgte ein Gespräch, in dem die junge Dame neben einer mangelnden Umsichtigkeit auch eine schlichtweg fehlende Intelligenz ("bekomm ich jetzt ne Strafe, weil ich falsch eingesteigt (sic) bin?") sowie fehlendes Interesse an irgendetwas zeigte.

Denn der richtige Schock für sie kam erst, als man ihr erklärt hat, dass sie ihren Gegenzug nicht mehr erwischen wird, da Ceska Kubice kein Bahnhof mit Fahrgasthalt ist, sondern dass sie vielmehr am nächsten Bahnhof in Domazlice fast vier Stunden auf die nächste Fahrtmöglichkeit gen Deutschland und München warten darf. Dann wollte sie unbedingt einen "Kassierer" finden, der beide Züge in Ceska Kubice anhalten soll, und hat auf das Entgegnen des Familienvaters, dass das nicht gehe, gefragt: "ist das hier eine deutsche Eisenbahn? Warum ist denn das so schlecht organisiert?".

Tja... da ist mir nichts mehr eingefallen. Auf ihre weitere Aussage an den eisenbahntechnisch durchaus sehr gut informierten Familienvater, dass sie keine Lust hat, fast vier Stunden in Domazlice am Bahnhof zu sitzen und zu warten, wollte ich schon fast entgegnen, dass Domazlice eine wunderschöne Altstadt hat, mit netten Restaurants und Cafés, und dass sich bei schönem Wetter knappe vier Stunden eigentlich ideal für eine gemütliche Stadtbesichtigung, ein leckeres Mittagessen oder einen Eisbecher anbieten. Allerdings bezweifle ich stark, dass die junge Dame daran irgendein Interesse gehabt hätte, geschweige denn den Orientierungssinn, den Fußweg vom Bahnhof ins Stadtzentrum zu finden.

Da hat ihr der Familienvater noch ein Taxi zurück nach Furth im Wald für etwa 35 Euro empfohlen, was die junge Dame dann wohl letztlich am sinnvollsten fand und wohl auch gemacht hat, weil sie nach eigener Aussage dann "lieber noch bei ihrer Familie in Furth im Wald wartet" (aber dadurch keine Minute früher in München angekommen sein dürfte, es sei denn sie ist irgendwie auf die Idee gekommen, dass es noch vor dem nächsten Alex auch noch die Oberpfalzbahn aus Furth im Wald nach Schwandorf mit weiteren Umsteigemöglichkeiten Richtung München gegeben hätte; was da allerdings beim Umsteigen wieder alles schief gehen könnte - wahrscheinlich ist sie dann in Schwandorf im Zug nach Hof gelandet).

Kopfschüttelnd blieb ich mit der Familie im Abteil zurück und genoß die weitere Fahrt durch Böhmen :P
Catracho
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Beitrag von Catracho »

Tja, so ist das halt wenn es für den Akt des Zugfahrens keine App oder Assistenzsystem gibt. Bleibt nur zu hoffen, dass sich sowas nicht fortpflanzt...

Mfg
Catracho
Theirs not to reason why, theirs but to do and die. - Alfred Tennyson
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Irgendwie überraschen mich solche Leute mittlerweile nicht mehr, manchmal frage ich mich schon, wie die eigentlich sonst durchs Leben kommen. Einige Highlights meiner Fahrten:

Ansage im RE Dresden-Nürnberg vor der Abfahrt in [acronym title="DH: Dresden Hbf <Bf>"]DH[/acronym]: "Achtung, hier spricht Ihr Kundenbetreuer. Bitte beachten Sie: Unser Zug ist zweigeteilt, nur der vordere Zugteil an der Spitze fährt nach Nürnberg, der hintere endet in Hof und wird dort abgestellt. In welchem Zugteil Sie sich befinden, entnehmen Sie bitte den Zugzielanzeigen über den Türen. Steht dort Hof, endet der Zugteil in Hof. Steht dort Nürnberg, fährt dieser Zugteil nach Nürnberg. Wir bitten Sie, diesen Hinweis zu beachten. Vielen Dank."

Ein älteres Ehepaar kommt irgendwo zwischen Landshut und Freising in mein Abteil. Die Frau schimpft sofort los. "Da sagen sie immer, man soll das Auto stehen lassen und mit der Bahn fahren. Und dann fahre ich mit der Bahn und dann gibt es keine freien Sitzplätze mehr. Dann haben wir uns in die 1. Klasse gesetzt, weil ja sonst nichts frei war. Und dann kommt die Schaffnerin und ist total unfreundlich und schmeißt uns raus. Eine Unverschämtheit ist das! Dann soll "die Bahn" halt nicht mehr Fahrkarten verkaufen als sie Pätze hat. Das geht doch gar nicht und nächstes mal fahre ich bestimmt wieder mit dem Auto. ... " Beliebig fortzustetzen.

Der Alex (teilweise tschechische Garnitur) steht vor einem Halt zeigenden Signal kurz vor Regensburg Hbf. "Verehrte Fahrgäste, wir sind noch nicht in Regensburg. Bitte bleiben Sie sitzen, halten sich von den Ein- und Ausstiegstüren fern und steigen Sie nicht aus." Ich schaue aus dem Fenster und erwarte schon, dass jemand eine Tür öffnet. Nach einem kurzen Stop geht es dann aber weiter und zumindest auf meiner Seite hat niemand eine Tür geöffnet - aber nur bis zum nächsten Signal, dann stehen wir wieder. "Wir sind noch nicht in Regensburg, bitte halten Sie die Außentüren geschlossen und steigen Sie nicht aus." Dieses Mal stehen wir etwas länger, aber wieder geht auf meiner Seite keine Türe auf. Nach einigen Minuten fahren wir weiter, stehen dann aber vor dem Esig. "Wir sind immer noch nicht in Regensburg, bitte steigen Sie immer noch nicht aus." Dieses Mal dauert es aber nicht lange, bis eine Tür aufgeht...
Da staunt es mich ja, dass niemand aus dem Zug rausgefallen ist, weil die Zwischentür am letzten Wagen einmal nicht abgesperrt war. Oder dass niemand ins Gleisbett ausgestiegen ist, weil er nicht wusste, wo in Fahrtrichtung links ist. :lol:

Oder Leute, die an den Türgriffen im IC wie die Irren zerren, anstatt paar Sekunden zu warten. Oder an den Türen in den n-Wägen. Aber dort steht mittlerweile ja sogar drauf, dass man nach Stillstand des Zuges 4 Sekunden warten soll, bevor man die Tür aufmacht.
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
Martin H.
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Beitrag von Martin H. »

Wenn bei den Übergangstüren das Bodenblech hochgeklappt ist, öffnen sie nur bis etwa 20 Zentimeter, sind sie auf, gehen Sie nicht zu. Da ist eine mechanische Sperre drin.

Im alten Allach, der Bus kommt an und alle gehen zum Bahnsteig, als ich oben bin rauscht ein geschobener IC durch. Gleichzeitig kommt auch ein älteres, aber nicht ganz altes Ehepaar die Treppe hoch. Ob das denn die S-Bahn war, sollen sie wissen. Nein, ein Intercity. "Ja aber da war doch eine rote Lok dran!?". In Obermenzing stieg dann eine diesmal wirklich sehr alte Frau aus, und hat Sie bei den alten Wagen die Türen zugeschoben, zumindest hat Sie es versucht.
DumbShitAward
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Beitrag von DumbShitAward »

Ach ihr wundert euch? Kennt ihr nicht die Grundregeln des gelegentlichen Bahnfahrers?

1. Die Bahn ist immer Schuld.

2. All das wird nur gemacht um genau diesen einen Fahrgast zu ärgern.

3. Schilder und Hinweise sind Deko und enthalten keine Information.

4. Früher/Bei Hitler/In der DDR/In der Schweiz hätts das nicht gegeben.

5. Jeder muss das mitbekommen, deswegen quäkt man das ganze so laut und penetrant wie möglich durch den Wagen.

Gerade jetzt zur Ferienzeit steigt die Zahl dieser Personen wieder mal ins unerträgliche, da ist das Einsteigen in einen falschen Zug (ist wohl jedem schon mal passiert, auch ich kenn den Bahnhof Leienfelsstr. besser als mir lieb ist ;) - das Theater ist das eigentlich groteske) ja noch eine nette Anektdote.


Ich habe gestern begonnen meine Verspätungsgutscheine und bahn.bonus-Prämien aufzubrauchen um dann endlich einen Schlussstrich unter das Kapitel "Wochenendpendeln mit der Bahn" zu setzen, nach über 7 Jahren habe ich die Schnauze gestrichen voll, genau wegen solcher Leute und dem Gefühl, dass denen trotz ihres unmöglichen Verhaltens noch der Hintern nachgetragen wird, die Vielfahrer aber schauen sollen, wo sie bleiben. Alleine das Theater gestern könnte wieder Bände füllen (Haltentfall/apl. Halt Mannheim bzw. Heidelberg hat trotz Laufband und einem guten dutzend Durchsagen angeblich kaum einer mitbekommen, BaWü-Ticket im ICE, 1. Klasse ohne den Aufpreis zu bezahlen, Traktionen im ICE3 vertauscht, Ticket für den falschen Tag, usw.)

Fahrgastfehlfunktion!
Lektion 73 in unserer Serie "Rechtsstaat für Anfänger", heute: §81 StGB

Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder die auf dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.
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rautatie
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Beitrag von rautatie »

Beim Lesen des Berichts von Entenfang bin ich über die Info gestoßen, dass Reisepässe als Identifikation bei der Bahn nicht zugelassen seien (das scheint sich auch auf der DB-Seite zu bestätigen)... Wieso das denn? Darauf wäre ich im Leben nicht gekommen... Dazu kommt, dass ich zeitweise gar keinen Personalausweis gehabt hatte - ich bin immer davon ausgegangen, dass ein Reisepass in allen Fällen ausreicht....
Wo ist das Problem?
andreas
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Beitrag von andreas »

gut, ich fahr selten Richtung Hof oder mit dem Alex - aber in einem Jahr sehr viel Bahnfahren hab ich sowas komischerweise nie erlebt.

OK. einmal war ein Idiot dabei, der die Zugbegleiterin nach der verspäteten Abfahrt in Hannover von Hannover weg genervt hat, sie solle doch bitte unbedingt seinen RE von Würzburg nach Stuttgart festhalten, aber sonst?
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chris232
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Beitrag von chris232 »

Ist zwar nur indirekt Bahn, aber doch immerhin SEV. Vormittags, also zu der Zeit wo die ganzen Rentner zu ihren Arztterminen müssen und keine Zeit haben (außer zum Kleingeld an der Kasse zamsuchen): Ich steh am Kieferngarten die Wendezeit ab, vor mir noch ein Kollege. Der Pulk aus der U-Bahn kommt die Treppe rauf und als der größte Schwung vorbei ist, fährt er pünktlich ab. Ich bin auf dieser Runde als "Nachzügler" dran und rücke vor. Kaum ist die Tür offen, "darf" ich das Gekeife einer älteren, nun ja, "Dame" gegenüber dem Verkehrsmeister mithören: Dass es doch eine Unverschämtheit sei, dass der Bus vor der Nase wegfährt, und das kann doch wohl nicht sein, dass man nicht mal 5 min warten kann wenn die U-Bahn grad angekommen ist, usw usf.

Achja: Als sie mit ihrem Gemecker fertig war und eingestiegen ist, war mein Vordermann kaum 3 Minuten weg und ich bin 5 min, nachdem die U-Bahn angekommen ist, losgefahren.
Eisenbahnen sind in erster Linie nicht zur Gewinnerzielung bestimmt, sondern dem Gemeinwohl verpflichtete Verkehrsanstalten. Sie haben entgegen dem freien Spiel der Kräfte dem Verkehrsinteresse des Gesamtstaates und der Gesamtbevölkerung zu dienen.
Otto von Bismarck

Daher hat die Bahn dem Gemeinwohl und nicht privaten Profitinteressen zu dienen, begreifen Sie es doch endlich mal!
Fat Hippo
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Beitrag von Fat Hippo »

chris232 @ 5 Aug 2014, 13:40 hat geschrieben:
Achja: Als sie mit ihrem Gemecker fertig war und eingestiegen ist, war mein Vordermann kaum 3 Minuten weg und ich bin 5 min, nachdem die U-Bahn angekommen ist, losgefahren.
Das einzig Schlimme daran ist, daß man in solchen Fällen den Herrschaften nicht mitteilen darf, wo sie sich ihre Attitüde hinschieben dürfen.
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Beitrag von ropix »

chris232 @ 5 Aug 2014, 13:40 hat geschrieben: Ist zwar nur indirekt Bahn, aber doch immerhin SEV. Vormittags, also zu der Zeit wo die ganzen Rentner zu ihren Arztterminen müssen und keine Zeit haben (außer zum Kleingeld an der Kasse zamsuchen): Ich steh am Kieferngarten die Wendezeit ab, vor mir noch ein Kollege. Der Pulk aus der U-Bahn kommt die Treppe rauf und als der größte Schwung vorbei ist, fährt er pünktlich ab. Ich bin auf dieser Runde als "Nachzügler" dran und rücke vor. Kaum ist die Tür offen, "darf" ich das Gekeife einer älteren, nun ja, "Dame" gegenüber dem Verkehrsmeister mithören: Dass es doch eine Unverschämtheit sei, dass der Bus vor der Nase wegfährt, und das kann doch wohl nicht sein, dass man nicht mal 5 min warten kann wenn die U-Bahn grad angekommen ist, usw usf.

Achja: Als sie mit ihrem Gemecker fertig war und eingestiegen ist, war mein Vordermann kaum 3 Minuten weg und ich bin 5 min, nachdem die U-Bahn angekommen ist, losgefahren.
Vermutlich hat sie einfach den Bus gemeint der immer 10 Sekunden vor dem ersten U-Bahn-Fahrgast losfährt. Ich zumindest kann die beschriebene Situation nicht nachvollziehen. Es fährt immer ein Bus leer ab den alle Fahrgäste zwar zu Gesicht bekommen aber wo keiner reinkommt, dann der nächste in 3-7 Minuten, nur um seinerseits den Anschluss auf der anderen Seite dann knapp zu verpassen.

Oder es hat noch einer geschafft in die letzte sich schließende Tür zu springen, die dann für den gesamten SEV aufgehalten wird wenn es der Fahrer nicht einsieht alle Türen wieder freizugeben. Aber es gibt einfach keinen Grund aus 10 Minuten 20 oder 30 zu machen nur weil die MVG konsequent Leerfahrten vor direkten Fahrgasttransporten bevorzugt...

Gilt natürlich nur(?) für den Expressbus, der Museumsbus kommt mir ja normalerweise nur aufm 106 entgegen :)
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Beitrag von TramBahnFreak »

ropix @ 28 Aug 2014, 09:16 hat geschrieben: Vermutlich hat sie einfach den Bus gemeint der immer 10 Sekunden vor dem ersten U-Bahn-Fahrgast losfährt. Ich zumindest kann die beschriebene Situation nicht nachvollziehen. Es fährt immer ein Bus leer ab den alle Fahrgäste zwar zu Gesicht bekommen aber wo keiner reinkommt, dann der nächste in 3-7 Minuten, nur um seinerseits den Anschluss auf der anderen Seite dann knapp zu verpassen.

Oder es hat noch einer geschafft in die letzte sich schließende Tür zu springen, die dann für den gesamten SEV aufgehalten wird wenn es der Fahrer nicht einsieht alle Türen wieder freizugeben. Aber es gibt einfach keinen Grund aus 10 Minuten 20 oder 30 zu machen nur weil die MVG konsequent Leerfahrten vor direkten Fahrgasttransporten bevorzugt...

