[AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Eure Reportagen und Reiseberichte finden hier ihren Platz, gerne auch Bilder abseits von Gleisen
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Beitrag von Entenfang »

Zugegebenermaßen stelle ich gerade einen neuen persönlichen Negativrekord auf – so lange habe ich noch nie für die Fertigstellung eines Reiseberichts gebraucht. Diese Reise fand im Frühling 2023 statt. Nicht lange zuvor hatte ein schweres Erdbeben den Südosten der Türkei verwüstet und die türkische Opposition sah ihre Chancen auf einen Sieg gegen Erdoğan so gut wie lange nicht mehr…

So sah der Plan aus:
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Ob ich damit erfolgreich war? Lasst euch überraschen ;)


FAQ vor der Reise

Wie kommt man auf so eine Idee?
Es hat sich eine Möglichkeit ergeben, zwei Monate am Stück freizubekommen und da war es naheliegend, irgendeine längere Reise zu machen. Den Landweg aus dem Kaukasus zu suchen, war Plan C, nachdem Plan A aus politischen und Plan B aus Sicherheitsgründen nicht umsetzbar waren. Da Aserbaidschan seit der Pandemie die Grenzen auf dem Landweg geschlossen hat, blieb Armenien als einzig mögliches Ziel im Kaukasus.

Ist das sicher?
Es ist natürlich kein Problem, wenn man nur in den innenstadtnahen, touristischen Bereichen bleibt…
Oh. Moment.
Es ist natürlich kein Problem, wenn man nicht nachts alleine durch die Gassen streift…
Oh. Moment.
Es ist natürlich kein Problem, wenn man zumindest keine Wertsachen wie zum Beispiel große Kameras offen trägt…
Oh. Moment.
Ja, es ist sicher genug.

Wären auch andere Routen denkbar gewesen/ warum fährst du die Route nicht in umgekehrter Richtung?
Selbstverständlich wären auch andere Routen denkbar gewesen. Die Richtung ergab sich aus dem Interesse für bestimmte Abschnitte und der zeitlichen Verfügbarkeit von drei Freunden, die mich jeweils auf einem Teil begleitet haben sowie aus den im Mai schnell heißer werdenden Temperaturen im Kaukasus.
Eine weitere Idee zu Beginn war, ab Sofia via Belgrad – Bar – Italien zurückzufahren, was an den nicht mehr vorhandenen Zügen Sofia – Belgrad sowie der nach Corona nicht mehr wiederaufgenommenen Fähre Bar – Bari gescheitert ist. Stattdessen habe ich dann mehr Zeit in der Türkei verbracht und dort die maximale Zeitspanne zwischen Ende Ramadan und der Präsidentenwahl ausgenutzt, vor der ich ausreisen wollte.

Ist die Route vorher festgelegt und buchst du die Unterkünfte vorab oder machst du das spontan vor Ort?
Die Route war vollständig vor der Abreise festgelegt. Aufgrund der zeitlichen Randbedingungen hätte es kaum Flexibilität gebracht, alles offen zu lassen. Außerdem ergeben sich dann beispielsweise Schwierigkeiten bei kurzfristig nicht mehr verfügbaren Nachtzügen und die Suche von Unterkünften nimmt Zeit in Anspruch, die ich unterwegs lieber anders nutzen möchte. Lediglich eine Übernachtung aus Craiova wurde nach Sofia verlegt, da zum Zeitpunkt unseres Besuchs nur ein kleiner Teil des Tramnetzes in Betrieb war und der verbliebene Tag somit völlig ausreichend war.

Hast du das alles selbst organisiert oder hast du dafür spezialisierte Reisebüros kontaktiert?
Die komplette Reise geht auf meine Kappe – von der Idee über die Ausarbeitung möglicher Routen bis zur Buchung aller Fahrkarten. Inspiriert habe ich mich bahnseitig hauptsächlich auf seat61.com, die Etappen waren eine Kombination aus „Was ist sinnvoll mit dem ÖV erreichbar“ und „Was könnte interessant sein“. Die Vorbereitung war durchaus zeitintensiv, gab mir aber auch die Möglichkeit, mich bereits mit den Reiseländern auseinanderzusetzen, zumal ich vor der Reise nur sehr wenig über sie wusste.


Richtig oder falsch? 10 Thesen über die Reise

1. Der Landweg (Fahrkarten Jerewan bis München) war etwas günstiger als der Luftweg (Flug und Rail & Fly).
2. Die Verständigung war in Georgien am schwierigsten, weil dort kaum jemand Englisch spricht.
3. In Armenien ist die Nähe zu Russland deutlich spürbar, während Georgien klar proeuropäisch geprägt ist.
4. Der armenische Stempel im Pass hat zu keinerlei Schwierigkeiten bei der Einreise in die Türkei geführt.
5. Die Infrastruktur in der Türkei ist in deutlich besserem Zustand als die in Armenien und Georgien.
6. Vom Wahlkampf in der Türkei hat man als Reisender nichts mitbekommen.
7. Vom Erdbeben in der Türkei hat man als Reisender (auf meiner Route abseits der betroffenen Gebiete) nichts mitbekommen.
8. Die türkischen Moscheen darf man als Nicht-Muslim in der Regel nicht betreten.
9. Die Züge waren auf der Reise sehr pünktlich.
10. Restaurantbesuche waren auf der gesamten Reise ein Schnäppchen.

Die richtigen Antworten gibt es dann im Laufe der Reise.

6 Tage vorher

Ich suche eine Fahrkarte für die letzte Etappe von Budapest nach München. Bei der DB kostet sie 103€, bei der ÖBB 116€ und bei der MÁV 48€. Da fällt die Wahl nicht schwer, bei wem ich buche. Eine Platzreservierung würde nur etwa 1€ zusätzlich kosten und da es ein Sonntagnachmittag wird, nehme ich die auch dazu. Leider mag das Buchungssystem offenbar keine Platzreservierungen, denn egal, ob ich Präferenzen angebe oder automatische Platzauswahl, am Ende scheitert der Buchungsprozess. Und was mich am meisten ärgert – als ich von vorne starte, ist der Preis für die Fahrkarte auf 55€ gestiegen. Ich wähle ohne Reservierung und dieses Mal klappt es.

1 Tag vorher

Ich buche mein Rail & Fly – automatisch wird München-Trudering als nächstgelegener Bahnhof zu meiner Buchungsadresse vorgeschlagen. Tatsächlich scheint sogar ein City-Ticket inklusive zu sein, ganz klar finde ich das allerdings nicht. Kann dazu jemand eine Aussage treffen, ob ich damit auch mit der U-Bahn zum Bahnhof fahren darf?
Außerdem gibt es Kooperationen mit weiteren Verkehrsbetrieben, so kann man z.B. auch die Buslinie 50 in Basel vom Bahnhof zum Euro-Airport nutzen.
Mein Bahnjahr 2024
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Elch
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Elch »

Vorfreude :-)
"Lächle, es könnte schlimmer kommen" Ich lächelte [...] und es kam schlimmer [...]
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 1 München → Frankfurt → Jerewan

Für die Anfahrt zum Flughafen habe ich mit reichlich Puffer geplant, denn aufgrund der abendlichen Abflugzeit gibt es keine Notwendigkeit, zu knausern. So lässt sich im Vorübergehen gleich noch die Erstbefahrung der Neubaustrecke Ulm-Wendlingen erledigen. „Neben 1000 anderen Gründen war das mit Sicherheit der Wichtigste“, meint Alex später. Auch wenn das so sicher nicht ganz stimmt, nehme ich die Strecke doch gerne mit.
Reicht der Boardingpass für Rail & Fly oder braucht man da noch etwas?, erreicht mich die Whatsapp-Nachricht, während ich in der U-Bahn zum Hauptbahnhof bin. Alex hat offenbar noch nicht das richtige Ticket und ich verspreche, mich gleich darum zu kümmern.
Ich warte ein paar Minuten im Trubel, es kommt nicht oft vor, dass ich am Bahnhof auf jemanden vor der Abfahrt warte.
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Wir gehen gemütlich bis Wagen 2 vor, wo reichlich Platzwahl herrscht, obwohl Karfreitag ist. Tja, und was ist nun mit dem Rail & Fly? Ich habe unmittelbar nach der Flugbestätigung auch eine zweite Mail mit dem Gutscheincode bekommen, den ich gestern problemlos in ein Online-Ticket umwandeln konnte. Alex hat aber keinen Code bekommen. Während wir weiterrätseln, verlässt der ICE bereits pünktlich den Hauptbahnhof. Schließlich kommen wir zum Ergebnis, dass Alex einfach keinen Gutscheincode bekommen hat, obwohl in der Buchungsbestätigung klar und deutlich Rail & Fly vermerkt ist. Er ruft die angegebene Hotline an. Es folgt eine automatische Ansage, dass es eine neue Hotline unter einer anderen Nummer gibt. Wtf?! Also halt die andere Nummer. Düdeldiedeltralaladidüdeldüdim. Herzlich willkommen bei der Hotline von Condor. Blablarhabarber. Eine Automatenstimme. Wie kann ich Ihnen helfen? „Ich habe keinen Rail & Fly Gutscheincode erhalten.“ Um Ihnen besser helfen zu können, sagen Sie bitte ‚Rail & Fly Buchungscode‘. „Rail & Fly Buchungscode.“ Ihren Rail & Fly Buchungscode finden Sie in der Bestätigungsmail. Hat Ihnen das weitergeholfen? „Nein.“ Kann ich Ihnen noch anders behilflich sein? „Ja! Ich habe keine E-Mail mit dem Gutscheincode bekommen.“ In diesem Anliegen kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen. Ich leite sie jetzt an einen Agenten weiter. Die CIA geht auf Buchungscode-Suche. Oder so ähnlich…? Düüüt. Düüüt. Herzlich Willkommen bei Condor. Düdeldüdeltralalala. Wir liiiiiiiiieben fliegen. Trüdeldüdel. Ein paar Minuten bleibt Alex in der Warteschleife. „Hoffentlich bricht die Verbindung nicht ab.“ Dann antwortet tatsächlich ein Mensch. Ob es sich um eine CIA-Agentin handelt oder doch um eine Callcenter-Mitarbeiterin, bleibt unklar. Lange Rede, kurzer Sinn - bei EC- oder Paypal- Zahlungen komme es leider immer wieder vor, dass kein Code versendet wird. Das könnten sie jetzt leider weniger als acht Stunden vor Abflug nicht mehr beheben. Alex solle bitte direkt bei der DB eine Fahrkarte kaufen und diese würde erstattet werden. Also einen Flexpreis für den nächsten Zug ab München, für den, in dem wir sitzen, ist es längst zu spät, denn wir fahren schon in Augsburg ein. Alex wird die Fahrkarte später tatsächlich problemlos erstattet bekommen.
„So, jetzt habe ich aber Hunger“, meint Alex. Ah ja, wir erinnern uns an das Fazit der Chinareise? Die mitgebrachte Brezn stillt den Hunger nicht lange und wir gehen in den Speisewagen. Wir setzen uns zu einem alten Ehepaar dazu, nachdem ich ihren Koffer doch neben dem Gepäckregal statt unter dem Esstisch verstauen durfte. Schon erstaunlich, wie voll die Wagen hier sind, annähernd 100% der Sitzplätze sind belegt. Im Wagen 2 sind es nicht mal 25%. Mein Gemüsecurry ist eindeutig die bessere Wahl als Alex Currywurst mit Pommes - Pommes aus dem Dampfgarer sind mir dann doch etwas suspekt. Der Kollege klärt uns noch auf, wir müssten bitte zukünftig bei ihm bestellen und nicht am Tresen - wegen der Steuersätze. Und vielleicht auch wegen seines Trinkgelds, ist meine Vermutung. Die Fahrt über die Neubaustrecke verläuft ruhig und sehr schnell, bald geht es über die Ausfädelung nach Plochingen. Auf der weiteren Strecke wird eine Lärmschutzwand errichtet, wo bisher die Häuser fünf Meter neben den Gleisen ohne jeglichen Lärmschutz standen. In Stuttgart füllt sich dann unser Wagen deutlich, doch es bleibt reichlich Platz. Der Frühling zieht am Fenster vorbei, die Bäume blühen, Sonne, Wolken und kurze Schauer wechseln sich ab. Zwischen Mannheim und Frankfurt liegen Signale neben der Riedbahn und warten auf die Modernisierung. Wir kommen auf der Brücke vor dem Hauptbahnhof zum Halten, dann geht es weiter und mit +2 kommen wir an. So bleibt noch reichlich Zeit für den anvisierten Kaffee in der Innenstadt. In Frankfurt gilt die Kurzstrecke 2 km weit. Man muss die Zielhaltestelle am Automaten auswählen und es werden nur die zulässigen vorgeschlagen. Das klappt einwandfrei, doch wir müssen fast 10 Minuten warten, denn am Feiertag gibt es einen 10/15 Hinketakt. Zahlreiche Bettler versuchen, an Geld für ihre nächsten Drogen zu kommen. Die Tram ist ziemlich voll, bringt uns aber zuverlässig ans Ziel.
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Wir genießen unseren Kaffee, ehe wir zurück zum Bahnhof aufbrechen. Ich frage Alex, ob er nicht sicherheitshalber noch etwas Proviant mitnehmen möchte, aber man mag es kaum glauben, Alex hat tatsächlich keinen Hunger! Wegen Bauarbeiten fahren weniger S-Bahnen und wir müssen abermals 12 Minuten warten. Am Treppenabgang sammeln sich die Menschen, ich gehe zielstrebig nach vorne, denn ein Langzug ist angekündigt und dort haben wir viel Platz. Am Stadion steigen Kontrolleure zu, die drei Inder im Vierer vor uns haben nur eine Fahrkarte gezeigt. „Er fährt mit“, deutet einer auf den anderen. „Aber werktags nur nach 19:00 Uhr! Oder ist heute Feiertag? Hey, kannst du mal schauen?“, ruft der Kontrolleur seinen Kollegen zu Hilfe. Am Ende passt alles. Zwei haben Tickets und einer fährt mit. Wir kommen wenig später am Flughafen an.
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Interessant hier die „Flüge“ auf Höhe 0.
Am Gepäckschalter gibt es eine lange Schlange, also versuchen wir es am Automaten. Mit Erfolg. Als ich meinen Koffer auf das Gepäckband legen will, spricht mich ein Mitarbeiter an. „Das Papierband immer an den Seitengriff, auf dem Band wird der Koffer ja hingelegt.“ Gut, da hätte man draufkommen können. Ich nix wissen, ich andere Baustelle. „Und das Wichtigste haben Sie abgerissen“, meint er vorwurfsvoll. Was wie? Irgendwelche kleinen Barcode-Sticker kommen auf jede Seite des Koffers und ich habe sie natürlich aufgehoben. Der Mitarbeiter klebt sie drauf und der Koffer verabschiedet sich, nachdem ich bestätigt habe, dass ich meine Waffen und Sprengstoffe daheimgelassen habe. Und weiter nach hinten, nach links, nach oben. Passkontrolle. An jedem Durchgang klebt ein A4-Zettel: Bitte Maske abnehmen. Bei mir dauert die automatische Kontrolle nur Sekunden. Alex wird sofort rausgewunken und nochmal von der Bundespolizei kontrolliert.
Fahndungsplakate der Polizei hängen aus. „Ha, den kennen wir doch“, meint Alex und deutet auf Jan Marsalek, gesucht wegen Milliardenbetrugs. Weiter gehts durch ewig lange, ziemlich menschenleere Gänge. Alles etwas merkwürdig. Und wo war nochmal unser Gate? Wir bleiben vor dem nächsten Bildschirm stehen und… unser Flug ist verschwunden. Wir googlen die Flugnummer und folgen der Beschilderung zum angegebenen Gate. Wir gelangen zu einer Sicherheitskontrolle. Dort sind wir die einzigen und die Mitarbeiter müssen sich erst zum Arbeiten aufraffen. Ich werde nur kurz abgetastet, Alex dagegen sehr ausgiebig. „So wie der mich begrabscht hat, könnte man fast meinen, der hat Spaß daran“, kommentiert Alex den Vorgang. Während wir weitergehen, schnappt er noch etwas von Harry Potter auf. Ach ja, auch das aus China bekannt (und mir wäre diese Ähnlichkeit einfach nie in den Sinn gekommen…) Hochverdächtig, so ein Harry Potter, der durch die Sicherheitskontrolle am Frankfurter Flughafen latscht! Allmählich kommen wir wieder in belebtere Bereiche, junge Menschen mit baumelnden Nackenkissen streifen ebenso durch die Gänge wie eine asiatische Crew mit perfekt sitzenden Masken. An unserem Gate gibt es keinerlei Infos zum Flug und er ist von allen Bildschirmen verschwunden. Alex fragt in einem Geschäft, ob wir hier in Terminal 1 wären. Das kommt mir fast so vor wie zu fragen: „Entschuldigung, sind wir hier in München?“ Ja, wir sind richtig, aber das ist alles höchst merkwürdig. Wir probieren den virtuellen Infopunkt aus, wo wir per Videocall mit einem Mitarbeiter verbunden werden, dem man vom ersten Moment ansieht, dass er so gar keinen Bock auf seinen Job hat. Doch, mit unserem Flug wäre alles in Ordnung und das ergoogelte Gate stimmt auch. Manchmal würden die Fluglinien die Infos nicht weitergeben. Das klingt ja fast nach privaten EVU und DB Station und Service – es gibt offenbar tatsächlich Unternehmen, die einen noch schlechteren Kundenservice bieten als die DB…
Deutsche Infrastruktur, egal ob Autobahnbrücken, Stellwerke oder Flughäfen…
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An unserem Gate passiert nichts, Nebendran dagegen verlassen die Leute das Gebäude. Keine Info, ich frage nach. Ja, Jerewan ist hier. Wunderbar, wir quetschen uns in einen Bus mit Stadtbusbestuhlung, neben uns zwei gut angetrunkene junge Deutsche. Der Bus bringt uns zum Flugzeug.
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Die Abflugzeit verstreicht. Wir rühren uns nicht vom Fleck. Dann kommt eine Durchsage. „Ein Fluggast wird uns heute nicht nach Jerewan begleiten. Aus Sicherheitsgründen muss das aufgegebene Gepäckstück wieder ausgeladen werden, das wird noch circa 10 bis 15 Minuten dauern. Ich halte Sie auf dem Laufenden.“ Die Minuten verstreichen, ein Kind schreit herzzerreißend. Nach einer halben Stunde ist der Koffer dann offenbar gefunden und mit +45 rollen wir los. Bis zum Start sind wir fast eine Stunde hinter Plan.
Der Flug zieht sich ewig hin, das Kind schreit wieder ohrenbetäubend laut und nimmt es mit dem Dröhnen der Turbinen auf. Ich kämpfe mit dem geringen Sitzabstand, stehe mehrmals auf. Zum Glück habe ich einen Gangplatz zugewiesen bekommen. Irgendwann geht es in den Sinkflug. Heftige Turbulenzen rütteln das Flugzeug durch, dann gleiten wir sanft zu Boden und erreichen unser Ziel mit einer knappen Stunde Verspätung. Die Passkontrolle verläuft schnell und effizient. „Do you speak Russian?“ No. „Okay. Welcome!“ Mein Koffer taucht schon wenig später auf, bald darauf auch Alex Rucksack. Das WLAN funktioniert hervorragend und wir heben auch gleich Geld ab und kaufen Sim-Karten. Dann bestelle ich über die gg-App ein Taxi. Während wir warten, müssen wir ein paar weitere Taxifahrer loswerden, aber sie sind nicht weiter aufdringlich. Wenig später taucht ein Rechtslenker-Nissan auf. Mit gemütlichen 60 km/h rollen wir Richtung Stadt. Niemand rast auf der breiten Straße, denn es gibt viele Blitzer. In der Innenstadt ist eine Straße durch die Polizei gesperrt. Wir müssen einen Umweg fahren, der uns über den riesigen, menschenleeren Freiheitsplatz führt. Dann haben wir es geschafft. Der Fahrer hat – Überraschung - kein Wechselgeld. Der Preis beträgt 3100 Dram. Und weil die Fahrer sehr wenig verdienen, möchte ich gern ein Trinkgeld geben. Er gibt mir sogar auf 3000 raus. Ich finde doch noch eine 200-Münze und gebe sie ihm.
Unsere Vermieterin des Apartments wartet geduldig mitten in der Nacht auf uns, leider sind viele Flüge in die Kaukasus-Region zu irrwitzigen Uhrzeiten. Eigentlich hätte ich noch die Energie, einen kleinen Spaziergang zu machen und das um 04:30 Uhr, aber ich weiß, ich werde das bald sehr bereuen, wenn ich nicht in einen früheren Rhythmus komme. Also lege ich mich hin, auch wenn ich nicht gleich einschlafen kann. Erster Eindruck: Die Stadt wirkt typisch sowjetisch mit den breiten Straßen und die armenische Schrift sieht sehr interessant aus.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 2 Jerewan

Mittag ist vorüber, als ich mich aus dem Bett kämpfe. Alex ist schon eine Weile auf. Nach einem kleinen Frühstück brechen wir auf. Sonne und Wolken wechseln sich bei angenehmen 20° mit etwas Wind ab. Die Aprilsonne heizt bereits ordentlich ein – Jerewan liegt auf demselben Breitengrad wie Süditalien und in Deutschland war es an den Tagen vor der Abreise recht kühl.
Unser Wohngebäude sieht von außen nicht sehr attraktiv aus, aber unser Apartment ist in gutem Zustand.
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Bis zur modernen Fußgängerzone ist es nicht weit.
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Besonders attraktiv ist Radfahren in Jerewan wahrlich nicht – diese Fortbewegungsart ist bis auf wenige Ausnahmen den Kamikaze-Lieferdiensten vorbehalten, genau wie die E-Roller.
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Der Baustil wirkt hier sehr monumental-brutalistisch uns erinnert mich an die Innenstadt von Minsk.
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Tulpenmarkt mit DJ, nur in Jerewan…
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Die Nationaloper bildet das Ende der Fußgängerzone, auch die in Ex-Sowjet-Ländern allseits beliebten Akku-Plastikautos für Kinder findet man hier.
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Das armenische Alphabet sieht sehr hübsch aus mit seinen geschwungenen Buchstaben.
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Ich habe mich nicht näher damit befasst in der Hoffnung, dass die meisten Texte entweder auch auf Englisch oder Kyrillisch angeschrieben sind. Im Zweifelsfall hilft auch Google Übersetzer mit Schrifterkennung, die Hieroglyphen zu entziffern.

Mächtige, noch weitgehend kahle Bäume prägen das Stadtbild. Der Frühling ist in Jerewan nur kurz, bald wird der Sommer mit sehr heißen Temperaturen folgen. In der Innenstadt finden sich einige Parks, gern mit einer Skulptur geschmückt.
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Und was hängt da über der Kreuzung? Eine Trolleybusfahrleitung. Ich bleibe stehen, um ein Bild abzuwarten. „Izvinite, turist?“, spricht mich eine Frau an. Yes. „Oh, English? No Russian?“ Leider nicht, sie geht weiter.
Ich muss zum Glück nicht lange auf eine Gelegenheit warten.
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Liaz-Fahrzeuge aus russischer Produktion bilden das Rückgrat des Fuhrparks auf dem dünnen, aber doch langen Netz in Jerewan. Zum Zeitpunkt meines Besuchs waren außerdem noch einzelne Škoda 14Tr sowie französische Berliet-Wagen (Ex-Lyon) im Einsatz, beide seit Juni 2023 durch Neufahrzeuge von Yutong ersetzt. Die Solo-Trolleybusse wirken auf den breiten Straßen im dichten Verkehr etwas verloren. Im Hintergrund die Kaskade von Jerewan.
Eine sehr umfangreiche Dokumentation des Jerewaner Trolleybusnetzes im Sommer 2023 findet sich auf Youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=Jt30URiwOLI

Sie ist wohl ein mustergültiges Beispiel eines Sowjetmonuments.
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Es gibt Wasserspiele und Springbrunnen (die jedoch zum Zeitpunkt unseres Besuchs noch außer Betrieb waren) sowie ein Kunstmuseum. Außerdem telefonierende Wachmänner…
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Von unten ist es nicht sichtbar, dass die monumentale Treppe nie fertiggestellt wurde. 1988 wurde Jerewan von einem verheerenden Erdbeben getroffen und anschließend zerfiel auch noch die Sowjetunion, sodass andere Einsatzzwecke der knappen Mittel wohl höhere Priorität hatten.
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So steht man plötzlich vor einer riesigen Grube und muss einem improvisierten Baustellenweg am linken Rand folgen.
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Von oben genießt man einen absolut genialen Blick…
…nach unten über die Bauruine, welche die enormen Dimensionen dieser Treppe zeigt. Die Längenausdehnung beträgt über einen halben Kilometer, dabei wird ein Höhenunterschied von fast 100 Metern überwunden.
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Spaß, der Blick auf den Ararat ist wirklich fantastisch.
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Nur 50 km Luftlinie entfernt und doch unerreichbar, liegt der über 5000 m hohe Ararat hinter der geschlossenen Grenze in der Türkei.

Golden verspiegelt ein nahegelegenes Hotel
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Blick zum Stadion und zur Gedenkstätte an den Völkermord
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In der Nähe liegt außerdem ein typisch sowjetischer Vergnügungspark.
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Schließlich steigen wir ab, gehen unter mächtigen Bäumen zurück Richtung Fußgängerzone. Wir entdecken ein Restaurant im Keller, was bei dem angenehmen Wetter fast ein bisschen schade ist. Man muss sich sein Essen selbst zusammenstellen, wählt also einzelne Sachen von der Karte nach Belieben aus. Die Bedienung schaut uns skeptisch an und verschwindet dann.
Los geht´s mit Chinkhali, gefüllten Teigtaschen. Wir wählen zwei mit Hackfleisch- und zwei mit Käsefüllung.
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Anschließend gibt es eine ziemlich fettige Wurst mit Granatapfel drin sowie Khachapuri, ein Käsebrot.
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So, das war ein üppiges Essen. Gestärkt ziehen wir weiter durch die Straßen. Die Stadt entspricht ziemlich genau unseren Erwartungen und auch vom Reisegefühl her kommt es bisherigen Ex-Sowjet-Ländern nahe. Wir fallen durch unser Aussehen nicht besonders auf und man wird als Reisender kaum belästigt, Russischkenntnisse wären aber sehr hilfreich.
Auf dem Rückweg machen wir Halt im Parma-Supermarkt, der vielfältige Produkte in der gehobenen Preiskategorie anbietet und auch Obst (in viel Plastik eingeschweißt), was mir bisher kaum aufgefallen ist. Ein junger Mann spricht uns an. „English?“ Er erzählt irgendwas von Ukraine, wobei es völlig unklar bleibt, was er eigentlich meint. Am Ende will er natürlich Geld, vermutlich um Alkohol zu kaufen.

