Tag 155 Eine nebulöse Fahrt
Hradec Králové hl.n.....Sp 1467......ab 9:37
Pardubice hl.n................................an 9:53
..................................R 892.........ab 10:00
Praha hl.n......................................an 11:02
..................................R 1170........ab 11:23
Zdice............................................an 12:24
..................................R 768.........ab 13:01
Bayerisch Eisenstein.......................an 15:39
.................................WBA 83936..ab 15:44
Plattling..........................................an 16:54
.................................RE 4079........ab 17:02
München Hbf..................................an 18:36
Die geplante Route sieht nicht nur anspruchsvoll aus, sie ist es auch. Die erste Hürde ist der Fahrkartenkauf, denn für diese Route brauche ich derer sage und schreibe 4. Dafür gibt es 2 Gründe: Der R Prag - Budweis, den ich bis Zdice nutze, wird seit dem Fahrplanwechsel von Arriva betrieben. Damit sind keine durchgehenden Fahrkarten möglich. Außerdem ist eine Stückelung an der Grenze für mich günstiger, weil es bei dieser Variante keine tschechischen Sparpreise gibt. Ich kaufe also für den deutschen Teil einen Supersparpreis für den IC Hbf - Ostbf. Insbesondere mit der Reduktion der Mwst. auf FV-Fahrkarten werden die Preise immer unlogischer, nicht zuletzt, da das Bayernticket abermals mit einer saftigen Preiserhöhung von 1¤ Grundpreis und 1¤ je Mitfahrer auf nun 26+8 steigt, während man Supersparpreise schon ab 13,50¤ bekommen wird.
Kaum sitze ich in Hradec im Zug und checke die weitere Verbindung, tritt das erwartete Ergebnis zu Tage: Der R nach Prag hat +21 und mein Anschluss ist in Gefahr. Ich überlege kurzzeitig, auf den verspäteten Regiojet ab 9:45 (+20) umzubuchen. Aber dann fällt mir auf, dass ja praktischerweise bei 5 bis 7 FV-Abfahrten pro Stunde auch eine vom passenden Unternehmen dabei ist, nämlich der pünktliche Railjet um 10:18, der ohne Halt bis Praha hl.n. durchfährt und dort um 11:13 eintrifft.
Tatsächlich trifft der Railjet dann sogar überpünktlich vor dem eigentlich vorgesehenen R ein, womit ich sehr gute Chancen auf einen erfolgreichen Anschluss in Prag habe.
Behinderungsfrei rauschen wir bis zum Esig von Praha-Liben durch, wo wir die Verfrühung abwarten müssen. Trotzdem bleiben entspannte 10 Minuten Umsteigezeit.
Ich schaue mich ein wenig auf dem Bahnsteig um, da spricht mich der Zugbegleiter an. "Sie fahren mit uns?"
Ja genau, nach München. Aber nicht wundern, ich fahre nur spazieren. "Aha, Sie fahren also bis Budweis und dann... wie weiter?"
Nee, nur bis Zdice, dort steige ich um. Vermutlich haben sich schon manche Fahrgäste über den "neuen" Zug gewundert und ob das wohl der Richtige sein könnte, ist der Kontrast zwischen türkisem Solo 628 und der früheren Taucherbrille mit 2 Wagen auch für den Durchschnittsfahrgast kaum zu übersehen.

WLAN gehört zu den modernisierten 628 in Tschechien zum Standard. Zielbahnhof: Ceské Budejovice undefined.

Ich nehme auf den Klappsitzen im Fahrradabteil Platz, um dem Tf über die Schulter zu schauen. Wie in Tschechien üblich, werden Fahrräder an Haken aufgehängt. Das Signal geht auf Fahrt, der Tf versucht den Motor zu starten - nichts. "Aber die Batterie hat doch 10V?! Was ist denn da los?", murmelt er vor sich hin. Um den Führerstand stehen noch zwei Eisenbahner und es bricht hektische Betriebsamkeit aus. Der Tf drückt ein paar Knöpfe, nichts passiert. Alle drei reden durcheinander. Der Tf geht zum Schaltkasten, ich verstehe nur was von "10 Volt". Ob er irgendwas macht, kann ich nicht erkennen. Alle drei wenden sich wieder dem Führerstand zu. Mittlerweile sind 2 Minuten vergangen und der Tf nimmt schon den Telefonhörer in die Hand, wohl um dem Fdl mitzuteilen, dass er irgendeine Störung hat.