Gilt natürlich nur(?) für den Expressbus, der Museumsbus kommt mir ja normalerweise nur aufm 106 entgegen :)
Die MVG hat offensichtlich einfach mit zu langen Umsteige-Zeiten gerechnet, sodass man letztendlich an beiden Enden immer den Anschluss knapp verpasst, den man eigentlich gar nicht mehr hätte sehen dürfen, wenn man planungskonform langsam genug gelaufen wäre...
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Entenfang
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Beitrag von Entenfang »

Faradayscher Käfig und nicht existente 3-Minuten-Verbindung


Dass die Verbindung München-Dresden unter aller Sau ist, dürfte wohl angesichts meiner permanenten Jammerei fast jedem bekannt sein. Dennoch musste ich bei meiner ersten Fahrt im neuen (Fahrplan-)Jahr feststellen, dass die Verbindungen derart kurios sind, dass ich sicher darüber lachen würde, wäre ich nicht so sehr auf sie angewiesen. Doch um von München nach Dresden zu fahren, muss ich erstmal von Dresden nach München kommen, habe ich doch den Fahrplanwechsel im fernen Osten verbracht.


Um den permanent verspäteten ALX 350 zu umgehen, habe ich einige Wochen vor dem Fahrplanwechsel entdeckt, dass man auch von Hof mit dem RE 3094 nach Nürnberg und von dort mit ICE 919 weiter nach München fahren kann und dass diese Verbindung auch für 21,75€ zu haben ist und obendrein noch 18 Minuten schneller ist als über Regensburg.

Bei meinem ersten Versuch mit dieser Verbindung hat die letzte Vorlesung noch gar nicht begonnen, da flattert schon eine E-Mail vom Verspätungsalarm rein. ICE 919 fällt aus. Es verkehrt ein Ersatzzug. Hamburg Hbf +20.
Vermutlich wird es dabei nicht bleiben, denke ich und überprüfe nochmal den Ersatzzug nach der Vorlesung. In Berlin ist er bei +35.
Dann wohl doch die Standardroute über Schwandorf.
Kurz vor meiner Abfahrt in Dresden ist er bei +45.

Ich genieße die Dunkelheit und schaue kurz vor der Ankunft in Hof nochmal nach. +50. Klarer Fall für die herkömmliche Strecke.

Im RE nach Regensburg mustert der Zub kritisch meine Fahrkarte. „Sie wissen aber schon, dass Sie über Schwandorf fahren?“
Aber ja. Ich weiß aber auch, dass der 919 ausfällt.
Er schaut nach. „Sie wissen aber schon, dass es einen Ersatzzug gibt?“
Aber ja. Ich weiß aber auch, dass der +50 hat.
Er schaut nach. „+51, na schön. Schwandorf Gleis 2. Gute Fahrt!“

Der ALX 350 kommt natürlich wie erwartet mit +15 und fährt nach dem (außerplanmäßigen) Anhängen eines weiteren Wagens mit +26 ab. Auch die Zub ist total genervt und bestätigt meine persönliche Verspätungsquote von 100% in diesem Zug. „Ja, der ist echt andauernd verspätet… Und mein Feierabend interessiert keinen.“


2 Wochen später klappt die Verbindung über Nürnberg. Es wird die letzte Gelegenheit dafür sein.


Alle Jahre wieder kommt Weihnachten so überraschend am 24. Dezember und der Fahrplanwechsel am 2. Dezembersonntag. Am Freitag vor Weihnachten sollte es wieder mit der schönen Verbindung über Nürnberg nach Hause gehen. Aber wieso will sie mir die Fahrplanauskunft nicht anzeigen? Der neue RE 3092 von Hof nach Nürnberg hat 2 zusätzliche Halte bekommen. Natürlich muss man in Pegnitz und Hersbruck unbedingt 3 Minuten stehen. Und in 2 Minuten kann man nicht mehr in den ICE nach München umsteigen.
Dann halt die klassische Variante. Ich entscheide mich für eine frühere Verbindung zulasten einer Vorlesung und besteige meinen RE in Dresden Hbf wie immer wenige Minuten vor Abfahrt. Normalerweise hat man vormittags freie Platzwahl, aber heute ist ungewöhnlich viel los und natürlich steht überall Gepäck auf den Sitzen (Und da heißt es noch, im NV kann man nicht reservieren. Alle zugestellten Sitze sind meine gratis reservierten Plätze, auf die auch kurz vor Abfahrt im stärksten Berufsverkehr Verlass ist).
Ein Zweier ist komplett mit Gepäck zugestellt. Ich erkundige mich bei dem Mann und der Frau mittleren Alters im Vierer gegenüber, ob die Plätze noch frei sind. Das Gepäck gehöre ihnen nicht, aber ich könne mich selbstverständlich zu ihnen dazusetzen.

Es dauert nicht lange, da meldet sich eine Frau älteren Semesters aus dem Vierer schräg gegenüber. „Ach du lieber Gott, ich habe meine Fahrkarte in Dresden vergessen!“ Sie sitzt zusammen mit einem mittelalten Mann, einer mittelalten Frau und einem jungen Mann im Vierer, gut möglich, dass es sich um Tochter + Mann und Enkel der älteren Frau handelt. Der junge Mann ist offensichtlich geistig behindert. Nun haben die vier meine volle Aufmerksamkeit und wohl auch die meiner Nebensitzer. Die mittelalte Frau redet irgendwas von „Dann bist du halt der Mitfahrer, du kriegst die Fahrkarte und gut ists.“ Leider kann ich nicht wirklich gut beobachten, was sie machen, da sie schräg hinter mir sitzen. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Zub scheinen die Fahrkarten akzeptiert worden zu sein. Auch diesem Gespräch kann ich leider nicht folgen, denn abgesehen von der alten Frau reden alle in normalem Tonfall und sind daher nicht zu verstehen.

Die nächste Stunde läuft eigentlich immer nach dem gleichen Schema ab. Oma redet laut und gut verständlich, aber über so uninteressante Themen, sodass ich schon nach kurzer Zeit den Faden verliere. Wer im Bekanntenkreis was gemacht hat und warum dieses so und jenes anders ist. Die mittelalte Frau kommentiert ab und zu und wirft auch mal etwas ein, die beiden Männer beteiligen sich nicht am Gespräch. Immer nach etwa 5-10 Minuten Monolog der alten Frau spricht entweder sie oder ihre Tochter den jungen Mann direkt an und stellt eine konkrete Frage, etwa: „Erzähl doch mal, was du gestern Nachmittag gemacht hast.“ Nachdem eine zufriedenstellende Antwort gegeben wurde, geht der Monolog von Oma weiter, manchmal gibt es sogar noch eine zweite Frage an den jungen Mann.

Irgendwann geht mir das Geplapper ziemlich auf die Nerven. Meine Nebensitzer wechseln nur wenige Worte, und wegen dem mir nicht geläufigen Dialekt und der sehr leisen Sprechweise kann ich auch hier nicht folgen. Nur einmal wird kurz erörtert, ob die neue elektrische Verbindung nach Hof schneller, gleichschnell oder langsamer als die Verbindung mit NT ist und man kommt zum Schluss, dass sie auf keinen Fall schneller sein kann.


Der plötzlich noch etwas lautere Tonfall von Oma weckt meine Aufmerksamkeit. „Mein Heilpraktiker hat mir gesagt, gegen die Handystrahlung helfen nur Aluminiumplatten an der Wand, an der Decke und unter dem Teppich. Aber das Problem sind die Fenster…“

„Ist schon interessant, worüber sich manche Leute unterhalten“, meint die mir schräg gegenüber sitzende Frau. Auch sie verfolgt das Gespräch nun mit großem Interesse.

„Bei meinen Kindern geht das ja noch, aber bei den heutigen… Ich sag dir, die werden alle Krebs haben, alle!!!“

„Ja, die Gehirne der Erwachsenen können das ja irgendwie noch wegfiltern, aber die der Kinder unter 10 Jahren… Und erst die der Kinder unter 5 Jahren!!! Bei denen geht das direkt in die Gehirnzellen.“


Nach einigen weiteren Kommentaren in ziemlich aufgeregtem Tonfall von ähnlichem Inhalt beruhigt sie sich schließlich wieder und monologisiert lieber weiter über unspektakuläre Themen.

Ich habe mir von einem Informatiker noch erläutern lassen, dass der Faradaysche Käfig nicht nur zum Schutz vor Blitzeinschlägen seine Wirkung entfaltet, sondern die Verkleidung von Räumen mit Aluminiumplatten tatsächlich zum Schutz vor unerwünschten Einflussnahmen auf Computersysteme von außerhalb Anwendung findet.


Immer wieder gerne beobachte ich die übliche Panik, wenn jemand entdeckt, dass die Umsteigezeit nach Nürnberg nur 4 Minuten beträgt.
„Ich schaue mal nach, wie wir von Hof weiterkommen“, verkündet Oma. Als sie die kurze Umsteigezeit sieht, kann sie sich nur mit Mühe beherrschen. „Oh Gott, das sind ja nur 4 Minuten!!!! Ich geh mal den Schaffner suchen.“
Der befindet sich mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit beim Tf. Aber such ruhig, dann habe ich wenigstens mal meine Ruhe.
Gut 5 Minuten später hört man sie aufgeregt auf ihre Tochter einreden, während sie sich unverrichteter Dinge von vorne nähern.
Die Frau schräg gegenüber kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Man hört sie, bevor man sie sieht…“

Ab Zwickau habe ich dann den Vierer nur für mich, irgendwann taucht der Zub ganz von allein wieder auf und wird von Oma angesprochen. Es geht wohl auch um die vergessene Fahrkarte und ob die Kollegen im nächsten Zug das wohl auch akzeptieren. Obwohl Oma den Zub angesprochen hat, verkündet sie mehrmals während des Gesprächs: „Ach, merkt ihr euch das, ich weiß das nicht.“ „Habt ihr zugehört? Ich habe mir das nicht gemerkt.“

Von Hof bis München ist die Fahrt so wahnsinnig ruhig…



Die Ferienzeit ist vorüber, Zeit wieder nach Dresden zu fahren. Warum ich beim Fahrkartenkauf nicht sonderlich glücklich war, kann man sich beim Betrachten der Verbindungen sicher vorstellen.

2013:
München Hbf ab 16:04
ALX 84112
Marktredwitz an 19:01
Marktredwitz ab 19:06
RE 3465/3797 „Studentenschaukel“
Dresden Hbf an 22:01
Fahrzeit: 5:57

Rückfallebene:
Nürnberg ab 18:40
IRE 3097
Dresden an 23:08


Dann kam die Elektrifizierung nach Hof und damit wurde der FSX nur noch zweistündlich von Nürnberg nach Dresden geführt. In den anderen Stunden musste mit 3-4 Minuten Umsteigezeit in Hof umgestiegen werden. Zusätzlich kam wohl jemand auf die Idee, dass so ein durchgehender Stundentakt irgendwie zu wenig abwechslungsreich ist und der RE 3465 endete nun in Hof, sodass der ALX 84112 keinen Anschluss mehr nach Dresden hatte. Also blieb mir, da ich früher nicht fahren wollte, nur die letzte Verbindung des Tages, die berühmte doppelte 3-Minuten-Verbindung.

2014:
München Hbf ab 17:02
ALX 357
Schwandorf an 19:02
Schwandorf ab 19:05
RE 3698
Hof Hbf an 20:24
Hof Hbf ab 20:27
RE 4777
Dresden Hbf an 23:03
Fahrzeit: 6:01

Bilanz nach 12 Fahrten mit dieser nervenaufreibenden Verbindung, davon 2x über Nürnberg:

Alle Züge pünktlich: 1
Verspätete Ankunft in Dresden wegen Warten auf anderen Anschluss: 1
Kleine Verspätung <6 Min., Anschluss wartet: 4
Große Verspätung >=6 Min., Anschluss wartet: 4
Andere Route wegen Anschlussverlust: 1
Übernachtet in Hof wegen Anschlussverlust: 1

Da war die Freude durchaus groß, als ich erfahren habe, dass die Taktlücke zwischen Hof und Dresden wieder geschlossen wird.

2015:
Hof Hbf ab 19:36
RE 4775
Dresden Hbf an 22:12

Super, also nur noch einmal umsteigen und wieder direkt nach Hof.

München Hbf ab 16:04
ALX 84112
Hof Hbf an 19:33

Dafür wurde die letzte Verbindung des Tages ordentlich vermurkst, ist dennoch zur Not als Rückfallebene zu gebrauchen.


München Hbf ab 17:02
ALX 357
Schwandorf an 19:02
Schwandorf ab 19:05
RE 3698
Hof Hbf an 20:24
Hof Hbf ab 20:30
RE 4797
Chemnitz Hbf an 22:05
Chemnitz Hbf ab 22:30
RB 17239
Dresden Hbf an 23:51
Fahrzeit: 6:49

Also möchte ich nichtsahnend eine Fahrkarte für ALX 84115 – RE 4775 kaufen und muss feststellen, dass die Fahrplanauskunft mir nur diese Verbindung ausspuckt:

München Hbf ab 16:04
ALX 84112
Hof Hbf an 19:33
Hof Hbf ab 20:30
RE 4797
Chemnitz Hbf an 22:05
Chemnitz Hbf ab 22:30
RB 17239
Dresden Hbf an 23:51
Fahrzeit: 7:47

Womit die 7:20 des letzten durchgehenden IR auf dieser Strecke im Jahr 2000 wieder überschritten wären.
Ich denke mir nicht viel dabei und schreibe notgedrungen diese Verbindung auf die Fahrkarte. Hoffentlich klappt der 3-Minuten-Anschluss an den RE 4775 in Hof…

Bei der Fahrkartenkontrolle frage ich beim Zub nach. „Der RE 4775 fährt sonntags nicht.“ Komisch, als ich vorhin nachgeschaut habe, ist er doch noch gefahren. Ich schaue nochmal nach. Doch, er fährt. Aber die Verbindung gibt es trotzdem nicht. Auch der Zub kommt später nochmal auf mich zu und korrigiert seine Aussage. Aber warum ist er denn nicht als Verbindung vorgesehen? „3 Minuten sind zu wenig, um mit Gepäck durch die Unterführung zu gehen.“ Aber wir kommen doch auf Gleis 4 an? „Nein, nein, auf Gleis 2.“
Das wäre in der Tat äußerst schlecht. Denn mit ziemlich großem Koffer, Papprolle mit Postern und Rucksack beladen, muss ich wohl auch als eingefleischter ÖV-Sprinter von der Pole-Position an der Tür 90 Sekunden zum Bahnsteigwechsel einplanen. Da ist bei 3 Minuten Umsteigezeit nicht arg viel Puffer drin und ein nicht vorgesehener Anschluss wird wohl auch nicht warten.
„Aber probieren Sie es.“
Was bleibt mir auch anderes übrig. Der DB-Navigator behauptet jedenfalls unverändert, wir würden auf Gleis 4 ankommen und damit wäre es ein bahnsteiggleicher Umstieg.

Bereits seit München sitzen mir gegenüber eine Frau mittleren Alters und ein etwas älterer Mann und unterhalten sich ununterbrochen. Eigentlich habe ich mich wegen den großen Tischen in den Treff-Wagen gesetzt, um etwas zu arbeiten. Aber leider sind die Tische in dieser Garnitur nicht so groß und bei dem Dauergeschnatter fällt mir die Konzentration schwer. Meine Gedanken driften immer wieder zu dem mysteriösen Anschluss in Hof ab.
Irgendwann verstummt das Gespräch mir gegenüber und die Frau fragt mich, ob ich denn meinen Anschluss in Hof noch erreichen würde. Tja, wenn ich das wüsste.

Bis Regensburg sind wir überpünktlich, die Rangierzeit wurde aber von 10 auf 8 Minuten reduziert. Außerdem wird nun unnötigerweise zusätzlich in Regenstauf und Maxhütte-Haidhof gehalten.
Das Rangieren geht zügig vonstatten und die Lichtlein brennen, erst eins, dann zwei, dann drei, dann gibt das grün-gelbe Asig auch schon frei. Pünktlich geht’s weiter.

Im weiteren Verlauf sind wir bei +2. Die Frau und der Mann gegenüber haben ihr Gespräch wieder aufgenommen, vor und hinter mir ertönt Kindergeschrei. Ich gebe das Arbeiten auf und entspanne bei einem Hörbuch.

Weiden erreichen wir schließlich mit -2. Eine Agilis fährt kurz darauf ein. Oh nein, bitte nicht den Anschluss abwarten. Nichts zu machen, mit +2 lassen wir Weiden und dann auch Marktredwitz hinter uns.
Bei Oberkotzau sichere ich mir den optimalen Startplatz und warte gespannt die Bahnhofseinfahrt in Hof ab. Wir liegen gut in der Zeit.

