Tag 1 München -> Lüttich
Das fängt ja gut an. Nach dem Aufstehen wecke ich auch mein Handy, welches den Eingang einer Mail verkündet. Absender: Verspätungsalarm. Ohje. ICE 14 ab Köln: Halte entfallen ohne weiteren Kommentar. Ausnahmsweise habe ich bei der Ankunft am Münchner Hbf noch üppig Zeit und besuche die DB Information. Fährt alles planmäßig. Nichts höre ich lieber als das.
Der Zug steht verschlossen am Bahnsteig und ich gehe einige Wagen nach vorne. Als die Türen freigegeben werden, steige ich in den hinteren Zugteil ein. Der ZZA am Bahnsteig verkündet Dortmund für den hinteren Zugteil, Düsseldorf für den Vorderen. Auf dem Zug steht hinten Frankfurt und vorne Essen. Als ich den Zuglauf im hinteren Zugteil sehe, überlege ich es mir schnell anders. Meinen Anschluss in Frankfurt werde ich wohl kaum erreichen, wenn ich von Würzburg über Kassel, Paderborn, Dortmund und Köln dorthin fahre. Zwischenzeitlich sind die Türen wieder verschlossen, als sie wieder freigegeben werden, steige ich in den vorderen Zugteil um. Es gibt zahlreiche unreservierte Sitzplätze und ich positioniere mich am Fenster eines Zweiers.
Bald darauf steigen zwei mittelalte Frauen ein. „Bist du sicher, dass das unsere Plätze sind?“, will die eine wissen. „Ja, ich habe extra zweimal nachgeschaut.“ Sie platzieren sich auf den beiden Fensterplätzen am Tisch vor mir. „Dort steht aber Nürnberg – Düsseldorf“, stellt die eine skeptisch fest. „Dann ist das eben falsch“, entgegnet die andere keinen Widerspruch duldend.
„Ach, das hier ist Handyzone. Ich fahre viel lieber mit Handyverbot.“ „Ja, was man da alles mithören muss…“ Die beiden geben sich jedoch keine Mühe, ihr Gespräch so zu führen, dass andere Fahrgäste nicht bei ihnen mithören müssen. Leider ist es jedoch langweilig und ich höre ihnen nicht zu.
Nachdem die Zub von mehreren Fahrgästen auf die entfallenden Halte vom ICE 14 angesprochen wird, verschafft ein Telefonat Klarheit. Er fährt planmäßig, auch wenn der DB Navigator weiterhin das Gegenteil behauptet.
Wir warten in Rohrbach den Gegenzug ab und erreichen Nürnberg leicht verspätet. Ein altes Ehepaar steigt ein und erhebt Anspruch auf die Sitzplätze der beiden Frauen. Der Mann legt die Reservierung auf den Tisch. „Da, schauen Sie, wir haben hier reserviert.“ Die Frauen bleiben dabei, dass es ihre Plätze sind, ohne jedoch ihre Reservierung vorzuzeigen. Die beiden Gangplätze sind nicht reserviert und, abgesehen vom Gepäck, frei. „Gut, kein Problem, dann setzen wir uns einfach daneben“, meint die alte Frau. „Jetzt holen wir halt den Schaffner“, meint eine der Mittelalten. „Nein, ist schon gut. Wir setzen uns einfach daneben“, wiederholt die alte Frau. „Setzen Sie sich doch dort drüben hin“, schlägt eine der Mittelalten vor und deutet auf den gegenüberliegenden Vierer, in dem noch drei von vier Plätzen frei sind. „Dort sitzt aber der junge Mann und die beiden anderen sind auch reserviert“, kontert die Alte ruhig. „Und da hinten sind auch noch zwei frei“, startet die Mittelalte einen weiteren Versuch und deutet auf den Zweier hinter mir. Nur äußerst unwillig nimmt die eine schließlich doch ihren Rucksack vom Sitz und ermöglicht es der alten Frau, sich an den Tisch zu setzen. „Ich will mich nicht streiten“, meint der alte Mann und setzt sich neben mich. Ob ich mal seine Reservierung sehen dürfte? „Aber klar.“ Und alles stimmt. Es ist der richtige Platz im richtigen Wagen im richtigen Zug am richtigen Tag. Fahrgäste, die steif und fest behauptet haben, dass sie auch hundert – ach was – tausendprozentig einen bestimmten Sitzplatz reserviert hätten obwohl dem nicht so war, hatte ich schon oft. Aber einen doppelt reservierten Sitzplatz – das hatte ich noch nie.
Die beiden mittelalten Frauen fühlen sich jetzt wohl zu sehr belauscht und setzen ihr Gespräch nicht fort. Als wir wegen einer technischen Störung am Zug mit +21 endlich abfahren, kehrt für die nächste halbe Stunde Ruhe ein.
„In Nürnberg noch zugestiegen?“ Auf das Problem angesprochen, möchte die Zub die Reservierungen der mittelalten Frauen sehen. „Schauen Sie, das sind die Plätze 21 und 22“, meint die eine eifrig. „Ja, aber von gestern.“ „Aber ich habe doch extra umgebucht“, wundert sie sich. Die andere zieht eine andere Reservierung hervor. „Die ist von heute. Aber im Wagen 22 und nicht hier.“ „Oh, dann räumen wir natürlich die Plätze“, verkündet die eine etwas kleinlaut. „Schauen wir mal, ob Ihre frei sind“, meint die Zub.
Sie sind es nicht. Und die 15 Minuten nach Abfahrtszeit in München sind natürlich schon längst vorbei. Aber das erklärt die Zub ihnen erst gar nicht. Stattdessen finden sie einen freien Zweier in der Nähe und das alte Ehepaar kann doch noch die reservierten Sitzplätze einnehmen. Eine Viertelstunde lang diskutieren sie noch den Vorfall, ansonsten verläuft die weitere Fahrt ruhig. Nur der ICE 14 ist mit einem wenig vertrauenserweckenden „Fahrt fällt aus“ angekündigt. Der Herbst hat Einzug erhalten.