Es sieht nach einem schönen Sonnenuntergang aus und wir gehen zum Platz der Republik. Es handelt sich um einen riesigen gepflasterten Platz, im Hintergrund der Regierungssitz.
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In der Platzmitte, umtost vom Autoverkehr, werden irgendwelche Kerzen aufgestellt.

Die Springbrunnen sind noch alle außer Betrieb
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Das Überqueren der breiten Straßen ist recht mühsam, da die Fußgängerampeln nur auf Knopfdruck schalten und man dann unverschämte 45 s warten muss, bis sie Grün werden.

Die blaue Stunde bricht herein.
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Das historische Museum spiegelt sich in einer Pfütze
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Nun wird es schnell dunkel und kühler.
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Die Kerzen wurden angezündet
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Wenig später marschieren Soldaten herbei. Auf Schildern steht „We stand with Artsakh“ (Anm.: Berg-Karabach). Es ist eine Solidaritätsdemonstration für das südöstlich von Armenien gelegene, zwischen Armenien und Aserbaidschan umstrittene Gebiet. Da es mehrheitlich von Armeniern bewohnt wurde, hielt es Armenien nach dem Zerfall der Sowjetunion unter Kontrolle, doch 2020 wurde in einem heißen Krieg ein Teil von Aserbaidschan zurückerobert. Zum Zeitpunkt der Reise war das Gebiet nur noch über eine einzige Straße (Latschin-Korridor) mit dem Rest Armeniens verbunden, ein Ergebnis der Waffenstillstands-Verhandlungen 2020. Doch dies konnte nur durch die Schutzmacht Russland garantiert werden, da Aserbaidschan militärisch und finanziell hoffnungslos überlegen ist. Bekanntlich hat Russland aber seit 2022 andere Prioritäten und Aserbaidschan nutzte die Gunst der Stunde und hungerte die Region im Wahrsten Sinne des Wortes über Monate aus, indem es den einzigen Weg nach Armenien blockierte.
Wie wir inzwischen wissen, musste die armenische Bevölkerung im September 2023 fliehen und die Region wird seitdem wieder vollständig von Aserbaidschan kontrolliert.

Wir fliehen auch, denn ich habe keine Lust, in irgendwelche politischen Demonstrationen hineinzugeraten und die zunehmende Polizeipräsenz ist auch kein gutes Zeichen.

Durch die belebten und schön beleuchteten Straßen kehren wir zur Unterkunft zurück. Alles in allem wirkt die Stadt sehr modern, die Fußwege in der Innenstadt sind in gutem Zustand und barrierefrei gestaltet. Es ist eine junge, lebendige Stadt, in der Fahrräder allerdings keinen Platz haben und deswegen nur Essens-Lieferdienste dieses Verkehrsmittel nutzen.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 3 Jerewan

Sauber verkabelt im Treppenhaus
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Auch heute gibt es wieder bestes Wetter zur Stadtbesichtigung.
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Neue Glasfassade über altem Haus
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Diverse Marschrutkas
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Ein Obus fährt mir auch vor die Linse
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Blumenverkauf
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Wir laufen einfach los, passieren ein Hipster-Viertel mit kleinen Cafés und Bistros zwischen und in Garagen.
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Weiter kommen wir an riesigen neuen Wohnblocks ins alte Quartier Kond.
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Neben einem gigantischen Luxushotel gibt es hier alte, kleine Häuschen.
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Eine Frau wäscht an einem Brunnen, möglicherweise gibt es in den Häusern kein fliessendes Wasser. Kinder spielen in den Gassen, ältere Herren sitzen am Strassenrand und unterhalten sich. In der Ferne taucht plötzlich der verschneite Gipfel des Ararat auf, welch ein majestätischer Anblick.
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Wir streifen weiter durch die Gassen und treffen auf eine Gruppe Studenten, die malen.
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Allmählich lassen wir Kond hinter uns und begeben uns zur nächsten Bushaltestelle.
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Während ich die Yandex-App zur richtigen Liniennummer zum Denkmal an den Völkermord befrage, stellt Alex fest, dass direkt gegenüber ja die blaue Moschee ist, die wir auch noch besichtigen wollten. Also ziehen wir das vor. Da Iran-Flaggen aufgestellt sind, schlussfolgern wir, dass es sich wohl um eine schiitische Moschee handeln muss. Der Flieder duftet, ein Mann führt einsam sein Gebet aus. Ein alter Mann schlürft in Mini-Schritten durch den schönen Innenhof.
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Nach der Besichtigung gönnen wir uns ein Mittagessen aus Rote-Bohnen-Suppe, Joghurtsuppe (schmeckt wie Creme fraiche) und frittierte Chinkhali.
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Dazu gibt’s süsse Zuckergetränke mit Traubengeschmack oder Anis (ok, wirklich mit sehr starkem Anisgeschmack) und vielen E-Zusatzstoffen.
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Wieder einmal schaut die Bedienung etwas skeptisch, nachdem wir die Bestellung aufgegeben haben und erkundigt sich nach dem verspeisten und gut dokumentierten Essen, ob wir das erste Mal in Armenien wären. Immerhin sprechen die meisten zumindest ein paar Worte Englisch, sodass wir uns einigermassen verständigen können. Wir fragen uns, ob wir wohl so merkwürdige oder ungewöhnliche Kombinationen bestellen, aber uns schmeckt es jedenfalls.

Blumenkübel an der Mauer
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Yandex schlägt zwei verschiedene Buslinien oder drei Marschrutkas vor, einer der Busse kommt unmittelbar und wir fahren ein Stück den Hügel hoch. Dennoch müssen wir ein gutes Stück auf der Strasse bis zum Denkmal laufen, es ist wohl nicht vorgesehen, hier zu Fuss hochzukommen.
Zwei Mädels machen Fotoshooting, eine zieht ihren Ausschnitt weit nach unten und die andere gibt ihr Anweisungen, bitte noch so drehen und Haare so richten und instagramtauglich gucken.
Das Denkmal erinnert an den Völkermord an den Armeniern im Krieg gegen die Osmanen vor über einem Jahrhundert, in dessen Folge dann einige Regionen verlorengingen, die heute zur Osttürkei gehören.
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Von diesem Ort der Erinnerung hat man jedenfalls einen sehr schönen Blick über die Stadt und zum Ararat. Leider handelt es sich um die übliche Gestaltung derartiger Monumente, mit riesigen offenen, betonierten Flächen, auf denen man dem kalten Winter und der sengenden Sonne ausgesetzt ist und so bin ich froh, dass die Wolken inzwischen die Oberhand gewonnen haben.
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Ich finde es enttäuschend, dass die beiden Länder nach so langer Zeit immer noch keine ernsthaften Anstalten machen, die diplomatischen Beziehungen wieder aufzunehmen – als Mahnmal dessen ist der unerreichbare Ararat jenseits der Grenze am Horizont irgendwie passend. Eine Frau streichelt einen Strassenhund, hier gibt es einen sehr liebevollen Umgang mit den herrenlosen Tieren, was eher ungewöhnlich ist.
Für die Rückfahrt bestellen wir ein Taxi uns sind keine zehn Minuten später wieder im Zentrum. Der ÖPNV ist für das Zentrum nicht sehr nützlich, denn in den Innenstadtbereich fahren quasi gar keine Busse oder Marschrutkas, sondern nur über die Ringstrasse aussenrum.

Leider zieht der Himmel immer mehr zu, trotzdem fahren wir mit dem Taxi zum Aussichtspunkt oberhalb der Kaskade. Nur ganz im Westen leuchtet der Himmel etwas rötlich, dann senkt sich die blaue Stunde schnell über die Stadt.
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Wir überqueren eine grosse Kreuzung bei grüner Fussgängerampel und kurz hinter uns rast ein Auto mit 50 durch – tatsächlich hatte es Grün. Ich habe schon Länder gesehen, in dem grüne Abbiegeampeln kein konfliktfreies Abbiegen wie bei uns signalisieren, also paralleler Verkehr oder Fussgänger trotzdem gleichzeitig grün haben können. Aber einen Fall wie hier, dass Autos gleichzeitig mit querenden Fussgängern grün haben, das ist mir noch nicht untergekommen…
Nach dem Abendessen laufen wir gemütlich durch die Fussgängerzone zurück. Es ist viel los und es herrscht ein hoher Lärmpegel. Die Musik dröhnt aus Bars, aber auch zahlreiche Strassenmusiker sind unterwegs. Im 24h-Supermarkt beschaffen wir noch Frühstück für morgen und kehren dann zur Unterkunft zurück. Jerewan wirkt auf uns wie eine Stadt im Aufbruch, mit angenehmen, aber auch zurückhaltenden Menschen, wobei das auch gut an unseren fehlenden Sprachkenntnissen liegen könnte.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 4 Jerewan

Die Sonne scheint noch, als wir aufstehen, doch Regen ist bereits angekündigt. Für die nächsten Tage haben wir einen Mietwagen. Alex holt ihn ab, dabei gibt es jedoch einige kleine Hürden. Kurz zusammengefasst – zum vereinbarten Zeitpunkt ist niemand am Autoverleih und Alex muss 20 Minuten warten, bis jemand auftaucht. Der eigentlich gebuchte Kleinwagen ist nicht verfügbar, dafür gibt es ein kostenloses Upgrade. Das wird spätestens im sehr engen Hinterhof zum Nachteil, wo es mit einem grösseren Wagen noch schwerer zu parken und manövrieren ist als ohnehin schon. Ich hole die Rucksäcke aus der Wohnung und unterstütze Alex beim Ausfahren, was dieser souverän meistert. Dann verlassen wir die Stadt Richtung Westen. Man merkt, dass heute Werktag ist, denn der Verkehr ist viel dichter als gestern.
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Erstes Ziel ist die Zvarnots-Kathedrale und Google Maps lotst uns erst eine Ausfallstrasse entlang, die für Fussgänger quasi unüberwindbar ist. In sehr weiten Abständen von vielleicht ein bis zwei Kilometern gibt es Unterführungen und hohe Zäune in der Strassenmitte sollen Querungen an anderen Stellen verhindern. Die durch teils fehlenden Zäune - ob mutwillig entfernt oder einfach kaputt gegangen ist nicht erkennbar – entstehenden Lücken werden jedenfalls gern genutzt, um den Fussweg abzukürzen.
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Es gibt zahlreiche Blitzer und fast alle bremsen direkt vor den Blitzern nochmal ab. Alex findet es verwirrend, welche Geschwindigkeit nun gilt, denn Tempolimits werden irgendwo mal aufgestellt, dann aber nie mehr aufgehoben. Und was innerorts, was ausserorts ist, kann man auch nicht wirklich erkennen, denn entlang der Strasse ist fast durchgehend bebautes Gebiet.
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Schliesslich weist Google Maps uns an, die Hauptstrasse zu verlassen und kurz darauf, auf einen kleinen Feldweg abzubiegen. Hm, ist das wirklich richtig?
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Wir fahren ein Stück an der Hauptstrasse zurück, von dort müsste man eigentlich auch reinkommen. Wir parken vor einem Friedhof, auf dem am heutigen Ostermontag einiges los ist, auch wenn das in Armenien kein offizieller Feiertag ist. Wir durchqueren der Friedhof, laut maps.me müsste man so auch zur Kathedrale kommen. Ungewohnt für uns sind die Bilder der Verstorbenen auf ihrem Grabstein.
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Ich frage mich noch, müsste man eine Kathedrale nicht eigentlich sehen, wenn man so nah dran ist, aber dann klärt mich Alex auf, dass es sich um eine Ruine handelt. Die Lauffaulen fahren einfach mit dem Auto durch den Friedhof. Am Wegesrand kokeln überall Blumenreste und Plastikmüll vor sich hin und verbreiten einen beissenden Gestank.
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Wir folgen einem Fahrweg durch Weinreben, ein älterer Herr ist dort zugange.

Ein Trampelpfad führt durch einen kleinen Wald und bald stehen wir vor der Ruine des Weltkulturerbes. Da wir völlig allein hier sind, spricht vieles dafür, dass Google doch recht hatte und der Ort heute eigentlich geschlossen ist.
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Tatsächlich vergehen keine fünf Minuten, bis ein Mann mit zielstrebigen Schritten auftaucht. «Ruski?» No. «Closed.» Es schaut grimmig drein und ich bin mir sicher, wenn wir Russisch gekonnt hätten (oder er Englisch), hätten wir uns noch ein bisschen mehr anhören müssen. Wir gehen denselben Weg zurück, auf dem wir gekommen sind und den auch schon viele andere vor uns genommen haben müssen.
Google Maps will uns zur Weiterfahrt nach Echmiadzin durch den Friedhof und dann über Feldwege lotsen, denn auf die Hauptstrasse kann man wegen der Mitteltrennung nur Richtung Jerewan abbiegen. Mir sind aber auf der Hinfahrt regelmässige Unterbrechungen der Mitteltrennung zum Wenden aufgefallen und tatsächlich stossen wir bald auf eine – das war für Google Maps wohl zu einfach.

Wenig später sind wir in Echmiadzin und besuchen dort die Kathedrale, die noch vollständig vorhanden ist.
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Unter «Kathedrale» hatte ich mir etwas Anderes vorgestellt und wegen Bauarbeiten kommt man gar nicht rein. Während wir vor der verschlossenen Tür stehen, klopft es.
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Wir rufen: «Herein!», korrigieren uns dann aber. «Heraus!»

Damit sind die Sehenswürdigkeiten dieser Stadt auch schon abgehakt und die Anmerkung im Reiseführer, dass Echmiadzin eher ein Tagesausflugsziel als eine Destination für sich ist noch sehr positiv formuliert. Also widmen wir uns unserer Lieblingsbeschäftigung – essen. Wir wählen ein Restaurant auf Google Maps aus. Regen setzt ein, das Wasser plätschert aus den Dachrinnen über den Gehweg und tropft überall herunter. Immerhin befinden sich die Gehwege auch hier in recht gutem Zustand. Es ist nicht ganz einfach, das gesuchte Restaurant zu finden.
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Wir landen in einem Hinterhof mit einer versteckten Treppe, die in den Keller führt. An der Hauswand hängt ein grossformatiges Plakat mit Chinkhali, aber ist das wirklich der Eingang? Da tauchen gerade zwei junge Frauen auf, ich spreche sie an und sie deuten die Treppe nach unten.
Die Bedienung spricht nur Russisch, die Speisekarte gibt es teilweise auf Englisch, aber alles ist bebildert, was uns das Leben sehr viel einfacher macht. Wir werden in einem Separee platziert und bekommen einen Buzzer, mit dem wir die Bedienung rufen können, wenn wir soweit sind. Das habe ich noch aus Russland in Erinnerung. Wir entscheiden uns für ein Fleischgericht namens Ostry, was auf Tschechisch scharf bedeutet und in der englischen Übersetzung als spicy beef angeschrieben ist. Dazu wollen wir Khachapuri und Reis. Doch die Frau schüttelt mit dem Kopf. Es braucht einige Übersetzungsversuche mit dem Handy, um zu verstehen, dass es wohl keinen Teig für Khachapuri gibt. Also bestellen wir einfach normales Brot dazu. Wir müssen eine Weile warten, aber dann werden wir mit einem leckeren, gulaschähnlichen Gericht belohnt. Reis mit Aceto Balsamico ist wohl auch eine Spezialität Armeniens…
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Nun trennen sich unsere Wege für einen Tag, Alex möchte Rafting in der Debed-Schlucht machen und fährt mit dem Auto weiter nach Dilijan, während ich mit der Marschrutka nach Jerewan zurückfahre, um noch einen ÖPNV-Tag einzulegen und ihm morgen mit der Marschrutka nach Dilijan zu folgen.
Als wir zurück an der Hauptstrasse sind, steht gerade eine Marschrutka mit der Nummer 203 da, die brauche ich, nehme die Beine in die Hand und springe rein. Auf einem Zettel im Fahrzeug hängt gross der Fahrpreis von 300 Dram (0,70 €) aus.
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Im weiteren Fahrtverlauf wird es voller, doch viele steigen am Friedhof wieder aus. Alle bezahlen beim Aussteigen, deswegen hat der Fahrer vermutlich so komisch geschaut, als ich das gleich beim Einsteigen erledigt habe. Auf demselben Weg geht es für mich zurück nach Jerewan, wir kommen in zähflüssigen Verkehr und nur noch langsam voran. An der blauen Moschee steige ich aus, um in den Trolleybus umzusteigen. Viele Kleinbusse und Marschrutkas kommen, wartende Fahrgäste steigen in die teils völlig überfüllten Fahrzeuge ein. Viele Schüler sind unterwegs.
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Entschuldigung, fahren Sie nach Գործարանային?

Nach geschlagenen 20 Minuten taucht dann endlich ein moderat gefüllter Trolleybus auf und ich steige ein. Offenbar zahlt man auch hier beim Aussteigen. Die Menschen hier müssen sehr ehrlich sein, schliesslich fährt man ja einfach ohne Fahrkarte mit. Als es voller wird, steigen immer wieder Fahrgäste hinten aus, gehen dann aussen zur ersten Tür und reichen dort den Fahrpreis von 50 Dram (0,15 €) zum Fahrer durch. Ein paar Münzen lässt der Fahrer immer im Fensterchen liegen, damit man sich Wechselgeld nehmen kann, wenn man es gerade nicht passend hat. Die anderen hängt er an eine magnetische Scheibe, um sie später in einer Kasse zu verstauen.
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Es regnet recht stark und das Wasser tropft von der Decke ins Fahrzeug, das schon sehr abgenutzt aussieht.
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Der zeitweise gut gefüllte Trolleybus kämpft sich durch den zähen Verkehr, später geht es schneller durch Wohnblocks und Vorstadtbrache. Weiter ausserhalb wird die Bebauung wieder dichter und schliesslich erreiche ich die Endstation in einem Stadtteilzentrum.
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Während ich Aufnahmen mache, spricht mich ein Mann an. «Journalist?» Ich erkläre kurz mit den vor der Reise auf Russisch zurechtgelegten Sätzen, dass ich Ingenieur für öffentlichen Verkehr in der Schweiz bin. Hier falle ich natürlich auf, wohl kaum ein Tourist dürfte sich hierhin verirren.
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Der gesamte Platz ist von einem riesigen unterirdischen Markt durchzogen, auf dem man von Schuhen über Blumen bis zu Handys alles kaufen kann.
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Der offene Bereich in Platzmitte ist ein Lost place
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Meine Vermutung ist, dass man einerseits den Platz effizient nutzen will, unterirdisch kann man Restaurants und Geschäfte haben, aber keine Wohnung. Andererseits ist es hier im Sommer sehr heiss und im Winter ziemlich kalt und so ist man von der Witterung besser geschützt.
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Schliesslich finde ich in den verqualmten Gängen auch den Zugang zur Metro, kaufe einen Jeton am Schalter und öffne damit unter den wachsamen Augen der Rolltreppenaufseherin das Drehkreuz. Die U-Bahn ist mir gerade vor der Nase weggefahren, denn der Zähler steht auf 0:30. Ich sehe diverse Wachmänner herumspazieren und ahne schon, dass es Probleme beim Fotografieren geben könnte. Also warte ich den passenden Moment ab und nehme ein Bild der Station auf, als gerade keiner der Wachmänner hinschaut. Eine Frau, die an einem Stand auf dem Bahnsteig Parfum verkauft, hat es allerdings gesehen und plappert sofort wild darauf los und rennt schnurstracks zum nächsten Wachmann. Der kommt sofort zu mir, doch ich verstehe ihn nicht und er mich nicht. «No photo.» Jaja, ist ja gut. Die Frau schimpft weiter und schliesslich wird eine andere Frau gefunden, die Englisch spricht. «Did you make a photo?» Yes. «Ok, show the photo to him and delete it.” Ich lösche es also unter den Augen des Wachmanns und er will sogar noch sehen, was ich sonst noch für Bilder aufgenommen habe, aber da sind keine weiteren aus der U-Bahn und er gibt sich zufrieden. Die Jerewaner Metro, das bestbehütetste Geheimnis der Welt…
Beim bekannten Hobbykollegen gibt’s eine ausführliche Doku.
https://youtu.be/uDdlb6iXqqI?si=WRJVz_bL_-TcXrBc

Immer mehr Menschen sammeln sich auf dem Bahnsteig, fünf Minuten vergehen, dann zehn, dann 15. Nach fast 20 Minuten kommt eine U-Bahn auf Falschfahrt an den Bahnsteig und fährt wieder zurück. Eingesetzt werden in verschiedenen Stadien modernisierte Metrowaggonmasch-Züge, die rumpelnd über Stosslückengleise fahren. Es gibt einen langen oberirdischen Abschnitt durch Industriebrache, dann ist der Bahnhof erreicht. Plötzlich rufen Wachmänner von draussen irgendwas und alle steigen aus.
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Hier fährt mir nochmal ein Trolleybus vor die Linse
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Kurz zuvor sind wir unter einer Strassenbrücke durchgefahren und ich suche sie auf, um doch noch unbehelligt ein Foto von der U-Bahn machen zu können.
Hier führt die U-Bahnstrecke parallel zur Bahnstrecke zum Bahnhof.
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Auf dem Weg passiere ich diverse Läden, vom Drogeriemarkt über Bäcker und Metzger zum Gemüsehändler ist alles dabei.
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Als ich wieder am U-Bahnsteig bin, steht dort gerade ein Zug in die richtige Richtung und ich steige schnell ein. Am Platz der Republik steige ich aus und gönne mir eine kleine Pause in der Unterkunft.
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Später packe ich mein Stativ ein und kehre zur U-Bahn zurück. Die Stationen sind eher schlicht, im klassischen sowjetischen Design mit Marmorplatten und Stationsnamen in Metall-Buchstaben. Am Platz der Republik ist die Dekoration etwas reichhaltiger.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/ ... tation.jpg
Eine Karte von Gross-Armenien prägt eine Wand, sie reicht von Gebieten der heutigen Osttürkei bis nach Aserbaidschan. Das ist in etwa so, als wäre in der Berliner U-Bahn eine Karte des deutschen Reichs von 1937 abgebildet. Nach fünf Minuten kommt ein 2-Wagen-Zug, der ziemlich voll ist. Die maximale Zuglänge wird bei Weitem nicht ausgereizt.
Kurzer Blick auf den Bahnsteig
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Wie erwartet bietet das Reiterdenkmal vor dem sowjetischen Bahnhof ein tolles Fotomotiv zur blauen Stunde. Ein ziemlich imposanter Bahnhof für die Handvoll Abfahrten am Tag…
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Ein Mann spricht mich an und nach einigen Verständigungsschwierigkeiten verstehe ich endlich, was er will – nämlich ein Foto von ihm und seinem Kumpel, das ich ihm anschliessend an seine Mailadresse schicken soll. Er riecht stark nach Alkohol, meine Vermutung ist, dass es sich um geflohene Russen handelt, die ihre unglückliche Situation in Alkohol ertränken.
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Ich nehme einen Bus, um ein Stück zurückzufahren.
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Im Gegensatz zu Trolleybus und Marschrutka bezahlt man hier gleich beim Einsteigen, indem man das Geld in einen Kasten wirft. Auf einem Display wird automatisch gezählt, wie viel man reingeworfen hat.
Ich stosse mit meiner Schulter leicht an einen Nothammer, der daraufhin einen ohrenbetäubenden Alarm von sich gibt. Der Mann hinter mir drückt ihn dankenswerterweise wieder in die richtige Position und der Alarm verstummt. Das ist mal ein krasser Diebstahlschutz…
Auf dem Rückweg mache ich noch ein paar Nachtaufnahmen.
Die riesige Rossia Mall
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Diverse Busse und Marschrutkas
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Die große Kirche Gregor des Erleuchters
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Eingang zum Vergnügungspark
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Pfütze auf dem Bürgersteig
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Geschichtsmuseum am Platz der Republik
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von TramBahnFreak »

Yay, es hat wieder einen Sinn, das EF zu öffnen! 8)
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 5 Jerewan → Dilijan

Nach dem Frühstück breche ich zu einer ungewöhnlichen Sehenswürdigkeit auf – Levon’s Divine Underground, in einem Haus am nördlichen Stadtrand gelegen. Dafür fahre ich zwei Stationen U-Bahn, sie ist aussen blau mit orangenen Sitzen im Inneren. Fast jeder Zug scheint hier ein Unikat zu sein. Laut Yandex fährt Marschrutka 47 zu meinem Ziel. Ich steige bereits an der vorletzten U-Bahnstation in die Marschrutka um, eine gute Entscheidung, denn so bekomme ich noch einen guten Sitzplatz (und nicht etwa einen über dem Radkasten, wo man mit den Knien im Gesicht sitzen muss).
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Zäher Smog liegt über der Stadt, die Marschrutka folgt Hauptstrassen stadtauswärts, vorbei an Wohnhäusern in ein Stadtrandquartier. Dabei legen wir ordentlich Höhenmeter zurück und ich spüre Druck auf meinen Ohren. Das Fahrzeug leert sich, schliesslich ist nur noch ein weiterer Fahrgast an Bord. Heftige Bodenwellen verhindern sehr effektiv schnelles Fahren, einige Male rumpelt die Marschrutka durch üble Schlaglöcher. Wir nähern uns dem Ziel und da es keine fixen Haltestellen gibt, steige ich einfach mit aus, als der letzte verbliebene Fahrgast den Fahrer bittet, anzuhalten und bezahle die 100 Dram (0,30 €) beim Aussteigen. Ich bin vor einer Schule in einem Viertel mit kleinen Häusern gelandet. Mütter und Grossmütter holen Kinder von der Schule ab.
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Zwischen den Gärten mit blühenden Obstbäumen laufe ich ein paar Minuten bis zur gesuchten Adresse.
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Eine alte Frau spricht mich gleich an, ob ich in die unterirdische Höhle will und ruft nach ihrer Tochter, die einigermassen Englisch spricht.
Der Bau des unterirdischen Labyrinths begann mit der Bitte der heute alten Frau an ihren Mann, einen kleinen Kellerraum für das Lagern von Kartoffeln zu erstellen. Das Graben muss für den Mann dann zu einem Zwang, ja einer regelrechten Manie geworden sein. Anders kann ich mir nicht erklären, warum jemand alles andere vernachlässigt, um 23 Jahre bis zu seinem Tod unter dem eigenen Haus ein Labyrinth zu graben. Leider funktioniert das Licht unten aktuell nicht, erläutert mir die Tochter, ob ich mit der Handy-Taschenlampe gehen möchte?
Ich stimme zu, doch der Reiz der Besichtigung liegt in der durchaus stimmungsvollen Beleuchtung der Kellerräume, die jetzt fehlt. Ausserdem kann ich jegliche Fotos vergessen. Bis zu 25 m tief führen die Gänge unter die Erde, es gibt einen Belüftungsschacht und einen unvollendeten Gang, der zum Nachbar weitergebaut werden könnte. Offenbar wusste der Mann, von Beruf Architekt, was er tut, sonst hätte er wohl kaum 23 Jahre Handarbeit unter der Erde überlebt.
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Auch wenn die Tochter immer wieder betont, sie hätten immer wieder versucht, ihn zu stoppen und wären erfolglos geblieben, machen sie nun ein gutes Geschäft mit diesem kuriosen Bau. Stolze 2000 Dram (5€) kostet die kurze Führung und am Ende möchte sie wissen, woher ich komme. Schweiz? Ist das nicht das Land, dass an Frankreich und Italien grenzt? Sie hat schon Besucher aus der ganzen Welt herumgeführt, wie die zahlreichen Fähnchen auf der Weltkarte zeigen.
Anschliessend zeigt sie mir noch den aufblühenden Garten, eine wahre Idylle. Ich komme mir schon ein wenig komisch vor, mitten durch das Haus der Familie zu laufen, aber ok…

Für die Rückfahrt beschliesse ich, zur nächsten Trolleybushaltestelle zu laufen, die einen guten Kilometer entfernt liegt. In den Einfahrten der kleinen Häuser parken zahlreiche alte Ladas, Sportwagen und SUVs wie in der Innenstadt sieht man hier nicht.
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Nachdem ich einen grossen Friedhof passiert habe, führt der Weg am Rande von einigen Wohnblocks vorbei, weitere Wohnblocks sind in Bau.
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Zwischendrin befinden sich kleine Betriebe, von der Autowerkstatt bis zum Zementwerk ist alles dabei.
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Jemand winkt mich zu sich und will wissen, was ich hier fotografieren würde.
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Ich deute wage auf die hübsch aufgereihten Schubkarren, er gibt sich damit zufrieden. Wie schade, dass ich kein Russisch kann, denn die Neugierde ist dem Mann förmlich ins Gesicht geschrieben.