Die Zub sagt die Anschlüsse neben mir durch. Der 4775 ist nicht dabei.

„Ausstieg in Fahrtrichtung links“, ertönt eine andere Stimme. Wir sind also doch auf Gleis 4 eingefahren. Ich frage die Zub, warum sie den Anschluss zum 4775 nicht durchgesagt hat. „Das darf ich nicht. Die Umsteigezeit in Hof beträgt 4 Minuten. Und wenn dann jemand hinfällt… Aber es gibt ja nachher noch den nach Chemnitz.“
Ja, aber mit einer halben Stunde Zeit zur Stadtbesichtigung.
„Es tut mir leid, ich mache die Fahrpläne nicht. Die DB ist manchmal nicht sehr nett zu uns. Mir wäre es auch lieber, man könnte direkt umsteigen.“
Das höre ich nicht zum ersten Mal.
„Aber er steht noch da, Sie können den noch erwischen.“

Ich werde also Zeuge davon, wie 15 Fahrgäste einen nicht existenten Umstieg durchführen.

Angesichts dieser Kuriosität bin ich völlig sprachlos. Denn es ist tatsächlich so, dass von Gleis 4 nach Gleis 6b nun auf allen Verbindungen mindestens 4 Minuten Anschlusszeit vorgesehen sind. Aber bis zum Fahrplanwechsel war doch ein Umstieg in 3 Minuten möglich…
Bayernlover @ 13 Oct 2014, 20:44 hat geschrieben:Was denn? Letzte Verbindung nach Dresden jetzt schon 12 Uhr mittags?
Insofern ist Bayernlover von der Wahrheit gar nicht mehr so arg weit entfernt. Denn über Regensburg-Hof fährt die letzte schnelle Verbindung nun de facto um 14:44 Uhr in München ab.

Also bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als zukünftig über Nürnberg zu fahren.

Frohes Neues Jahr, heißt es immer wieder. Zumindest auf das neue Fahrplanjahr freue ich mich irgendwie nicht.
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Beitrag von Galaxy »

rautatie @ 5 Aug 2014, 09:27 hat geschrieben: Beim Lesen des Berichts von Entenfang bin ich über die Info gestoßen, dass Reisepässe als Identifikation bei der Bahn nicht zugelassen seien (das scheint sich auch auf der DB-Seite zu bestätigen)... Wieso das denn? Darauf wäre ich im Leben nicht gekommen... Dazu kommt, dass ich zeitweise gar keinen Personalausweis gehabt hatte - ich bin immer davon ausgegangen, dass ein Reisepass in allen Fällen ausreicht....
Das kann aber nicht stimmen. Wie soll sich den jemand außerhalb des EU Raums in der Bahn ausweisen?
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Beitrag von Rev »

Kreditkarte , Ticket aus dem Automaten

Das der Reisepass nicht akzeptiert wird ist nicht ungewöhnlich das gibt es bei mehreren sachen.
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Beitrag von JeDi »

Poste die 3 Minuten-Sache doch mal bei DSO, vielleicht wird dann nachgearbeitet.
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Beitrag von Entenfang »

Lügen haben lange Reiseplanungen


Heute habe ich mal wieder Lust auf Abteil. Am liebsten die mit der großen Beinfreiheit. Am Sonntag zum Ende des verlängerten Wochenendes ist einiges los.
Oh, ein komplett freies Abteil. Die Tür geht nicht auf. Verschlossen. Wäre ja auch zu schön gewesen. Im nächsten Abteil sitzen eine Frau und ein Mann mittleren Alters an den Fensterplätzen und eine junge Frau am Gang. Ich setze mich ihr gegenüber. Das Rollmaterial beim Alex ist jedes Mal aufs Neue eine Überraschung. Diesen Wagen habe ich noch nie gesehen.

Das Paar unterhält sich leise, die Frau mir gegenüber hat Stöpseln in den Ohren und ich warte auf die Abfahrt. Alles deutet auf eine ganz normale Bahnfahrt hin.

Wenige Minuten vor Abfahrt taucht plötzlich eine ziemlich kleine und deutlich übergewichtige Frau auf. Sie hat einen leichten Sprachfehler. „Entfuldigen Sie, aber daf ist mein Platz!“, sagt sie ziemlich laut zur mittelalten Frau am Fensterplatz in Fahrtrichtung.
„Ja woher hätte ich das denn wissen sollen?“, meint sie enschuldigend.
„Ich hab doch extra meine Sachen dahingestellt“, erläutert die übergewichtige Frau ziemlich unfreundlich.
Die mittelalte Frau räumt schnellstens den Platz, setzt sich auf den Fensterplatz gegen die Fahrtrichtung, der Mann rückt in die Mitte neben mich auf.
„Jaja, schon gut. Kein Problem…“, meint sie vorsichtig. In der Tat ist die Frau eine ungewöhnliche Erscheinung. Obwohl sie ziemlich viele Klamotten anhat, ist das Übergewicht nicht zu übersehen. Sie ist nicht größer als 1,50 m, dazu kommt noch der Sprachfehler. Es fällt mir äußerst schwer, ihr Alter zu schätzen. Zwischen 15 und 25 ist irgendwie alles denkbar.
Sie lässt sich in den freigewordenen Sitz plumpsen und legt zwei große Packungen Haribo-Süßigkeiten und eine 300 g–Packung Waffelmischung neben sich. „Wohin fahrt ihr?“, will sie vom mittelalten Paar wissen.
„Nach Hof“, antwortet die Frau.
„Ich gar nicht, ich gehe gleich wieder“, meint der Mann.
Nach einem intensiven Abschiedskuss verlässt der Mann das Abteil.

In den folgenden drei Minuten bis zur Abfahrt versuchen sich noch etliche Fahrgäste an der verschlossenen Abteiltür. Manche geben nach einem kurzen Versuch auf, andere zerren mit aller Kraft an der Tür. Keiner hat Erfolg, missmutig ziehen alle weiter, um sich einen anderen Platz zu suchen. Unser Abteil ist wegen des Rucksacks auf dem Platz neben der übergewichtigen Frau und einem Koffer in der Mitte offensichtlich wenig einladend und so bleibt es bei der Viererbelegung.

Pfeif! Ditditditditditrumms. Mit Schwung setzen sich die fünf Wagen in Bewegung.

Als die Zub vorbeigeht, wird sie von einigen Fahrgästen aufgehalten, die wissen möchten, warum das Abteil versperrt ist. Sie sperrt auf und nach einer ausgiebigen Geruchsprobe wird es als benutzbar empfunden. Glücklich wird es gestürmt. In der Tat riecht es im Wagen nicht allzu gut und ich öffne das Klappfenster im Gang. Dort sollte es niemanden stören, auch wenn ein paar Tropfen des Mistwetters hereingeweht werden.
Die Zub geht zur Fahrkartenkontrolle durch. Kurz vor unserem Abteil wird sie aufgehalten. „Entschuldigung, eine Mitarbeiterin von der DB hat mich in diesen Zug hier umgebucht, weil mein Zug verspätet war. Eigentlich sollte ich mit einem Zug nach … äh … hm … egal, weiß ich nicht mehr fahren. Das ist doch jetzt ein anderes Unternehmen. Muss ich jetzt eine andere Fahrkarte lösen?“
Die Zub winkt ab, dann schaut sie bei uns vorbei. Alle zeigen ihre Fahrkarte vor, nur die übergewichtige Frau nicht. Als die Zub sie schließlich fragend anschaut, meint sie: „Ich auch?“
„Ja, natürlich. Der Fahrschein muss immer mit dabei sein.“
Sie zieht einen Lederumschlag hervor, auf dem in riesigen Lettern ihr Name steht. Jetzt erst entdecke ich, dass auch der mitten im Abteil platzierte Koffer ihr gehört. Wahrscheinlich zeigt sie einen Behindertenausweis vor, jedenfalls meint die Zub: „Ok gut, jetzt wieder schön verstauen.“
Nachdem das passiert ist und der Lederumschlag neben dem Rucksack auf dem Sitz liegt, nimmt sie die Packung Waffelmischung zur Hand und beginnt genüsslich zu essen.

Nennen Sie alle Weichen, die für die Zugstraße K/2 in einer definierten Lage sein müssen.
Über Weiche 9 muss man drüberfahren, Weiche 3 ist im Durchrutschweg. Und welche brauche ich für den Flankenschutz?
Der auffällige Klingelton des Smartphones der Frau unterbricht meinen Gedankengang für den Durchrutschweg der Prüfung Bahnbetrieb.
„Hi Mama.“

„Ja.“ … „Ja.“
„Wir haben eine halbe Stunde Verspätung. Wir sind erst um halb fünf in München weggefahren.“
Hoppla, was spielt die denn für ein Spiel? Auch in Freising sind wir pünktlich abgefahren.
„Ja.“

„Nein, ich esse.“
In der Tat hat sie die Waffelmischung bis zum Telefonat nicht aus der Hand gestellt.

„Ja, ich rufe dann um sieben Uhr wieder an.“

„Ja, Ok. Tschüss.“ … „Ja, tschüss, ciao, pfürtdi, bussi, ciao.“
Dann legt sie auf.

Interessant. Nicht nur der Inhalt, sondern auch die äußerst klare Aussprache. Der Sprachfehler ist scheinbar verschwunden. Ich widme mich wieder dem Durchrutschweg.

Kurz vor Landshut ist die 300g-Packung leer und verschwindet im Abfallbehälter. Dazu passt doch wunderbar eine Müllermilch. Die Flasche ist leider zu breit für den Mülleimer, also stellt sie sie daneben. Anschließend zieht sie wieder ihr Smartphone aus der Tasche.
„Hi Monica.“

„Ja, ich wollt nur sagen, dass ich erst um acht Uhr da bin. Wir haben eine halbe Stunde Verspätung.“

„Ja, nur dass sie Bescheid weiß.“

„Ok, ciao.“

Als nächstes ist eine Packung Haribo dran. Wie andere Leute eine Hauptmahlzeit verzehren, isst die Frau die Süßigkeiten. Ich schätze sie nun jünger ein, der Rucksack erinnert sehr an einen Schulranzen. Nein, die ist noch keine 18.

Bis Regensburg geht jeder seiner eigenen Beschäftigung nach. Die junge Frau mir gegenüber hört etwas über ihre Kopfhörer. Die mittelalte Frau liest. Die Übergewichtige isst. Und ich schaue zu. Unbeeindruckt davon rinnt der Regen an den Fenstern hinab. Die Landschaft ist in tiefes Grau gehüllt.
Wuuuuuusch. Bumm. Der Sog des Gegenzuges verschließt das Klappfenster.
Die Haribotüte wird leer im Mülleimer entsorgt.

Ich nutze den Rangieraufenthalt, um etwas frische Luft zu schnappen. Bei meiner Rückkehr sitzt neben mir eine mittelalte Frau, mir gegenüber ein junger Mann. Nur der Platz mit Schulranzen und Lederumschlag ist frei.

Die weitere Fahrt vertreibe ich mir mit einem Hörbuch. Irgendwo zwischen Schwandorf und Weiden klingelt wieder das Handy. Die zweite Packung Haribo ist inzwischen ebenfalls geleert und ein Kokosgetränk geöffnet. Ich pausiere mein Hörbuch, und beobachte unauffällig die Spiegelung im Gangfenster.
„Hi Mama.“

„Ja.“ … „Ja.“
Mit der einen Hand hält sie das Telefon, in der anderen das Kokosgetränk.
„Wir haben zwei Stunden Verspätung. Ich bin erst um neun Uhr da.“

„Ja, wirklich.“

„Hallo? Mama???“
Das rote Kreuz an den Empfangsbalken verkündet auch auf meinem Handy eines der zahlreichen Funklöcher der Oberpfalz.

Eine Minute passiert nichts, also setze ich mit meinem Hörbuch fort.

Dann wählt sie wieder.
Pause und Beobachtungsposition.

„Hi Mama.“

„Ja.“
„Sehr geehrte Fahrgäste, in Kürze erreichen wir Weiden. Dort haben sie Anschluss…“
„Ich sag die Wahrheit“, sagt sie nun etwas lauter.

Auch Mamas Tonfall wird etwas strenger und lauter.
„Ja, wirklich.“

„Ja, in München war ein Unfall und dann ging die Tür nicht zu.“
Hätte sie noch eine Person vor den Unfall gestellt, wäre es durchaus glaubwürdig gewesen. Die Lügen kommen ihr ohne Zögern über die Lippen.

„Nein.“ … „Ja, wirklich.“

„Furchtbar.“

„Ganz hinten. Im Alex Treff.“

„Düdum. Wir erreichen jetzt Weiden.“
„Wir sind in Maxhaidhof.“

„In Maxhühaidhof.“

„Ich sag die Wahrheit!!!“

„Ja, ok. Bussi, tschüss, ciao, pfürtdi. Bussi, ciao.“

Alle gehen demonstrativ ihren Beschäftigungen nach. Play.

Zwei Käsestangen warten noch auf ihren Verzehr. Die erste Stange isst sie zur Hälfte, vom Rest und der zweiten nur den Käse oben weg. Dann legt sie die Reste auf die Papiertüte auf den Klapptisch.

Während wir in Weiden stehen, spricht sie die ihr gegenübersitzende, mittelalte Frau an.
„Wissen Sie, ob der von Hof wieder zurückfährt?“
Die Frau fühlt sich sichtlich unwohl. „Ja, ich denke schon. Aber ich weiß nicht, wann.“
Oho. Pause.

„Wie lange dauert das denn bis Hof?“
„Naja, eine Stunde von Weiden.“
„Ich könnte ja bis Hof fahren und anschließend wieder zurück.“
Wieder ringt die Frau mit sich. „Ja, aber steig doch einfach gleich aus. Du musst doch nach Marktredwitz?“
„Das macht nichts, ich hab ja den Ausweis.“
Die Frau neben mir spielt unbeeindruckt das Kartenspiel mit mysteriösen japanischen Schriftzeichen auf ihrem IPad weiter, der Mann ist bereits wieder ausgestiegen.
„Ja, aber ich weiß wie gesagt nicht genau, ob der zurückfährt. Und wann. Ob der heute überhaupt noch zurückfährt. Und du wirst doch bestimmt abgeholt.“
„Ich frag nachher die Zugbegleiterin.“
Allmählich überlege ich, einzugreifen. Denn erstens bleibt der Alex nicht am Bahnsteig stehen und zweitens fährt er heute tatsächlich nicht mehr zurück. Andererseits bin ich gespannt, wie das weitergeht. Und ich glaube auch nicht, dass sie diesen Plan tatsächlich durchziehen wird. Aber schlau ist er ohne Zweifel. Sie fährt bestimmt nicht zum ersten Mal die Strecke und kennt sich ziemlich gut aus.

Nach einer Minute gespannter Stille zieht sie eine Dose Red Bull aus ihrem Rucksack und hält sie der Frau gegenüber hin. „Können Sie mir die aufmachen?“

Kurz darauf klingelt wieder das Handy.
„Hi Mama.“
Der Ton ist unverkennlich noch etwas rauer geworden.
„Ich sag die Wahrheit!!“

„Ja, wirklich. Ich bin erst um neun Uhr da.“
Sie nimmt einen Schluck Red Bull.

„Bei Schwandorf.“

Offensichtlich glaubt die Mama kein Wort.
Noch ein Schluck Red Bull.
„Hm, ich kann Probleme kriegen?“
Noch ein Schluck.

„Dann darf ich gar nicht mehr zu dir?“

„Ja, wirklich.“
Es klingt nicht mehr überzeugend.

„Ja, gut. Ok. Ciao, bussi, tschüss, ciao. Pfürtdi, ciao.“

Nach so vielen Unterbrechungen habe ich den Faden verloren. Aber manchmal ist die Wirklichkeit eben spannender als ein Roman.

Die geleerte Red Bull-Dose stellt sie auf den Klapptisch, die halbe Käsestange ohne Käse isst sie auf. Dann folgt eine Banane. Die Schale wandert in den Mülleimer, der mittlerweile ziemlich voll ist. Wie kann die bloß so viel essen? Wenn ich dieselbe Menge während der dreistündigen Fahrt gegessen hätte, wäre ich wohl für die nächsten drei Tage satt.

