Der Winter legt plötzlich eine Pause ein und verdirbt mir den Spaß an einer Dampfzugfahrt. Deshalb disponiere ich um und mache mich nach Vorlesungsende auf den Weg an die Saale.
Dresden Hbf.........ab 14:17
RE 16520
Leipzig Hbf...........an 15:50
Nun soll ich laut Fahrplanauskunft 1h 6 min. auf den Anschluss warten, denn die MÜZ in Leipzig Hbf beträgt 7 Minuten. Davon halte ich natürlich wenig und fahre sogleich weiter.
Leipzig Hbf............ab 15:56
EB 80857
Zeitz ....................an 16:34
............................ab 17:07
RB 34924
Weißenfels ............an 17:41
............................ab 17:54
RB 74628
Naumburg Hbf.......an 18:04
Gut gefüllt startet die Dreifachtraktion Regioshuttle ihre Fahrt nach Saalfeld. Nach etwas zähflüssigem Verkehr stehen +2 auf dem Zähler, als wir den Großraum Leipzig verlassen und über die gut ausgebaute zweigleisige Strecke mit Höchstgeschwindigkeit durch die trübe Winterlandschaft düsen. Der Schnee ist bereits auf dem Weg von Dresden nach Leipzig verschwunden und Nieselregen fällt vom Himmel. Die Strecke bietet bis auf wenige Ausnahmen Reichsbahnflair im Originalzustand. Die Blockstelle Zauschwitz ist sogar noch mit Formsignalen ausgerüstet.
Mittlerweile habe ich mich an den Anblick gewöhnt, dass ein älterer Herr Sudoku löst und nebenbei Bier trinkt. Als die erste Flasche leer ist, wird sogleich eine zweite geöffnet.

Der Aufenthalt in Zeitz kommt mir gerade recht, um mich ein wenig umzuschauen. Früher muss es sich um einen belebten Eisenbahnknoten gehandelt haben.
Jetzt bietet das gesamte Umfeld einen äußerst traurigen Anblick.

Von den einst acht Bahnsteiggleisen sind noch vier nutzbar. Planmäßig werden zwei gebraucht. An den ehemals 250 m langen Bahnsteigen halten 25 m-Triebwagen. In der Unterführung und im Bahnhofsgebäude hängen Jugendliche mit gefärbten Haaren und Piercings ab. Das einst stolze Bahnhofsgebäude beherbergt immerhin noch einen Fahrkartenschalter und ein Presse- und Buchladen. Ein Schild „Überfall lohnt sich nicht. DNA-Spuren führen zum Täter“ wirkt natürlich besonders vertrauenerweckend. Im Fußgängertunnel blättert die Farbe ab und im gefliesten Boden klaffen einige kleine Stolperfallen.


Auch auf dem Bahnhofsvorplatz sieht es kaum besser aus.

Der Blindenleitstreifen führt zum riesigen menschen- und busleeren Busbahnhof.

Jetzt sollte so langsam die RB aus Weißenfels ankommen. Auch wenn das Motiv mit etwas mehr Licht wohl ganz anders wirkt, passt das Wetter perfekt zur empfundenen Stimmung.

Gar nicht mal so wenige Fahrgäste verlassen das wohl kleinste deutsche SPNV-Fahrzeug, es sind um die 20. Einsteiger sind es deutlich weniger.
Ist ja wirklich nicht viel mehr als ein Bus…
„Naja, auf diesen Strecken reicht das meistens auch. Nur auf der Strecke Merseburg – Querfurt ist bisschen mehr los, da wird auch in Doppeltraktion gefahren.“ Ich komme mit dem Tf und dem Zub ins Gespräch. Die 3+2-Bestuhlung wird durchaus gebraucht, vor allem morgens. Nachmittags ist dagegen die Nachfrage deutlich geringer.
Kurz nach der Ankunft wurde der Motor ausgeschaltet. So hatte es bereits Beschwerden von Anwohnern über die Lärmbelästigung gegeben, als sich ein Tf im Sommer geweigert hat, den Motor wegen der Klimaanlage über längere Zeit auszuschalten. Auf die Frage hin, wie lange derjenige denn schon an der Bahnstrecke wohne, nannte er ein halbes Jahr. „Na da hab ich ihm gesagt, guter Mann, die Bahn war schon 80 Jahre vor Ihnen da!“
Das Formsignal klappt hoch und wenig später rauschen wir davon. Der Triebwagen scheppert und vibriert und Laufruhe ist nicht gerade seine Stärke. Auch diese einst größtenteils zweigleisige Strecke ist gut ausgebaut und mit 100 brettern wir dem Abendrot hinter Windparks entgegen. An den wenigen Zwischenhalten steigt mal einer aus und einer zu. Eine alte Frau begutachtet den Fahrkartenautomaten skeptisch. „Können Sie mir bitte helfen?“, fragt sie den vorbeischauenden Zub. Zugbegleitpersonal ist eigentlich nie verkehrt.
An einem Hp wartet eine Frau, den Blick starr auf den Handybildschirm gerichtet. Sie steigt nicht zu und so setzen wir die Fahrt ohne Fahrgastwechsel fort. Wie auch in Zeitz sind die Gleisanlagen hier noch nicht optimiert. So gibt es in Teuchern drei mehrere hundert Meter lange Gleise, obwohl hier planmäßig gar nicht gekreuzt wird.
Es gibt nur vereinzelte BÜ an der Strecke, sie führt durch dünn besiedeltes Land. DÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖ! Hoppla. Das Vorsignal hat doch Fahrt erwarten gezeigt? Der Tf ist ebenfalls ratlos. Angesichts der entspannten Fahrzeit bleibt die Zwangspause aber ohne Auswirkungen.
Bald nähern wir uns dem Endbahnhof. Ich höre noch die Anekdote der SEV-Problematik am Hp Weißenfels West. Da es weit und breit keine bustaugliche Straße gibt, beträgt der Fußweg zur SEV-Haltestelle fast einen Kilometer. Wenn ein Zug ausfällt und auf dem DSA Ersatz durch Bus angekündigt wird, hat der wartende Fahrgast kaum noch eine Chance, rechtzeitig zur Ersatzhaltestelle zu gelangen. Außerdem gab es erhebliche Probleme, als die Strecke wegen Oberbauarbeiten für mehrere Wochen gesperrt werden musste. Da die DB den SEV nicht an ein lokales Busunternehmen vergeben, sondern ausgeschrieben hat, kannten sich die Busfahrer nicht im Geringsten aus. Durch die DB war die Mitfahrt eines Zub in jedem Bus vorgeschrieben. Dieser sollte Navi spielen. Doch auch dem Zugpersonal sind nicht alle Umleitungsstrecken bekannt gewesen.
Nachdem alle Fahrgäste den Zug verlassen haben, ziehe ich meinen Koffer unter dem Sitz hervor, um ebenfalls auszusteigen. „Moment mal, das ist jetzt aber einer zu viel“, meint der Tf, zum rosa Koffer auf der Gepäckablage deutend. „Ach, die Damen haben den wohl vergessen. Ich lauf schnell hinterher, nicht, dass der noch hier drin explodiert“, sagt der Zub grinsend.


Immerhin ist die Unterführung hier deutlich freundlicher gestaltet. Die Bank lädt dazu ein, die Wartezeit nicht auf dem – je nach Jahreszeit - kalten oder heißen Bahnsteig zu verbringen.