Ich setze mich auf die Bank in der Haltestelle und warte.
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Und warte. Und warte. Diverse Busse kommen vorbei, nur kein Trolleybus.
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Da die Endstation nicht mehr weit ist, befindet sich wohl kein Fahrzeug mehr hinten. Nach fast 30 Minuten Wartezeit kommt ein Trolleybus stadtauswärts und kehrt etwa zehn Minuten später zurück, sodass ich insgesamt fast 40 Minuten warten musste. Zum Glück herrscht angenehmes Wetter…
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Zunächst sind nur wenige Fahrgäste an Bord, während es bergab Richtung Innenstadt geht. Plötzlich blockiert ein uralter Lada-Transporter die Fahrbahn, denn ein Rad hat sich gelöst und liegt mitten auf der Strasse. Aus dem komplett vollgestopften Laderaum quillt Metallschrott, der zum Teil auf der Strasse verstreut liegt. Ganz vorsichtig lenkt der Trolleybusfahrer nach links, damit die Stromabnehmer nicht entgleisen. Es wird auf jeden Fall knapp, mit 1 cm Abstand fährt er mit 1 km/h an einer Metallstange vorbei. Das Manöver glückt, wir kommen vorbei und die Fahrt geht weiter. Die meiste Zeit telefoniert der Fahrer während der Fahrt und raucht gelegentlich noch eine Zigarette. Ein völlig verrosteter Škoda 14Tr ist auf der Linie 10 unterwegs, mit dem wäre ich auch gern noch gefahren. Aber bei den langen Wartezeiten…
Allmählich wird der Verkehr zähflüssiger und der Trolleybus rappelvoll, hauptsächlich Mütter mit Kindern und Rentner. Nach rund einer Stunde Fahrzeit bin ich in Innenstadtnähe und bezahle beim Aussteigen die 50 Dram (0,15€), ein durchaus attraktiver Fahrpreis. Allerdings ist das Angebot auch nicht wirklich mehr wert.
Ich darf auch hier auf den Hobbykollegen verweisen, der mit einer unglaublichen Ausdauer das gesamte Trolleybusnetz Jerewans samt der Škoda 14Tr und der Berliet ER100 (ex-Lyon) dokumentiert hat. Sie wurden im Sommer 2023 alle durch Yutong-Neufahrzeuge ersetzt, was immerhin ein klares Bekenntnis für den Erhalt des Trolleybusnetzes ist, das in den letzten Jahren schon einige Federn lassen musste.
https://www.youtube.com/watch?v=Jt30URiwOLI

Meine Marschrutka nach Dilijan fährt von der Northern Bus station ab, der weit ausserhalb an einer Ausfallstrasse liegt. Ich muss erst mit einer anderen Marschrutka dorthin fahren. Sie umfährt das Stadtzentrum über die Ringstrasse und verlässt die Stadt dann nach Norden. Ich beschliesse, östlich der Innenstadt einzusteigen, da ich befürchte, in die Nachmittags-HVZ in Lastrichtung zu kommen und später mit Koffer vielleicht nicht mehr reinkomme. Ich muss zwar stehen, doch zunächst ist noch reichlich Platz. Das ändert sich bald, die Marschrutka wird so voll, dass man sich nicht mehr bewegen kann. Ich wundere mich etwas, da ich keinen Busbahnhof sehe, aber laut GPS ist es der richtige Ort. Ausser mir steigt nur noch ein weiterer Fahrgast aus, ich reagiere zu spät und komme kaum noch raus. Zum Glück erkennt ein anderer Fahrgast meine Misere und ruft dem Fahrer etwas zu, sodass der die Türen nochmal öffnet. Ich gehe aussen zur ersten Tür und drücke einer Frau, die bereits die Hand ausstreckt, 100 Dram in die Hand. Sie schüttelt den Kopf und hebt drei Finger, also krame ich noch zwei 100 Dram-Münzen heraus, dann ist es ok. Ich hatte einen Aushang im Fahrzeug gesehen, offenbar gibt es auf dieser Linie einen entfernungsabhängigen Tarif von 100, 200 oder 300 Dram.
Nun stehe ich da an der Ausfallstrasse und sehe immer noch keinen Busbahnhof, obwohl ich laut GPS direkt davor stehe. Nun ja, dann muss es wohl dieses leerstehende Gebäude vor mir sein, auch wenn ich das nicht als Busbahnhof bezeichnen würde. Holpriger Parkplatz mit riesigem Lost-Place-Gebäude trifft es eher, drei Marschrutkas stehen etwas verloren herum.
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Ein älterer Mann spricht mich an und labert mich auf Russisch voll. Ich sage nur Dilijan, er plappert munter weiter, ich verstehe schliesslich noch die Frage, woher ich komme. Zum Glück findet sich noch ein junger Mann, der mir auf Englisch erklären kann, dass ich eine Fahrkarte im Gebäude kaufen muss und die Abfahrt nach Dilijan erst in einer Stunde ist. Laut Yandex sollte alle 30 bis 60 Minuten eine Abfahrt nach Dilijan stattfinden, soviel dazu. Da Abfahrtszeiten nirgendwo öffentlich einsehbar sind, ist alles schwer planbar.
Willkommen in der Northern Bus Station von Jerewan…
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Von hier direkt in die weite Welt…
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Hinter diesen Türen höre ich Stimmen, fast wie auf dem Gang einer heruntergekommenen Schule während der Unterrichtszeit, ziemlich gruselig… So sehr das ganze Gebäude nach Lost place aussieht, die Videoüberwachung ist es nicht, also fotografiere ich so unauffällig wie möglich. Irgendwo da hinten sollte auch ein WC sein, zumindest laut der zerfledderten Zettel, die an einigen Wänden kleben. Doch niemand bemerkt mich und ich verlasse das Gebäude unbehelligt wieder.

Schöne neue Appartmentblocks warten auf neue Besitzer
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Der ältere Mann versucht es nochmal mit Konversation, aufgrund meiner fehlenden Sprachkenntnisse leider erfolglos. Ich kann dem Schwall russischer Worte, herausgebracht mit der Zigarette im Mundwinkel, keinen Sinn entnehmen. Die Zeit vergeht, allmählich tauchen weitere Fahrgäste auf und ich setze mich lieber schon mal in die Marschrutka, um mir einen guten Sitzplatz zu sichern und nicht mit den Knien im Gesicht über dem Hinterrad sitzen zu müssen.
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Der alte Mann unterhält sich mit einem anderen Fahrgast, unübersehbar über mich. Ich verstehe nur etwas von turista in Kombination mit Kopfschütteln. Die Fahrer qualmen eine Zigarette nach der anderen und pünktlich um halb sechs setzen sich alle drei Marschrutkas in Bewegung.
Willkommen in der Multi Magic Mall, da fühlen Sie sich wie Kaiser Nero in seinem Palast
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Bald bleiben die letzten Häuser zurück und karge Landschaft prägt das Bild.
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Es gibt einige Steinbrüche, was auch erklärt, warum sich während meiner Wartezeit ständig schwer mit Steinen beladene LKW den Berg hochgekämpft haben. Die Marschrutka schafft in der Steigung auch nicht mehr als 60. Der Verkehr nimmt stetig ab und wir nähern uns dem Sevan-See. Im Gefälle holt der Fahrer wieder Zeit rein und wir erreichen bis zu 130 km/h. Es gibt keine Autobahn, da die Strecke nicht kreuzungsfrei ausgebaut ist und der Mittelstreifen immer wieder zum Wenden unterbrochen ist. Eigentlich wären hier nur 90 km/h erlaubt. Dass man ohne Sprit bleibt, muss man in Armenien jedenfalls nicht befürchten, denn es gibt gefühlt nach jedem Kilometer eine Tankstelle auf beiden Seiten der Strasse. An der verwaisten Bahntrasse am Sevan-See entlang (sie wird nur im Sommer bedient) geht es schliesslich einen Pass hinauf, dann durch einen Tunnel steil bergab, in dem aufgrund des schmalen Querschnitts nur 40 erlaubt sind, wobei der Fahrer sicher doppelt so schnell unterwegs ist.
Auf der anderen Seite der Bergkette ist es deutlich grüner und die Strasse schlängelt sich durch dichten Wald ins Tal.
Bald tauchen erste Häuser auf, Kühe stehen auf kargen Weiden. Nach 1h 15 min erreiche ich schon Dilijan, was gerade einmal 7 min länger ist, als Google Maps für eine Autofahrt berechnet hat.
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Verglichen mit Jerewan ist es hier sehr ruhig und zu meiner grossen Überraschung sind hier die Englischkenntnisse deutlich weiter verbreitet. Auch wenn zu dieser Jahreszeit nur wenig los ist, merkt man, dass es sich um eine Touristendestination handelt. Ein streunender Hund begleitet uns bis zur Unterkunft, neben der eine Katze auf einer Mauer sitzt. Die beiden schauen sich etwa zehn Sekunden in gespannter Stille an, ehe der Hund zum Sprung ansetzt und die Katze eiligst flüchtet.
Blaue Stunde über dem regnerischen Dilijan
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Alex Rafting hat leider nicht stattgefunden, stattdessen hat er den Tag für einen Ausflug in ein einsames Tal nach Westen genutzt und ein paar idyllische Klosterruinen besucht.

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Wir gönnen uns ein üppiges Abendessen aus einem Hähncheneintopf, äusserst ungesalzenen Ofenkartoffeln und gefüllten Paprika und machen anschliessend noch einen kleinen Spaziergang zum Denkmal durch den Nieselregen. Dort begegnen uns ein paar Halbstarke und spucken uns vor die Füsse. Möglicherweise haben sie uns für Russen gehalten, deren Nobelkarossen immer wieder sichtbar sind und die nicht von allen begeistert aufgenommen werden.
Nass glitzert das Gras im Scheinwerferlicht.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 6 Dilijan

Vogelgezwitscher weckt mich am Morgen, doch ich drehe mich um und schlafe nochmal weiter. Bis ich ausgeschlafen habe, hat auch der Regen nachgelassen. Wir nehmen unser Frühstück in einem nahen Café ein und zahlen für eine winzige Waffel mit Karamell über 2€, wahrlich kein Schnäppchen. Zu allem Überfluss gibt es alles auf Plastikgeschirr und Kaffee aus dem Pappbecher.
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Die zahlreichen Straßenkatzen sind ein allseits beliebtes Fotomotiv und die hier scheint es regelrecht zu genießen.
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Altes Viertel von Dilijan
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Amphitheater im griechischen Stil (gebaut 2008) inmitten eines Lost Place
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Anschliessend brechen wir auf die 14 km-Wanderung zum Lake Parz auf. Der Weg führt uns durch Wald und über einige Wiesen, auf denen erste Blumen den Frühling einläuten.
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Der große, runde dunkel verglaste Komplex auf der anderen Talseite ist übrigens kein Casino (das wäre mein erster Tipp gewesen), sondern ein Training and research centre der Central Bank of Armenia, was auch immer das sein mag.

Für die optimale Frühlingsblüte sind wir leider noch ein bisschen zu früh dran. Die Ruhe und das Vogelgezwitscher stellen einen starken und willkommenen Kontrast zur Hauptstadt dar. Drei etwa volljährige Jungs werfen sich im Wald mit Pinienzapfen ab, ansonsten treffen wir auf dem Wanderweg niemanden mehr. Der Wald könnte genauso gut in deutschen Mittelgebirgen stehen, nur befinden wir uns hier auf über 1500 m über Meereshöhe.
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Der Regen der letzten Nacht hat den Boden schön aufgeweicht.
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Und das Ergebnis?
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Es sammelt sich so viel Schlamm an den Wanderschuhen, dass ich die Füße kaum noch heben kann.

Knorriger Baum
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Irgendwie fühlt es sich schwül an, obwohl es nicht mehr als 15°C hat. Die Anstiege kommen mir anstrengend und schweisstreibend vor.
Plätschernder Bach
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Aussichtsreich ist die Wanderung nicht, nur kurz öffnet sich der Blick über Wiesen.
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Schliesslich beginnt der lange, aber auf weichem Waldboden gemütliche Abstieg.
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Interessant finde ich hier die deutlich unterschiedliche Vegetation, je nach Hangausrichtung.
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Meine Vermutung ist, dass der Regen stets von einer Seite kommt und damit ein Hang viel feuchter ist als der andere.

Am Ende bin ich trotz der schönen Wanderung froh, als wir endlich den See erreichen, der unser Ziel darstellt.
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Schöner See, oder?
Trotzdem traurig, wenn man es mit dem Biotop von 2008 vergleicht…
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Über die Touristeninfo bekommen wir den Kontakt zu einem Taxifahrer, der uns eine halbe Stunde später abholt und in halsbrecherischem Tempo zurück nach Dilijan bringt. Der für den Abend angekündigte Regen bleibt zum Glück aus und prächtige Wolkenkulissen empfangen uns im Ort.
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Ein üppiges Abendessen gibt uns wieder Kraft.
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Ein Eintopf mit Hähnchen (oben rechts), Bohneneintopf (unten links) und Homemade pasta (unten rechts), ergänzt mit etwas Saurem (oben links). Die homemade pasta sind übrigens Pfannkuchenstreifen.
Zurück in der Unterkunft, macht sich Müdigkeit breit und ich schlafe schnell ein.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 7 Dilijan → Garni

In der Nacht höre ich irgendwann den Regen auf das Dach trommeln, wieder wache ich vom Vogelgezwitscher auf und drehe mich nochmal um. Es herrscht wechselhaftes Wetter, strahlender Sonnenschein zum Frühstück, doch bis wir eingepackt haben, schüttet es wie aus Kübeln. Wieder fünf Minuten lässt der Regen etwas nach. Wir bringen unser Gepäck zum Auto und von Westen zieht bereits die nächste Regenfront heran. Heute ist es sehr windig.
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Zunächst fahren wir zum stillgelegten Bahnhof von Dilijan, den ich mir noch etwas genauer anschauen möchte. Da es wieder stark regnet, bleiben wir zunächst noch im Auto sitzen. Nach rund zehn Minuten wage ich es im nachlassenden Regen nach draussen und starte die Erkundungstour.
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Auf den Gleisen gehe ich zum nahegelegenen Tunnel, höre aber plötzlich Hundegebell und ein Hund taucht 100 m vor mir auf den Gleisen auf.
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Ich kehre schleunigst um.

Die Signale sind alle dunkel, seit 2012 ist hier kein Zug mehr gefahren
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Die Weiche bleibt verschlossen
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Hier muss es auch regen Güterverkehr gegeben haben
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Auch das Bahnhofsgebäude ist noch in Benutzung, sodass ich möglichst unauffällig fotografiere, um mir keine Schwierigkeiten einzufangen.
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Absolut sichere Einzäunung
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Bis ich mich fertig umgesehen habe, scheint bereits wieder die Sonne.

Da es in Garni den ganzen Tag regnen soll, beschliessen wir, nochmal ein Stück das Tal Richtung Vanadzor zurückzufahren, in dem Alex vorgestern war.
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Das bereuen wir absolut nicht, parken am Strassenrand, um einem Fahrweg auf die Hügelkette zu folgen.
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Doch was bedeutet das kyrillische Schild?
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Ich verstehe nur etwas von „Achtung“, „Verboten“ und „Strafe 50.000 Dram“. Google Übersetzer hilft – Müll abladen verboten, das hatten wir nicht vor, viele andere aber schon, wie die zahlreichen Müllhaufen beweisen.
In der letzten Nacht ist auf den Gipfeln Schnee gefallen.
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Unten im Tal verläuft die stillgelegte Bahnstrecke Dilijan – Hrazdan, die die Bergkette in einem 8 km langen Tunnel durchquert, der hier in der Bildmitte beginnt.
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In den 1980er-Jahren als neue schnelle Verbindung zwischen Jerewan und Baku geplant (statt der Route via Nakhichevan), ist der grenzüberschreitende Verkehr nach dem Zerfall der Sowjetunion und den beginnenden Grenzkonflikten zwischen Armenien und Aserbaidschan bald eingestellt worden. Auch wenn im Waffenstillstandsvertrag nach dem Wiederaufflammen des Krieges im Jahr 2020 eine Deblockade der Verkehrswege nach Armenien vereinbart ist, erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass das in naher Zukunft Realität wird und man diese landschaftlich sicher fantastische Strecke wieder mit dem Zug bereisen kann. Es würde sogar Platz für ein zweites Gleis geben…
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https://uic.am/en/13601

Die Wolken halten sich zurück und so steigen wir immer höher und der ohnehin schon starke Wind nimmt immer mehr zu.
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Also kehren wir irgendwann um und fahren zum Sevan-See zurück.
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Dort ist es noch kälter und windiger und nur wenige Menschen erkunden die Halbinsel mit dem einsamen Kloster.
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Das raue Klima ist auch auf die große Höhe zurückzuführen – wir befinden uns hier auf fast 2000 m.
Im Sommer muss das ein beliebtes Ausflugsziel sein, so viele Restaurants, wie es hier gibt.
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Wir verbringen nicht mehr Zeit draussen, als unbedingt notwendig und machen im Auto Brotzeit, ehe wir Richtung Garni weiterfahren.
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Zunächst folgen wir der Hauptstrasse Richtung Jerewan und als wir diese verlassen, landen wir auf einer üblen Holperpiste und es geht nur noch langsam in Schlangenlinien voran.
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In Garni sind die Strassen dagegen neu und in gutem Zustand.

Wir sind in einem Gästehaus im Garten eines Wohnhauses untergebracht, ein wirklich idyllischer Ort. Hühner laufen unter den blühenden Apfel- und Kirschbäumen durch das saftige Gras. Als der Regen stärker wird, flüchten sie unter ein Vordach.

Wir gehen zum Tempel und sind dort aufgrund der Uhrzeit und des Wetters fast alleine unterwegs, wie schön, dass man ihn bis 21 Uhr besichtigen kann.
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Auffallend ist der römische Baustil – höchstwahrscheinlich wurde der Tempel 77 n. Chr. errichtet, nachdem der damalige armenische König Tiridates von einer Reise nach Rom zurückgekehrt war. Ironischerweise ist es nicht abschließend geklärt, ob es sich überhaupt um einen Tempel handelt – auch eine Nutzung als Grabstätte kommt infrage.
Auf einem Hochplateau gelegen, überblickt man das Tal des Azat…
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…die steinernen Orgelpfeifen…
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…und grasende Pferde.
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Am späteren Abend lässt der Regen nach, eine tiefe Stille liegt über dem Ort. Wir sind die einzigen Gäste in einem riesigen Restaurant, die fünf Bedienungen hängen alle arbeitslos am Handy.
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Das Essen ist jedenfalls hervorragend, wie auch der Blick auf den beleuchteten Tempel, der in der Finsternis beinahe zu schweben scheint.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 8 Garni → Jerewan → Tbilisi

Wir wachen auf uns es schüttet. Die Hühner sind unter das Vordach vom Haus geflüchtet und schrecken auf, als wir vorbeigehen.
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Völlige Stille liegt über dem Garten, nur die leisen Geräusche des Regens sind zu hören. Etwas später geht der Regen sogar in Schnee über und einige Flocken bleiben in den Obstblüten liegen.
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Seitenstraßen in Garni, nicht alle sind geteert
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Zum Frühstück gönnen wir uns Gata, ein mit Nusscreme gefülltes Fladenbrot, sehr schmackhaft und gehaltvoll. Sollen wir den Paprika für später aufschneiden? „Die Paprika“, korrigiert mich Alex. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen, bin ich mir doch sicher, dass beides laut Duden zulässig ist – genau dieselbe Diskussion habe ich schon auf einer anderen Reise geführt und anschließend die Auflösung gegoogelt.

Unsere Vermieterin ist eine ältere Frau, die in ihrem Haus eine Kunstgalerie hat. Bereitwillig zeigt sie uns ihr Atelier, das mit wunderschönem Blick über den Garten im 1. Stock liegt.
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Ebenfalls in ihrem Garten steht noch ein altes armenisches Haus, fast wie ein Museum.
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Obwohl sie nicht besonders gut Englisch spricht, gibt sie sich viel Mühe, uns alles zu erklären. Ihre Vorfahren stammen zum Teil aus Kars, sie nennt es aus „Westarmenien“ (heute Türkei). Nach dem Völkermord wären sie dann ins heutige Armenien geflohen. Ihr Nationalismus ist dabei deutlich spürbar.
Als wir zu Ende geplaudert haben, kommt plötzlich die Sonne durch und der Garten beginnt zu dampfen.
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Etwas entfernt tauchen die frisch verschneiten Gipfel aus den sich rapide zurückziehenden Wolken auf.
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Welch ein idyllischer Ort, sicher einer meiner schönsten Unterkünfte, die ich je auf Reisen hatte und ich bereue es sehr, dass wir hier nur eine Nacht eingeplant haben. Ich ziehe alle Winterklamotten inklusive Skihandschuhe an, denn wir planen, eine kleine Wanderung durch die Schlucht zu machen.
Die Sonneneinstrahlung ist Mitte April auf dem Breitengrad von Süditalien bereits kräftig und alles dampft, als die Sonne die Oberhand gewinnt.
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Es herrscht eine Schwüle, wie man sie bei uns nur im Sommer kennt, dabei kann es kaum mehr als 5°C haben. Gleichzeitig ist es eine echt heftige Temperaturschwankung, denn vor sechs Tagen in Jerewan war tagsüber T-Shirt-Wetter. Ehe wir zehn Minuten gelaufen sind, muss ich schon wieder die Hälfte der Schichten ausziehen, weil mir viel zu warm ist.