Etwa zehn Minuten vor Marktredwitz steigt die Spannung. Sie nimmt wieder ihr Smartphone zur Hand.
„Können Sie mir sagen, warum das nicht geht?“, will sie von der Frau gegenüber wissen.
Die fühlt sich ihrer Situation sichtlich nicht wohl und meint: „Tut mir leid, ich kenne mich nicht aus. Ich habe mir zwar auch vor kurzem ein Smartphone gekauft, aber noch nicht eingerichtet. Vielleicht kein Empfang?“
Das rote Kreuz bestätigt die Vermutung.
Nach einer Minute versucht sie es nochmal. Jetzt klappt es.
„Hi Mama.“

Ohoh. Der Ton verheißt nichts Gutes.
„Ja, ich wollte dir nur sagen, dass der die Verspätung reingeholt hat. Ich bin um fünf nach sieben da.“
Wahrscheinlich bin nicht nur ich erleichtert. Vielleicht hat sie ja eingesehen, dass ihr Plan spätestens dann durchschaut wird, wenn sie mit einem Zug aus Hof ankommt.

„Ja, die haben das gerade durchgesagt.“

„Furchtbar.“

Auch Mamas Ton klingt jetzt etwas entspannter.
„Ja, sag Bescheid.“

„Ok, gut. Ciao, Pfürtdi, tschüss. Ja, Ciao, tschüss, ciao.“

Düdum. Wir erreichen jetzt Marktredwitz.
Ein kleiner Rest der zweiten Käsestange ist noch übrig, für die Dauer des Einpackvorgangs wird er auf einer Armlehne zwischengelagert. Er wird noch vernichtet, dann verschwindet sie ohne ein weiteres Wort mit ihrem Koffer Richtung Ausgang.

Ziemlich langsam rollt der Alex in den Bahnhof Marktredwitz. Ich werde etwas nervös, denn drei Minuten Umsteigezeit sind und bleiben einfach alles andere als üppig.
Am Gleis gegenüber fährt ein 612er Richtung Hof ein. Na grandios, der verspätete RE aus Nürnberg. Einen Moment hoffe ich, dass wir eine Parallelfahrt auf beiden Streckengleisen bis Hof machen. Aber als der RE nach einem kurzen Aufenthalt weiterfährt und ein 612er aus Hof an einem anderen Gleis einfährt, ist mir klar, dass wir noch eine Weile stehen werden.
„Der fährt aber schon noch weiter nach Hof?“, frägt die Frau mit IPad die andere.

Mit +7 fahren wir ab. Grmpf. Ich gehe zum Alex Treff, und bitte die Zub, den RE nach Dresden vorzumelden. Die Kollegin sei gerade dabei. Kurz darauf wird durchgesagt, dass der Anschluss wartet. Nochmal gutgegangen. Als ich wieder mein Abteil erreiche, schnappe ich noch auf: „…ich ihn verpasse, dann fahre ich halt eine Stunde später. Nach Bad Steben sind es nur vier Minuten zum Umsteigen. Aber das wäre natürlich blöd für Sie.“

„In Kürze erreichen wir Hof Hbf. Sie haben dort Anschluss an den RE nach Dresden, Abfahrt 19:36 Uhr von Gleis 6a. Dieser Zug wartet abfahrbereit auf Sie. Zur Agilis nach Bad Steben um 19:39 Uhr von Gleis 4a. Dieser Zug wartet ebenfalls abfahrbereit. Wir bitten um zügiges Umsteigen.“
„Ja, gut, stress uns noch mehr“, kommentiert eine junge Frau, die hinter mir im Gang auf die Ankunft wartet.

Nach einigem hektischen Gerenne und Gezerre setzt sich der RE mit +6 in Bewegung. Nach dem verlängerten Wochenende ist viel los, die große Mehrheit sind Studenten. Wie immer ignorieren viele Zugestiegenen die freien Plätze, und ich nehme den erstbesten (sogar ohne gezwungen zu sein, freundlichst auf Gepäckablageflächen hinzuweisen).

Von Gleis 3 des Bahnhofs Astadt soll ein Zug Richtung Bdorf ausfahren. Die eingleisige Strecke ist mit einem Streckenblock ausgestattet. Die Fahrstraße ist schon bis zur Fahrstraßenfestlegung gebildet. Das Ausfahrsignal N3 lässt sich (noch) nicht auf Fahrt stellen. Nennen Sie einen möglichen Grund. (keine Störung)

Weiche in der falschen Lage?
Nein.
Fahrstraßenausschluss?
Nein.
Durchrutschweg?
Nein.
Flankenschutz?
Nein.
Hmm. Zur Klärung dieser Frage bleiben mir noch entspannte zweieinhalb Stunden Fahrt, während der Regen unentwegt für Sturzbäche auf den Fenstern sorgt.
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Beitrag von ropix »

keine Erlaubnis, nicht zurückgeblockt, Signalhebelsperre löst nicht aus z.B. weil BÜ nicht gesichert. Und äh - ist überhaupt schon festgelegt? :D

Aber ganz ehrlich - deiner Beschreibung nach ist das doch relativ klar wieso die Person so viel in sich hineinstopfen kann. Von nüscht kommt nüscht!

So einen Fall hab ich auch mal erlebt, da hat ein junges Mädl kackdreist behauptet sie wäre irgendwo und war aber schon gut viel weiter. Gehässigerweise lies sich der Lokführer überreden just in diesem Moment die Ansage der nächsten Haltestelle zu wiederholen worauf hin es eine spontane Werbung für Osram in Rot gab und die Ausrede dass die Ansage falsch war - leider, leider :D
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Beitrag von JeDi »

Ein Schreibwettbewerb von DB und SZ - zu gewinnen gibts eine Black Mamba. Was für dich, Entenfang? ;)
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Beitrag von Entenfang »

Bereits eingesendet :)

Ja, eine Black Mamba wäre schon was :D
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Beitrag von Entenfang »

Nicht ganz freiwillige Rundfahrt durch Mitteldeutschland inklusive Haken schlagen

Da schon die Hinfahrt bei etwa 30°C in den Silberlingen zwischen Nürnberg und Stuttgart nicht sonderlich angenehm war, entscheide ich mich vor der Rückfahrt für die Umbuchung auf klimatisierte Züge. Statt dem ursprünglich geplanten, geografisch weitgehend direkten Weg von Metzingen über Stuttgart, Nürnberg und Hof nach Dresden soll es alternativ über Stuttgart, Mannheim, Fulda und Leipzig gehen.
Puh, vier Mal umsteigen. Das bedeutet fünffache Chance auf ausgefallene Klimaanlage, aber auch keine so lange Teilstrecke ohne im Falle des Falles. Aber nachdem man nichts von reihenweise ausgefallenen Klimaanlagen trotz einiger Tage anhaltender Gluthitze gehört hat, wird es schon klappen…

Noch vor der Abfahrt meldet der Verspätungsalarm +10 beim ICE von Stuttgart nach Mannheim. Doof, wenn man nur 4 Minuten Umsteigezeit hat. Also bleibt mir nur zu hoffen, dass er noch was aufholt.

Im RE nach Stuttgart wird natürlich extra der Dosto neuerer Generation rausgesucht, bei vielen Fahrgästen wegen Kühlschranktemperaturen im Verruf. Nichts hätte ich lieber als das, selbst in der schattigen Unterführung ist die kurze Wartezeit nicht angenehm.
Klimaanlage ist im Notbetrieb, es ist etwas kühler als draußen aber immer noch unangenehm heiß. Einige Fahrgäste fächeln sich Luft zu, die älteren Fahrgäste sehen leicht mitgenommen aus. Ich teste interessehalber die Dostos mit Klappfenster, aber dort ist es noch heißer, also bleibe ich, wo ich bin.

In Stuttgart komme ich mit +5 an, der ICE ist jetzt mit +5 angekündigt. Die obligatorische geänderte Wagenreihung beeindruckt mich wenig, da ich eh nicht reserviert habe. Und in Stuttgart hat man ganz draußen am Bahnsteigende eigentlich eine Sitzplatzgarantie. Blöd nur, dass die Überdachung nicht mal über die Hälfte des Bahnsteigs reicht. Zusammen mit einem weiteren Fahrgast quetsche ich mich in den winzigen Schatten eines Blechhäuschens. Das entpuppt sich als schlechte Idee, denn das Metall glüht regelrecht vor Hitze. Es ist aber abgesehen von den Mastschatten die einzige Stelle, an der man vor der brennenden Nachmittagssonne geschützt ist.

Wo bleibt denn bloß der ICE… Das gibt wohl doch mindestens die ursprünglich genannten +10, die der DB Navigator jetzt auch wieder verkündet und als Grund Verspätung eines vorausfahrenden Zuges nennt.

Endlich nähert sich etwas Weißes im Hitzeflimmern des Gleisvorfeldes. Oh, dann habe ich also Gelegenheit auf eine Testfahrt im Velaro. Glücklicherweise verdeckt gerade eine der wenigen kleinen Wolken die Sonne, sodass ich entspannt weiter nach vorne gehen kann. Die Türen öffnen sich und einige Fahrgäste steigen aus. Ich steige als Einziger an dieser Türe zu. Kühle Luft strömt mir entgegen, Gott sei Dank. Ich schließe die Tür sofort hinter mir und nehme den erstbesten Sitzplatz in Beschlag, da ich keine Reservierung erkennen kann.

Mit +14 fahren wir endlich ab. Mist, das wird wohl nichts mehr, dann bleibt nur noch der letzte ICE zwei Stunden später, der um halb eins in Dresden ankommt.

Wegen einer Baustelle stehen wir nicht weit vom Hbf entfernt schon wieder und auf der NBS müssen wir einmal ohne erkennbaren Grund über ein Ausweichgleis fahren. Ziemlich früh kommt schon die Durchsage, dass wir +18 haben und der Anschluss in Mannheim nicht warten kann. Welche Alternativen habe ich?

Zwei Stunden später von Mannheim weiter und dann in Fulda umsteigen. Den Gedanken an einen spontanen Aufenthalt in einer mir unbekannten Stadt hätte ich unter anderen Umständen durchaus gut gefunden, aber nicht bei diesen Temperaturen. Knapp zwei Stunden in dieser Hitze rumhängen? Dann lieber weiter zum Frankfurter Flughafen und von dort direkt nach Dresden, da wird es doch hoffentlich irgendeinen klimatisierten Raum geben, an dem man die Zeit verbringen kann.

In Mannheim steigt ein Mann zu und möchte sich neben mich setzen. Klar, der Platz ist frei. Aber ob er reserviert ist, keine Ahnung. Die Reservierungsanzeigen sind ebenso defekt wie die Hälfte der Toiletten. Und das Bordrestaurant kann aufgrund eines technischen Defekts nur ein stark eingeschränktes Angebot bieten. „Naja, die Klima funktioniert und wir haben einen Sitzplatz. Das ist doch das Wichtigste“, meint er und packt das Buch „Das Washington Dekret“ von Adler Olsen aus. Das hätte ich auch gern unterwegs fertig gelesen, hätte ich nur einen Platz in meinem Rucksack gefunden…

Am Frankfurter Flughafen steige ich aus und werde von unbarmherziger Hitze empfangen. Im Zugangsbauwerk zum Bahnhof ist es noch heißer, also bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als Koffer und Rucksack weiterzuschleppen und mir ein anderes Plätzchen zu suchen.
Nach zehn Minuten Fußweg durch nicht klimatisierte Verbindungsgänge erreiche ich endlich das Terminal. Hier herrschen zwar angenehme Temperaturen, nur leider sind die wenigen Sitzgelegenheiten alle besetzt. Nach weiteren fünf Minuten finde ich endlich einen Sitzplatz und mache es mir gemütlich.

Während der nächsten Stunde beobachte ich das Treiben im Flughafengebäude. Crewmitglieder ziehen ihre kleinen Koffer zielstrebig durch das Terminal. Ein Flaschensammler stochert im Mülleimer. Menschen stehen beim Bäcker in der Schlange. Passagiere fragen nach dem Weg. Der nächste Flaschensammler. Menschen kommen aus dem Sicherheitsbereich und werden von Angehörigen umarmt. Eine kleine Gruppe Jugendlicher mit zwei Begleitpersonen irrt umher. Sie gehen nach links, fragen einen Angestellten. Dann gehen sie zügig nach rechts. Dann wieder nach links. Wieder ein Flaschensammler. Sie gehen wieder nach rechts. Sie fragen nochmal. Und wieder nach links. Menschen setzen sich auf die Plätze neben mich und verschwinden wieder. Eine kleine Gruppe ausländischer, älterer Reisender sucht etwas. Eine Frau der Gruppe redet besonders laut und will unbedingt durch eine Tür gehen, auf der „Kein Durchgang“ steht. Die Wortführerin ignoriert die Hinweise ihrer Mitreisenden, die entgegenkommenden Personen ignorieren sie. Als sie einige Schritte durch die Türe gemacht hat, trifft sie einen Angestellten und fragt etwas. Daraufhin kehrt sie um, verkündet etwas lauthals in einer Sprache, die ich nicht verstehe und die Reisegruppe verschwindet aus meinem Blickfeld. Dieselben Flaschensammler durchqueren das Terminal in die andere Richtung. Einer ist besonders hartnäckig und wühlt mindestens eine Minute unter vollem Körpereinsatz in einem Mülleimer. Er wird schließlich fündig und wirft seine beiden Fundstücke in eine seiner fünf großen Plastiktüten. Zwei arabisch aussehende Personen, die einige Zeit daneben standen, spenden ihre beiden Flaschen.

Als es noch gut 15 Minuten bis zur planmäßigen Abfahrt meines ICE sind, schaue ich nochmal die Verbindung nach. +25 wegen Personen im Gleis, oh nein. Soll ich darauf vertrauen, dass der Zug auch wirklich +25 hat? Lieber nicht. Zu oft habe ich schon erlebt, dass die Verspätung deutlich geringer oder gar nicht vorhanden war.
Zehn Minuten vor der Abfahrt mache ich mich auf den Rückweg zum Bahnhof und nehme einen anderen Weg. Der führt durch eine Unterführung, in der sich die Gerüche aller bekannten Fastfoodketten mit denen von Take-Away-Asiaten mischen.

Im Verbindungsgang zum Fernbahnhof befindet sich ein kleines Reisebüro, in dem ein Bildschirm mit den nächsten zehn Abfahrten hängt. Neun davon sind verspätet, auch mein Zug. Es steht aber nur im Luftverkehrsstil „delayed“ daneben, aber nicht wie viel.
Wenig später erreiche ich den Zugang zu den Bahnsteigen. „Heute abweichend auf Gleis 5 fährt ein der ICE nach Leipzig und Dresden. Bitte Vorsicht bei der Einfahrt. On platform 5 now arriving: ICE to Leipzig and Dresden.“ Eigentlich könnte es kaum besser laufen. Dann muss ich nämlich keine Zeit in der Hitze des Bahnhofs totschlagen. Ob der jetzt wirklich kommt? Auf dem ZZA am Bahnsteig steht jedenfalls nichts mehr von Verspätung. Und tatsächlich: Wenige Augenblicke später rollt der Zug an den Bahnsteig, ich begebe mich in den hinteren Bereich, denn der vordere Teil wird in Leipzig abgehängt.
Die Türen gehen auf, Erleichterung. Die Klimaanlage läuft, kühle Luft umströmt mich. Reservierungen sehe ich keine, also wähle ich einen Nicht-Wandfensterplatz und setze mich hin.
Pfeif! Diet Diet Krrrrrk Diet Krrrrrk Rumms! Da stürmen noch zwei mit großen Koffern und viel Glück die Treppe herunter, denn die Tür der Zugchefin ist noch offen und sie können noch einsteigen. Da kommen auch schon die nächsten angerannt und drängen durch die offene Tür. Und noch welche. Und noch welche. Wir stehen fast drei Minuten, bis diverse Nachzügler durch die letzte Tür eingestiegen sind. Endlich geht es mit +5 weiter.
„Ja, wir haben die 75 und 77 reserviert.“ Es ist der Wand-Zweier schräg gegenüber. Puh. Auch die 76 ist reserviert. Da ist mir mit meiner 72 ein echter Glücksgriff gelungen. Denn wie ich nun schon ahne, sind die Reservierungsanzeigen auch in diesem Zug nicht funktionsfähig. In einem ICE in die andere Richtung verkündet ein gelber Zettel an einer Einstiegstüre, dass die Klimaanlage in diesem Wagen nicht funktioniert. Die Sitzplätze sind mit Absperrband versehen.
Nach kurzer Fahrt kommt die Skyline von Frankfurt in Sicht und der Zug füllt sich beim Halt im Hbf. Niemand erhebt Anspruch auf meinen Sitzplatz, aber andere werden aufgescheucht. Bei der Abfahrt in Frankfurt haben wir immer noch +5 und damit noch Glück. Ein junger Mann hat es sich mit bloßem Oberkörper auf seinen Gepäckstücken auf dem Bahnsteig bequem gemacht und liegt in der Sonne. Vielleicht wartet er auf den mit 70 Minuten Verspätung angekündigten IC, der vom selben Gleis abfahren sollte.