Deutsche Qualität..., kommentiere ich das Schauspiel. Gerade als sich der Fdl meldet, springt der Motor doch an und der Tf kann sichtlich erleichtert mitteilen, dass er jeden Moment abfahren würde. Inzwischen ist auch der Schaffner vorne eingetroffen. "Da will noch einer rein", merkt der Tf beim Blick in den Spiegel an. Sie machen die erste Türe nochmal auf, der Fahrgast springt rein und dann brummt der 628 gutmütig los. Prag liegt in dichtem Nebel, der durch die Sonne in einem unglaublich stimmungsvollen orange-gelb leuchtet. Schemenhaft ist die Prager Burg bei der Moldauquerung zu erkennen.
Zum Mitfahren:
https://www.openrailwaymap.org/?lang=null&l...&style=standard
Der Heckenrychlík Prag - Budweis hat nicht nur die spannende Route via Príbram - Písek im Laufweg, sondern verkehrt zwischen Prag und Beroun auch nicht über die Hauptstrecke durch das Berounka-Tal, sondern über die eingleisige Nebenstrecke via Rudná u Prahy (ohne Verkehrshalt). Da die Strecke zwischen Rudná und Beroun wenig Fahrgastpotenzial hatte, war sie bereits ein Stilllegungskandidat. Paradoxerweise war es ausgerechnet die weitgehend parallel verlaufende Autobahn, die für steigende Fahrgastzahlen gesorgt hat, denn mit der Autobahn kamen Gewerbegebiete und mit dem Gewerbegebiet kam ein neuer Hp Nucice zastávka. In der HVZ wird von Prag bis dorthin sogar ein Halbstundentakt (!) angeboten, weiter bis Beroun stündlich bzw. in der NVZ zweistündlich.
Der Grund für die kuriose Fahrtroute des R sind übrigens fehlende Trassen auf der hoffnungslos überlasteten Hauptstrecke Prag - Beroun - Pilsen. Durch die erforderlichen Kreuzungen braucht der Heckenschnellzug zwischen Prag und Beroun geschlagene 47 Minuten, obwohl die Strecke geografisch mit 38 km sogar 5 km kürzer als der Weg durch das Berounkatal ist.
Als wir wieder ins Tal abwärts rollen, tauchen wir wieder in den hartnäckigen Nebel ein. "Entschuldigung, fährt der nach Príbram?", fragt eine etwas irritiert dreinblickende Frau beim Halt in Beroun. Der Tf muss dann zwei Zusteigern erklären, dass sie Fahrkarten ohne Aufpreis beim Schaffner erhalten. Während ich durch den Zug gehe, schnappe ich etwas von "...das ist ein Zug von Arriva, CD-Fahrkarten gelten hier nicht..." auf. Vermutlich ist dieses Chaos mit 20 verschiedenen Tarifen für die Tschechen ein eher ungewohntes Ärgernis, galt doch in Tschechien mal 1 Fahrkarte, alle Züge nutzen.
Das ehemalige 1.Klasse-Abteil wurde deklassiert und zum Ruheabteil. Sinnvollerweise liegt es im Beiwagen, der in puncto Laufruhe den klotzgebremsten Abteilwägen weit voraus ist. Und - ganz wichtig - es gibt WLAN. Für die 628er sprechen jedenfalls ihre Zuverlässigkeit und geringen Betriebskosten, dagegen auf jeden Fall ihre Spurtschwäche. Zwar kann auf den eingesetzten Strecken kaum irgendwo die vMax von 120 ausgefahren werden (zulässig wäre das sogar, denn die tschechische Zugbeeinflussung wurde eingebaut, erforderlich über 100 km/h), aber für die vielen steigungsreichen Strecken Tschechiens ist der Tw eigentlich nicht gebaut worden.