Wir folgen dem braunen, aufgewühlten Fluss. Von unten sehen die Felsformationen noch spektakulärer als aus der Ferne aus, fast schon unwirklich und von Menschenhand betoniert.
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Der Himmel zieht allmählich wieder zu, als wir den Startpunkt der ursprünglich geplanten Wanderung bis Havuts Thar erreichen. Ab hier beginnt ein Bergwanderweg und da wir noch Zeit haben, beschließen wir, ihm einfach mal ein Stück zu folgen. Natürlich sind wir sofort wieder komplett allein unterwegs, denn kaum jemand der doch zahlreichen Besucher verlässt die befestigte Straße. Der Umweg hat uns sogar den Eintritt von 50 Cent erspart, den man beim Hauptzugang vom Ortszentrum entrichten muss.
Als wir nach gut 20 Minuten das Tal verlassen und ein Hochplateau erreicht haben, ziehen aus Südwesten bereits wieder dunkle Wolken auf, die mir nicht gefallen.
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Kurz darauf gelangen wir an einen überdachten Picknickplatz und nutzen die Gelegenheit zur Brotzeit. Aus dem Augenwinkel nehme ich ein helles Zucken wahr. Ein Blitz? Ich tue es als Sinnestäuschung ab – das kann ja eigentlich nicht sein. Fünf Minuten später stürmt es und erste Regentropfen fallen. Eine weitere Minute später ist der Wettersturz nicht mehr zu übersehen und wir packen unsere Brotzeit eiligst wieder in den Rucksack. Die Überdachung ist nicht allzu groß und bei dem Sturm werden wir hier nicht trocken bleiben, daher beschließen wir, den Rückweg anzutreten. Pechschwarze Wolken türmen sich am Himmel auf, als wir das Hochplateau hinuntereilen. Der Sturm treibt uns eine Mischung aus Graupel und Schnee ins Gesicht.
Ein heller Blitz. Unmittelbar danach ein Donner, der mir durch Mark und Bein geht. Oh, Sch… Wir rennen los, stürmen den steinigen Weg hinunter. Kurze Zeit später haben wir das Hochplateau verlassen und sind damit zumindest wieder im Windschatten, trotzdem sind wir noch immer auf einem kahlen Berghang unterwegs, nicht gerade der ideale Aufenthaltsort bei einem Gewitter. Es blitzt nochmal, doch dieses Mal vergeht ein Moment bis zum Donner. Für den Rückweg vom Picknickplatz bis zum Ortsrand brauchen wir vermutlich keine zehn Minuten, doch noch ehe wir dort ankommen, lässt der Regen bereits wieder nach und im Südwesten klart es merklich auf. Einmal durchatmen…
Auch Alex hat bereits den ersten Blitz wahrgenommen und als Sinnestäuschung abgetan, ein fataler Fehler von uns beiden, es nicht angesprochen zu haben. Zum Glück ist alles glimpflich ausgegangen, wir sind nicht mal wirklich nass geworden und sprechen einen Mann an, der irgendwie so auffällig herumgeht und aussieht wie ein Taxifahrer. Klar kann er uns zurück in den Ort fahren, fünf Minuten später sitzen wir wieder im Auto und holen die abgebrochene Brotzeit nach. Inzwischen scheint schon wieder die Sonne und die Straße dampft abermals.
Nun sind wir früher wieder zurück als geplant und so bleibt noch Zeit, das Kloster Geghard tief im Tal zu besuchen. Es geht bergauf, teilweise wieder über üble Holperpisten.
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Alex weicht den Löchern und Pfützen im Slalom aus. Die Blüten werden spärlicher und schließlich erreichen wir sogar die Schneegrenze.
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Nach gut 15 Minuten sind wir am Ziel, der letzte Außenposten der Zivilisation, umgeben von leicht verschneiten Felsen auf allen Seiten am Ende der Straße. Hier muss das Leben früher wahrlich asketisch gewesen sein.
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Der Parkplatzwächter will 50 Cent fürs Parken und nachdem wir ihm die Münzen überreicht haben, parken neben uns Einheimische und zahlen nichts. Grmpf, wir hätten es wissen müssen. Obwohl hier, keine 200 m vom Eingang zum Kloster entfernt, noch unzählige Parkplätze frei sind, fahren die meisten noch direkt bis zum Eingang, um dann festzustellen, dass dort keine mehr frei sind und sich dann mit Wendemanövern gegenseitig im Weg rumzustehen.
Ein Hochzeitspaar wird von allen Seiten fotografiert, inklusive Drohnenaufnahmen. Das Sommerkleid muss die Braut erbärmlich frieren lassen, ich habe nun wieder die Winterausrüstung angelegt. Auch viele andere Besucher laufen in unpassender Kleidung herum. Da wundert es mich nicht, dass die dann um jeden Meter im warmen Auto kämpfen.
Geschichtsstunde bei Alex – die unregelmäßig gemeißelten Buchstaben lassen auf einen eher unerfahrenen Handwerker schließen.
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Wir schauen uns ein wenig um, ich suche noch das WC auf, das die üblichen 100 Dram (25 Cent) kostet, bewacht von einer ins Leere starrenden alten Frau, die keine Reaktion zeigt, als ich die Münze in den Teller vor ihr lege. Bereits draußen schlägt mir beißender Gestank entgegen, in einer Kabine ist es stockfinster, weil das Licht nicht funktioniert und der Wasserhahn läuft immer, egal in welche Richtung man den Hebel dreht. Den Preis von zwei Trolleybusfahrten ist das WC definitiv nicht wert.

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Steinmännchen
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Wir treten die Rückfahrt nach Jerewan an, über die holprigen Straßen bergab, durch die blühenden Sträucher mit Blick auf die Berge.
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Wir halten an einer Tankstelle, zunächst auf der falschen Seite – der Fluch des Mietwagens – und der Tankwart winkt uns auf die andere Seite. Tja, und nun die große Frage – Benzin oder Diesel? Steht das nicht auf dem Tankdeckel?, werfe ich ein. Alex ist nicht überzeugt und sucht den Mietvertrag heraus, doch dort findet sich kein entsprechender Hinweis. Ich kann dem russischen Handbuch auf die Schnelle die Information auch nicht entlocken. Der Tankwart wird allmählich ungeduldig, meint, dass das doch ein Benziner wäre. Da wir anschließend weiterfahren können, muss das wohl stimmen...

Es wird wieder sonniger und wärmer, ich ziehe wieder alle Jacken aus.
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Der Verkehr wird immer dichter, während wir uns der Hauptstadt nähern und bald sind wir im Großstadtdschungel. Ein verrosteter Škoda 14Tr kommt uns entgegen, hätten wir doch noch ein bisschen Zeit, da würde ich gern noch eine Runde mitfahren…
Google Maps empfiehlt uns zur Stauumfahrung eine abweichende Route, die angeblich 7 Minuten schneller ist. Ich lotse Alex, hier links, hier am Kreisverkehr rechts. „Wo?“ Da. Ich deute nach rechts. „Was? Da soll ich langfahren?!“ Ein Poller teilt die Straße in zwei Hälften. „Ich glaube, da passe ich nicht durch. Kannst du mal schauen?“ Ich springe schnell raus, hinter uns stehen schon drei andere Autos und es ist fast ein Wunder, das noch niemand hupt. Doch, unser Auto passt durch, trotz Upgrade. Also schnell wieder rein und weiter. Doch oh, wo sind wir denn da gelandet? Die Straßen sind so schmal, dass sich zwei Autos nur an wenigen Stellen passieren können, dazu starkes Gefälle mit teils über 20% und das alles mit unkontrolliertem Gegenverkehr.
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Einige Male entgehen wir nur knapp einem Deadlock, passen gerade noch am Gegenverkehr vorbei. Und hier will wirklich niemand freiwillig rückwärts fahren… Hier rechts. „Wo? Da???“ Sagt zumindest Google Maps…
Alex meistert die anspruchsvolle Slumdurchfahrung souverän, irgendwann kommen wir wieder auf breitere Straßen und bald darauf zur Autovermietung. Doch was nun, die haben keinen eigenen Parkplatz und am Straßenrand ist alles hoffnungslos zugeparkt. Ich steige aus, um bei der Vermietung das weitere Vorgehen abzuklären, während Alex nochmal um den Block fährt. Die Autovermietung hat einen Stand in einem großen Hotel und ich entdecke dort niemanden. Ich frage an der Rezeption nach, die Frau ruft dreimal, ehe die beiden in ein Gespräch vertieften Männer mir endlich ihre Aufmerksamkeit schenken. Welches Kennzeichen denn das Auto hätte, das wir zurückgeben wollen? Uff, keine Ahnung?! Aber schon ein Duster? Ja. Zu dritt stellen wir uns an die Straße, die beiden sprechen nur Russisch. Wir warten 5 Minuten, 10 Minuten. Die beiden werden allmählich ungeduldig. Schließlich sucht der eine etwas auf dem Handy und wenig später erscheint ein Auto auf einer Karte, es ist sicher durch GPS ortbar. An jeder Kreuzung fiebert er regelrecht auf Russisch mit. „Rechts, rechts, rechts!“, als ob er durch pure Willenskraft das Auto schneller herbeizaubern könnte und protestiert lautstark, wenn Alex nicht so fährt, wie er es gewünscht hat. Es wird eine Parklücke direkt neben uns frei und die beiden Männer stellen sich drauf. „Links, links, links!!!“ „Jaaaa!“ Endlich taucht Alex wieder auf, parkt ein und wir räumen unsere Sachen aus dem Auto. Sie quittieren die Rückgabe, ohne nochmal einen Blick drauf zu werfen.
Die große Frage bleibt, ob wir wohl irgendwo geblitzt wurden. Bis mehrere Monate nach der Reise hat Alex allerdings keinen Strafzettel bekommen, also anscheinend nicht.

Wir gehen zu einem nahegelegenen Restaurant, doch zwei sind voll und erst beim dritten werden wir fündig. Zum Abendessen bestellen wir zwei Soljankas und je zwei Chinkhali gefüllt mit Hackfleisch, Hähnchen, Pilzen und Käse. Ich bekomme Wasser mit Kohlensäure, obwohl ich ohne bestellt habe und es sogar noch auf Russisch dazugesagt habe, weil der Kellner irgendwie so unsicher geguckt hat. Bald darauf bekommen wir 8 Chinkhali, alle mit Hackfleisch, aber das bemerken wir natürlich erst, nachdem wir sie gegessen haben. Ungefragt bekommen wir 8 weitere Chinkhali, die ich zuerst gar nicht annehmen will, doch dann heißt es, die ersten 8 würden aufs Haus gehen und jetzt wären es wirklich die unterschiedlichen Sorten. Das Restaurant ist gut besucht und es ist spannend, die Einheimischen beim Chinkhali-Essen zu beobachten. Viele essen sie geschickt durch Reinbeißen und Rausschlürfen der Suppe, aber einige bevorzugen Messer und Gabel, wobei aber leider wie bei mir die ganze Suppe rausläuft. Später stößt noch eine Französin zu uns, die Alex an seinem ersten Tag in Dilijan bei einer Wanderung getroffen hat. Sie hat ein Jahr lang für eine NGO in Jerewan gearbeitet und ist jetzt nochmal für eine Woche zu Besuch. Direkt nach der Begrüßung fragt sie mich: „So I have heard that you are a big train fan. How does that come?“
Nachdem diese Frage geklärt ist, erzählt sie ein wenig über die generelle Situation Armeniens. Mit dem Iran ist man irgendwie in einem Zweckbündnis, hat doch der Iran kein Interesse an einem Konflikt in seinem Norden, wo es auch eine autonome Provinz gibt. Russland stellt sich als Schutzmacht Armeniens und Vermittler im Konflikt mit Aserbaidschan dar, doch so groß ist das Interesse dann auch wieder nicht und außerdem hat man ja jetzt eine ganz andere Front… Die Beziehung mit Georgien hat gelitten, seit sie Waffenlieferungen der Türkei an Aserbaidschan durch ihr Staatsgebiet erlaubt haben. Allerdings befindet sich Armenien als Binnenland ohnehin schon sehr isoliert absolut nicht in einer Position, noch einen weiteren Konflikt vom Zaun brechen zu können.
Allmählich wird es Zeit zum Aufbruch und wir nehmen die Metro ab dem Platz der Republik zum Bahnhof. Es gibt dort keinerlei Info zu Zugabfahrten, doch wir finden unseren Zug am Hausbahnsteig.
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Der Schaffner begrüßt uns – warum auch immer – auf Französisch und wir steigen ein. Das 4er-Abteil teilen wir uns mit zwei Russinnen, eine wohnt in Tbilisi. Im Abteil ist es viel zu warm und leider gibt es keine Möglichkeit, die Temperatur zu regeln. Ansonsten ist die Ausstattung sehr gut, bequeme Sitze, die mit einem Handgriff selbstständig in eine Liege umgebaut werden können, zwei Leselampen pro Liege (an jedem Ende eine) und sogar ein kleiner Safe.
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WC mit abgetrennter Dusche gibt es am Wagenende.
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Und Reservebremsklötze gibt es in der Putzkammer.
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Ein paar Snacks und eine kleine Flasche Wasser gibt es ebenfalls.
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Durch die angebrachten Zollsiegel erspart man sich das ständige Öffnen irgendwelcher Verkleidungen
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Um Punkt 21:30 Uhr pfeift es und der Zug setzt sich in Bewegung. Gemächlich bleibt Jerewan zurück, später klart es auf und der Sternenhimmel leuchtet über dem einsamen Land. Grelle Scheinwerfer strahlen in den Bahnhöfen den vorbeirollenden Zug an, vermutlich um Unregelmäßigkeiten an den Wagen erkennen zu können. Kadong, kadong. Auf schlechten Gleisen geht es langsam voran, wir haben einige Betriebshalte und kreuzen Güterzüge, unter anderem einen der RŽD, wenn ich es richtig gesehen habe. Das bedeutet also, dass er von Russland über Aserbaidschan und Georgien hierher gefahren sein muss. Gegen Mitternacht lege ich mich schließlich hin.

Kurz vor vier werden wir zur Ausreise geweckt. Im Abteil ist es heiß wie in einer Sauna, immerhin lässt sich das Fenster öffnen und frische Nachtluft strömt herein. Nachtzugabteile ohne regelbare Temperatur sind einfach völlige Fehlkonstruktionen.
Die Pässe werden eingelesen, Stempel rein und damit ist die Ausreise erledigt. Wir legen uns wieder hin und bald spüre ich den Ruck, als sich der Zug wieder in Bewegung setzt. Doch es vergeht nicht viel Zeit, bis wir wieder geweckt werden. Eine Frau mit Maske fragt, ob wir was zu verzollen hätten. Die beiden Russinnen werden – auf Englisch - gefragt, was denn der Zweck ihres Aufenthalts in Georgien wäre. Uns werden keine Fragen gestellt. Dann passiert eine Weile nichts. Eine der beiden Russinnen kehrt vom WC zurück und meint, wir müssten aussteigen, dass hätte aber niemand gesagt. Also alle raus in die kühle Nacht. Vogelgezwitscher und Straßenhunde empfangen uns am Bahnsteig um kurz vor fünf. Es dauert eine ganze Weile, bis die Fahrgäste der vier gut gefüllten Wagen ihren Stempel im Pass haben. Der Grenzbeamte mit Maske nimmt meinen Pass mit Plastikhandschuhen durch das winzige Fenster in seinem Kabuff entgegen. „First time in Georgia?“ Yes. „Welcome.“ Stempel rein und wieder zurück ins Warme. Ein Eisenbahner schläft in irgendeiner Baracke im Sitzen.
Schließlich kommt nochmal jemand durch den Zug, kontrolliert, dass jeder einen Stempel im Pass hat und ich schlafe schnell weiter.
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Jean
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Jean »

Wie immer sehr interessanter Bericht.
Für den ÖPNV Ausbau Gegen Experimente und Träuereien. Eine Trambahn braucht einen eigenen Fahrweg, unabhängig vom MIV!
Fahrradwege auf Kosten des ÖPNV braucht keiner!
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Danke :)

Tag 9 Tbilisi

Die Fahrt dauert leider nicht mehr lange, dann werden wir schon wieder geweckt. In Fahrradgeschwindigkeit nähern wir uns Tbilisi, passieren abgestellte Güterwagen. Es ist ein sonniger Morgen, bald ziehen triste Wohnblocks vorbei.
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Kadongkadong. Mit +17 endet schließlich die Fahrt. Schwerfällig steigen wir in den warmen Morgen aus, ich mache noch schnell ein paar Bilder, bevor jemand rummeckert.
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Doch nichts passiert, wir verlassen den Bahnsteig in eine Überführung, die nach einer Mischung aus Einkaufszentrum und Flughafenterminal aussieht. Hier wirkt der Bahnhof nicht so seltsam ausgestorben wie in Jerewan und es gibt ein paar mehr Abfahrten. Innerhalb von etwa einer Stunde gibt es Anschlüsse in alle Richtungen.

Einen richtigen Bahnhofsvorplatz gibt es nicht, wir setzen uns auf eine kleine Mauer, um den Rest vom Gata aus Garni als Frühstück zu verspeisen. Bald taucht ein Straßenhund auf und hofft auf Futter. Er wartet geduldig, legt sich vor uns hin, geradezu darum bettelnd, gestreichelt zu werden.
Wir gehen zur Metro, kaufen eine wiederaufladbare Plastikkarte mit einer Tageskarte für etwa 1,10€, doch die Sperre lässt uns nicht durch. Die Sperrenwächterin, eine ältere Frau, meint „2 minutes“ und tatsächlich funktioniert es dann. Wenn man seine Karte neu auflädt, sollte man es also besser nicht eilig haben.
An diesem Samstagmorgen ist noch nicht viel los, die Georgier sind sympathischerweise eher Langschläfer. Im Gegensatz zu Jerewan rauschen hier die Metrowaggonmasch-Züge flott und ohne Stoßlücken durch den Tunnel und bald sind wir am Liberty Square. Der Eingang zur Metro ist in einer Shopping Mall.
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Auffallend ist, dass hier noch einige Menschen Masken tragen, was in Armenien quasi gar nicht vorgekommen ist.

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Hier stand bis 1991 eine Lenin-Statue, die nun durch St. Georg ersetzt wurde, der in der orthodoxen Kirche verehrt wird.

St. Georg im Detail
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Nun müssen wir noch etwa einen Kilometer durch die Altstadt bis zu unserer Unterkunft laufen, zum Schluss geht es steil bergauf und noch über eine beachtliche Anzahl Treppen. Den Ausblick von unserem Balkon müssen wir uns erarbeiten.
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So reicht der Blick bis zum tief verschneiten Kaukasus, der die Grenze zwischen Georgien und Russland bildet.
Jetzt muss ich erstmal die Jacke ablegen – nach dem frostigen Start in den gestrigen Tag sind die heutigen 20° bei intensiver Sonne ein starker Temperaturschock. Im Gegensatz zu Armenien sind die Bäume hier schon ganz Grün und die Vegetation wirkt generell üppiger als die sehr karge Region um Jerewan.

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Rauf und runter geht es in den engen Gassen der südlichen Altstadt – hier prägen noch mehr Straßentiere das Bild, vor allem zahllose Katzen. Außerdem werden wir immer wieder angebettelt, was in Armenien kaum vorgekommen ist.
Ein paar Eindrücke unseres ersten Erkundungsspaziergangs durch die Stadt:
Kirchtürme und Wolkenkratzer überragen die Dächer der Stadt
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Kleine Cafés und Künstlerateliers finden sich zahlreich in den Gassen
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Verwunschene Altbauten, von denen keine zwei gleich sind, geben viele schöne Motive her
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Rohre braucht die Stadt
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Plastiktüten warten auf ihren nächsten Einsatz – nicht, dass es an ihnen in diesem Land mangeln würde…
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Zahlreiche Graffitis prägen die Altstadt und zeigen die politische Einstellung Georgiens mehr als deutlich
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Umfangreiche Sanierung der alten Häuser ist in vollem Gang
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Rund um den Gudiashvili-Platz ist sie bereits abgeschlossen.
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Dieser Platz könnte ebenso gut in Berlin sein – vom Flair finde ich Tbilsi in diversen Punkten ähnlich.

Die Mutter Georgiens wacht über die Stadt
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Der nördliche Teil der Altstadt ist noch weitgehend unsaniert
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Verlassen wir nun die Altstadt…
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…ups, wie kommt man da jetzt rüber?
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Ah, durch diese Unterführung…
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…mit defektem Boxautomat…
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…und einem verlassenen Kabuff
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Die Straßen und die darauf verkehrenden Fahrzeuge sind viel moderner als in Armenien – man merkt deutlich, dass Georgien viel wohlhabender ist.
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Frühlingserwachen
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Bunter Markt
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Kleiner Park, generell finde ich Tbilisi irgendwie liebevoller gestaltet und einladender als Jerewan
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Großflächige und extrem kunstvolle Graffitis schmücken einige Häuserwände, finde ich immer wieder faszinierend…
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Deutsches Exportprodukt
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Westlich der Innenstadt gibt es eine Mischung aus Wohnblocks…
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…ehe man zur Rustaveli-Straße kommt, einem Boulevard mit Prachtbauten.
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Auf die andere Seite kommt man als Fußgänger allerdings nicht so leicht, man muss erst nach einer Unterführung suchen…
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…kann dann aber durchaus angenehm flanieren.
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Das Parlament
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Ihr habt schon richtig gesehen, da hängt eine EU-Flagge. Und das ist bei Weitem nicht die Einzige, man merkt Georgien den starken Wunsch zum EU-Beitritt an, was aber wohl durch den ungelösten Abchasien- und Südossetien-Konflikt auf absehbare Zeit ein Traum bleiben wird, möchte Georgien nicht den Anspruch auf diese Gebiete aufgeben.
https://www.nzz.ch/international/suedos ... ld.1696570

Tbilisi gefällt uns beiden auf den ersten Blick sehr gut, Alex ist regelrecht begeistert. Auf jeden Fall ist die Stadt für mich eine echte Überraschung, eine hippe, linke Künstlerstadt hätte ich wahrlich nicht erwartet.
Und da sind wir nicht die einzigen, woran erkennt man eine touristische Stadt? An den Hop on-Hop off-Bussen…
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Ich beschaffe noch eine SIM-Karte für 5€ inklusive 4 GB Internet, dann ist es höchste Zeit für ein Mittagessen. Wir landen – wie so oft – in einem Keller als einzige Gäste.
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Endlich finden wir Khachapuri mit Ei, die Butter schmilzt im noch warmen Brot und sorgt für ausreichend Fett, damit es auch schmeckt ;) Rechts ein gulaschähnliches Gericht mit viel frischem Koriander.

Weitere Kunst
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Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht so aussieht, als wären die georgischen Buchstaben in irgendeiner Form den armenischen ähnlich – dem ist nicht so. Weder das Alphabet noch die Sprache sind näher miteinander verwandt.

Ein Lost Place darf nicht fehlen – viele weitere sollten folgen…
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Wir entdecken in der Nähe unserer Unterkunft ein nettes Café mit Tischen draußen und ruhen uns dort aus. Eine alte Frau spielt Klavier, während wir auf den Brownie warten, den ich bestellt habe. Wir stehen schon kurz davor, aufzugeben, da bekomme ich ihn doch noch nach über einer Dreiviertelstunde Wartezeit. Trotz Kaffee brauche ich jetzt eine Pause, die schlaflose Nacht macht sich bemerkbar.
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Der begrenzte Platz in der Altstadt wird leider zu großen Teilen zum Parken beansprucht, das macht Spazieren recht mühsam, weil man ständig Autos ausweichen muss.

Zum Sonnenuntergang brechen wir wieder auf.
Blick auf die stadtdominierende Sameba-Kathedrale
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Blauer Regen am alten Haus
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Eine kleine Erinnerung an den Trambetrieb
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Leider verschwand der Trambetrieb in Tbilisi sowie alle Trolleybusbetriebe (in acht georgischen Städten) innerhalb weniger Jahre zwischen 2000 und 2010.
Einen kleinen Eindruck von der Tram – und wie sehr sich der Straßenzustand seitdem verbessert hat – findet man hier:
https://www.youtube.com/watch?v=28k7LMWvxKc

Werfen wir noch einen Blick in die Sioni-Kathedrale. Die Verehrung von Ikonen ist sehr typisch für die orthodoxe Kirche.
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Über die 2010 eröffnete, gut genutzte Friedensbrücke überqueren wir die Kura.
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Blick zur Mutter Georgiens
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Aus dem Rike-Park gibt es eine Seilbahn zur Nariqala-Festung. Ich halte meine Tageskarte an das Lesegerät, doch nichts passiert. „Not working“, erklärt der Aufseher gelangweilt. Aber auf der Karte steht doch Seilbahn drauf? „Not working“, wiederholt er gleichgültig. Man braucht ein separates Ticket, die in der Tageskarte inkludierte Seilbahn ist irgendeine andere, jedenfalls nicht diese. Für 1,50€ pro Person geht es schließlich los.
Bis wir oben sind, liegt bereits ein Großteil der Stadt im Schatten, der Ausblick ist trotzdem traumhaft.
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Botanischer Garten
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Funkelnde Wolkenkratzer in der Abendsonne
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St. Georg im Großstadtdschungel
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Als die blaue Stunde naht, suchen wir den Weg zu diesem Aussichtspunkt.
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Der ist aber gar nicht so leicht zu finden…
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Das Schöne ist, man muss hier fast nirgendwo Eintritt bezahlen. Dafür bekommt man aber auch nicht mehr an Infrastruktur als einen Parkplatz bereitgestellt. Die Treppen und Wege auf der Mauer sind überhaupt nicht mit Geländern versehen, um Abstürze zu verhindern. So etwas würde es in Deutschland niemals geben. Alex meint noch, hier würde er seine Kinder auf gar keinen Fall hochlassen (die Georgier haben damit allerdings kein Problem) und ich sage dazu nur, dass Wanderwege auch keine Absturzsicherung haben und trotzdem von vielen Familien mit Kindern begangen werden.
Das Sicherheitsverständnis ist in Georgien einfach ein völlig anderes, das beginnt bei Treppen, deren Stufen ungleich hoch sind, sodass man vor allem beim Runtergehen äußerst leicht stolpert. Auch bin ich heute schon mehrmals über irgendwelche Löcher und Kanten auf Gehwegen gestolpert.
Der Weg zum Aussichtspunkt entpuppt sich schließlich als Klettersteig und es erklärt ein bisschen, warum inzwischen fast alle runtergegangen sind und kaum noch jemand hoch – denn der „Weg“ ist natürlich auch nicht beleuchtet – die Scheinwerfer blenden noch zusätzlich und erschweren die Sicht dadurch.