Auffällig von den zugestiegenen Fahrgästen sind insbesondere fünf mittelalte Frauen, die sich laut auf Sächsisch unterhalten, ständig an ihren Smartphones rumwurschteln und sich je eine Dose Ravini Secco gönnen. „Auf Dräsden!“, ruft die eine und prostet den anderen zu. „Auf unsre Heemat!“, meint eine andere.
Eine der Frauen telefoniert. „…ja, und in Karlsruhe ham wir dann den Zug verpasst. Dann ham wir den nächsten Zug genömmen. In Mannheem wurden dann aber alle, die nach Frankfurt wöllten, rausgewörfen, weil der Zug überfüllt war. In Mannheem ham wir dann am Bahnsteig gewartet und der nächste Zug hatte 15 Minuten Verspädung. In Frankfurt… Hallo? Mutti?“
„Keen Empfang“, kommentiert eine andere.
Neuer Versuch. „Ja, und dann sind wir in Frankfurt ümgestiegen. Ich erzähls dir heut Abend. Da ist der Empfang besser. Mutti?“
Auf dem Weg nach Fulda zieht der Himmel zu. Über der Rhön türmen sich Gewitterwolken auf.

In Fulda stürmen weitere Fahrgäste den Zug, der nun bis auf den letzten Sitzplatz gefüllt ist. Ich habe Glück, denn die Frau, die meinen Platz reserviert hat, besteht nicht darauf, weil ein anderer Platz noch frei ist. Vermutlich war der auch reserviert, aber diejenigen haben sich auch woanders hingesetzt, weil sie keinen Wandfensterplatz wollten. Ich erkläre mich damit einverstanden, umzuziehen, falls doch noch jemand kommen sollte. Am schlimmsten ist es immer, wenn man vom letzten Nachzügler aufgescheucht wird, denn dann hat man nur noch wenige Ausweichoptionen.

Wir werden informiert, dass die Strecke Fulda-Bebra wegen einem umgestürzten Baum gesperrt ist und wir deswegen über Kassel-Wilhelmshöhe umgeleitet werden. Einige Fahrgäste müssen stehen, als wir mit +10 abfahren. Ich gehöre nicht dazu und bestaune die Gewitterwolken über den Mittelgebirgen, während wir über die SFS nach Kassel brausen.

Unterwegs wird in einer weiteren Durchsage verkündet, dass man etwa 45 Minuten Verspätung in Eisenach erwarte und die DB einen Gutschein in Höhe von 20% des Fahrpreises anbietet. Da bin ich mal gespannt.

Es dauert nicht mehr lange, da wird schon der Halt in Kassel verkündet. „Was? Sö schnell?“, kommentiert eine der Frauen.
Der Zub ist wirklich sehr um Fahrgastinformationen bemüht und wiederholt alle Ansagen nochmal. Nach vier bis fünf Minuten Aufenthalt soll es in die Gegenrichtung weiter nach Eisenach gehen. Man solle sich doch bitte nicht zu weit vom Zug entfernen.
„Ich verlass den Zug freiwillig nischt mehr…“ „Na immerhin keene weiteren Bäume im Gleis.“
Die Raucher stürmen nach draußen, einige stocken ihre Getränkevorräte am Automaten auf. Da ich mit dem schlimmsten gerechnet habe, sind meine Wasservorräte noch reichlich. Überhaupt brauche ich nicht befürchten, Hunger oder Durst leiden zu müssen, selbst wenn noch weitere Bäume im Gleis liegen sollten. Als Notreserve gibt es noch vier Stücke Kirsch-Kokos-Kuchen, gut drei Kilo Kirschen aus eigener Ernte, einen Mohnkuchen, vier Gurken und fünf Frühlingszwiebeln in meinem Koffer…

Aus den vier bis fünf werden fünfzehn Minuten, dann setzen wir unsere Fahrt fort. Die Wolken leuchten gelb, die Straßen sind nass. Zum ersten Mal seit fünf Tagen spüre ich kühle Luft hereinströmen.

Der Zub geht durch und teilt stinknormale FGR-Formulare aus. Für den ICE 1657 sind +60 bestätigt. Damit bin ich weit über +120 zu meiner ursprünglich geplanten Ankunftszeit und meine Umbuchung wird doch nicht so sehr ins Geld gehen wie befürchtet…
Die Frauen diskutieren, wie sie das Formular am besten ausfüllen sollten. Offensichtlich hat eine die Fahrkarte für alle gebucht und bietet an, das Geld nach der Erstattung an alle entsprechend zu verteilen.
In gemütlichem Tempo mit 70 bis 100 geht es voran, ein anderer ICE saust auf der SFS Richtung Fulda, als wir sie unterqueren. Als wir den Bahnhof Morschen-Altmorschen durchfahren, muss ich schmunzeln. Ob das wohl die Beschreibung der Klimaanlagen sein soll? Jedenfalls lief auf fast allen ZZA ein weißes Band durch, auf dem nicht nur Verspätungen und geänderte Wagenreihungen angekündigt wurden, sondern auch Hinweise im Stil von „Wagen 123 wegen technischem Defekt verschlossen“ oder „Im Wagen 456 ist die Klimaanlage ausgefallen“
Na gut, ich hör schon auf zu meckern. Ich bin bei diesen Temperaturen auch nicht wirklich in Höchstform.

Ein Straßenschild weist auf die nahe A4 hin. „Da, guck mal. Die A4. Wenn wir jetzt aussteigen könnten und ein Audö nähmen, wären wir in anderthalb Stunden da…“
„Warum fahrn wir denn sö langsam?
„Damit es länger dauert…“

Da es mit dem Telefonieren nicht so gut geklappt hat, setzen die technisch begabten Mittelalten jetzt auf Chatten. Und weil es ja blöd ist, dass das Schreiben nicht der ganze Wagen mitkriegt, lesen sie es auszugsweise vor, damit alle was davon haben.
-Wir kommen gegen zwei an.
-Da würde ich mich nicht darauf verlassen. Unwetter über Sachsen-Anhalt.
In der Tat erwarten uns schwarze Wolken.
Wenig später riecht es nach Regen und nach zwei Minuten beginnt es zu regnen. Sehnsüchtig habe ich darauf gewartet, die Sturzbäche auf den Fenstern beobachten zu können. Die Regentropfen schillern wie Kristalle im letzten Licht des Abends.
Der Schauer dauert nur kurz, doch eine bedrohliche Wolkenfront liegt noch vor uns.
Bald erreichen wir sie, Blitze zucken über den Himmel.
„Ist ein Zug och ein Faradayscher Käfig?“, will eine der Frauen wissen.
„Gibt’s Aquaplaning auf dem Gleis?“, überlegt eine andere.
„Boah, mir wird langsam kalt“, stellt die Dritte fest.
Um dem entgegenzuwirken, zerren sie reihum ihre Koffer von der Überkopf-Gepäckablage und suchen eine Jacke heraus. Dabei entdecken sie Knacker, der Duft zieht verführerisch durch den Wagen. Ich stille meinen Hunger mit einer Portion Kirschen.

In kurzem Abstand folgen Eisenach, Gotha, Erfurt und Weimar, wir sind ziemlich genau bei +60. Währenddessen checken die Frauen das Wetter in Dresden und sämtlicher Orte die an oder abseits des weiteren Streckenverlaufs liegen und informieren den Wagen darüber, der allmählich leerer wird. Während in meinem Wagen mittlerweile einige freie Sitzplätze sind, blockieren zwei Wagen weiter immer noch einige Fahrgäste den Gang.
Es wird weiter fleißig gechattet und die Allgemeinheit darüber informiert, aber es geht um Arbeitskollegen und ich verliere das Interesse. Nur der Kommentar „Du wirst morgen ganz schön fertig sein, meine Liebe“ bringt mich zum Planen. Die Vorlesung um 7:30 Uhr wird gestrichen, die Übung danach auf Dienstag verlegt und schon kann ich entspannt bis um zehn schlafen.

In Leipzig regnet es in Strömen und der hintere Zugteil steht ein gutes Stück außerhalb der Bahnhofshalle. Die aussteigenden Fahrgäste rennen durch den Regen. Mehr als die Nasenspitze kann ich nicht aus der Tür strecken, ohne klitschnass zu werden.

Der Zug wird nun doch nicht geteilt und fährt deutlich geleert nach einem längeren Aufenthalt weiter. Da die Frauen schlafen, ist es nun völlig ruhig. Für das Wetter in Dresden brauche ich mich nicht anzustrengen, ich wurde schon informiert, dass es 27° hat und nicht regnet.

Mit +44 erreichen wir den Dresdner Hbf, Bronzemedaille für meine mit +157 dritthöchste Verspätung im Inland.
Die 27° kommen mir angenehm kühl vor. Meine Laune bessert sich trotz der hohen Verspätung, als ich die Gewitterwolken am Nachthimmel aufziehen sehe und die ersten Tropfen fallen. Nur die vom verlängerten Wochenende gestaute Hitze in meinem Zimmer erinnert mich unsanft an das Wetter der letzten Tage.
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Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
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Beitrag von Entenfang »

In der Rubrik "Was mein Leben reicher macht" der Zeit berichtet eine Frau von ihrer Fahrt im ICE nach Berlin. Ein nordafrikanischer Flüchtling schaut beschämt zu Boden, als er vom Zugbegleiter ohne Fahrkarte angetroffen wird. Der junge Mann soll am nächsten Bahnhof der Polizei übergeben werden. Sie bietet an, die Fahrkarte zu bezahlen. Ziemlich erstaunt darüber, akzeptiert der Zub schließlich und sie bezahlt die 131,50€ für seine Fahrt von Würzburg nach Berlin. Daraufhin wird sie von anderen Fahrgästen gelobt und nachdem einige Fahrgäste ihr Scheine in die Hand gedrückt haben, hat sie die Hälfte des Fahrpreises wieder reingeholt und ist bei der Ankunft so glücklich, dass sie "die ganze Welt umarmen" möchte.

Der Redaktion kamen zuerst Zweifel, denn diese Geschichte fällt wohl ziemlich klar in die Kategorie "Zu schön, um wahr zu sein". Doch als dieselbe Geschichte aus der Perspektive einer anderen Frau eingesendet wird, die einen Teil des Fahrpreises übernommen hat, ist es klar: Die Geschichte ist tatsächlich wahr.

Da muss ich schon sagen, Hut ab vor Menschen, die derart großzügig sind!
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Beitrag von Entenfang »

Auf der Fahrt zum 1. Preis beim Bullshit-Bingo



Bevor ich bei der Haustüre hinausgehe, wird mir noch eingeschärft: „Aber wenn der Bus nicht kommt, dann rufst du an und ich fahre dich mit dem Auto zum Michaelibad!“ Jaja. Ich bin doch auch nicht später dran als sonst und einige Minuten zu früh an der Bushaltestelle Richtung Quiddestraße.
Noch zwei Minuten.
Noch eine Minute.
Abfahrtszeit.
+1.
+2.
So langsam könnte der Bus aber mal kommen…
+3
Na dann fahre ich eben mit dem Auto-Bus zum Michaelibad. Just in dem Moment, als ich die Haltestelle wechseln möchte, fährt der Bus mit -1 ab. Dann eben nicht.
+4
Der Bus in die Gegenrichtung nähert sich. Na gut, fahre ich halt nach Trudering, mit etwas Glück erwische ich die U-Bahn fünf Minuten nach der eigentlich Geplanten. Wobei. Habe ich da nicht gerade etwas großes Blaues in den Fenstern spiegeln gesehen? Ich halte mich startklar, um die Straßenseite durch die stillstehenden Autos zu wechseln. Doch ich habe mich nicht getäuscht. Mein Bus rollt an die Haltestelle und ich bleibe bei meinem ursprünglichen Plan. Meine U-Bahn sehe ich zwar noch, aber mitfahren kann ich erst mit dem folgenden Zug. Fünf Minuten sind jetzt auch kein Beinbruch…

Zum Glück herrschen nun wieder angenehme Temperaturen, sodass ich mich im Alex-Treff positionieren kann, um mich auf den großen Tischen auszubreiten. Denn wenige Klappfenster und keine richtige Klimaanlage (irgendwie bezweifele ich trotz der Schilder, die auf die Funktion der Klimaanlage nur bei geschlossenem Fenster hinweisen, dass die überhaupt eine haben) sind keine schöne Kombination für heiße Tage. Es ist der Wagen in rot-beiger Lackierung, der Innenraum ist in dunklem Holz gehalten. Im ersten Großraumabteil ist es furchtbar stickig, im nächsten geht es einigermaßen und ich nehme den letzten freien Platz an einem Vierertisch ein, nachdem das darauf verstaute Gepäck entfernt wurde. Ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen, denn im Nu ist der Zug voll und der Gang wegen stehender Fahrgäste unpassierbar.

Pünktlich rollen wir aus dem Münchner Hbf. Während die letzten Ausläufer von München vorbeiziehen, verschlechtert sich die Luftqualität von Minute zu Minute. Die Überbelegung tut ihr Übriges und bis Freising ist es unerträglich stickig.

Während viele der stehenden Fahrgäste austeigen, begebe ich mich zu einem der beiden Klappfenster, um es zu öffnen. Auch durch die geöffneten Außentüren strömt endlich frische Luft herein. Es wird etwas leerer, aber einige Fahrgäste müssen immer noch stehen. Am Vierer hinter mir versuchen sich mehrere Leute vergeblich am Öffnen des zweiten Klappfensters in dieser Hälfte des Waggons. Ob sie sich zu doof anstellen oder das Fenster abgesperrt ist, kann ich nicht erkennen. Auf bekommen sie es jedenfalls nicht.

Ein angenehmes Lüftchen weht durch das geöffnete Klappfenster durch den Wagen, als der Zug wieder Fahrt aufnimmt. Doch oh weh, die alte Dame, die dort sitzt, blickt ständig kritisch zum geöffneten Fenster auf. Und nach wenigen Minuten macht es Rumms und das Fenster ist wieder zu. Auch die geöffnete Tür zum Vorraum muss natürlich geschlossen werden, um den höchsten Grad an schlechter Luft zu erreichen. Ich rufe ihr zu, sie solle das Fenster bitte offen lassen, auch ein anderer Fahrgast protestiert: „Och, können wir das nicht offen lassen?“
Entweder sie hört schlecht oder sie will nicht hören. Also stehe ich auf, um ihr eine persönliche Extraaufforderung zu geben, denn die Luftqualität nimmt rapide ab.
„Ja, aber das zieht an meinem Halswirbel.“
„Dann setzen Sie sich halt auf meinen Platz“, schlage ich vor, „dort zieht es nicht.“
„Was erlauben Sie sich eigentlich, mir meinen Platz wegnehmen zu wollen?“
„Ja dann machen Sie halt das Fenster auf.“
„Das Fenster bleibt zu!!!!!! Das zieht sonst zu stark!!!!“
„Na dann setzen Sie sich halt auf meinen Platz.“
„Eine Frechheit ist das, mir meinen Platz wegnehmen zu wollen!!!! Was bilden Sie sich eigentlich ein?!?!“
„Die anderen Fahrgäste wollen aber auch, dass das Fenster geöffnet ist.“
„Ja, natürlich, nur weil SIE es wollen. Eine Unverschämtheit ist das!!!!“
Das war eigentlich das Stichwort, aber natürlich kommt mir niemand zu Hilfe.
„Was bilden Sie sich eigentlich ein?!?!? Eine Frechheit!!!!! Also sowas…“
Dämliche alte Schrulle. Wie soll man sich so auf die Prüfungsvorbereitung konzentrieren…
Es dauert nicht lange, bis die Luft wieder unerträglich ist. Altwagen mit Fenstern zum Öffnen mögen ja abgesehen von den schlimmsten Hitzeperioden ganz angenehm sein. Aber genau aus diesem Grund bin ich dann doch froh, wenn sich solche Sturköpfe zwar über den Zug der Klimaanlage am Halswirbel beschweren, aber nichts daran ändern können.