Mit +10 kommen wir in Frankfurt an, wodurch meine Umsteigezeit auf fünf Minuten geschrumpft ist. Zum Glück gibt es hier eine Unterführung. Pünktlich fährt der ICE Richtung Brüssel ab. Am Flughafen steigt eine Frau mit zwei kleinen Kindern ein. „Weißt du schon, was ein ICE ist?“, meint der eine Junge zu seinem Bruder, „das ist ein Zug, der schneller als die Autos fährt.“ Und die kleinen ICE und CNL aus dem Bordbistro erfreuen sich großer Beliebtheit. „Alle angeschnallt? Tuuuut! Tuuuuut!“ Die Züge fahren auf einer tollen Parallelfahrt die Sitze hoch und runter, über imaginäre Brücken und die SFS durch den Mittelgang.
Vor Köln verschwindet die Landschaft draußen im Regengrau. „Tuuut! Tuuuut! Die Eisenbahn! Wer will mit zur Oma fahren? Alleine fahren mag ich nicht, da nehm ich meine Mama mit.“ Und das ganze nochmal gemeinsam. Die Mama sammelt schließlich die beiden ein. „Wir steigen aus“, erklärt der eine Junge einem anderen Fahrgast. „Nein, wir gehen ins Bistro und schauen, ob es dort Eis gibt“, verbessert ihn sein Bruder und grinst verschmitzt.
Lüttich? Ist das nicht der Ort mit den coolen Bahnhof? Ganz genau so ist es. Mit +3 kommen wir an.

Zuerst wird der Bahnhof und der abwechslungsreiche Fahrzeugpark begutachtet.

AM 83

AM 66 mit Hasenkastenführerstand. Die mittige Tür erlaubt das Zusammenkuppeln zu längeren Einheiten, die Nutzung zur vollständigen Begehbarkeit habe ich aber nicht gesehen.

Vectron mit Ost-West-IC

Desiro ML, die nach und nach die älteste Bauserie (AM 62) ersetzen
Dann setze ich meine Fahrt zum nächsten Bahnhof Liege-Jonfosse fort. Dort lande ich in einem ziemlich heruntergekommen Viertel.

Auch nach einem Abend- und einem Nachtspaziergang ändert sich meine Einschätzung nicht wesentlich. Lüttich ist völlig untouristisch und das völlig zurecht. Es ist einfach keine schöne Stadt. Alles wirkt so, als wäre die Blütezeit vor 50 Jahren gewesen und längst vorbei. Parallelen zum Ruhrgebiet drängen sich auf.
Auch wenn das Stadtbild zu wünschen übrig lässt, ist Lüttich doch das kulturelle Zentrum Walloniens mit Theater und Oper.
Altstadt

Place de la Cathedrale