Für den Ausblick über die beleuchtete Stadt lohnt sich die Klettereinlage aber auf jeden Fall…
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So, jetzt aber schnell wieder runter, bevor es stockfinster ist…

Blauer Regen bei Nacht
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Allmählich knurrt mein Magen wieder – Alex dagegen meint zum ersten Mal auf dieser Reise, dass er noch gar nicht so viel Hunger hätte…
Der Weg zurück in die Altstadt führt über eine stockfinstere Treppe, denn keine der Straßenlaternen funktioniert. Auf dem letzten Treppenabsatz, bevor wir wieder unten in der Straße sind, treffen wir auf ein knutschendes Pärchen. „Na, die sind aber nicht weit gekommen…“, kommentiert Alex.
Bald entdecken wir ein Restaurant, das ausnahmsweise nicht im Keller ist und nutzen die Gelegenheit. Wir sind zwar die einzigen Gäste, aber das sind wir ja schon gewohnt. Ein paar Gäste kommen und setzen sich. Nachdem sie die Speisekarte eine Weile studiert haben, brechen sie plötzlich ganz eilig auf, ohne etwas zu bestellen. Die Kellnerin dreht gefühlt alle fünf Minuten die Musik lauter, als ob sie versuchen würde, die Stille krampfhaft zu übertönen. Dann endet die Musik plötzlich, bis die Kellnerin wieder auftaucht, etwas auf ihrem Handy drückt und die Musik wieder einschaltet. Erneut kommen ein paar Gäste, setzen sich an einen Tisch und gehen ein paar Minuten später wieder. Die Kellerin singt mit, während sie die Musik mal wieder lauter stellt. Nach einer halben Ewigkeit nimmt sie dann endlich unsere Bestellung auf. Alex meint nach einer Weile: „Also irgendwas ist hier komisch…“
Es vergehen weitere Minuten, wir sind erschöpft und wollen endlich etwas essen und dann ins Bett. Schließlich kommt die Kellnerin mit frischem Brot, allerdings nicht aus der Küche, sondern von draußen – sie muss es irgendwo anders gekauft haben.
Nach weiteren Minuten bekommen wir dann unseren Pracht-Smoothie, der als „Shelf lemonade“ in der Karte stand, was auch immer das sein soll. „No sugar, just fruits“, betont sie zweimal. Der Smoothie ist mit etwas Schokoladensoße verfeinert, ob die wohl auch zuckerfrei ist? Ist ja auch egal, es schmeckt jedenfalls.
Plötzlich wird es wieder laut, das liegt aber nicht an der Musik, denn die ist inzwischen wieder ausgegangen. Eine Frau plärrt: „Come here! Come up here!“ Ein älterer Herr wankt zwischen den Tischen durch, es wirkt so, als würde er jeden Moment auf die Schnauze fliegen. Zuerst denke ich, dass er stark gehbehindert ist – aber nein, der ist einfach sturzbesoffen. Die beiden setzen sich an einen Tisch und bestellen zwei Bier. Die Kellnerin aktiviert wieder die Playlist, die zu Beginn gelaufen ist.
Der besoffene Mann beginnt, auf seine Frau einzureden. „Stop spending my money. Stop spending my money.“ Endlich bekommen wir unser Essen, nach einer Dreiviertelstunde… Vermutlich mussten auch erst die Zutaten beschafft werden, es ist jedenfalls frisch gekocht und schmeckt lecker. Der Ton beim älteren Ehepaar wird rauer. „Stop spending my money!!! Stop spending my money!!!“, ruft der Mann nun unangenehm laut. Inzwischen ist mir irgendwie der Appetit vergangen, ich bin einfach nur noch übermüdet, überwältigt von den vielen Eindrücken und vom plötzlichen Temperaturanstieg. Alex hat entgegen der vorherigen Behauptung doch Hunger und so leeren sich die Teller doch recht schnell. „Stop spending my money!!!“ Auch an der Bar wird es kurzzeitig lauter, als wäre ein Streit zwischen den Angestellten ausgebrochen, doch die Lage beruhigt sich schnell wieder. Ein paar Minuten später schläft der Besoffene im Sitzen mit weit geöffnetem Mund ein. Irgendwann kommt die Kellnerin und fragt das Ehepaar, ob sie bar oder mit Karte bezahlen möchten. „Do we pay cash or by card?“, fragt die Frau ihren schlafenden Mann. Keine Reaktion, sie wiederholt lauter. Er wacht kurz auf, schnappt nach Luft, schläft sofort weiter. Sie wiederholt ihre Frage, noch lauter, fast schreiend. Keine Reaktion. Sie dreht sich Beifall heischend zu uns um. „And this is my husband…“ Sie klatscht ihm ins Gesicht. „CASH… OR… CARD?!?!?!“ Sie betont jedes einzelne Wort. Allmählich wird mir das alles zu wild, ich kann vor Müdigkeit kaum noch aufrecht sitzen und bitte darum, dass übrige Brot einzupacken und die Rechnung zu bringen. 115 Lari, „Service“ ist durchgestrichen und handschriftlich durch „Steuer“ ersetzt worden. 115, wie viel ist das nochmal? Wenn 2,5 Lari 1€ sind, sind 10 Lari 4 € und 100 Lari also 40€ und 115… ähm… Wir scheitern an dieser mathematischen Aufgabe am späten Abend, legen 120 auf den Teller. Die Kellnerin steht an der Bar und es ist wieder laut geworden, ich gebe ihr den Teller mit dem Geld und wir machen, dass wir davonkommen, bevor hier noch die Polizei auftaucht und endlich ins Bett… Zu viele Autos kämpfen sich durch die zu engen Gassen, an einer Stelle gibt es einen Deadlock. Ein Taxi hat sich so weit zwischen ein geparktes Auto und den Gegenverkehr gequetscht, dass keiner mehr richtig zurückfahren kann. Schließlich drückt der Taxifahrer einfach aufs Gas und dass er dabei das geparkte Auto nicht berührt, ist pures Glück, denn dazwischen sind eher Millimeter als Zentimeter.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 10 Tbilisi

Für heute haben wir einen Tagesausflug zum Kloster David Gareja geplant. Es liegt abgelegen in einer Halbwüste und hat keinerlei ÖPNV-Anbindung. Bis vor einigen Jahren gab es tägliche Busabfahrten eines privaten Betreibers ab Tbilisi, doch die scheinen die Coronazeit nicht überstanden zu haben. Es bleiben uns drei Möglichkeiten – Teilnahme an einer Touristentour, nochmal ein Auto für einen Tag mieten oder ein Taxi nehmen. Aufgrund der begrenzten Zeit verwerfen wir Variante 2, und da Variante 1 und 3 etwa gleich teuer sind, wählen wir Variante 3. In Georgien gibt es eine offenbar recht beliebte Webseite namens GoTrip, über die man ein Auto mit Fahrer buchen kann. Der Preis berechnet sich ausschließlich nach der Entfernung, der Fahrer legt auf Wunsch Fotostops ein und wartet, wenn man etwas besichtigen möchte. Man kann den Fahrer selbst auswählen, ich habe bei der Buchung gestern Abend den ersten in der Liste genommen, der als Sprache auch Englisch angegeben hat.
Wie vereinbart wartet der Fahrer um Punkt 10 in der Nähe unserer Unterkunft auf uns. Zunächst versucht er, auf der 25% steilen Straße anzufahren – der Effekt: Es stinkt nach verbranntem Gummi und wir rühren uns nicht vom Fleck. Neuer Versuch, selbes Ergebnis. „Ok, we will go back“, meint der Fahrer schließlich. „That was the most difficult part.“ Ich bin froh, einen Fahrer mit Englischkenntnissen ausgewählt zu haben, denn wir kommen schnell ins Gespräch. Wir schätzen ihn auf etwa 30. Er arbeitet im Rohstoffhandel und war noch nie im Ausland. Das ist für mich fast unvorstellbar, komme ich doch allein aufgrund meines Wohnorts regelmäßig in zwei weitere Länder und nur auf dieser Reise werde ich sechs Länder besuchen. In einem Monat wird er auf Dienstreise nach Istanbul fliegen, was auch sein erster Flug sein wird.
Über eine Ausfallstraße bleibt Tbilisi zurück, es ist Sonntagmorgen und nur wenig Verkehr. Am Stadtrand steht eine Statue „Man and the sun“, nach Norden blickend. Und warum – weil für Georgien die Sonne früher von Moskau aus aufging…
https://geotraveltime.ge/about-georgia/man-fire/

Der Fahrer spielt uns georgische Musik vor – aber herrje, muss man denn unbedingt im dichten Verkehr auf der Handy-Playlist nebenbei nach dem richtigen Song suchen? Eine Weile unterhalten wir uns über Musik, dann wird mit Alex bald das Thema Fußball gefunden und meine Gedanken schweifen ab. Wir haben die gut ausgebaute Straße zurückgelassen und sind nun auf einer normalen zweispurigen Landstraße unterwegs, nur die Spuren sind etwas breiter als gewöhnlich. Ständig überholen Autos, obwohl alle in einer einzigen Kolonne hintereinander herfahren. Immer wieder muss der Gegenverkehr deswegen in die Bankette ausweichen. Außerdem sind die Sicherheitsabstände viel zu gering, denn durch das Reinquetschen der Drängler müssen alle abrupt abbremsen. Da hilft es auch nicht unbedingt, wenn man nebenbei noch Fußballvideos auf dem Handy sucht. Jemand versucht sogar, den inzwischen etwas zähflüssigen Verkehr rechts über die Bankette zu überholen, doch die Schlaglöcher sind dort derart tief, dass der Fahrer schließlich langsamer fahren muss als auf der Hauptfahrbahn – wie kann man bitte so ungeduldig sein, dass man freiwillig durch riesige Schlaglöcher fährt, wenn man auch einfach nebendran auf der geteerten Straße fahren könnte?
Schließlich verlassen wir die Hauptstraße und folgen einer einsamen Landstraße nach Süden. Nun begegnen uns nur noch wenige Fahrzeuge. Wir passieren Mandelbaumplantagen, allmählich werden die Bäume weniger und die Landschaft hügeliger. Große Schafherden werden in den Weiten der Steppe von Hunden und Schäfern bewacht.
Zeit für den ersten Fotostop an einem Salzsee.
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Schließlich folgt Udabno, das letzte Dorf. Danach bevölkern nur noch Kühe und Schafe die endlosen Weiden – ich frage mich, wohin sie gehen, wenn im Sommer das Gras verdorrt.
Nochmal 20 km führt die Straße weiter und die Steppe weicht einer Halbwüste. Mitten im Niemandsland, direkt an der Grenze zu Aserbaidschan, liegt das Kloster David Gareja. David Gareja war ein Mönch in Tbilisi. Er hatte eine Affäre mit einer Frau, sie wurde vom ihm schwanger und er konnte nicht verhindern, dass sie dafür gesteinigt wurde. Im Anschluss ging er in dieses Kloster in der Einöde.
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Vermutlich stammt das Kloster aus dem 6. Jahrhundert und dessen Lage ist mit Bedacht gewählt – es befindet sich in einem auffällig grünen Einschnitt. Hier wachsen die einzigen Bäume weit und breit.

Die Mönche wohnten in Höhlen
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Durch in den Fels geschlagene Rinnen wurde das wenige Wasser aufgefangen und in Zisternen geleitet. Dadurch konnten kleine Felder bewässert und in geringem Umfang Viehhaltung betrieben werden. Dennoch muss es ein äußerst asketisches Leben gewesen sein.
Bis 2019 konnte man den Hügelkamm besteigen, wo sich außerdem weitere Kapellen und Wohnhöhlen befinden. Doch es kam zu Grenzstreitigkeiten mit Aserbaidschan und seitdem bewachen bewaffnete georgische Soldaten den Hang und verhindern, dass jemand das umstrittene Gebiet betritt.

Während der Besichtigung hat uns der Führer die ganze Zeit begleitet und man merkt, dass er es nicht zum ersten Mal macht. Außerdem kennt er viele nette Anekdoten über das Land.
In Georgien ist es sehr weit verbreitet, Menschen aus bestimmten Landesteilen bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben. So gelten Menschen aus dem Norden als sehr ehrlich, im Osten als sehr geschäftstüchtig und Armenier als sehr sparsam. Der Fahrer erzählt dazu folgende Anekdoten: Ein Kunde kommt in ein Porzellangeschäft und fragt nach einer Linkshändertasse. Im Norden würde man antworten, dass es so etwas gar nicht gebe. Im Osten würde der Verkäufer sofort eine beliebige Tasse nehmen und sie als speziell für den Kunden angefertigte Linkshändertasse anpreisen.
Auch zu den sparsamen Armeniern hat er einen Witz parat. Die Familie versammelt sich um das Bett des sterbenskranken Familienvaters. Bevor er seine letzten Worte spricht, erkundigt er sich: „Ist das Licht in der Küche aus?“

Im Anschluss an die Klosterbesichtigung erkunden wir noch die sehr sehenswerte Umgebung. Aufgrund der besonderen Farben wird sie Rainbow mountains genannt.
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Es gibt hier keine markierten Wanderwege, aber zahlreiche Trampelpfade und das Gelände ist nicht schwer zu begehen. Ein paar wenige weitere Menschen suchen nach dem perfekten Fotospot. Die bunten Schichten sind aufgefaltete Sedimentschichten, teilweise stark salzhaltig, was man an den weißen Spuren erkennt. Ich habe mich übrigens bemüht, die Fotos möglichst natürlich wirken zu lassen, so wie die Landschaft auch ausgesehen hat, als wir darin unterwegs waren. Googelt man nach Fotos, sind diese oft schrecklich übersättigt, als wäre jemand mit dem Farbeimer durch die Gegend gelaufen und hätte alles angestrichen.
Salzablagerungen im Detail
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Unterwegs in den bunten Sedimenten
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Interessant finde ich, dass bestimmte Bereiche (fast) vollständig vegetationslos sind, andere dagegen tiefgrün.

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Auch hier fällt es auf, dass auf dem rostbraunen kleinen Hügel in der Bildmitte kein einziger Grashalm wächst. Auch wenn es aus der Ferne so wirkt, sind die bunten Schichten größtenteils kein Fels.
Hier nochmal der Hügel aus der Nähe – ich kann mühelos die kleinen Bröckchen mit der Hand einsammeln und dann mit etwas Kraftaufwand in der Hand zermahlen.
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Meine einzige Erklärung für die starken Vegetationsunterschiede ist, dass bestimmte Sedimente so salzhaltig sind, dass keine Pflanzen damit zurechtkommen.

Bestimmte Bereiche sind klassischer Sandstein
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Mitten durch die surreale Landschaft fließt ein Bach, rundherum sprießt die Vegetation
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Noch mehr rostbraune Erdhaufen und Sandsteinschichten
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Ein berittener Hirte
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Verlässt man das recht überschaubare Gebiet der Rainbow Mountains, sieht die Landschaft wieder ganz „normal“ aus
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Und ehe wir zurückkehren mein Lieblingsbild nach einer kurzen Kletterpartie auf einen der Hügel.
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Für diesen Ausflug war heute genau das richtige Wetter, nicht zu kalt und nicht zu heiß und die bunten Hügel bleiben mir in bester Erinnerung.
Wir fahren also wieder zurück, in Udabno hält der Fahrer kurz an, um uns frisches georgisches Brot bei einer alten Frau zu kaufen. Der Duft füllt das Auto, wie lecker…
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Georgische Straßen sind genauso abenteuerlich wie die Fußwege. Die Trassierung bringt immer wieder gefährliche fehlende Sichtlinien mit. Wie schnell würdet ihr hier fahren?
https://maps.app.goo.gl/HpnAKAcKYJ2Ss5rw8
Entspannte 100 schaffen die Georgier hier locker, ist ja eh kein Verkehr, oder?
https://maps.app.goo.gl/gJzpV9BdHxumse3x6
Achso, da geht es ja gar nicht geradeaus? Also doch, es geht schon geradeaus, aber halt nicht auf der Straße…
Umgefahrene Leitpfosten an mehreren Kurven dieser Art bestätigen, dass sich da immer mal wieder jemand verschätzt hat.

Nachdem wir zweimal anhalten mussten, bis Schafe von der Straße runtergegangen sind, erreichen wir wieder die stark befahrene Hauptstraße nach Tbilsi, wo die wilden Überholmanöver unverändert weitergehen. Die Hauptstraße nach Tbilisi heißt übrigens George W. Bush-Straße, das würde es in Deutschland wohl auch nicht geben. Bush war der erste US-Präsident, der Georgien besucht hat.
Etwa 80€ kostet uns der heutige Ausflug und ich brauche zuerst mal einen Geldautomaten. Der erste funktioniert nicht, der zweite will Gebühren, beim dritten klappt es dann endlich gebührenfrei. Habe ich nicht erst gestern 200€ abgehoben? Wo sind die denn schon wieder hin?

Am Abend brechen wir zur Sameba-Kathedrale auf. Blick über den Fluss zum Mtatsminda-Berg
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Dieser Platz heißt – wer hätte das gedacht – Europe Square.
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Das Stadtbild ist sehr abwechslungsreich, links ragt die Sameba-Kathedrale empor.
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Busbahnhof an der Metrostation Avlabari – welch Unterschied zu Jerewan. Auf den Marschrutkas sind übrigens Hinweisschilder auf EU-Unterstützung.
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Ein bisschen Kabelsalat
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Der Spaziergang stellt sich als weiter heraus als gedacht, von der Terrasse unserer Unterkunft sieht die Kathedrale so nah aus und zudem hat die Straße keinen Gehweg.

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Geschafft – die Kathedrale wurde 2004 nach acht Jahren Bauzeit eröffnet. Angeblich stammt das Geld von einigen reichen Spendern, doch der Bau war nicht ohne Kontroverse, wurde dafür doch ein alter armenischer Friedhof größtenteils überbaut.
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Wir bleiben bis zur blauen Stunde, ein prächtiger Anblick.
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Blick zum Mtatsminda
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Das Tor zum Verkehrschaos
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Unser Magen macht sich wieder bemerkbar und wir kehren in die Innenstadt zurück. Benutzt man nicht die Fußgängern vorbehaltene Friedensbrücke, muss man durch eine Unterführung und quert dann unterhalb der Straße den Fluss. Um den Weg durch die Unterführung zu verschönern, gibt es eine Fotoausstellung, unter anderem mit Bildern aus dem Ahrtal nach der Flut 2021. Wir durchqueren den rustikalen nördlichen Teil der Altstadt mit den schiefen Holzhäusern, die mattgelb beleuchtet sind. Alex entdeckt ein nettes Kellerrestaurant, doch als wir die Tür öffnen, ruft uns jemand zu, dass heute geschlossen ist. Doch ein anderer winkt uns herein und meint, wir sollten uns zu ihnen gesellen. Um einen üppig gedeckten Tisch sitzen vier Männer zwischen 40 und 60 beim Abendessen. Kaum sind wir eingetreten, wollen sie uns auch schon Wein einschenken. Der Osten Georgiens ist für seinen Wein bekannt. Auch wenn es eine nette Überraschung ist, fühle ich mich etwas unwohl damit, außerdem habe ich Hunger. Der Restaurantbesitzer ist in diesem Haus aufgewachsen und zeigt uns Familienfotos. Es vergeht nicht viel Zeit, dann werden wir auch schon dazu überredet, das Chakapuli zu probieren. Diesen Eintopf, üblicherweise aus Lammfleisch und Kirschpflaumen, wollten wir ohnehin noch essen. Die älteren Herren sprechen kein Englisch, der Gastgeber zumindest einigermaßen. Und wie bringt man Männer unterschiedlicher Kulturen zusammen – über Alkohol und Fußball. Alex und die älteren Herren sind innerhalb von Minuten in ein „Gespräch“ über Fußball vertieft und offenbar verstehen sie einander problemlos ganz ohne gemeinsame Sprache. Es reicht schon, den Namen eines Spielers oder eines Fußballteams zu nennen und schon nicken alle wissend.
Der Gastgeber setzt zum Trinkspruch an. „Auf unser Land. Auf Georgien. Auf Deutschland. Auf den Frieden.“ Dann wird angestoßen und getrunken. So geht das alle paar Minuten. Bei der Fußballdiskussion bin ich raus und genieße stattdessen den Eintopf, der wirklich köstlich schmeckt. Da protestiere ich gar nicht mehr, als wir noch eine zweite und eine dritte Portion aufgedrängt bekommen, denn ich habe ordentlich Kohldampf und ahne, dass wir heute nirgendwo mehr Abendessen gehen werden. Nach über einer Stunde und etlichen Trinksprüchen ist Alex dann auch bereit zum Aufbruch, denn er wird noch heute Nacht zurückfliegen.
Wir kehren zurück zur Unterkunft, wieder heißt es Treppensteigen. In dieser Stadt macht man echt Höhenmeter… Es ist frisch geworden, als wir auf unserer Terrasse Platz nehmen. Alex beschließt, noch eine Mütze Schlaf einzusammeln, ehe er seinen Flug zur attraktiven Uhrzeit von 2:40 Uhr besteigen muss.
Ich setze mich auf die Terrasse mit Blick über die Lichter der Stadt.
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Eine Katze bleibt auf dem Giebel des Nachbarhauses sitzen und so bekomme ich Zeit, eine Aufnahme mit Stativ umzusetzen.
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Endlich komme ich dazu, wieder am Reisebericht weiterzuschreiben. Seit Garni bin ich nicht mehr dazugekommen, das kommt mir schon wie eine Ewigkeit her, dabei war es erst vorgestern. Ich schreibe anderthalb Stunden hochkonzentriert und merke gar nicht, wie durchgefroren ich bin, bis sich Alex zum Aufbruch vorbereitet. Und so schnell vergehen 10 Tage… Um Mitternacht holt ihn das Taxi unten am Hauptplatz ab, ich gehe ein letztes Mal für heute den Berg hoch. Jemand spricht mich an. „Can you help us?“ Tja, und worum geht es? Ein Auto steht in 30% Steigung und kann nicht mehr anfahren. Wir schieben zu viert an, dann gelingt es irgendwie, das festgefahrene Auto zu befreien.
Eigentlich wollte ich noch den heutigen Tag im Reisebericht vervollständigen, doch ich kann mich vor Müdigkeit nicht mehr auf das Schreiben konzentrieren und schlafe schnell zu den dumpfen Klängen der Partys und dem Brummen der Stadt ein.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 11 Tbilisi

Heute ist es bedeckt und recht frisch. Ich gehe Richtung U-Bahn. Woran merkt man, dass Tbilisi eine Touristenstadt ist? An den Kühlschrankmagneten.
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Bisschen Nationalstolz muss sein
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In der U-Bahnstation lade ich wieder eine Tageskarte auf und muss abermals zwei Minuten warten, ehe ich durch die Sperre kann. Der Metrowaggonmasch-Zug tanzt wild, während er durch den Tunnel rast. Die U-Bahn ist hier deutlich besser genutzt und viel schneller als in Jerewan. Da vermutlich auch hier Fotografieren in der U-Bahn verboten ist, gibt es nur ein unauffälliges Handyfoto aus dem Zug, die innen wie außen in den georgischen Nationalfarben gehalten sind. Die Stationen sind im klassischen Sowjetmetro-Stil gebaut, liegen tief unter der Erde und haben flotte Rolltreppen.
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Für eine Mitfahrt bitte hier entlang:
https://www.youtube.com/watch?v=KG0nAXH2uko

Im Norden der roten Linie gibt es einen oberirdischen Abschnitt, der an einem Lokschuppen vorbeiführt. Ich steige aus, um ihn mir von der vorbeiführenden Fußgängerbrücke näher anzusehen.
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Eine Metro fährt in stadteinwärtiger Richtung in den Bahnhof Gotsiridze ein, der an einem Abstellbahnhof liegt.
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Daneben gibt es ein paar Schrebergärten…
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…und jemand wittert seine Chance, Müll loszuwerden.
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Die Brücke wird in beißenden Qualm gehüllt und ich versuche, beim Überqueren möglichst wenig einzuatmen.

Mit dem Bus fahre ich weiter stadtauswärts und bin wenige Minuten später am Busbahnhof Didube.
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Äh, wo ist hier ein Busbahnhof?

Ich besteige eine Fußgängerbrücke.
Hier gibt es also einen großen Kreisverkehr…
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…eine Spendenbox für Heilige, die ich in Georgien an vielen Orten entdeckt habe…
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…ein altes Anschlussgleis zwischen Baracken…
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…den Zugang zur Metro durch Marktstände…
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…Kofferraumverkäufer…
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…und ich komme zum Schluss, dass die irgendwo zwischen den Buden kreuz und quer geparkten Marschrutkas wohl der „Busbahnhof“ sein müssen.
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Noch ein schnelles U-Bahnfoto…
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…ehe es weiter bis zur nördlichen Endstation geht, die inmitten großer Wohnblocks liegt.
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Mit der Buslinie 308 kann ich laut Google Maps von hier wieder zurück in die Innenstadt fahren und laut DFI kommt sie erst in 15 Minuten, sodass ich mich noch ein wenig umschauen kann.
Omas verkaufen ihre Erzeugnisse aus dem heimischen Garten
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Interessante Straßenraumaufteilung – es handelt sich um eine Einbahnstraße für den MIV, die Busse fahren auf eigener Spur ausschließlich in die Gegenrichtung. Jenseits der Blocks ist es genau umgekehrt – der MIV fährt nur stadteinwärts, die Busse nur stadtauswärts. So wirklich erklären kann ich mir diese ungewöhnliche Verkehrsführung nicht. Rechts ist übrigens einer der sehr wenigen Radfahrstreifen in der Stadt und er wird eher zum Anhalten als für seinen eigentlichen Zweck gebraucht.

Und wo geht es hier lang?
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In eine leere Gasse.
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Schließlich kommt mein Bus und ich setze mich in die erste Reihe. Die LSA-Schaltungen wirken sehr zufällig, weder gibt es eine grüne Welle für den MIV noch eine Vorrangschaltung für den ÖPNV. Die Busse halten an jeder Haltestelle, auch wenn niemand aus- oder einsteigen möchte, was viel Zeit kostet, da der nur mäßig ausgelastete Bus an etwa jeder dritten Haltestelle durchfahren könnte.
Unterwegs entdecke ich nur eine ungewöhnlich breite Brücke als Relikt der Tram, außerdem einige Aufhängungen für die Trolleybusfahrleitung. Die Spuren des elektrischen ÖPNV sind weniger als zwei Jahrzehnte nach der Stilllegung bereits nahezu vollständig aus dem Stadtbild verschwunden. Der Busfahrer gibt sich gar keine Mühe, Busbuchten ordentlich anzufahren, sondern bleibt einfach auf dem rechten Fahrstreifen stehen, um möglichst einfach wieder anfahren zu können. Die Fahrt führt durch ein schön saniertes Altbauviertel, leider mit viel Kopfsteinpflaster, was offenbar dem vielen Verkehr nicht gewachsen ist und bereits recht kurz nach der Sanierung viele Löcher aufweist.
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Nach etwa 50 Minuten steige ich auf der Rustaveli-Straße aus, das entspricht immerhin einem Durchschnitt von rund 17 km/h.