Gott sei Dank steigt sie in Landshut aus. Sie unternimmt noch einen halbherzigen Versuch, das Fenster wieder zu öffnen, aber da sie nur an einem Griff zieht, scheitert sie natürlich.
„Schnell“, flüstert mir die mir gegenüber sitzende junge Frau zu.
Ich schnappe mir meinen Zettelsalat und positioniere mich im Zugbereich des Fensters. Sonst setzt sich dort gleich der nächste Zugempfindliche hin…
Der Zug leert sich nun deutlich, der kleine Tisch auf der Seite mit nur einem Sitz gehört mir ganz alleine und ich breite Formelsammlung, Taschenrechner und Papier aus. Die Luft wird schnell besser und ich kann mich nun endlich auf wichtigere Dinge konzentrieren.

Die Fahrt verläuft ruhig, kurz vor Regensburg bremsen wir vor einem Signal ab. Bitte nicht, an dem habe ich auf meiner letzten Fahrt fast eine Dreiviertelstunde gestanden. Doch die Strecke wird schnell frei, sodass wir nicht zum Halten kommen. Der Schotter am Gleis Richtung München ist noch ganz frisch von der Baustelle.

Als ich aussteige, um beim Rangieren zuzuschauen, trifft mich die kühle Luft dennoch wie ein Schlag. Im Wagen ist es trotz offenem Fenster noch immer ziemlich stickig. Das Rangieren geht zügig vonstatten und pünktlich schließen sich die Türen zur Weiterfahrt.
„Äh Micha, wir haben eine Türstörung“, tönt es aus den Lautsprechern.
Die scheint nicht gravierend zu sein, mit +2 rollen wir los.
Wir nähern uns Regenstauf, da möchte die mir nun gegenübersitzende Frau schon das Fenster schließen. Ich bitte sie, es nicht zu tun. „Ja, aber wel des so laud is während der Fahrt…“
Lieber laut als stickig…

In Weiden habe ich mein Arbeitspensum erfüllt. Das kommt ganz gelegen, denn wegen Bauarbeiten ist Weiden-Marktredwitz gesperrt und wir werden über Kirchenlaibach umgeleitet. Doch zunächst haben wir eine Viertelstunde Aufenthalt, den ich natürlich fotografisch nutzen möchte. Während in München noch Einheitsgrau am Himmel geherrscht hat, wechseln sich nun Sonne und imposante Wolkenkulissen ab. Ein etwas ärmlich gekleideter Mann steht in der Einstiegstür und raucht. Ich weise ihn darauf hin, dass er auch aussteigen kann. Er schaut mich nur verständnislos an. Auch Englisch nützt nichts. Also wahrscheinlich ein Flüchtling. Im Zug sitzen noch weitere Personen, die in diese Kategorie passen. Ich begebe mich am Bahnsteig nach vorne und warte darauf, dass sich die Sonne zeigt. Nach einigen Minuten habe ich Glück. Aber selbstverständlich steht die Lok punktgenau im Schatten vom einzigen Baum weit und breit.

Zum Zeigersprung pfeift es und wir fahren weiter. Die Strecke nach Kirchenlaibach führt fernab jeder Besiedelung durch Wälder, Wiesen und Felder. Nur wenige unkrautüberwucherte, 650-konforme Bahnsteige liegen an der Strecke, nach zwei Kreuzungen mit dem Gegenalex und einer Agilis erreichen wir nach 30 Minuten Fahrt durch die abwechslungsreiche Landschaft Kirchenlaibach. Hier ist ein Umsetzen der Lok erforderlich, also kann man sich wieder die Beine vertreten und die rangierende Lok verewigen. Sie setzt über ein weit entferntes Gleis irgendwo hinter Unkraut um und verschwindet vollständig aus dem Blickfeld, bevor sie sich auf der anderen Seite der Wagen nähert.

Pfeif! Und weiter geht’s. Ich genieße die Wolkenstimmungen auf der Fahrt nach Marktredwitz und weiter auf der normalen Route nach Hof. Pünktlich, also mit einer planmäßigen Verspätung von 39 Minuten, kommen wir dort an. Der letzte durchgehende RE nach Dresden ist längst weg, bis zur Abfahrt vom RE nach Chemnitz bleiben noch knapp 20 Minuten, die ich angesichts der tiefstehenden Sonne zu nutzen weiß. Hof Hbf hat einfach eine perfekte Ausrichtung für die tiefstehende sommerliche Abendsonne.

Das Obergeschoss vom vordersten der drei Dostos teile ich mir mit nur zwei anderen Fahrgästen. Trotz Jacke ist mir nach dem Fotoaufenthalt im Freien ziemlich kühl und ich öffne meinen Koffer, um einen Pulli herauszuholen.
„Meine Damen und Herren, wir begrüßen Sie im Regionalexpress nach Chemnitz über Plauen, Reichenbach und Zwickau. Bitte beachten Sie: Aufgrund eines Personenschadens bei Glauchau endet dieser Zug in Zwickau. Von Zwickau nach Chemnitz besteht Schienenersatzverkehr. Ich wiederhole…“
Bitte nicht. Irgendwie scheine ich größere Störungen bei der Anreise zu Prüfungen magisch anzuziehen. Auch bei meiner Strandung in Hof letztes Jahr hatte ich am Folgetag eine Prüfung…

Bei der Fahrkartenkontrolle (der ersten seit München) erkundige ich mich nach der Anschlussmöglichkeit von Chemnitz nach Dresden. Zur RB sind es normalerweise 25 Minuten.
Sie könne mir nicht helfen. Das einzige was sie wisse, der Zug endet definitiv in Zwickau und es gibt SEV nach Chemnitz.

Die untergehende Sonne sorgt für tolle Kontraste über dem Vogtland. So richtig genießen kann ich das aber nicht, mal sehen, ob ich wieder irgendwo übernachten darf. Bis 14:50 Uhr sollte ich es wohl noch irgendwie nach Dresden schaffen…

Es folgen keine weiteren Informationen, kurz vor Zwickau nur ein kurzer Hinweis auf den am Bahnhofsvorplatz wartenden Bus. Alle Fahrgäste werden rausgeschmissen und die zahlreichen Einsteiger zum Bahnhofsvorplatz gelotst. Direkt am Ausgang von der Haupthalle steht ein Solo-Regionalbus mit DB-Notverkehr auf der Zielanzeige.
Ich sichere mir einen Sitzplatz, verstaue meinen (ausnahmsweise nicht ganz so großen) Koffer unter dem Sitz und wende mich dem Mann mit Kursbuch in der Hand zu, der anscheinend für die Information der Reisenden zuständig ist. Wegen seines extremen Sächsisch muss ich wirklich gut zuhören.
„Ja, där Büs fährt nach Höhnsteen. Wir fohrn Ersatz für den Siebnunvierzsch Siebnunneunzsch, nur mit Halt in Glouchou.“
„Hauptbahnhof oder Schönbörnchen?“, will eine Frau wissen.
„Nür Glouchou Aubtbahnöf.“
„Und wie kommen wir nach Mosel?“, fragt ein anderer.
„Da is doch grad een Züg gäfahrn“, antwortet er, „da müssn Se ouf den nächsten wartän.“
Weitere Fahrgäste steigen zu, das Gepäck wird auf dem Rollstuhlstellplatz verstaut, auch ein Fahrrad irgendwie platziert. Nun kann man kaum noch durchgehen.
Ich frage nach, wie man denn weiter nach Dresden kommt.
„In Höhnsteen stäht dann där Züg, där fährt nach Kämnitz und evenduell weider nach Dräsdn.“
Noch ein Fahrrad, nun ist der Gang endgültig unpassierbar. Das stört aber niemanden.
„Können Sie mir eine Bestätigung geben?“, will ein junger Mann wissen.
Der Informationsgeber hebt abwehrend die Hände. „Wir ham söwas nischt hiiiier. Wir sind nür der Büs. Die müssn Se sisch bei där Bohn holn.“
„Ja und was soll ich meinem Arbeitgeber morgen sagen?“
„Haben Sie nicht gehört?“, raunzt ihn ein Fahrgast an, „Sie müssen sich an die Bahn wenden.“
„Isch kann Ihnen nischts gäben. Isch kann Ihnen nür sagn, dass wir nach Höhnsteen mit Halt in Glouchou Aubtbahnöf fohrn. Dort stäht dann där Züg.“
„Isch will aber nach Kämnitz“, knurrt ein Mann im Maleroutfit mit Bierflasche in der Hand.
„Können wir jetzt endlich losfahren?“, brummt der Unfreundliche.

Na das kann ja heiter werden. Wir fahren los, abgesehen von zwei Fahrgästen, die nicht wollen, haben alle einen Sitzplatz. Viele fangen an, zu telefonieren und Angehörige über ihre Verspätung zu informieren. Im Vierer vor mir sitzt ein Mädchen, etwa 16, und ihr vielleicht vierzehnjähriger Bruder. „War das wirklich so gut? Was machen wir denn in Glauchau Hauptbahnhof?“ „Egal, von dort können wir uns auch ein Taxi nehmen“, meint seine Schwester. Er ruft die Eltern an und bestellt Mama-Taxi an den Glauchauer Hbf. „Für wann?“ Das ist eine gute Frage, denke ich. Mal schauen, wie lange wir brauchen. Mittlerweile kurven wir jedenfalls schon einige Minuten durch Zwickau und ich werde das Gefühl nicht los, dass wir nicht gerade auf direktem Weg fahren. „So in 20, 30 Minuten, würde ich sagen.“
Entweder der Busfahrer und der (Nicht-)Informationsgeber wissen nicht so genau die Route nach Glauchau, oder es gibt in Zwickau verdammt viele gesperrte Straßen und niedrige Unterführungen. Es geht nach links, nach rechts, viel fehlt nicht mehr, dass wir im Kreis fahren. Nach etwa 15 Minuten verlassen wir endlich Zwickau auf einer dunklen Landstraße. Nach einer gefühlten Ewigkeit nähern wir uns Glauchau. „Wo fährt der denn lang?“, wundert sich der Junge. Zusammen mit seiner Schwester zeichnen sie Straßenverläufe in die Luft und kommentieren etwas von Tankstellen, Umgehungsstraßen und Kreisverkehren. „Keine Sorge, wir werden schon ankommen“, beruhigt ihn seine Schwester.
Schließlich erreichen wir nach über einer Dreiviertelstunde den Bahnhofsvorplatz von Glauchau, unsere Ankunft wird von den an der Haltestelle stehenden Fahrgästen bereits sehnsüchtig erwartet. „Fahren Sie nach Zwickau?“, will eine Frau wissen.
„Nein, där is doch grad gefohrn. Der is üns doch entgegn gekömmn.“
Tatsächlich ist uns vor einigen Minuten ein ebenfalls mit DB-Notverkehr beschilderter Bus begegnet.
„Nein, hier ist definitiv keiner gefahren.“
Der Informationsgeber deutet auf einen Bus auf der anderen Straßenseite.
„Der fährt auch nach Hohenstein“, meint die Frau sichtlich verzweifelt. „Können Sie uns vielleicht eine Bestätigung geben?“
Anscheinend weiß niemand so genau, welcher Bus nun wann wohin fährt.
„Dann müssn Se ouf dän nächstn wartän. Isch kann Ihnen nür sagen, DÄR Büs (er unterstreicht das mit deutlichen Gesten) fährt definidiv nach Höhnsteen.“ Sagts, und verschwindet in ein auf der anderen Straßenseite wartendes Taxi.
„Aber was sollen wir denn jetzt machen?“, möchte die Frau wissen.
„Jetzt lassen Sie uns doch endlich weiterfahren“, raunzt der Unfreundliche sie an.

Und weiter geht die Fahrt über die nächtlichen Landstraßen. Der Maler mit Bierflasche kommt mit einem anderen Fahrgast ins Gespräch. „Eine Unverschämdheid ist das, die Leute einfach sö stehn zü lassen und sisch in ein Taxi zu setzen.“
Bis jetzt hat sich die Bahn bezüglich Informationen wahrlich noch nicht mit Ruhm bekleckert.

Ein Mann telefoniert ununterbrochen in einer mir nicht bekannten Sprache. Der vor ihm sitzende Unfreundliche weißt ihn irgendwann darauf hin, dass ihn das permanente Geräusch in seinen Ohren störe. Doch der entgegnet nur etwas von Freiheit und Toleranz, woraufhin der Unfreundliche „Dann verhalten Sie sich auch so.“ zurückgibt.
Das Telefongespräch wird jedenfalls kurz darauf beendet.

Mittlerweile sind wir über eine Stunde unterwegs, der Mann mit Bierflasche setzt sich nun doch hin, nur ein sportlicher junger Mann in Fahrradkleidung bleibt stehen. „Warüm fahrn wir denn überhaubt über eene Stunde mitm Büs durch die Gegend? Man könnde doch von beeden Seiten bis zum nächsten Bahnhöf mitm Züg fahrn und nur dazwischen Ersatzverkehr fahrn.“
Das habe ich mich auch schon gefragt. Wenn der PU nun in Glauchau ist, warum nicht mit Zügen bis Glauchau-Schönbörnchen und St. Egidien fahren und nur dazwischen SEV anbieten? Dann hat man auch nicht das Problem, dass die Fahrgäste, die mit der RB zu den zahlreichen kleinen Unterwegshalten wollten, keine Möglichkeit haben, an ihr Ziel zu kommen und könnte noch dazu einige Busse einsparen. Bahnsteiglängen dürften bei den hier üblichen drei Dostos wohl eher nicht das Problem sein. (Kennt jemand den Grund dafür?)

Gegen 22:45 Uhr nähern wir uns dem Bahnhof Hohenstein-Ernstthal. Selbstverständlich steht kein Zug am Bahnsteig. Die schnell näherkommenden Spitzenlichter entpuppen sich als Güterzug. Der Bus lädt einige wartende Fahrgäste ein und verschwindet wieder Richtung Glauchau in der Dunkelheit. Etwa 50 Leute begeben sich durch die Unterführung auf den Bahnsteig, darunter auch einige Flüchtlinge. Eine ziemlich erschöpfte Familie mit einem Baby und einem Kleinkind ist auch dabei, sie setzen sich auf die Treppe.

So, was jetzt? Der DSA verkündet lediglich, dass die RB nach Zwickau um 22:52 Uhr ausfällt. Meine RB nach Dresden ist planmäßig irgendwo zwischen Chemnitz und Freiberg unterwegs. Damit gibt es keine Zugverbindung mehr nach Dresden.

Ich werde auf einen Mann um die vierzig aufmerksam, der offensichtlich bei der Bahn angerufen hat. Später erfahre ich, dass er Gerd heißt. „Ich stehe hier mit ungefähr 50 anderen Leuten am Bahnhof in Hohenstein und es gibt nur Informationen Richtung Zwickau. Hier wollen aber alle nach Chemnitz und Dresden. Vielleicht wissen Sie ja, wann da noch ein Zug kommt?“ … „Sie ruft gleich zurück“, sagt er zu einem etwa dreißig Jahre alten Mann, der wohl mit ihm zusammen unterwegs ist. Seine ruhige Art beim Anruf lässt mich vermuten, dass er sich ein wenig auskennt. Ich stelle mich dazu und bemerke, dass er noch seine etwa acht Jahre alte Tochter dabei hat. Die beiden Männer sind definitiv geschäftlich unterwegs, der Ältere ist etwas lockerer gekleidet als der Jüngere. „Dass der nichts Sinnvolles anzeigt, ist besonders bitter angesichts der Tatsache, dass die durch 90% Fördergelder finanziert sind“, meint er.
Das wird ja immer interessanter. Auch eine junge Frau mit großem Rucksack gesellt sich zu uns.
„Wo haben Sie denn angerufen?“, möchte sie wissen.
Bei der 3-S-Zentrale.
Aha. Guter Tipp, den werde ich mir merken.