In Beroun besteht ein 3-Minuten-Übergang zum Os Richtung Pilsen und ich bin gespannt, wie man den sich dadurch ergebenden nächsten Trassenkonflikt löst - der R folgt nämlich 2 Minuten später bis Zdice, lässt aber die 2 Zwischenhalte des Os aus.
Wenn man 2 Gleise hat, kann man sie auch nutzen. Parallelfahrt lautet das Stichwort, auch wenn die Knödelpresse mit den 3 Wagen trotz 2 Zwischenhalten kurz vor uns in Zdice ist. Eisenbahnbetrieb vom Feinsten ist die Jagd durch den Nebel jedenfalls.

Gruß an den Tf!

Hartnäckig hält sich der Nebel im Berounkatal, doch der Alex rollt unter strahlendem Sonnenschein durch Zdice
Und der nächste Blick aufs Handy offenbart bereits, dass sich das Abendessen um 1h nach hinten verschieben wird. Der R nach Bayerisch Eisenstein hat Prag mit +12 verlassen. Ganz geringe Hoffnung habe ich noch, als er bis Zdice 3 Minuten aufholt, doch es gibt abgesehen vom Lokwechsel in Klatovy keine längere Standzeit mit Potenzial zum Verspätungsabbau, dafür nur eingleisige Strecken, auf denen üblicherweise ein sehr sportlicher Fahrplan vorliegt.
Bereits vor Pilsen ist von Sonne nichts mehr zu sehen. Durch graue Suppe rollt der Zug bergauf. Auch beim Lokwechsel ändert sich nichts Nennenswertes, außer dass der Gegenzug jetzt auch +10 hat. Ich bitte die Zub, den Anschluss vorzumelden. Oder warten die Deutschen eh nie? "Doch, schon." Viel Hoffnung mache ich mir nicht.
Inzwischen ist der Zug ziemlich leer und durch dichten Nebel geht es immer weiter bergauf. Und plötzlich ist die Sicht wieder vollkommen klar - wir sind über der Nebelsuppe im Tal. Klägliche Schneereste kommen in Sicht. Das werden traurige Weihnachten für die Hotel- und Skiliftbetreiber.
Schön, dass in der Theorie neben Sichtanschlüssen auch wieder gute Anschlüsse in Bayerisch Eisenstein bestehen. Nicht schön, dass alles den gewohnten Gang geht. In Tschechien haben alle Züge +10. In Deutschland werden keine Anschlüsse abgewartet.

754 024 wurde umgesetzt und ist mit dem R zur Rückfahrt nach Prag bereit

Dem Zustand der Schienenköpfe nach zu beruteilen, hat schon lange kein Zug mehr diese "Grenze" überschritten. Und warum Umsteiger hier offiziell nicht einfach geradeaus nach Tschechien gehen dürfen, sondern zweimal die Gleise zum Hausbahnsteig überqueren müssen, weiß Gott allein. Lustigerweise ist auf tschechischer Seite kein Durchgang-verboten-Schild angebracht.
In Zwiesel steigt ein junges Pärchen ein. Er schleppt einen Rucksack und zieht zwei monströse Gepäckstücke hinter sich her, sie gibt gute Ratschläge, wo er das Gepäck am besten verstauen soll. Es blockiert schließlich den gesamten Mehrzweckbereich.
"Ein Bayernticket für 2, bitte." "Macht dann 34¤." "Gab es schon wieder eine Fahrpreiserhöhung?" "Seit letztem Sonntag ist der Grundpreis auf 26¤ und der Mitfahrerpreis auf 8¤ gestiegen." "Oh Mann..."
Ein Baby schreit und die Frau ist davon offenbar genervt. Das tut sie dadurch kund, indem sie das Kindergeschrei nachäfft. "Uäääähhhhh! Uääääääääähhhh!"