Durch die Jugendstilvillen von Sololaki kehre ich zur Unterkunft zurück. Sie haben ihren ganz eigenen, morbiden Charme.
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Zwischen all den verfallenen Fassaden wirkt dieses bunte, hübsch hergerichtete Café ähnlich surreal wie die Rainbow Mountains in der Steppe…
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Ich nehme noch einen Umweg und mache ein paar Bilder in den verwinkelten, steilen Gassen
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Der hübsche Aussichtspunkt an der Betlemi-Kirche
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Einfach nur ein genialer Name…
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Und wieder hoch die Stufen, diese Stadt hält fit…

Den letzten Abend verbringe ich mit einer Nachtfototour.
Die Laternen leuchten auf
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Rohre in jede Richtung
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Blick zur Sameba-Kathedrale
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Frisch sanierte Prachtbauten am Gudiashwili-Platz
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Heute Abend möchte ich mir vor allem den unsanierten, nördlichen Teil der Altstadt anschauen.
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Ein hell beleuchtetes Geschäft zwischendrin
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Diese schiefen Häuser wirken wie ein enormer Abenteuerspielplatz und bieten schier unendlich viele Fotomotive. Ich könnte hier die ganze Nacht bleiben…
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Hier 40 zu fahren ist schon Kamikaze…

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Nach etwa einer Stunde habe ich die Erkundung abgeschlossen und gelange wieder an die Friedensbrücke.
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Welch ein Kontrast zwischen den stillen, dunklen Gassen und der grell beleuchteten Kneipenmeile. Vermutlich wird es die schiefen Holzhäuser in wenigen Jahren nicht mehr geben – Tbilisi ist auf jeden Fall eine Stadt mit sehr unterschiedlichen Charakteren und hätte auch noch für weitere Tage zum Entdecken eingeladen.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 12 Tbilisi → Kutaissi

Kurz nach acht verlasse ich die Unterkunft, hieve meinen Koffer die Treppen hinunter. Die Straßen sind wie ausgestorben, kaum ein Auto ist unterwegs. Aber heute ist doch Werktag, oder? Ich habe den Überblick verloren, welcher Wochentag ist. Doch, heute ist Dienstag. Ich fahre ein kurzes Stück mit dem Bus, um den Koffer nicht wieder über das holprige Pflaster bis zur U-Bahn zerren zu müssen. Er ist gut gefüllt. Die meisten Geschäfte haben noch geschlossen, nur in einigen 24h-Supermärkten und Wechselstuben warten ins Handy vertiefte Mitarbeiter vergeblich auf Kundschaft.
Die U-Bahn kommt alle drei Minuten und ist auch sehr gut gefüllt, ein starker Kontrast zu den noch menschenleeren Straßen. Wenig später bin ich am Bahnhof, der von außen kaum als solcher zu erkennen ist.
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Und von innen? Naja, ein wenig zumindest…
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Auf mich wartet bereits ein 9-Wagen-Zug.
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Mein Sitzplatz ist der Super-GAU.
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Theoretisch habe ich zwar einen Fensterplatz, doch es handelt sich um einen Wandfensterplatz der Extraklasse. Aus den kleinen Fenstern sieht man aus jeder zweiten Sitzreihe überhaupt nicht nach draußen. Bis zur Abfahrt sind fast alle Sitzplätze belegt, neben mir hat eine junge Frau Platz genommen und setzt sich sogleich eine Schlafmaske auf, um weiterzuschlafen. Das versucht sie ungefähr zehn Minuten, dann gibt sie auf. Inzwischen rumpelt der Zug durch abgestellte und ausgeschlachtete Wagen. Es ist ziemlich kalt im Zug und die Scheiben beschlagen allmählich. Zeitweise geht es auch mal schneller voran, die meiste Zeit zuckeln wir allerdings mit 30 bis 50 dahin, kein Wunder also, dass die Fahrt ewig dauert. Die Blicke, die ich nach draußen erhaschen kann, sind jedenfalls vielversprechend. Eine schöne Landschaft zieht vorbei, zeitweise recht trocken, dann wieder grüner mit bewaldeten Hügelketten. Die Frau neben mir daddelt eine Weile am Handy, dann legt probiert sie es nochmal mit Schlafen. Als sie nach einiger Zeit wieder die Augen öffnet, nutze ich die Gelegenheit, um aufzustehen und zum geöffneten Fenster im Vorraum zu gehen. Inzwischen hat die Sonne den Wagen merklich aufgeheizt, auf der Südseite haben die meisten Fahrgäste bereits die Vorhänge zugezogen.
Irgendwann gibt es einen längeren Aufenthalt und viele Fahrgäste steigen zum Rauchen aus, ein guter Hinweis, wann die Gelegenheit für ein paar Fotos günstig ist.
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Ältere Frauen bieten lautstark Khachapuri an.

Schließlich geht es weiter und der Zug windet sich gemütlich die Berge empor.
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Kreuzung mit dem KISS, dem Stolz der georgischen Bahn
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Chinesische Bauarbeiter werkeln an einer Neutrassierung der Strecke, hier links im Bild.
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Ein Teil der Neutrassierung ist bereits fertiggestellt, aber wirklich viel schneller fahren wir trotzdem nicht. Überall sind Bauarbeitertrupps im Gleis unterwegs, pinseln irgendwas mit Öl oder Farbe ein, bearbeiten den Schotter mit Spitzhacke und Schaufel, andere stehen mit eingerollten gelben Fahnen an den unzugänglichsten Stellen – Eisenbahn wie aus einem anderen Zeitalter.
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In Rioni, wenige Kilometer vor Kutaissi, hält der Zug nochmal länger an.
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Eine Bremsprobe wird durchgeführt, erst spät bemerke ich, dass nur zwei Wagen nach Kutaissi fahren, die anderen vermutlich nach Ozurgeti. Die letzten Kilometer sind noch langsamer, die meiste Zeit wohl mit weniger als 30 km/h und so dauert es nochmal eine halbe Stunde, in der es mangels nennenswerten Fahrtwinds schon unangenehm heiß im Wagen wird. Viele Fahrgäste stehen bereits auf und können die Ankunft kaum erwarten. Dann, endlich, mit Quietschen und einem kräftigen Ruck ist mit +4 Kutaissi erreicht.
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Ist das eine Hitze hier… 25° bei sengender Sonne, vor vier Tagen hat es noch geschneit.

Mein Vermieter will sich als Fahrer geradezu aufdrängen, aber ich habe noch eine Nachmittagswanderung vor und da wäre das eher hinderlich. Um 16 Uhr sollte eine Marschrutka Richtung Tkibuli fahren, die in der Nähe des Klosters Gelati vorbeikommt, wo ich hinmöchte. Hier sind sie längst nicht so modern wie in Tbilisi und es ist alles nur auf Georgisch angeschrieben.
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Ich vergleiche die Buchstaben mit meiner Karte, als bereits ein Mann kommt und fragt, wo ich hinwill. Das ist also das richtige Fahrzeug.
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Nach etwa zehn Minuten Fahrt steige ich aus, muss aber noch rund zwei Kilometer entlang einer Landstraße den Berg hochlaufen. Auf halber Strecke entdecke ich einen Feldweg, der laut maps.me auch zum Kloster hochführt. Ich folge ihm zehn Minuten, dann ist er durch dieses Tor blockiert.
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Also muss ich wieder zurücklaufen und doch der Straße folgen. Ein Straßenhund kommt zu mir und folgt mir den gesamten Weg bis zum Kloster.
Überall lauern Gefahren…
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Trotz aller Hürden erreiche ich schließlich das Kloster aus dem 12. Jahrhundert, welches zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.
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Nachdem ich mich ein wenig umgeschaut habe, setze ich meinen Weg fort.
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Ein Mann treibt drei Kühe einen Waldweg hinauf, doch eine nimmt eine Abzweigung nach rechts und trottet den falschen Weg weiter, allen Rufen und Flüchen des Mannes zum Trotz. Er stürmt schließlich durch das Unterholz und wirft einen Stock, um die Kuh zu stoppen und sie mit zahlreichen weiteren Flüchen auf den richtigen Weg zurückzutreiben. Im weiteren Verlauf des Weges durch den Wald treffe ich niemanden mehr.
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Erst als ich mich wieder einer kleinen Siedlung nähere, höre ich schon von Weitem die Hunde bellen, die sich gegenseitig anstacheln. Eine Kuh muht am Wegesrand, als ich sie passiere. Weitere Kühe mustern mich kurz und wenden sich dann wieder dem Gras zu.
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Währenddessen kläfft sich ein Hund auf dem angrenzenden Grundstück die Seele aus dem Leib, zum Glück hinter einem Zaun.
Durch dichten Wald steige ich bergab.
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Bald erreiche ich einen kleinen Fluss, den ich überqueren muss, wofür es die Hängebrücke gibt.
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Aber was für eine Hängebrücke…
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Sie schwankt leicht, als ich sie betrete. Fünf Meter unter mir rauscht das kristallklare Wasser durch, während ich mich auf beiden Seiten festhaltend so zügig wie möglich voranarbeite, ehe mich der Mut verlässt.

Die morschen Bretter kurz vor dem Ende sind der Höhepunkt, dann habe ich es sicher ans andere Ufer geschafft. Ein Abenteuer, dieses Land…
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Ich folge dem besser ausgebauten Weg bergauf zum nächsten Kloster.
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Ein Mönch singt leise vor sich hin, ein Verkäufer hängt hinter seinem Handy. Als ich eintrete, verstummt der Mönch, offenbar überrascht von einem Besucher zu recht später Stunde am Abend. Nachdem er mich kurz angeschaut hat, setzt er seinen Gesang fort.
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Blick in die Schlucht
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So, aber wie komme ich jetzt zurück nach Kutaissi?
Auf jeden Fall leider nicht mit der Bahn, deren Haltepunkt direkt am Kloster ist…
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Funfact am Rande – an einem Bahnübergang auf der Hinfahrt gab es einen besetzten Schrankenposten, an einer Strecke, auf der wohl schon sehr lange kein Zug mehr gefahren ist und wohl auch demnächst keiner mehr fahren wird…

In der Schlucht hatte ich gar keinen Empfang, hier oben dagegen zum Glück schon. Die Yandex App funktioniert und ich kann mir tatsächlich ein Taxi herbestellen, sonst hätte ich nochmal über drei Kilometer bis Kutaissi zurücklaufen müssen.
Nach einer kurzen Fahrt bin ich zurück im Zentrum, das einen hübschen Brunnen bietet.
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Nun gönne ich mir ein üppiges Abendessen – irgendwie fehlt mir die bisher stets angeregte Diskussion über die Zusammenstellung des Mahlzeit mit Alex und komisch angeschaut werde ich bei meiner Bestellung auch nicht.
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Der gemischte Salat mit Walnüssen ist mal eine leckere Idee, die Portion ist allerdings so riesig, dass ich gerade mal die Hälfte schaffe und mich morgen nochmal über das leckere Essen freuen kann.
Auch abends gibt die Stadt was her, doch ich bin für heute müde und gehe zurück zu meiner Unterkunft.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 13 Kutaissi

Der Vermieter aus Tbilisi ist sehr unglücklich über meine ehrliche Bewertung bei Airbnb. Sehr gute Bewertungen scheinen hier einen enormen Stellenwert zu besitzen, fast alle Restaurants haben bei Google mehr als 4 Sterne.
Heute ist es noch wärmer als gestern. Ich fahre mit dem Stadtbus in die Innenstadt, meine Kreditkarte wird zur Zahlung anstandslos akzeptiert. Im Bus herrscht Sauna, denn die Klimaanlage funktioniert nicht und ein paar Klappfenster bringen kaum Abkühlung. Ich setze mich erstmal auf eine schattige Bank im Stadtpark, um endlich den Reisebericht auf den aktuellen Stand zu bringen.
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Die schattigen Bänke sind sehr beliebt und werden von vielen Rentnern genutzt. Kinder fahren mit Akku-Autos im Kreis.
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Plötzlich bricht ein Streit aus. Den Auslöser kann ich nicht erkennen, ein älterer Herr springt aber auf und läuft einem anderen älteren Mann hinterher, während sie sich gegenseitig anschreien. Nach einer halben Minute gibt der Verfolger auf und kehrt zu seiner Bank mit den Ballons und dem Plastikkram zurück.
Die Mittagssonne brennt vom Himmel.
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Ich flüchte in den etwas unübersichtlichen Markt, der aber wie die meisten Märkte zahlreiche schöne Fotomotive in besonderem Licht bietet.
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Die braunen Stangen sind übrigens sehr typisch für die Region. Es handelt sich um Nüsse mit einem schrecklich süßen, etwas geleeartigen Überzug.
Nach so viel Süßem gibt’s zum Ausgleich was Saures.
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Für den Nachmittag steht ein Ausflug nach Chiatura an. Dafür gehe ich zum Bahnhof und kaufe eine Fahrkarte für attraktive 30 Cent in den rund 80 km entfernten Ort. Einige Fahrgäste warten bereits auf die Elektritschka, die wenige Minuten vor der Abfahrt bereitgestellt wird.
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Der Betrieb auf dieser Strecke war mehrere Jahre eingestellt, sodass ich mich glücklich schätzen kann, das heutige Abenteuer auf Schienen zu beginnen. Zweimal täglich pendelte zum Zeitpunkt der Reise eine Elektritschka zwischen Kutaissi und Sachkhere, Mitte 2024 scheint es nur noch eine zu sein.
https://www.railway.ge/en/traffic-general-schedule/

Ich nehme an, das ist der richtige Zug?
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Leider gibt es nur Klappfenster und wie erwartet ist der Zug eine Sauna, zudem ist es laut wie in einem Düsenjet, vermutlich durch den Kompressor. In Schrittgeschwindigkeit holpern wir aus dem Bahnhof, zwei Kollegen werden irgendwo im Gleisbereich abgesetzt, ehe es mit viel Gerumpel kaum schneller als mit 20 weitergeht. Bis in den 8 km entfernten Bahnhof Rioni brauchen wir geschlagene 23 Minuten.
Kadongkadong.
Die nächste Dreiviertelstunde legen wir auf der Hauptstrecke nach Tbilisi mit 60 bis 80 km/h zurück – es fühlt sich an wie HGV. Die Fußgängerbrücken an den einsamen Haltepunkten sehen wirklich alles andere als vertrauenserweckend aus.
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Mit viel Gepfeife passieren wir einen BÜ, zweimal springen Kühe zur Seite. Kein Zug kommt uns entgegen, sehr dicht befahren ist selbst die Hauptstrecke offenbar nicht.
In Zestaponi gibt es eine kurze Raucherpause, der Lokführer entdeckt mich beim Fotografieren und fragt mich, woher ich komme. Ich nutze außerdem die Gelegenheit, beim Schaffner nachzufragen, wann der Zug eigentlich von Chiatura zurück nach Kutaissi fährt, denn im veröffentlichten Fahrplan sind nur die Abfahrtszeiten am Startbahnhof und die Ankunftszeiten am Zielbahnhof angegeben. „Half 8.“ Ich interpretiere das als halb neun, was ziemlich gut zur von mir geschätzten Zeit passen würde.
Nachdem noch einige Fahrgäste, die meisten mit großen Einkaufstüten, zugestiegen sind, geht die Fahrt weiter. Neben zwei Tf sind noch ein Schaffner und ein Wachmann an Bord. Ich probiere mal den anderen Wagen aus und siehe da, der Triebwagen hat nur einen Kompressor und im hinteren Wagen ist es viel ruhiger und vibrationsärmer – ich hatte mich schon gefragt, warum in Kutaissi auffällig viele Fahrgäste in den hinteren Wagen eingestiegen sind, was sich nicht mit der Nähe zum Bahnsteigzugang erklären ließ.
Die Tür zum Führerstand steht offen und ich werfe einen Blick über die Schulter. Die Zugbeeinflussung ist interessant – selbst bei dieser alten Infrastruktur scheint es eine Führerraumsignalisierung zu geben, denn im Führerstand leuchtet es auch Grün, nachdem das Asig aufgegangen ist.
Die Strecke führt durch ein äußerst malerisches Tal über zahlreiche Brücken und Tunnels.
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Nach und nach steigen an den abgeschiedenen Häusern im Wald einzelne Fahrgäste aus. Die Hühner und Kühe sind in diesem Tal deutlich in der Überzahl. Ein Hund kläfft die vorbeirollende Elektritschka wie wahnsinnig an.
Mit 20 bis maximal 30 km/h, oft sogar nur in Schrittgeschwindigkeit, fahren wir durch den Wald. Entschleunigung bekommt hier nochmal eine ganz andere Bedeutung…

Und das bekommt man für 30 Cent geboten:
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Nicht besonders komfortabel, nichts besonders schnell, aber es fährt…

Nach etwa 2 Stunden 45 Minuten erreiche ich schließlich Chiatura. Gleich der Bahnhof stellt als Lost Place einen authentischen Empfang in die Stadt der Lost Places dar – in dieser Stadt muss man wahrlich nicht nach Lost Places suchen, sie kommen zu einem.
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Kaum habe ich ein Bild von der Zugabfahrt gemacht, da kommt schon ein junger Mann auf mich zu. Ob ich Englisch sprechen würde? Woher ich komme? Wie mir die Stadt gefalle? Ob ich Instagram hätte? Bald kommt noch der ganze Freundeskreis dazu und der verirrte Tourist ist ganz offenbar das Highlight des Nachmittags. Ich solle mal da hochfahren, empfiehlt er schließlich und deutet wage in die Richtung, in die eine Seilbahn den Hang hinaufführt. Ah, zum Sanatorium also, das hatte ich ohnehin geplant. „Oh, you already know?“

Chiatura ist eine Seilbahnstadt – bis 2017 war sie bei Fans von völlig verrosteten Seilbahnen aus der Sowjet-Zeit bekannt. Die Reste dieser zur Hochzeit über 100 Seilbahnen sieht man größtenteils immer noch, teilweise sind sie frei zugänglich. Die Seilbahnen wurden damals errichtet, um die Wohnsiedlungen an den steilen Hängen an das Stadtzentrum und die Arbeitsplätze im Bergbau anzubinden und viele dienten auch oder ausschließlich dem Gütertransport.
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Hier mal einen schauderhaften Eindruck, wie eine Mitfahrt damals war…
https://youtu.be/9LsJ1JDVNow?si=iwcc8b1UpoLSy9qu&t=251

Doch all das ist, bis auf die überall sichtbaren Relikte, Geschichte. 2021 wurden vier Linien als Neubau durch die französische Firma POMA eröffnet. Wie bereits bei den alten Bahnen handelt es sich um Pendelbahnen.
Kurzer Spaziergang durch die Stadt…
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…und schon ist die zentral gelegene Talstation erreicht, von der alle vier Strecken starten.
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Ich kaufe zwei Tickets zu 15 Cent und fahre bergauf.
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Neben der Bergstation am Sanatorium entsteht gerade ein schöner Park neben einer Ruine.
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Auch wenn die vielen verfallenen Gebäude ein trauriges Bild abgeben, ist die Stadt doch voller Leben mit vielen jungen Menschen und man merkt, dass etwas passiert, um die Gesamtsituation zu verbessern und die Wiedereröffnung der vier Seilbahnlinien ist ein hervorragendes Beispiel dafür.
„Hello, photo!“, ruft mir ein etwa zwölfjähriger Junge entgegen. „What are you doing? Photo, please!“ Er muss seinen Kumpels erst gut zureden, da sie sich zuerst nicht so richtig trauen. Der zweite von links wird mehr oder weniger nachdrücklich zu seinem Glück gezwungen.
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Ich steige über eine Treppe an blühenden Gärten vorbei zur unweit gelegenen Bergstation einer anderen Linie ab.
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„Hello!“, grüßt mich ein Mädchen freundlich im Vorbeigehen.

Ich fahre wieder ins Zentrum, wo die Station zur blauen Stunde erstrahlt und einen deutlichen Kontrast zur ansonsten recht düsteren Stadt darstellt.
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Ich spaziere noch ein wenig ziellos durch die Straßen und mache mich anschließend auf den Rückweg zum Bahnhof. Dabei komme ich nochmal an den ganz zu Beginn entdeckten Relikten vorbei, die hübsch mit Lichterketten geschmückt sind – hier wird der Ruf eine Stadt voller Lost Places fast schon zelebriert.
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Die Stadt bietet erfreulich viele Sitzgelegenheiten auf kleinen Plätzen und in Parks und ich setze mich schließlich auf eine Bank vor den Bahnhof, denn das gesamte Bahnhofsareal ist stockfinster und nicht beleuchtet. Nach rund 20 Minuten Wartezeit fährt die Elektritschka rumpelnd ein und rund 20 Fahrgäste steigen ein. Nachdem die Stadt zurückgeblieben ist, herrscht eine undurchdringliche Schwärze. Die Bahnsteige im Nirgendwo haben ebenso wenig Beleuchtung wie die kleinen Wege, die zu den Häusern führen. Ab und zu steigt jemand aus oder ein, wieder sieht man Einkaufstaschen. Einige Fahrgäste haben sich quer über die Dreierbänke hingelegt. Die Zeit vergeht, ich hänge meinen Gedanken nach und höre zum ersten Mal auf der Reise Hörbuch. Huch, schon Zestaponi? Dann sind ja schon anderthalb Stunden seit der Abfahrt in Chiatura vergangen… Da die Beleuchtung sehr schwach ist, sieht man recht gut nach draußen - gar nicht beleuchtet ist das WC.
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Schneller geht es über die Hauptstrecke weiter, auch hier sind zahlreiche Bahnsteige unbeleuchtet. Schließlich folgt noch ein längerer Halt in Rioni.
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Auf dem letzten Stück bis Kutaissi leert der Schaffner zusammen mit dem Wachmann die Münzen aus dem Fahrkartenautomaten. Dann sind wir auch schon ein paar Minuten vor Plan am Ziel.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Stellwerk »

Diese süßen Stangen kenne ich auch aus Zypern (σούτζουκoς) , wohl von türkisch sucuk. Das sind Walnüsse oder Mandeln, an einer Schnur aufgereiht. Das Ganze wird dann in einem endlos langen Prozeß immer wieder mit Traubensaft übergossen, der nach und nach eindickt. Das ist sozusagen der Vorläufer unseres Weingummis- daher wohl auch der Name.

Und wieder ein dickes Dankeschön für Deinen Reisebericht. Freue mich schon auf die Fortsetzung!
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Stellwerk hat geschrieben: 04 Aug 2024, 07:56 Diese süßen Stangen kenne ich auch aus Zypern (σούτζουκoς) , wohl von türkisch sucuk. Das sind Walnüsse oder Mandeln, an einer Schnur aufgereiht. Das Ganze wird dann in einem endlos langen Prozeß immer wieder mit Traubensaft übergossen, der nach und nach eindickt. Das ist sozusagen der Vorläufer unseres Weingummis- daher wohl auch der Name.

Und wieder ein dickes Dankeschön für Deinen Reisebericht. Freue mich schon auf die Fortsetzung!
Interessant, danke für die Ergänzung!

Tag 14 Kutaissi → Batumi

Der Tag beginnt wieder sonnig und warm, aber für den Nachmittag ist ein Wetterumschwung mit Regen angekündigt.
Eine Kirche am Wegesrand
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Ich fahre mit dem Bus ins Zentrum, um mich noch ein wenig in den Park zu setzen. Die zahlreichen Blüten duften intensiv.
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Einige Marschrutkas passieren die Innenstadt
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Seitenstraße
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Eine Skulptur namens „Picasso´s boy“ prägt die White Bridge – es handelt sich um eine Szene aus dem Film „An Unusual Exhibition“.
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Auch Kutaissi kann eine Seilbahn aufbieten, welche die Innenstadt mit dem kleinen Vergnügungspark auf einem Hügel verbindet.
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Ich kaufe mir für 30 Cent eine Fahrkarte. Ein gelangweilter junger Mann ist Kabinenbegleiter und meint „Five minutes“ zu mir, als ich einsteige. Die Kabine schaukelt im Wind und schlägt immer wieder gegen den Beton der Talstation, fast wie ein Tischtennisball. Dong. Dong. Dongdong.
Etwas später steigt ein Paar mit zwei Kindern ein. Der Mann will mir die Fahrkarte in die Hand drücken. Zugegebenermaßen, ein bisschen müde bin ich heute schon, aber sehe ich wirklich so gelangweilt aus?
Dann steigen noch zwei mit Kindern ein, dann kommt der gelangweilt dreinblickende Kabinenbegleiter, spricht irgendetwas ins Funkgerät und schließt die Türen. Tja, so viel zum Thema „Max. 3 persons“, aber als die Kabine runtergefahren ist, waren ja auch sechs drin und sie ist nicht abgestürzt.
An der Bergstation gibt es einen etwas unbelebt wirkenden Vergnügungspark im Sowjet-Stil.
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Ich gehe weiter zwischen kleinen Häuschen mit Gärten.
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Wenn schon Kabelgewirr, dann bitte auch Elektrokabel und Gasrohre direkt nebeneinander!

Viele Häuser haben offenbar einen Wasserbehälter.
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Warum nur muss ich bei diesem Bild an die Geländerposse aus Dresden denken?
https://www.youtube.com/watch?v=XJDi8xmosyg

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Korrekte Zählung ist alles

Schließlich führt der Weg zur Bagrati-Kathedrale.
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Eine Bettlerin am Eingang schreckt aus ihrem Dämmerschlaf auf, als ich vorbeigehe.