Kaum eine Minute später klingelt sein Handy.
„Und?“, fragt sein Arbeitskollege, nachdem Gerd das Gespräch beendet hat.
„So um 23:10 bis 23:15 Uhr kommt ein Zug, der nach Dresden fährt.“
Der Jüngere schaut nach. Das RIS verkündet die planmäßig um 23:07 Uhr abfahrende RB nach Freiberg mit +30.
Irgendwie scheint man die Landeshauptstadt gerne abends vom Zugverkehr abschneiden zu wollen. Der letzte RE von Hof nur bis Chemnitz. Die letzte RB von Zwickau nur bis Freiberg.
Und irgendwie scheint die Bahn mich dieses Semester nicht nach Dresden bringen zu wollen. Während ich nach fünf Fahrten in südlicher Fahrtrichtung insgesamt auf weniger als zehn Minuten Ankunftsverspätung komme, sind es in Richtung Dresden schon über fünf Stunden.
„Tja, wer weiß, vielleicht ist das ein Wink des Schicksals“, meint der ältere Mann.
Mal sehen, ob ich heute noch bis Dresden komme. „Das klappt schon“, beruhigt er mich.
Die Hoffnung stirbt zuletzt und das Signal steht auf Fahrt. Kommt da etwa doch noch was?

Die junge Frau kommt gerade aus Indien, wo sie das letzte halbe Jahr verbracht hat. Einige Zeit war sie auch in Nepal. „Weißt du, wo Nepal ist?“, fragt Gerd seine Tochter. „Ja, dort wo das Erdbeben war“, verkündet sie wie aus der Pistole geschossen.
Bisher belegt meine Nachtzugfahrt in Indien noch den 2. Platz meiner höchsten Verspätungen. Die dreieinviertel Stunden sind bisher nur von meiner unfreiwilligen Nacht in Hof getoppt worden, wo auf dem Antwortzettel des FGR-Formulars eine Verspätung von sagenhaften 802 Minuten steht. Hoffentlich werde ich die niemals schlagen…

Sie bittet ihn, mit seinem Handy zu telefonieren, weil ihr Akku leer ist. Er hat nichts dagegen. Leider geht niemand dran. „Ach Mist, die sind wahrscheinlich schon losgefahren. Und die Handynummer kann ich nicht auswendig.“ Sie wird von ihren Eltern am Bahnhof in Chemnitz erwartet. „Du kannst das Handy an meinem Laptop laden“, bietet der Jüngere an, „ich habe ein Ladekabel dabei.“ „Na wenn das nicht zu viele Umstände macht…“
Er zieht ein MacBook Air aus der Laptoptasche und sie steckt das Kabel an ihr Handy. Sobald er den Bildschirm zuklappt, versiegt der Stromfluss. Also hält er für einige Minuten den geöffneten Laptop in der Hand, bis das Handy wieder genug Strom hat. Sie wählt die Handynummer aus dem Adressbuch und bestellt sich Mama-Taxi nach Hohenstein.
In der Ferne hört man das Rumpeln eines Zuges. Leider hört es sich verdächtig nach Gz an. Dieser Verdacht bestätigt sich wenig später, als auf die sehnsüchtigen Blicke der wartenden Menschen nur ein Gz vorbeirauscht. Es ist ziemlich kühl und manche Fahrgäste nur sehr sommerlich bekleidet. Einige öffnen ihre Koffer, um sich Pullis und Jacken herauszuholen. Großes Glück, dass es nicht Winter ist. Eine halbe Stunde in eisiger Kälte in Hohenstein-Ernstthal zu stehen und auf einen Zug zu hoffen, dürfte wohl noch deutlich unangenehmer sein.
Das RIS verkündet die RB nun mit +3. „Bist du sicher, dass du dich hier abholen lassen willst? Der Zug kommt in etwa zehn Minuten“, meint der jüngere Mann. Sie bleibt dabei.

Der Ältere hat wohl die Flüchtlinge bereits gelotst und verkündet nun in einer Mischung aus Englisch, Französisch und Handzeichen, dass der Zug in zehn Minuten kommt. Ein mittelalter Flüchtling, der nichts dabei hat außer einige eingerollte Blatt Papier und ein Handy, die er in der Hand hält, steht nun auch bei uns. Er muss nach Chemnitz. Gerd versucht herauszufinden, woher der Mann stammt. Das gestaltet sich wegen seiner äußerst geringen Englischkenntnisse schwierig. Auf jeden Fall Syrien.
Er zieht einen Notizblock aus seinem Rucksack und bittet seine Tochter um einen Stift. Sie zieht ein Schlampermäppchen aus ihrem kleinen Rucksack und hält es ihm hin. Er greift hinein und bringt einen blauen Filzstift zum Vorschein. „Der geht nicht“, meint seine Tochter. Der anschließend gefundene violette Filzstift ist funktionstüchtig. Er malt die Umrisse von Syrien und der Türkei auf. Jetzt scheint der Flüchtling zu verstehen, was der findige Businessmann wissen möchte. Genau wie sein Arbeitskollege und die junge Frau schaue auch ich gespannt zu. „Chalep“, sagt er. Wir brauchen eine Denksekunde, um zu verstehen, dass er aus Aleppo stammt. Jetzt wollen wir aber auch noch wissen, auf welchem Weg er nach Deutschland gekommen ist. Das versteht er aber nicht richtig, schreibt „2014“ auf den Block und erklärt uns stattdessen, dass seine Frau und seine beiden Kinder seit letztem Jahr in Deutschland sind. Das nächste aufgeschriebene Datum liegt noch keine zwei Wochen zurück, seitdem ist auch er in Deutschland und nun auf dem Weg von Nürnberg zur Familie.
So leicht geben wir uns nicht geschlagen. „Syria, Turkey, …? Bulgaria?“, schlägt Gerd vor. Jetzt versteht er. „Macedonia, Serbia, Hungary.“ Also die klassische Route, die der ungarische Ministerpräsident nun durch den Bau eines Zauns an der serbischen Grenze zu unterbinden versucht.

Auf diese Weise vergeht die Wartezeit recht schnell und bald sollte die RB eintreffen. Nun wird sie mit +5 im RIS angekündigt, auch der DSA verkündet jetzt die Information in schriftlicher, Blechelse in mündlicher Form. Als Grund werden Verzögerungen im Betriebsablauf genannt. Das Signal steht wieder auf Fahrt. Einige Fahrgäste haben sich bereits von Verwandten-Taxis abholen lassen. Auch die junge Frau verabschiedet sich.

Beinahe 15 Minuten nach der planmäßigen Abfahrtszeit kündigt sich durch Rauschen ein nahender Zug an. Es hört sich stark nach 143 und wenig nach Gz an. Wir winken den sich teilweise in der Unterführung aufhaltenden Flüchtlingen zu und da rollt auch schon unsere RB an den Bahnsteig. Die ZZA sind dunkel. Es bleibt also noch spannend, wohin der Zug nun fährt. Einen Zub suchen wir vergeblich.

In den beiden Dostos ist gar nicht wenig los, die beiden Geschäftsleute, das Mädchen, der einzelne Flüchtling und ich verteilen uns auf zwei Vierer, die jeweils schon durch eine Person belegt sind.
„Ich verstehe irgendwie nur nicht, warum sie die Flüchtlinge ausgerechnet mit dem letzten Zug von Nürnberg nach Chemnitz schicken. Da kommt es doch auch nicht mehr darauf an, ob die noch bis morgen dort bleiben und dann mittags bei Tageslicht losfahren“, meint Gerd.
Diese Frage habe ich mir auch schon oft gestellt und erzähle von meinem Erlebnis mit den gestrandeten Flüchtlingen auf der doppelten 3-Minuten-Verbindung im letzten Sommer und dass sie dann im Auto von einer abgeholten Mitreisenden von Hof nach Chemnitz gebracht wurden. Auch er kennt diese Verbindung und staunt nicht schlecht über diesen Flüchtlingstransport.

Das Mädchen hat Durst, als es ihren Vater beim Trinken beobachtet. In der Flasche ist nur noch ein letzter Rest Saft. Er hält sie ihr hin: „Dein Papa spart sich doch gerne den letzten Tropfen vom Mund ab.“ Nachdem sie die Flasche bis auf den letzten Tropfen geleert hat, präsentiert er schmunzelnd eine volle Flasche in seinem Rucksack. Er zieht noch eine Tafel Schokolade heraus, aber sie lehnt ab.

Während wir uns Chemnitz nähern, versucht er zu klären, wie der Flüchtling zu seinem Ziel in Chemnitz kommt. Auf einem der eingerollten Zettel steht eine Adresse, die mir bekannt vorkommt. Die letztes Jahr mit mir gestrandeten Flüchtlinge haben mir dieselbe unter die Nase gehalten. Offensichtlich kann man von Chemnitz-Hilbersdorf dorthin laufen. Da wir nun in einer RB sitzen, würde diese Option bestehen. Alternativ würde es auch ein Taxi vom Hbf aus tun.
Ein junger Mann, der bereits im Vierer saß, wird auf unser Problem aufmerksam und nimmt die Ohrstöpsel heraus. Von ihm erfahren wir, dass es von Hilbersdorf 15 Minuten zu Fuß sind. „Wollen Sie auch dorthin?“, will Gerd wissen. „Nene, aber ich habe das gestern schon nachgeschaut…“ Die Erklärungsversuche auf Englisch versteht der Flüchtling nicht. Aber der gewiefte Geschäftsmann zieht wieder den Block heraus und sucht nach einem Filzstift, der funktioniert. Der hervorgebrachte Schwarze tut seinen Dienst und flugs ist die Bahnstrecke mit den beiden Bahnhöfen* skizziert. Zum Hbf schreibt er „Taxi“ dazu, zum Bf Hilbersdorf malt er einen Fußgänger und eine Uhr, auf der er 15 Minuten verdeutlicht. Der Flüchtling versteht und sagt sofort: „Taxi.“
Wir schmunzeln. Klar, wer würde schon freiwillig eine Viertelstunde durch die Dunkelheit irren, wenn er auch mit dem Taxi fahren kann. Da wir uns nicht sicher sind, ob es zu dieser Stunde noch ein Taxi am Chemnitzer Hbf gibt, bietet der junge Mann an, eins zu bestellen und verpasst vor lauter Eifer beinahe, in Chemnitz Süd auszusteigen. Er schafft es gerade noch.
„Ob er wohl den Weg zum Taxistand findet?“, meint Gerd. Ich weise auf die Taxi-Piktogramme am Bahnhof hin. Er malt noch den groben Weg auf seinen Zettel und bringt den Flüchtling zur Tür.

In Chemnitz Hbf geht der Tf durch den Zug und erkundigt sich, wer noch weiter als Freiberg fahren möchte. „Bisher habe ich es noch immer geschafft, den Taxifahrer zu überzeugen, bis vor die Haustür zu fahren“, meint Gerd augenzwinkernd. Mir ist es eigentlich egal, ich habe es nicht weit vom Dresdner Hbf.
Schließlich fahren wir weiter. Das Mädchen ist mittlerweile müde und möchte sich quer über zwei Sitze hinlegen. „Mach das besser jetzt, nachher im Taxi ist das etwas schwierig.“ Den auf einem Sitz abgestellten Rucksack wuchtet sie direkt auf Papas Schoß, der darüber wenig begeistert ist.
Ich schlage ihr vor, den Rucksack als Kissen zu benutzen. „Neinnein, da habe ich ein paar Sachen drin, die besser nicht zerknittert werden“, meint der Geschäftsmann. Nachdem sie sich ohne Kissen hingelegt hat, fragt sie noch: „Papa, warum rauchen eigentlich alle Männer in Syrien?“ Darauf hat keiner von uns im ersten Moment eine passende Antwort. Wir kommen zum Schluss, dass es wohl statt dem bei uns weit verbreiteten Alkohol andere Genussmittel geben muss.

Wir unterhalten uns noch über indische Züge, die der jüngere Geschäftsmann ausgiebig getestet hat und schockieren Gerd ein wenig mit unseren Erzählungen von den hygienischen Verhältnissen und den Toiletten Indian Style und Western Style.
„Verehrte Fahrgäste, dieser Zug verkehrt außerplanmäßig von Freiberg weiter nach Dresden Hbf über Tharandt. Erwartete Ankunftszeit um 00:45 Uhr.“
Wow. Überraschungsstarre bei uns dreien (das Mädchen schläft mittlerweile tief und fest), wir befinden und nun quasi in einem Taxi auf Schienen, denn das Obergeschoss haben wir komplett für uns. Die Tafel Schokolade hat Gerd alleine fast aufgegessen, allmählich kriege ich auch Hunger und ziehe eine Brotzeitdose mit Pflaumen aus eigener Ernte hervor.

„Nächster Halt Freiberg. Diese Zugfahrt endet dort. Bitte alle aussteigen. Wir bedanken uns für ihre Fahrt und wünschen Ihnen einen angenehmen Tag.“
„Ich wiederhole nochmal: Dieser Zug verkehrt weiter nach Dresden Hbf.“

In Freiberg steigt ein Mann im DB-Service-Outfit zu und beginnt, die Mülleimer zu leeren. Als er uns entdeckt, sagt er verwundert: „Där Züg endet hier.“ „Nein, der hat gerade nochmal durchgesagt, dass er heute außerplanmäßig weiter bis Dresden fährt.“
„Nischt wohr? Dann steig ich aber ganz schnell wieder aus…“
Nach einem kurzen Aufenthalt rollt der Zug wieder an.
„Papa, was wollte der Mann?“
„Der wollte nur den Zug sauber machen. Schlaf weiter, war ein langer Tag heute.“
Wenige Sekunden später ist das Mädchen wieder eingeschlafen.
Die beiden Männer wenden sich Geschäftlichem zu und verschanzen sich hinter ihren MacBooks, um die morgige Präsentation zu besprechen. Ich hänge meinen Gedanken nach.

Nennen Sie Maßnahmen, um die Attraktivität der Eisenbahn zu erhöhen.
Nein, das ist zu einfach.
Wofür dient der Zuverlässigkeitszuschlag bei der komplexen Reisezeit?
Da könnte ich aus reichlichen Erfahrungen berichten.

Nunja. Hätte ich auf dieser Fahrt Bullshit-Bingo gespielt, wäre ich wohl verdächtig nahe am 1. Preis dran.
Reisendendesinformation. Fahrgastfehlfunktion. SEV. Bingo!
Umleitung wegen Bauarbeiten. Anschlussverlust. Verzögerungen im Betriebsablauf. Bingo!
Türstörung. PU. Mist, unwetterbedingte Geschwindigkeitsreduktion fehlt.

Dafür gibt es aber auch einige Sachen, die ich auf der Positiv-Seite verbuchen kann.
Fotomotive. Interessante Gespräche. Klausurvorbereitung. Bingo!
Sonnenuntergang. Unbekannte Strecke. Neuen Stoff für eine Geschichte. Bingo!

Nachdem in Tharandt niemand ausgestiegen ist, kündigt der Tf den Dresdner Hbf an. „Ausstieg in Fahrtrichtung links.“ Gerd versucht, seine Tochter sanft zu wecken. Doch die bleibt reglos wie ein Stein.
Erst nach kräftigerem Rütteln öffnet sie verschlafen die Augen.

Um 00:51 rollen wir in den Dresdner Hbf. Damit habe ich genau +60 (auch wenn es sich nach fast neun Stunden Fahrzeit wie deutlich mehr anfühlt) und kann nun noch die 5,45€ Fahrpreisrückerstattung auf die Positiv-Seite stellen.
„Ich korrigiere: Ausstieg in Fahrtrichtung rechts.“ „Das ist jetzt auch schon egal“, brummt Gerd.

Knapp 20 Fahrgäste verlassen den Zug, zwei Fahrräder sind auch mit dabei. Gerd rennt mit seiner Tochter an der Hand los. „Unsere Straßenbahn fährt gleich!“, ruft er uns noch zu und die beiden verschwinden um die nächste Ecke. „Was rennt der denn so“, wundert sich sein Kollege, „die Straßenbahn kommt doch noch nicht.“ Gutes Stichwort. Mal schauen, ob gerade eine in meine Richtung kommt.
Wir verabschieden uns, er folgt Gerd Richtung Hbf Nord.