In Deggendorf wollen zwei Radler rein, einer mit Tandem. Irgendwie passen sie gerade so rein und blockieren den gesamten Einstiegsbereich, da der Mehrzweckbereich ja bereits anderweitig genutzt wird. Weil alles so ungewohnt zügig vorangeht, vergesse ich ganz auf die routinemäßige Umsteigekontrolle und übersehe völlig, dass wir +5 haben. Der junge Mann schultert den Rucksack vorne, eines der beiden riesigen Gepäckstücke auf den Rücken und zerrt den zweiten Koffer irgendwie aus dem Zug. Bis ich in der Unterführung bin und mich orientiert habe, bleibt bloß noch 1 Minute bis zur Abfahrt. Ich mache mir nicht die Mühe, mich in die 20 Personen mit Schrankkoffern umfassende Schlange am Aufzug anzustellen und schleppe zügig meinen Koffer die Treppe hoch. Kurz nach mir kommt auch die junge Dame, um die Tür zu blockieren. Der Aufzug hat gerappelt voll die Bahnsteigebene erreicht, aber anscheinend gehen die Türen nicht auf und er fährt wieder nach unten. "Ey, komm lieber zu Fuß", schreit sie nach unten, "sie stecken alle im Aufzug fest, wie Spasten!!!"
Sie hat ja leicht zu reden und muss nicht 50 kg Gepäck schleppen. Ihr Freund folgt ihrem Ratschlag. "Oh mein Gott...", stöhnt er, während er in den Zug stolpert. 2 Minuten später verlassen wir nach Abwarten des Gegenzuges Plattling.
In Landshut haben wir +5, dürfen aber in Feldmoching an der S-Bahn vorbei und rauschen zügig durch. Aha, die S4 nach Trudering überholen wir an der Donnersbergerbrücke, damit kann ich sie noch erwischen. Auch wenn dreisterweise auf der Abfahrtsanzeige in der Bahnhofshalle alle S-Bahnabfahrten bis 2 Minuten nicht angezeigt werden, quetsche ich mich durch den Menschenstrom. Und siehe da, im Zwischengeschoss steht die S4 mit 0 Minuten und sie fährt gerade ein.
"Nächster Halt: Trudering", ertönt eine manuelle Ansage, "Umstieg zur U-Bahn. Bitte beachten Sie: Dieser Zug endet dort und fährt wieder zurück Richtung München. Zur Weiterfahrt Richtung Grafing und Ebersberg nutzen Sie bitte die nachfolgende Bahn am selben Bahnsteig. Ich verabschiede mich von Ihnen und würde mich freuen, wenn Sie mal wieder bei mir mitfahren würden."
Vielleicht wars ja einer der hochmotivierten Foren-Tf?
Notizen aus dem Alltag - Tag 148
Ein Zugbegleiter kommt über den gesamten Bahnsteig fast 200 m zu mir gelaufen, nur um mir mitzuteilen, dass er nicht fotografiert werden will. Anschließend bleibt er ein paar Meter vor meiner Kamera stehen, um weiter rumzumotzen. "Ich wünsche nicht, während der Arbeit fotografiert zu werden. Ich fotografiere Sie ja auch nicht bei der Arbeit!" Ich stelle klar, dass ich überhaupt kein Interesse daran habe, ihn zu fotografieren und er ja einfach aus dem Bild gehen könne. Ich denke überhaupt nicht daran, meinen Standort zu verlassen. Endlich lässt er mich in Ruhe und geht langsam wieder den Bahnsteig zurück, nicht ohne sich alle paar Schritte umzudrehen und mich böse anzuschauen. Nach 50 m dreht er wieder um, kommt nochmal zurück und nörgelt weiter herum, ehe er dann endlich endgültig verschwindet.
Muss wohl am miesen Wetter liegen, dass er so schlechte Laune hat.
Auszug aus dem Glossar
Warnblinker: 1. Möglichkeit der unkomplizierten Warnung anderer Verkehrsteilnehmer vor Gefahrenstellen 2. Von Kraftfahrzeugführern gerne verwendetes Mittel zur Klarstellung, dass ihnen sehr wohl bewusst ist, dass man weder auf Gehwegen, noch auf Radwegen noch in 2. Reihe noch auf Behindertenparkplätzen noch in Bushaltestellen parken darf, sie es aber trotzdem tun.