Der Wind frischt auf, als ich in die Stadt absteige.
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Eine Hühnersuppe mit Knoblauch wärmt und stärkt mich, bevor ich zum Bahnhof gehe.

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Die vierteilige Elektritschka steht bereits am Bahnsteig, als ich ankomme. 60 Cent kostet die Fahrt bis Batumi, im ersten und vierten Wagen rumpelt der Kompressor, also setze ich mich in einen der mittleren Wagen.
Pfeif! Mit tiefem Summen setzt sich der Zug in Bewegung. Buuuuooo. Kadongkadong. Rumpelrumpel. Buuuuooo. Kadongkadong. Im Schneckentempo geht es bis Rioni, dann auf der Hauptstrecke etwas schneller nach Westen, vorbei an einsamen Häusern, Kühen, Hühnern, riesigen Güterbahnhöfen, verfallenen Industrieanlagen. Pfeif! Einige Male haben wir ein paar Minuten Aufenthalt, aber mangels Kenntnis des Fahrplans steige ich lieber nicht aus. Wir kreuzen mehrere Güterzüge und zweimal einen KISS, irgendwo füllt sich der Zug nochmal deutlich. Eine ältere Frau und ein älterer Mann gehen durch den Zug und bieten Snacks und Getränke an. Ich frage mich, ob sie die Einkaufsfahrt einfach dazu nutzen, die Einkäufe gleich für einen höheren Preis an hungrige und durstige Fahrgäste weiterzuverkaufen – sie machen jedenfalls ein gutes Geschäft, denn viele Fahrgäste kaufen etwas, vor allem die Nüsse zum Knabbern sind sehr beliebt. Buuuuoooo. Kadongkadong. Pfeif! Kadongkadong. Ein Kinderlied läuft auf einem Handy in voller Lautstärke, was auch erforderlich ist, um etwas zu verstehen. Kadongkadong. Eine Stunde geht das so.
Es wird etwas kalt im Wagen und die Heizung wird eingeschaltet. Innerhalb von wenigen Minuten wird der Zug so zur Sauna und einige Fahrgäste öffnen die Fenster. Nach einiger Zeit wird die Heizung dann wieder ausgeschaltet. Regen setzt ein. Je weiter wir nach Westen fahren, desto grüner wird die Landschaft, aber auch irgendwie mediterraner.
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Dennoch unterscheidet sich der Anblick nicht stark von Mitteleuropa. Das trist-graue Dämmerlicht wird immer schwächer. Zwei Jugendliche spielen Karten, später werfen sie eine mit wenig Wasser gefüllte Plastikflasche und versuchen, sie aufrecht zum Stehen zu bringen, was jedoch misslingt. Kadongkadong. Buuuuuooo. Wir sind mit atemberaubendem Tempo unterwegs, ich messe nach. Es sind tatsächlich 70 km/h, fühlt sich aber viel schneller an. Nun bin ich zwei Wochen unterwegs, Zeit hat nur noch eine untergeordnete Bedeutung, ich komme halt an, wann ich ankomme und wenn es nur ein Schnitt von 30 ist, spielt es auch keine Rolle.

Das Dämmerlicht schwindet und das Meer ist immer noch nicht in Sicht. Wie schade, dass der landschaftlich schönste Abschnitt erst ganz am Ende kommt. Dann ziehen plötzlich riesige Betonklötze vorbei, weitere sind noch in Bau. Das muss die Küste sein… Wenig später öffnet sich zur tiefblauen Stunde der Blick auf das Meer. Die bunten Lichter riesiger Hotels ziehen vorbei und auf einmal packen alle ihre Sachen. Mit +6 endet die Fahrt in Batumi Central, welch ein Witz, der Bahnhof ist über drei Kilometer vom Zentrum entfernt. Näher können lustigerweise nur die Güterzüge fahren, denn der Güterbahnhof befindet sich direkt am Rand der Innenstadt.
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Bis ich ein paar Bilder gemacht habe, verschwindet die Elektritschka bereits wieder Richtung Ozurgeti.

„Taxi?“ Ich habe mich sicherheitshalber schon mal vorab über den Transfer ins Zentrum informiert, was mit dem Taxi wohl etwa 3€ kostet. Andererseits gibt es ja auch einen Bus, der fast direkt bis zu meiner Unterkunft fährt. Zum Glück hat der Regen nachgelassen, denn an der Bushaltestelle gibt es keinen Wetterschutz. Riesige Pfützen stehen überall auf der Straße und mit meinem schweren Koffer kann ich nicht so einfach darüber springen.

Es dauert nur ein paar Minuten, bis der Bus kommt. Mit mäßigem Erfolg versuche ich, von der Bordsteinkante über die Pfütze in den Bus zu springen. Auch hier kann man mit Kreditkarte am Automaten bezahlen, eine Fahrt kostet etwa 10 Cent. Der Busfahrer weiß, wo das Gaspedal ist und zehn Minuten später bin ich bereits im hell erleuchteten Stadtzentrum.
Auch wenn der Regen wieder zunimmt, breche ich mit regenfester Ausrüstung noch zu einem Nachtspaziergang auf. Jetzt, außerhalb der Saison, wirkt der Ort ziemlich ausgestorben, vermutlich wird dieser Eindruck durch das nasse Wetter noch verstärkt. Dafür gibt es schöne Spiegelungen auf dem nassen Pflaster.
Die kleinen Plätze sind nett gestaltet und alles ist hell beleuchtet. Einer der zentralen Plätze heißt selbstverständlich Europaplatz.
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Blinkblink! Casino hier, Casino da. Blinkblink!
Batumi stellt wiederum einen starken Kontrast zu Kutaissi dar, jeder Ort so anders als der vorherige.

Konzertmuschel
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Einsame Eisverkäufer warten vergeblich auf Kundschaft
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Jetzt habe ich im wahrsten Sinne des Wortes das Schwarze Meer erreicht.
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Straßenhunde sind unter Vordächer und Bäume geflüchtet, um der Nässe zu entkommen.
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Nur sehr wenige Menschen sind auf der Straße, das dürfte während der Sommerferien ganz anders sein. Nur aus einer Bar dröhnt übermäßig laute Musik, als müsste sie krampfhaft versuchen, die allgegenwärtige Stille zu übertönen.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 15 Batumi

Es schüttet die ganze Nacht bis in den Vormittag, ich bleibe lange liegen und gehe dann gemütlich frühstücken. Am Nachmittag klart es auf und ich gehe Richtung Meer.
Große Pfützen bleiben als Relikte des Regens
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Bei dem Wetter fühlt sich Neptun vermutlich wohl
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Eigentlich möchte ich mir ein Fahrrad mieten, um ein Stück die Küste entlangzufahren. Doch das entpuppt sich als nicht lösbares Problem. Erst lädt die Webseite nicht, dann bekomme ich keinen Bestätigungscode, dann landet die Testabbuchung von der Kreditkarte auf einer Errorseite. Trotz unzähliger Versuche gelingt es mir weder bei Batumvelo noch bei Kolobike, einem belarussischen Anbieter. Also spaziere ich mit dem Klang der Wellen – Sandstrand gibt es an diesem beliebten Badeort übrigens keinen.
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Weitere Hotelkomplexe entstehen.
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Zum Mittagessen gibt es Plov, ein zentralasiatisches Reisgericht.
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An diesen zahlreich entlang der Promenade aufgestellten Geräten kann man seine Schlagkraft unter Beweis stellen.
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Die Stadt ist ein sonderbarer Mix von Baustilen…
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Am späten Nachmittag fahre ich mit dem Bus zur Talstation der Argo-Seilbahn, die für happige 11€ auf einen Aussichtsberg fährt. Hier hat man sich ein Doppelmayr-Qualitätsprodukt gegönnt.
Blick über den Hafen…
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…den innenstadtnahen Güterbahnhof…
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…und über die Ausläufer der Stadt zu den nahen Bergen.
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Der Aussichtspunkt ist eine völlige Fehlkonstruktion, denn die Aussicht ist auf allen Seiten durch irgendwas verbaut. Am dämlichsten ist wohl dieses riesige Kreuz…
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Blick über die Bucht
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Ich gehe einmal um die Bergstation. Buschdurchblick zur Sameba-Kirche
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Ich habe meine Runde fast abgeschlossen, da ruft plötzlich jemand etwas. Ich drehe mich um und ein Mann winkt mich herbei, es folgt ein Polizist. „Ruski? Anglicky?“ Lieber anglicky… „Passport, police!“ Ich schaue verwirrt drein. „Passport“, wiederholt der Mann. Ich krame meinen Pass heraus, der Mann wirft einen kurzen Blick rein und gibt mir zu bedeuten, ich könne weitergehen. Ich bin einfach unendlich verwirrt – da habe ich jetzt eine Woche lang Eisenbahnen, Busse, Seilbahnen und an diversen Orten fotografiert, wo sich vermutlich kaum je ein Tourist hinverirrt – und dann taucht plötzlich die Polizei an einem der Touri-Hotspots von Batumi auf und will meinen Pass sehen. Aber das kann ja der Polizist nicht wissen und es wird mir völlig schleierhaft bleiben, was ich jetzt so Verdächtiges getan habe.

Als Betriebsschluss der Seilbahn ist 21 Uhr angegeben und da um 20 Uhr Sonnenuntergang ist, passt das gut. Es wird ein feuriger Abend…
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Blick auf die Wolkenkratzer – in dem ganz links ragt ein Riesenrad aus der Hausfassade.

Ich liebe es ja, anderen Menschen bei der Selbstinszenierung zuzuschauen. Eine Frau richtet sich die Haare und dann muss ihr Freund Fotos von ihr machen. Mal so und mal so und von links und von rechts und von oben. Sie versucht einige Male, besonders ernst zu schauen und bricht jedes Mal in schallendes Gelächter aus.
Nebendran sind drei junge Männer zugange. Erstmal die Jacke ausziehen, dann das Hemd richten. Dann noch ein Bild gemeinsam mit seinem Kumpel und mit den Händen in den Hosentaschen.
Etwa eine halbe Stunde vor Betriebsschluss bin ich allein auf der Terrasse.
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Ich lasse es nicht mehr darauf ankommen und fahre auch bald wieder ins Tal. Es folgt ein nahezu magischer Flug über die beleuchtete Stadt zur blauen Stunde mit dem Abendrot über dem Meer.

Eine wirklich gute Stelle für die Skyline kann ich nicht finden…
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Viele interessante Motive entdecke ich nicht mehr, denn alle Straßen sind hoffnungslos zugeparkt. Das hier wird als italienische Piazza beworben:
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Kuriose Überbleibsel der Corona-Regeln
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Die Vermieterin der Wohnung in Jerewan schickt mir ein Bild vom neuen Herd – dessen Anschaffung sie angeblich wegen meiner Rezension vorgezogen hat.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Elch »

[...]Mit +6 endet die Fahrt in Batumi Central, welch ein Witz, der Bahnhof ist über drei Kilometer vom Zentrum entfernt. Näher können lustigerweise nur die Güterzüge fahren, denn der Güterbahnhof befindet sich direkt am Rand der Innenstadt. [...]
Bis 1996 sind die Züge noch zum alten Bahnhof im Stadtzentrum gefahren, Da ist heute eine Bank beheimatet. Ich bin im Frühjahr 1996 beim Schüleraustausch da noch angekommen und abgefahren, der Zug ist mitten durch die Straßen gefahren. (bin ich echt schon sooooo alt ;-) ). Wennn ich irgendwann mal Zeit habe muß ich mal die alten Negative sichten.
Hier gibts ein Foto: https://wikimapia.org/7081159/TBC-Bank- ... ay-station
"Lächle, es könnte schlimmer kommen" Ich lächelte [...] und es kam schlimmer [...]
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Elch hat geschrieben: 06 Aug 2024, 08:37 Bis 1996 sind die Züge noch zum alten Bahnhof im Stadtzentrum gefahren, Da ist heute eine Bank beheimatet. Ich bin im Frühjahr 1996 beim Schüleraustausch da noch angekommen und abgefahren, der Zug ist mitten durch die Straßen gefahren. (bin ich echt schon sooooo alt ;-) ). Wennn ich irgendwann mal Zeit habe muß ich mal die alten Negative sichten.
Hier gibts ein Foto: https://wikimapia.org/7081159/TBC-Bank- ... ay-station
Wow, das kann man sich wirklich nicht mehr vorstellen. Heute sieht es dort so aus: https://maps.app.goo.gl/ZvNsDmHNmEtcksAr9
Aber klar, um eine breite Straße durch die Stadt zu schaffen, war die Eisenbahn natürlich im Weg.


Tag 16 Batumi

Joachim, der übermorgen zu mir stoßen wird, teilt mir mit, dass sein Flug 2 Tage vor Abflug gestrichen wurde – sowas passiert also nicht nur bei der Bahn… Am Plan ändert sich dadurch nicht viel, statt von Berlin wird er von München nach Istanbul fliegen.

Ich gehe den Tag ruhig an und möchte mich im botanischen Garten ein wenig entspannen. Laut Yandex gibt es von meiner Haltestelle eine direkte Marschrutka oder ich nehme einen der zahlreichen Busse zur Seilbahnstation und von dort einen Bus, beide sollen angeblich halbstündlich fahren. Nach ein paar Minuten kommt einer dieser knuffigen E-Busse aus belarussischer Produktion und ich fahre bis zur Seilbahnstation.
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Ich habe Glück, wenig später kommt die Buslinie 10, die zum botanischen Garten fährt, allerdings natürlich rappelvoll, wie fast alle Busse hier. Sie sind aber auch deutlich kleiner als ein Standardbus.
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Es geht über eine Ausfallstraße stadtauswärts, mal zäh, mal weniger zäh, dann runter auf eine kleine Straße. Doch die ist durch zwei LKW blockiert, von denen gerade irgendwelche Betonklötze abgeladen werden und es ist wohl nicht damit zu rechnen, dass die innerhalb der nächsten fünf Minuten fertig werden. Der findige Busfahrer wendet und fährt wieder zurück auf die Hauptstraße, um von der nächsten Ausfahrt weiter zum botanischen Garten zu fahren. Der Bus blinkt links, doch jemand hat es äußerst eilig und muss noch Überholen, anstatt den Bus einfach abbiegen zu lassen – das Auto muss dann ins Bankett ausweichen, um einen Zusammenstoß zu verhindern. Meine Vermutung ist, dass die sehr starke Polizeipräsenz und enorme Blitzerdichte für das relativ gemäßigte Fahrverhalten in Armenien sorgen, während sich in Georgien absolut niemand um Verkehrsregeln schert. Vor dem botanischen Garten herrscht Verkehrschaos, weil ja jeder bis direkt vor den Eingang fahren muss, anstatt 100 m vorher zu parken, wo noch genügend frei ist. Es gibt auch einen Bahn-Hp, an dem allerdings nur sehr wenige Züge halten und wann genau, konnte ich nicht herausfinden.
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Der botanische Garten lädt zum Entspannen ein – wenn man doch nur eine Bank finden würde, denn sie sind äußerst rar gesät.
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Man kann auf einer Zipline über den Abgrund rasen. Für die Fahrt von vielleicht einer Minute werden 25€ fällig und doch gibt es regelmäßig Kundschaft.
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Ich warte etwa eine Stunde auf einer schattigen Bank mit Blick auf die Bahnstrecke, doch kein Güterzug kommt. Schließlich rollt ein KISS vorbei.
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Ein paar Eindrücke vom botanischen Garten
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Ein streunender Hund kommt zu einer Familie, die Picknick macht. Sein Plan geht auf, bald bekommt er Streicheleinheiten und ein Kind wirft ein Stück Essen hin, das jedoch unter die Bank fällt. Entweder der Hund bemerkt das nicht oder es ist ihm den Aufwand nicht wert, es zu holen. Als das Kind den Bissen nochmal einsammelt und ihm direkt vor die Schnauze wirft, nimmt er es dann aber doch. „Oh, such a cute dog! And it belongs to nobody?“, höre ich jemanden fragen. Ich frage mich auch, woher eigentlich die ganzen Straßenhunde kommen, so viele unterschiedliche Rassen… Ich bleibe lange sitzen und ruhe mich aus. Der Zipline-Mitarbeiter futtert Sonnenblumenkerne und bietet mir schließlich auch welche an. Als die Sonne sich dem Horizont nähert und der Wind auffrischt, gehe ich wieder zurück zur Bushaltestelle. In der Ferne hört man schon den wiederkehrenden KISS pfeifen.
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Angesichts des Zustands der Strecke ist es besser, dass ich mit den erst jetzt genau anschaue, nachdem ich es bereits sicher ans Ziel geschafft habe.
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Die Schienenbefestigungen sind teils lose und die Betonschwellen gerissen.

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Gleisstromkreis zur Gleisfreimeldung, man erkennt gut die elektrische Trennung in der Stoßlücke, um die beiden Freimeldeabschnitte voneinander zu trennen. Bisschen wenig Schotter hier…

Ich verbringe noch eine Weile am Strand.
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Mangels Fahrplan kehre ich einfach irgendwann zur Haltestelle zurück. Der Bus steht bereits da, ist aber abgesperrt.
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Mehr und mehr Leute sammeln sich. Ein kleiner Junge fasst alles am Bus an, was er in die Finger bekommt - Reifen, Lampen, Verkleidungen. Und oh Wunder, danach hat er ganz schwarze Hände. Als der Busfahrer dann kommt, um die Türen zu öffnen, reichen die Sitzplätze gar nicht mehr für alle Fahrgäste.
Gute 20 Minuten dauert die Fahrt zurück zur Seilbahnstation.
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Von dort fahre ich wieder mit dem belarussischen Elektrobus zurück, in dem es aber unangenehm riecht.

Zum Abendessen gibt es zum kulinarischen Abschied eine Kharcho (georgische Suppe) und eine der schrecklich süßen Limos dazu.
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Mein Bahnjahr 2024
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 17 Batumi → Kars

Heute wartet die anspruchsvollste Etappe der Reise auf mich. Daher muss ich etwas früher raus. Morgenstimmung über den Dächern von Batumi
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Gegen 8 Uhr gehe ich durch die noch ruhige Stadt zur Haltestelle, von der die Buslinie 16 und Marschrutkas Richtung Sarpi Grenze abfahren. Laut Yandex sollten die Busse alle 16 Minuten kommen und ich muss auch fast so lange warten, bis einer kommt. Noch ist er recht leer, nur ein paar Rentner sind unterwegs. Allmählich steigen mehr und mehr Männer, viele mit müdem Gesicht, zu, die aussehen, als wären sie auf dem Weg zur Arbeit. Von allen Seiten hört man Raucherhusten. Nach welchem Prinzip der Bus anhält oder Haltestellen durchfährt, erschließt sich mir nicht. Möglicherweise hält er in der Stadt immer, außerhalb dagegen nur auf Wunsch – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Jemand schreit „Gaacheret!“ und der Busfahrer hält dann einfach an. Etwas schneller als erwartet nähern wir uns schon der Grenze, vor der sich ein langer LKW-Stau gebildet hat, also geht es über die Gegenfahrbahn bis zum Grenzposten weiter. Ein erheblicher Anteil der Fahrgäste ist bis hierhin dringeblieben. Die Fahrt hat nur 42 statt der in der App angezeigten 52 Minuten gedauert, was immerhin einem Schnitt von 27 km/h entspricht.
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Ich nehme den Eingang für Fußgänger, vor den Schaltern für die Passkontrolle warten jeweils ein paar Menschen. Ich stelle mich an und bin froh, dass ich nicht zwei Minuten später gekommen bin, denn da kommt eine lärmende türkische Reisegruppe herein. Die Reiseleiterin plärrt irgendetwas und will sich zusammen mit einem Reiseteilnehmer einfach vor mir in die Schlange drängeln. Ich schiebe meinen Koffer so weiter, dass sie sich wegen der Absperrzäune nicht an mir vorbeiquetschen können. Das geht etwa zwei Minuten so, dann sehen sie wohl ein, dass sie nicht vorbeikommen und die Reiseleiterin bedeutet mir, vorzugehen, als wäre sie so großzügig, mich vorzulassen. Jetzt beginnt ein anderer Kulturkreis…
Gute fünf Minuten später ist die Ausreise erledigt, durch ein paar Gänge geht es über Rollsteige zur türkischen Einreise. Das dauert etwas länger, doch nach 15 Minuten ist auch das geschafft, Bemerkungen oder Nachfragen zu meinem armenischen Stempel gibt es zum Glück keine, auch bei der Durchleuchtung des Gepäcks gibt es keine Beanstandungen. Ich bekomme einen Auto-Stempel in den Pass, anscheinend gibt es keinen Fußgänger-Stempel… Nach rund einer halben Stunde verlasse ich den Grenzposten auf der türkischen Seite, in die andere Richtung ist die Schlange bereits deutlich länger.
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Willkommen in der Türkei, links im Hintergrund die georgische Flagge – zusammen mit der EU-Flagge…

Erstmal wimmle ich die Taxifahrer ab, die sich sogleich aufdrängen, denn von hier gibt es regelmäßig Dolmuş (die türkische Variante der Marschrutka) in die nächste größere Stadt Hopa, von wo aus ich bereits vorab online eine Busfahrkarte nach Kars gekauft habe.
Der wohl wichtigste Tipp, den ich im Internet gefunden habe, war definitiv der, bereits in Batumi Lari in türkische Lira zu tauschen, denn ich entdecke hier keinen Geldautomaten, nur eine Moschee. Ein paar Kleinbusse stehen am Straßenrand, ich werde direkt zum richtigen geführt, als ich nur Hopa sage und setze mich rein. Bald kommen noch weitere Fahrgäste dazu, die Koffer kommen einfach in den Gang in der Mitte und keine zehn Minuten später geht es auch schon los. Durch die Zeitverschiebung habe ich noch anderthalb Stunden bis zur Busabfahrt und bin damit schneller als ich zunächst angenommen habe. Der Busbahnhof von Hopa befindet sich etwas außerhalb des Stadtzentrums und als ein anderer Fahrgast in der Nähe des Stadtkerns aussteigt und ohnehin alle Koffer aus dem Gang geräumt werden müssen, steige ich auch gleich aus. Vielleicht bekomme ich ja gleich hier eine SIM-Karte.
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Es ist kurz nach neun und die Stadt erwacht langsam. Die Herren sitzen beim Tee.
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Ich komme an einem Turkcell-Geschäft vorbei. Drinnen sitzen fünf Leute bei Tee und Gebäck. Ich störe ja nur ungern, aber… Can I buy a SIM-card here? „SIM-card, yes!“ Wunderbar. Es wird noch gerätselt, welches mein Vor- und welches mein Nachname ist und welches Land Deutschland ist. Sie können außerdem kaum ein Wort Englisch. Aber nach ein paar Minuten legt die junge Frau eine SIM-Karte in mein Handy ein und gibt als besonderen Service gleich den PIN ein – allerdings bei meinem Dual-SIM-Handy bei der deutschen Karte und ich kann sie gerade noch stoppen, dreimal hintereinander die falsche einzugeben. Dann funktioniert aber alles und für recht happige 29€ habe ich 20 GB zur Verfügung. Dann gehe ich weiter Richtung Busbahnhof und komme an einem Geldautomaten vorbei, zum Glück einer ohne Gebühren und ich nutze die Gelegenheit sogleich, denn ich habe bereits fast alle meine Lira schon wieder ausgegeben.
Wenig später bin ich am Busbahnhof und werde auch sofort angesprochen. Auf meine verständnislosen Blicke hin wird der Text etwas vereinfacht. „Ankara, Erzurum, Istanbul?“ Kars. „First office.“
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Kars? „Yes, ticket?“ Hab ich schon. Nun muss ich noch etwa eine halbe Stunde warten, leider in einem furchtbar verrauchten Warteraum. Hier qualmt echt jeder wie ein Schlot… Ich suche noch das WC auf, der WC-Aufpasser in seinem Kabuff ist gerade beim Frühstück mit einem Stück Käse und einem angebissenen Ei vor sich.
Überpünktlich kommt der Bus eingefahren, mein Koffer wird verladen und da noch alle rauchend draußen stehen, gibt es wohl keine Eile, einzusteigen. Dann verstreicht die Abfahrtszeit und allmählich steigen alle ein. Ich habe den Gangplatz in der zweiten Reihe gebucht, um nach vorne rausschauen zu können und meine Beine zumindest in den Gang ausstrecken zu können. In der ersten Reihe hatte zu meinem Buchungszeitpunkt bereits eine Frau einen Platz gebucht und man darf dann als Mann den Platz daneben nicht buchen. Meine Fahrkarte wird ebenso wenig kontrolliert wie mein Pass, dessen Nummer man auch angeben musste. Der Mann auf dem Fensterplatz neben mir hat sich so breitbeinig hingesetzt, dass er meinen Sitz zur Hälfte mitbenutzt und macht auch nicht wirklich Anstalten, sich auf seinen Platz zurückzuziehen. Erst nach und nach kann ich mir meinen Platz zumindest soweit erobern, dass ich einigermaßen bequem sitzen kann. Die Sitze sind aber auch wirklich furchtbar eng – weil ich das schon vermutet habe, habe ich mir einen Gangplatz gebucht.
Fünf Minuten nach der Abfahrtszeit werden irgendwelche Listen vom Busbahnhof-Aufseher an den Busfahrer übergeben, irgendetwas gezählt, jemand geht durch den Bus, wieder wird irgendwas auf der Liste überprüft. Zehn Minuten nach der Abfahrtszeit scheint dann alles geklärt und es geht los. Wir sind noch keine 500 Meter vom Busbahnhof gefahren, da winkt bereits jemand am Straßenrand und steigt zu.
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Dann verlassen wir Hopa durch eine überraschend grüne Landschaft, die fast aussieht wie in Mitteleuropa und das Klima scheint hier tatsächlich recht ähnlich zu sein – sicher wärmer, aber mit ganzjährigem Niederschlag.
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Die Straße wird gerade ausgebaut, es geht durch üble Schlaglöcher durch die Baustelle, dann auf eine Schnellstraße, die fast nur aus Tunnels besteht. Hier wurde viel Geld investiert. Bald wird der Verkehr sehr spärlich und es geht stetig bergauf.
Der Busfahrer kontrolliert während der Fahrt sehr intensiv die Liste. Soweit ich es erkennen kann, steht auf ihr, von wo bis wo welcher Sitzplatz belegt ist und darunter noch eine handschriftliche Rechnung. Trotzdem frage ich mich, was es auf dieser Liste gibt, das man minutenlang während der Fahrt analysieren muss. Zum Schalten klemmt der Fahrer den Zettel zwischen die linke Hand und das Lenkrad. Aber hey, es kommt ohnehin fast nie Gegenverkehr, da muss man ja nicht so akkurat in der Spur bleiben. Es wirkt auf mich so, als würde er nicht zum ersten Mal so fahren. Dann klingelt auch noch sein Handy, die Liste muss kurz weggelegt werden, wichtige Gespräche gehen vor. Also hält er mit der linken Hand das Handy am Ohr, mit der rechten das Lenkrad. Der Motor röhrt, aber dummerweise ist halt gerade keine Hand zum Schalten frei. Also flott mit dem linken Ellenbogen irgendwie das Lenkrad „festhalten“, schnell mit rechts schalten, geht doch…
Die Vegetation wird spärlicher, als es immer weiter bergauf geht. Nach gut einer Stunde gibt es dann eine Pause am Busbahnhof Artvin, ich höre etwas von „on minut“, gut, dass ich die Zahlen auf Türkisch gelernt habe.
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Zum Taktknoten um zwölf fahren Busse in alle Richtungen, einer bis nach Bursa, einer Stadt im Westen der Türkei, ein Albtraum von fast 24 Stunden Busfahrt…