Schade, erst in 23 Minuten. Dann gibt es wohl noch einen kleinen Spaziergang.
Der Anzeiger an der Bushaltestelle steht auf nichts, also auf null und da kommt auch schon der Bus um die Ecke. Das passt doch wunderbar.

Nun konnte ich mal wieder erleben, was den Flüchtlingen wahrscheinlich sehr bekannt ist: Irgendwie geht es immer weiter.
Auch wenn ich nicht gerade behaupten kann, dass mich die einen Monat dauernde Streckensperrung zwischen Weiden und Marktredwitz nicht wurmt.



*Fresst mich bitte nicht, ich weiß, dass Chemnitz-Hilbersdorf ein Hp ist…
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Beitrag von ropix »

Entenfang @ 2 Aug 2015, 23:19 hat geschrieben: *Fresst mich bitte nicht, ich weiß, dass Chemnitz-Hilbersdorf ein Hp ist…
Für diesen Satz läufst du aber glaub ich Gefahr von sehr vielen ostdeutschen Eisenbahnern gefressen zu werden :D

Ja, die Alex-Umleitung ist schon lustig. Aber nicht zu vergleichen mit dem Versuch Hof derzeit über Nürnberg zu erreichen. Da hats ja auf Bindlach auch Bauarbeiten so dass der IRE (is das ein IRE?) über Lichtenfels umgeleitet wird. Wohlgemerkt mit Zugteilung/Zugvereinigung in Neumarkt-Wirsberg weil der zweite Zugteil auf seinem Weg von und nach Lichtenfels noch eine Zwischenstation einlegen will. Kommt schon fast einer kleinen Frankenrundfahrt gleich, aber wann fährt man schon mal in Bamberg, Erlangen und Lichtenfels mit VMax durch (ok, vor allem in Lichtenfels scheint VMax=60 zu herrschen...)
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Beitrag von Entenfang »

ropix @ 2 Aug 2015, 23:32 hat geschrieben:Für diesen Satz läufst du aber glaub ich Gefahr von sehr vielen ostdeutschen Eisenbahnern gefressen zu werden :D
Kann ich nicht ändern. Schweers und Wall sagt, es ist ein Hp. ;)

Aber die Ecke ist durchaus interessant. Dort stehen schließlich noch 2 Lokschuppen inkl. Drehscheibe und unzählige abgestellte 232 und 218.
Aber nicht zu vergleichen mit dem Versuch Hof derzeit über Nürnberg zu erreichen. Da hats ja auf Bindlach auch Bauarbeiten so dass der IRE (is das ein IRE?) über Lichtenfels umgeleitet wird.
*Seufz* Was soll ich noch zu Streckensperrung wegen Baustelle sowohl auf Hof-Nürnberg als auch Hof-Regensburg sagen? Aber war eine nette Runde, ja. :P
Und nein, ist ein normaler RE.



Wat mir stinkt


Erst wollte ich mich nur ein wenig in jenem gewissen Thread auskotzen. Aber dann musste ich feststellen, dass ich eigentlich genug Stoff für eine weitere Geschichte zusammenhabe. Mal wieder…


Da freue ich mich auf jemanden und fahre zum Münchner Hbf, um ihn abzuholen. Nach dem Erreichen der Haupthalle stelle ich fest, dass ich mich nicht allzu sehr beeilen muss. Zug ist mit +10 angekündigt, ich kann also gemütlich zum Starnberger Flügelbahnhof um Gepäckstücke, Fahrgäste und Imbissbuden slalomschlendern.
„Achtung eine Durchsage an alle Reisenden: Aufgrund einer Streckensperrung ist zurzeit kein Zugverkehr möglich. Alle Ankünfte und Abfahrten verzögern sich auf unbestimmte Zeit.“
Hmm, mal schauen.
Die Durchsage wird wiederholt, die +10 werden zu +15. Die S-Bahn an der Hackerbrücke steht seit Minuten dort.
Da scheint tatsächlich der Super-GAU eingetreten zu sein.
Eine BOB rollt heran. Ein Hoffnungsschimmer.
Nun verkündet die Durchsage, dass die Strecken nach Pasing, Ingolstadt und Landshut wegen Personen im Gleis gesperrt sind.
So ein Mist.
Aus den +15 werden +25.
Eine S-Bahn verlässt die Hackerbrücke, eine weitere rollt aus dem Stamm.
Etwa wieder offen oder auf Sicht?
Sie steht Ewigkeiten dort, Menschenmassen begeben sich über die Treppe auf die Hackerbrücke. Sieht nicht gut aus.
Die BOB fährt wieder ab.
Die Durchsage wird wiederholt.
Der ZZA springt auf die Nachfolgeleistung um. Zug fällt aus.
Dann wird er wohl in Pasing gewendet haben, ich fahre unverrichteter Dinge zurück nach Hause, um Mittag zu essen. In zwei Stunden muss ich im Zug sitzen.
Mal wieder ganz toll, wegen Personen im Gleis für geschlagene zwei Stunden einen Großteil des Verkehrs am Münchner Hbf einzustellen.

Als ich mich an meinem Bahnsteig einfinde, treffe ich auf einen 403, laut Durchsage soll ein weiterer dazukommen. Egal, solange noch Plätze frei sind. Kurz nachdem ich in einem Abteil platzgenommen habe, in dem nur ein einziger reservierter Platz ausgeschrieben ist, schaltet die Anzeige um. Komplett ausreserviert.
Also weiter in den nächsten Wagen. Der fühlt sich irgendwie stickig an und nachdem ich das Gepäck von einem Sitz verscheucht und mich hingesetzt habe, erklingt auch schon die Durchsage: "Wagen 13 muss wegen defekter Klimaanlage geräumt werden."
Also doch ganz aussteigen und auf den neuen Zugteil außerhalb der Bahnhofshalle warten. Zehn Minuten nach der planmäßigen Abfahrtszeit rollt er endlich an den Bahnsteig, kurz nachdem ich wieder Platz genommen habe, erscheinen die Reservierungen (immerhin, sie erscheinen...) Pech gehabt, nächster Umzug steht an, immerhin nur auf die gegenüberliegende Gangseite. Wenigstens geht die Klimaanlage und der Platz ist wirklich nicht reserviert.
Am Vierer schräg gegenüber sitzt eine Familie mit drei Kindern, der Älteste 16, die Jüngste vielleicht zehn. Der Älteste hat einen Zauberwürfel in der Hand, an dem er permanent herumspielt.
Oft verdreht er nur wenige Seiten, um sie dann wieder in die richtige Stellung zu bringen, aber einige Male verdreht er den Würfel komplett und bringt ihn innerhalb kürzester Zeit wieder in die Grundstellung. So geht das eine Weile, mit +15 lassen wir München hinter uns. Die Jüngste löffelt Birchermüsli aus einem Plastikbecher, die Mittlere beschäftigt sich mit ihrem Smartphone.
Gelegentlich gibt es Gestrampel, weil die Jüngste unbedingt ihre Füße auf den Beinen des gegenübersitzenden Bruders abstellen will. Dem ist das aber zu warm.
Beide setzen sich schließlich Kopfhörer auf, der im gegenüberliegenden Vierer sitzende Vater tut es ihnen gleich.

Als sich der Schaffner nähert, deutet der Vater auf ihren Tisch. Anscheinend möchte er etwas haben.
Da aber weder er noch der darauf reagierende Sohn ihre Kopfhörer absetzen, gibt es ein munteres Ratespiel. Der Sohn deutet auf die Mobil. Kopfschütteln.
Vielleicht das Getränk?
Nein.
Der Plastikbecher mit dem Rest Birchermüsli?
Auch nicht.
Die Mappe mit dem Online-Ticket?
Treffer.
Der Sohn deutet nur auf den Vater, als der Schaffner angekommen ist. Keiner von beiden nimmt die Kopfhörer ab.

Die Fahrt nach Nürnberg verläuft unspektakulär, einige Male rollen wir ziemlich langsam und einmal kommen wir sogar ganz zum Stehen.
Das gelegentliche Strampeln, das schnelle Drehen des Würfels und ein gescheiterter Versuch der Mittleren, ein Handygespräch zu führen, begleiten mich auf dem Weg.
Am Vierer direkt vor mir spielt ein Junge Rushhour. Ziel ist es, Einsatzfahrzeuge nur durch Schieben der Plastikautos auf dem Spielfeld ans Ziel zu bringen. Je größer der Stau (also je mehr Autos ins Spiel kommen), desto schwieriger wird es. „Das ist ja babyeinfach“, meint er, als er die Anfangsstellung aufgebaut hat. „Na warte mal ab“, meint seine Mutter. In der Tat kann man sich bei diesem Spiel schnell verrennen. Die letzten Levels sind richtig schwer.
Irgendwie passt das Spiel gut zur Situation, denn die Autos auf der Autobahn scheinen im Stau zu stehen, obwohl keiner zu sehen ist, vergleicht man sie mit dem ruhig dahingleitenden ICE.

Kurz vor Nürnberg weitere Verbindung checken, die +15 sind dank 30 Minuten Umsteigezeit zum Glück nicht gefährlich. Oh toll, RE nach Hof hat +30 wegen Verspätung aus vorheriger Fahrt. Dann klappt der 4-Minuten-Anschluss in Hof ganz bestimmt noch.
Also mit dem ICE nach Naumburg, nun doch mit dem Zug, der München ein Gleis weiter zwei Minuten vor unserer planmäßigen Abfahrtszeit verlassen hat. Der Zub bedauert es furchtbar, dass es sich nicht um einen MET handelt, deswegen sind die Reservierungsanzeigen nicht gültig. Jemand hat den halben Wagen von Jena bis Berlin reserviert, zumindest wird das angezeigt. Bis Bamberg sammeln wir +6 wegen Verzögerungen im Betriebsablauf. Egal, das holen wir wieder rein und die 8 Minuten in Naumburg zum IC nach Dresden werden schon reichen.
Ich beginne langsam die Fahrt durch den Thüringer Wald zu genießen, die Strecke bin ich schon länger nicht mehr bei Tageslicht gefahren. Doch die Freude währt nur kurz.
In Probstzella bleiben wir stehen. Wegen Personen im Gleis verzögert sich die Weiterfahrt um etwa 10 Minuten. „Boah, kann es einmal keine Störung geben?“, stöhnt ein Fahrgast. Ja, das frage ich mich mittlerweile auch, zumindest in Richtung Dresden. Verbindung checken, beim RE nach Hof sind aus den +30 schon +55 geworden, Anschluss in Naumburg hat auch +20. Schön, wenn bei einem Anschluss beide Züge die gleiche Verspätung haben.
Aus 10 Minuten werden 30, mit +50 kommen wir in Jena an. Dort steigen dann äußerst grantige HSV-Fans ein und raunzen erstmal in lautem Tonfall den ganzen Wagen an, dass sie ALLES KOMPLETT UND ÜBERHAUPT reserviert hätten und sich gefälligst alle anderen Fahrgäste sofort in Luft auflösen sollen. Natürlich nur echt mit Bierflasche in der Hand.
Einige Fahrgäste protestieren, dass durchgesagt wurde, die Reservierungsanzeigen wären nicht gültig. Ich jedenfalls stehe erst auf, wenn ich eine Reservierung sehe, die sich auf meinen Platz in diesem Wagen (der nächste und zugleich erste Wagen ist wegen nicht funktionierender Klimaanlage abgesperrt) am heutigen Tag bezieht. Denn ich habe mich extra auf keinen der zahlreichen von Jena bis Berlin reservierten Plätze gesetzt. Keiner steht auf, Reservierungszettel sehe ich auch keinen und ich lasse demonstrativ die Stöpsel in den Ohren, um meine Abneigung zu verdeutlichen, obwohl ich mein Hörbuch pausiert habe, um die Situation zu beobachten.
„Setzen Sie sich halt mal auf die freien Plätze“, schlägt jemand vor.
Aber der Wortführer der Fanbande fühlt sich in seiner Ehre gekränkt. „So, das ist mir scheißegal. Jetzt holen wir den Schaffner.“
Offensichtlich zieht jemand los, einige Minuten und Raunzer später verkündet einer, sie dürften 1. Klasse fahren. Ist das nicht eine Win-Win-Situation? Es ist wieder Ruhe im Karton bzw. Waggon, ich muss die unsympathische Bande nicht ertragen und die Fans dürfen sich über ein kostenloses Upgrade freuen.
Solche Leute liebe ich ja. Erstmal ein riesiges Theater aufführen und dann bis zur Klärung der Umstände dann im Gang stehen bleiben. Es wären jedenfalls locker genug Sitzplätze frei gewesen.
„Die haben verloren“, meint die junge Frau neben mir grinsend.

Meinen Anschluss in Naumburg kann ich natürlich vergessen, deswegen fahre ich weiter bis Halle, um dort in den ICE nach Dresden umzusteigen. Er kommt überpünktlich an und pünktlich fährt er wieder ab. Versucht es zumindest. Uooowieeeeeeh klonk wieeouquietsch. Mit einem Ruck kommen wir nach wenigen Schritten wieder zum Stehen. Neuer Versuch nach dem Lösen der Bremsen. Uooowieeeeeeh klonk wieeouquietsch. Wieder kommen wir mit einem Ruck zum Stehen. Beim dritten Anlauf klappt es schließlich und ich schaffe es ohne weitere Zwischenfälle nach Dresden. 95 Minuten können zur dieses Semester recht üppigen Verspätung Richtung Dresden addiert werden.


Sehr geehrter Kunde, wir bedauern sehr, dass Ihnen durch eine Verspätung oder den Ausfall eines Zuges Unannehmlichkeiten entstanden sind…

Ja, ich bedaure das auch sehr. Hoffentlich erwache ich im Sommerurlaub endlich aus dem Albtraum von erbarmungsloser Hitze und ständiger Störungen. Elf Tage muss ich noch weiterträumen und morgen um 7:30 Uhr Prüfung schreiben.
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Beitrag von Galaxy »

Entenfang @ 10 Aug 2015, 15:48 hat geschrieben:einige Minuten und Raunzer später verkündet einer, sie dürften 1. Klasse fahren. Ist das nicht eine Win-Win-Situation?
Nicht für die Menschen der 1. Klasse. :lol:

Deine berichte sind immer interessant. Mit der Oma und dem Fenster hättest Du aber etwas mehr Geduld haben sollen. Das Temperatur Empfinden geht mit dem Alter einfach verloren. Es ist nicht ungewöhnlich das Menschen über 80 bei 30 Grad einen Angorapulli tragen.
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Beitrag von Catracho »

Galaxy @ 10 Aug 2015, 18:35 hat geschrieben: Mit der Oma und dem Fenster hättest Du aber etwas mehr Geduld haben sollen. Das Temperatur Empfinden geht mit dem Alter einfach verloren. Es ist nicht ungewöhnlich das Menschen über 80 bei 30 Grad einen Angorapulli tragen.
Sorry, aber nein. Wenn sich 99 Menschen in einem Wagen einen abschwitzen, dann hat die eine Person, der aus was für Gründen auch immer nicht warm ist, einfach zurückzustecken. Ganz einfach. Die Rücksichtnahme hat hier vom Einzelnen zu kommen, zum Wohle der Mehrheit. Gilt in der umgekehrten Situation übrigens genauso. Ich muss diesen Kampf gegen Senioren nahezu täglich in der Straßenbahn führen und inzwischen geht mir das nur noch auf den Senkel. Geschlossene Fenster, weil 2 von 40 Insassen kein normales Temperaturempfinden haben. Wenn diese Herrschaften ein Problem mit offenen Fenstern haben, weil es ja ach so schlimmen Durchzug gibt, dann sollen sie sich Schal, Mütze und Jacke anziehen. Dann erleiden sie vielleicht den Hitzetod, aber zumindest hat es am Kopf nicht gezogen. Und die anderen Fahrgäste haben ihre Ruhe und wieder frische Luft.

Mfg
Catracho
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Beitrag von JeDi »

...vor allem, nachdem Durchzug ja Sinn des offenen Fensters ist.
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