Kurz nach zwölf geht es dann weiter, wieder kontrolliert der Busfahrer etwas auf seiner Liste und zählt dann noch Geld. Herrje, wir fahren ja bloß eine Passstraße hoch, da muss man sich natürlich während dem Fahren noch anderweitig beschäftigen…
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Auf sehr kurvige Abschnitte, auf denen abgestürzte Felsblöcke die Straße teilweise blockieren, folgen wieder lange Abschnitte in Tunnels. Die Straße führt entlang eines türkisblauen Stausees, der sich kontrastreich von den inzwischen fast unbewachsenen, leicht rötlichen Felsen abhebt. Wieder eine Stunde später wird an einer Raststätte Halt gemacht, ich schnappe „20 Minuten“ auf und nutze die Gelegenheit zum Mittagessen. „Chicken, meat?“, fragt der Mann hinter der Theke (Anm.: in vielen Ländern wird meat äquivalent zu Rindfleisch gebraucht, im Gegensatz zu chicken). Ich nehme den Hähncheneintopf, dazu gibt es Brot, das in großen Tupper-Dosen auf jedem Tisch zur freien Verfügung steht. Nachdem ich mich gestärkt habe, bleibt noch Zeit für ein paar Bilder.
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Ein anderer Fahrgast spricht mich an, bzw. bedeutet mir mit Gesten, ich solle doch ein Foto von ihm machen.
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Dann scheint er das Bild haben zu wollen, tippt seine Handynummer ein, damit ich es ihm später auf Whatsapp schicken kann.
Er fragt etwas auf Türkisch, dann auf Englisch: „Where are you from?“ Switzerland. Er schaut mich ratlos an. Mist, wie sagt man nochmal Schweiz auf Türkisch? Ich probiere etwas, scheine es aber falsch in Erinnerung zu haben, also ziehe ich meine Liste mit den Redewendungen hervor, die ich mir vor der Reise auf Russisch und Türkisch zusammengestellt habe und auf der unter Anderem „Ich wohne in der Schweiz“ steht. Er lächelt und meint: „Ohhh!“
Der Busfahrer schaltet den Motor ein, was wohl bedeutet, dass es gleich weitergeht. Es wird immer wärmer, obwohl wir schon weit hochgefahren sind.
Die Straße ist gut ausgebaut, wieder reihen sich Tunnels aneinander und es gilt Tempolimit 50, an das sich freilich niemand hält und irgendwie ist es auch total unlogisch. Wenn es nicht zu steil hochgeht, erreicht der Bus 80 bis 90 und wenn ganz selten doch mal ein Auto kommt, überholt es uns noch deutlich schneller. Da die Tunnels größtenteils schnurgerade sind, ist das sogar ungefährlich möglich.
Der Busfahrer zündet sich eine Zigarette an. Die Landschaft hat sich wieder verändert, auf dem Talboden sind grüne Oasen inmitten der völlig kargen Berghänge und einige Schafe und Kühe verspeisen das spärliche Gras.
Es geht immer höher die Berge hinauf, ständig klingelt das Handy des Busfahrers. Immer wieder telefoniert er und raucht noch drei Zigaretten nebenbei. Zweimal steigt jemand an einer Kreuzung im Niemandsland aus. Schließlich setzt Nieselregen ein. Die Landschaft wird wieder etwas grüner und wir erreichen ein abgelegenes Dorf, der Bus wird herangewunken. Alle Plätze sind belegt, die Zusteiger müssen stehen. Keine 500 Meter weiter winkt schon wieder jemand, der Busfahrer wirft die Arme in die Luft. Auch für das Gepäck gibt es keinen Platz mehr, der Koffer wird einfach in den Gang gestellt und die Frau setzt sich auf die Treppe neben dem Busfahrer. Wenigstens klingelt sein Handy nicht mehr ständig… Die hohe Nachfrage ist wohl auf das Ende des Zuckerfestes zum Fastenbrechen nach Ramadan zurückzuführen.
Die Landschaft ähnelt jetzt den Alpen. Es gibt Nadelbäume und auf den Gipfeln liegt Schnee.
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Nur ganz kurz machen wir eine Raucherpause, in der Nähe gibt es einen Skilift und ein paar letzte Schneereste.
Der Platz neben mir wird frei und der Fahrgast, der mich um ein Foto gebeten hat, setzt sich zu mir. Über Google Übersetzer fragt er mich erst, wie alt ich bin, dann meine Zweit-Lieblingsfrage direkt nach What´s your salary – „Are you married?“ Dann zeigt er mir irgendwelche Werbefilmchen über Italien – Sizilien, Comer See, Pisa. Es ist klar erkennbar, dass er das viel schöner findet als die Türkei, deutet nach draußen und macht eine wegwerfende Handbewegung.
Dann googelt er nach Schweizer Frauen und auch hier ist klar, dass er die viel schöner findet als die, die draußen beim Rauchen stehen. Er spielt mir noch türkische Musik vor und ich würde ihm auch gern noch mehr von der Schweiz zeigen, doch inzwischen haben wir die Fahrt fortgesetzt und ich muss mich sehr zurückhalten, auf Passstraßen am Handy herumzusuchen, weil mir sonst ziemlich schnell schlecht wird.
Dann kommen wir in eine Straßensperre. Soldaten stoppen den Bus, einer steigt ein. Die anderen Fahrgäste zeigen ihre Ausweise vor und sagen irgendwelche Zahlen, ich reiche einfach meinen Pass, welcher mit einer gewissen Verwunderung entgegengenommen wird. „No problem“, meint mein Sitznachbar nur und spielt weiter türkische Musik vor. Zwei Fahrgäste sind wieder zum Rauchen ausgestiegen, der Soldat gibt meinen Pass an einen anderen weiter, der fotografiert ihn und blättert ihn durch, dann bekomme ich ihn wieder zurück.
Dann geht es weiter, zuletzt über eine gut ausgebaute Straße mit 100.
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Zu meiner Überraschung nähern wir uns bald im Nieselregen Kars, die Landschaft sieht jetzt wieder fast wie in Jerewan aus. Kurz vor fünf erreichen wir den Busbahnhof von Kars, wobei Busbahnhof eigentlich das falsche Wort ist – betonierte Fläche vor ein paar baufälligen Gebäuden trifft es eher. Die komplizierteste Etappe ist gelaufen wie am Schnürchen, so kann es bleiben.
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Im Nieselregen kämpfe ich mich mit meinem Koffer über die holprigen Gehwege, deren Zustand katastrophal ist und da die Dachrinnen das Wasser direkt auf den Gehweg leiten, steht alles unter Wasser und von oben tropft noch mehr herunter. Zum ersten Mal seit den Treppen von Tbilisi habe ich Mühe mit meinem Koffer.
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Braucht jemand eine Waschmaschine oder einen Kühlschrank?
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Bunte Wimpel werben für die verschiedenen Parteien der anstehenden Präsidentenwahl
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Von Beginn an fällt mir auch dieser typische Geruch von schlechter Luft auf, möglicherweise verursacht durch alte Heizungen. Nicht nur der Zustand der Straßen und Gehwege ist vielerorts schlecht, auch die Bausubstanz sieht wenig vertrauenserweckend aus – irgendwie wundert es mich nicht, dass beim Erdbeben im Februar 2023 zahlreiche Gebäude in der Südtürkei wie Kartenhäuser eingestürzt sind.
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Ich habe über Airbnb ein WG-Zimmer gebucht, die Übernachtung kostet hier für zwei Personen nur 12€. Der Vermieter erwartet mich bereits und die Einladung zum Tee nehme ich natürlich gern an. Ich bin etwas müde von der langen Fahrt und spüre seit zwei Tagen eine leichte Erkältung. Der Vermieter ist selbst erst vor Kurzem wieder von seiner Familie in einem nahegelegenen Dorf wiedergekommen, wo er das Zuckerfest gefeiert hat. Es wäre ein recht trauriges Fest gewesen, ergänzt er sogleich, denn ein Cousin sei von einem Baugerüst in Bosnien in den Tod gestürzt und ein Onkel kürzlich an Krebs gestorben. Ich bin immer wieder über Tabus und vor allem nicht vorhandene Tabus in anderen Kulturkreisen erstaunt – ich jedenfalls würde nicht direkt über den Tod von Familienmitgliedern sprechen, wenn ein Fremder bei mir ein Zimmer gebucht hätte. Wir sprechen über meine Reise. Oh, Jerewan, wie wäre es denn dort so? Ich bin wieder ziemlich überrascht, denn er möchte gern mal nach Armenien reisen, erklärt auf Nachfrage, die Einreise wäre über Georgien kein Problem. „It´s a political problem, not our problem.“ Jetzt breche ich eines meiner für Reisen auferlegten Tabus über heikle politische Themen und frage nach, ob es denn in Kars noch Relikte der armenischen Zeit gäbe (die Region war bis zum Völkermord an den Armeniern im 1. Weltkrieg Teil Armeniens). Er gibt eine etwas ausweichende Antwort, meint, zur Zeit des Osmanischen Reichs hätten hier viele Armenier gewohnt, „but then most of them left.“ So kann man das natürlich auch formulieren… Er erwähnt noch, dass er Kurde ist, ob ich wüsste, was das ist? Er schwärmt von Diyarbakır, Gaziantep und Antakya, das Essen wäre dort so lecker und die Städte so reich an Kultur, leider wäre fast alles durch das Erdbeben zerstört worden. Auch ohne Erdbeben würde ich dort allerdings aktuell nicht hinfahren, denn es gibt eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts für die Region und ein mir bekannter Abenteuer-Reisender hat die Region vor wenigen Jahren besucht und von nächtlichen Schusswechseln in Diyarbakır berichtet… Mein Vermieter arbeitet als Schulpsychologe, leider hätte er morgen Nachtschicht, sonst hätte er mir gern die Stadt gezeigt. Viele Kinder im Alter zwischen 12 und 14 übernachten in der Schule und fahren nur am Wochenende heim, wenn sie aus den weiter entfernten umliegenden Dörfern stammen. Er kümmert sich dann um sie.

Durch den Tee gestärkt, breche ich zu einem Abendspaziergang auf. Der Weg zur Burg führt mich zuerst durch eines der typischen Neubau-Viertel…
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…und dann weiter durch ärmliche Behausungen. Hier scheint die Armut deutlich größer als in Georgien zu sein, es scheint mir eher vergleichbar mit den Hütten-Siedlungen in Jerewan. Die Straßen sind furchtbar vermüllt und Straßenhunde suchen sich etwas Fressbares. Ich versuche, möglichst unauffällig ein paar Fotos zu machen, ansonsten gehe ich zielstrebig Richtung Burg.
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Niemand spricht mich an, obwohl ich mehrmals Passanten begegne.
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Der Muezzin ruft, als ich den Hügel emporsteige und sorgt für eine sehr besondere Atmosphäre im Dämmerlicht.
Als die blaue Stunde anbricht, steigen die letzten Personen ab und es ist das erste Mal auf dieser Reise, wo ich meinem Bauchgefühl folgend nicht allein im Dunklen bleiben möchte.
Zwei junge Männer kommen mir auf dem Weg nach unten entgegen, fragen etwas. Sorry? „Is it closed?“ Das weiß ich leider nicht, denn ich bin nicht bis zum Eingang der Burg gegangen.

Blick zurück zur Burg
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Der obligatorische Selfie-Schriftzug
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Es beginnt zu regnen, aufgrund des Feiertags haben viele Restaurants geschlossen. Die Empfehlung meines Vermieters ist zwar offen, aber es hat sich bereits eine Schlange vor dem Eingang gebildet. Ich gehe weiter, hier in der Innenstadt über gute Fußwege, allerdings tropft überall Wasser von den Dächern herab.
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Schließlich lande ich in einem Lacmacun-Imbiss, der auf Google sehr gut bewertet ist und nichts anderes anbietet außer Lahmacun.
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Das Telefon klingelt pausenlos, Tüten mit Essen werden ausgeliefert. Wenn der Laden so beliebt ist, kann er wohl nicht schlecht sein… Ich wundere mich sehr über die Preise, ein Lahmacun ist zu wenig, um satt zu werden und ich bestelle noch einen zweiten, auch die meisten anderen Gäste haben zwei pro Person bestellt. Am Ende zahle ich weniger als 2€ für die beiden Lahmacun und eine Flasche Wasser, es wird die günstigste Mahlzeit der Reise bleiben.
Im Regen stapfe ich zurück, gehe unterwegs noch in einen Supermarkt. Jemand hat schon etwas auf das Kassenband gelegt, ist dann aber nochmal weg, um etwas anderes zu holen. Die Kassiererin beginnt, die Artikel zu scannen und der Kunde verschwindet nochmal, um etwas zu holen. Ist alles ein bisschen chaotisch hier…
Ich habe nun einen starken Kulturwandel hinter mir, um nicht zu sagen, einen Kulturbruch. Hier ist alles chaotischer, lauter, heterogener, Frauen mit und ohne (v.a. die jüngeren) Kopftuch, ganz wenige mit Vollverschleierung, Skinny Jeans statt weiter Schlabberhosen, mehr Drängelei und generell mehr Körperkontakt. Im Gegensatz zu Georgien, wo noch zahlreiche (nicht mehr gültige) Hinweisschilder auf Corona-Hygieneregeln hingen, sieht man das in der Türkei nicht. Ein sehr offensichtlicher Unterschied zu Georgien sind die hier, abgesehen von meinem Vermieter, quasi überhaupt nicht vorhandenen Englischkenntnisse. Der einzige Grund, dass es kein Kulturschock ist, dürfte daran liegen, dass mein letzter Stop in Batumi bereits sehr international war.
Ich bekomme zwei Fake-Mails von der DKB und bin schon gespannt, ob ich bald wieder für einen Mietwagen in Florida bezahlen darf, wie während meines Aufenthalts in Indien.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 18 Kars

Es ist ein regnerischer Morgen, doch ich habe gestern Abend nichts mehr Brauchbares für das Frühstück aufgetrieben, es ist fast wie am Abend des 25.12. in Deutschland… Also ziehe ich Regenklamotten an und gehe nach draußen. Der Muezzin ruft und Kastenwagen fahren durch die Stadt, irgendwelches Wahlkampfgeplapper und unangenehm laute Musik abspielend.
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Die Straßenhunde haben sich an einen halbwegs trockenen Ort zurückgezogen
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Die Hauptstraße durch Kars bietet einen bunten Mix von kleineren Geschäften, Handwerksbetrieben und Traktorverkäufern.
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In den Bäckereien wird größtenteils in Holzofen gebacken.
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Ich trinke einen Kaffee und hole den Reisebericht von gestern nach.

Am Nachmittag kommt Joachim an, sein normaler Wanderrucksack war für das Personal am Flughafen München Sperrgepäck und für die türkischen Behörden in Istanbul verdächtig, doch schließlich gelingt die Anreise planmäßig.
Schauer ziehen über die Stadt, die Straßen stehen nach dem vielen Regen unter Wasser.
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Wahlkampfwimpel
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Schließlich bricht die Sonne ein paar Minuten durch…
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…und zaubert einen Regenbogen in die abziehenden schwarzen Wolken.
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Leichter russischer Einfluss auf die Architektur, für einige Jahrzehnte vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum 1. Weltkrieg war die Stadt Teil des russischen Reichs.
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Abermals gehen wir zur Festung, plötzlich spricht uns ein Mann an. „Hello, where are you from?“ Switzerland. „Do you have a car?“ No. „Do you plan to visit Ani ruins?“ Hmm, ja, tatsächlich morgen… „We offer transport.“ Und für wie viel? „800 Lira.“ 40€ scheint mir kein völlig unvernünftiger Preis zu sein, denn die Ruinen sind über 40 km entfernt. Er drückt mir eine Visitenkarte in die Hand. „And here we have a nice restaurant, different food than other places.“

Wir gehen weiter zur Burg, bald ziehen die Wolken ab und der Mond scheint über der Stadt.
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Zum Abendessen probieren wir die Empfehlung des Vermieters aus, heute ohne Schlange. Es gibt ausschließlich Lahmacun und Pide im Angebot und wir bestellen beides.
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Der Saft ist ein Experiment, da man ihn hier überall kaufen kann. Er ist auch auf Englisch angeschrieben – Saft aus fermentierten schwarzen Karotten. Wenn man bei uns einen Saft trinkt, erwartet man etwas Süßes. Das trifft hier überhaupt nicht zu, es ist ein völlig ungewohnter Geschmack und leider so gar nicht meins.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 19 Kars

Unser Vermieter hat für uns ein Taxi nach Ani zu einem sehr guten Preis von 500 Lira (25€) organisiert. Um Punkt 11 Uhr werden wir abgeholt und wir verlassen Kars über eine völlig überdimensionierte vierspurige Straße, auf der uns minutenlang kein anderes Fahrzeug entgegenkommt. Auch der Eingang zur historischen Stätte wirkt völlig überdimensioniert.
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Die meisten Gebäude stehen leer, geöffnet haben lediglich ein Café und ein Souvenirgeschäft.
Der Fahrer wartet während der Besichtigung auf uns.

Die vermutlich im 5. Jahrhundert gegründete armenische Festung wurde im 10. Jahrhundert zur Hauptstadt Armeniens und erlebte daraufhin ihre Blütezeit mit über 100.000 Einwohnern. Im Laufe der nächsten Jahrhunderte immer wieder belagert und erobert, erschütterte 1319 ein schweres Erdbeben die Stadt. Danach begann ihr Niedergang zu einem unbedeutenden Dorf. Ende des 19. Jahrhunderts wurden unter russischer Herrschaft großflächige Ausgrabungen vorgenommen. Viele Gebäude befinden sich seit einem weiteren schweren Erdbeben im Jahr 1988 in einem schlechten Zustand.
Das Gelände der alten Stadt ist sehr weitläufig und wir sind fast allein unterwegs.
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Reste der alten Stadtmauer
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Im angrenzenden Bachtal gibt es zahlreiche Höhlen, im Hintergrund der 2700 m hohe Dumanlı Dağ
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Blick zum tief verschneiten 4000er Aragaz in Armenien
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Schafherde in der weiten Steppe
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Blick über das gesamte Gebiet der ehemaligen Stadt, zu den wenigen gut erhaltenen Gebäuden gehören die Kirche des heiligen Gregor in der Bildmitte sowie die Menuçehr-Moschee am rechten Bildrand.
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Blick über die Reste der Brücke über den Arpaçay, über die einst die Seidenstraße führte.
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Welch passende Verbildlichung der geschlossenen Grenze zwischen der Türkei (links des Flusses) und Armenien (rechts des Flusses)…

Blick über die unüberwindbare Grenze nach Armenien, wo neben dem Wachposten die armenische und die russische Flagge Seite an Seite wehen
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Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, jetzt fast wieder am Ausgangspunkt der Reise angekommen zu sein – bis Jerewan sind es Luftlinie keine 100 km von hier und doch sind sie unüberwindbar. Die Straße aus Kars endet in der Nähe der Ruinen am Rande des modernen Dorfs Ani.
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Drei Stunden vergehen wie im Flug, man hätte hier sicher noch mehr Zeit verbringen können. Das Wetter ist sehr angenehm und der Regen hat sich zum Glück zurückgehalten.

Hühner und Gänse sind am Straßenrand des Dorfes unterwegs, als wir die Rückfahrt durch die hügelige Einsamkeit antreten.

Zeit für eine Stärkung mit Baklava
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Ich halte noch ein paar Eindrücke der Stadt fest, während wir Proviant für die lange Fahrt morgen kaufen.
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Für mich immer wieder faszinierend ist das türkische Stop-Schild – nur in wenigen Ländern steht schließlich etwas anderes als Stop drauf…
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Besonders auffällig sind die vielen Käseladen und so manches Produkt erinnert stark an Schweizer Käse.
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Das ist auch nicht verwunderlich, denn ein vor über 100 Jahren ausgewanderter Schweizer brachte die Käseproduktion, welche über die davor übliche Selbstversorgung hinausging, in die Osttürkei. Sie ist bis heute ein bedeutender Wirtschaftszweig dieser strukturschwachen Region.
https://www.nzz.ch/international/die-em ... ld.1413359

Die Käseproduktion ist nicht der einzige Schweizer Einfluss…
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Wer findet den Fehler? Morgen gibt’s die Auflösung.

Wir suchen das Restaurant auf, an dem wir gestern angesprochen wurden und probieren uns einmal quer durch die Speisekarte. Dank Google Übersetzer gelingt das gut, welch eine immense Erleichterung die Verfügbarkeit von Handy und Internet auf Reisen doch gebracht hat…
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Mantı werden oft als türkische Ravioli bezeichnet und sind kleine gefüllte Teigtaschen.

Der Genuss wird leider dadurch getrübt, dass ein anderer Gast ununterbrochen qualmt und dadurch bei mir einen starken Hustenreiz auslöst. Im kleinen Souvenirladen kaufen wir ein (nachgemachtes) Zuglaufschild für den Doğu Express, mit dem wir morgen die Weiterreise antreten werden.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 20 Kars → Ankara

Auflösung von gestern: Migros verkauft in der Schweiz keinen Alkohol – in der Türkei interessanterweise dagegen schon.

Ich schlafe schlecht, denn die Erkältung hat jetzt richtig zugeschlagen. Mitten in der Nacht weckt mich meine verstopfte Nase und ich bin völlig erschöpft, als der Wecker um 7:00 Uhr klingelt. Nach einem schnellen Frühstück gehen wir direkt zum Bahnhof.
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Unser Gepäck wird durchleuchtet, dann sind wir auch schon auf dem Bahnsteig.
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Der Zug besteht aus einer Diesellok, ein Lizenzbau von GM, einem Generatorwagen…
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…der auf Türkisch die wunderschöne Bezeichnung Jeneratör hat. Zahlreiche Fachbegriffe aus dem Verkehrs- und insbesondere dem Eisenbahnbereich sind 1:1 aus dem Französischen übernommen und werden auch genauso ausgesprochen.
Es folgen vier Sitzwagen, ein Speisewagen und überraschenderweise nur ein Liegewagen, in dem wir unsere Plätze haben und dessen vMax im Gegensatz zu den anderen Wagen nur 120 km/h beträgt.
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Das Abteil ist in Ordnung für vier Personen, zunächst sind wir ohnehin allein. Der Sitzkomfort der Liegen in Tagstellung lässt allerdings zu wünschen übrig.
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Pünktlich um 8:00 Uhr setzt sich der Zug gemütlich in Bewegung.
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Im Stadtbereich ist das Gleis teilweise aufwändig eingezäunt und ich finde, das sollte man an Hauptstrecken in Deutschland auch konsequent umsetzen, um endlich die Gleislatscher-und spielende-Kinder-Problematik in den Griff zu bekommen.
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Ein Gleisdreieck führt zu einem Logistikzentrum
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Es folgen Wiesen und Felder und kleine Dörfer.
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Die kleinen Bachläufe wirken teilweise überdüngt, das Gras ist zum Teil giftgrün wie billiges Modellbahn-Streumaterial. Kühe und Schafe grasen.
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Die Landschaft wird hügeliger, es folgt ein Berg der besonderen Art…
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Da wir im letzten Wagen sind, lässt sich bequem durch das Fenster am Wagenübergang fotografieren.
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Der Zug rollt ruhig mit 80 über die durchgehend verschweißten Gleise, welche sich in wesentlich besserem Zustand befinden als in Georgien oder Armenien.
Die Landschaft verändert sich ständig, wird mal trockener und karger, dann wieder grüner.
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Rundgang durch den noch recht leeren Zug – die Sitzwagen haben eine großzügige 2+1-Reihenbestuhlung.
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Speisewagen…
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…mit Speisekarte
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Nach etwa vier Stunden erreichen wir Erzurum, wo ein weiterer Fahrgast in unser Abteil dazukommt.
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Wir suchen anschließend den Speisewagen auf. Kurz nach unserer Bestellung brutzelt es aus der Küche, als unsere Çiğ Köfte zubereitet werden.
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Der Speisewagen ist kaum nachgefragt und wir bleiben erstmal hier sitzen, weil die Sitze deutlich bequemer als in unserem Abteil sind.
Fünf türkische Jungs kommen, essen Sandwiches und trinken Tee. Der Speisewagenchef hält ein kleines Nickerchen im Sitzen. Ein paar Männer trinken einsam ihren Tee, während die fantastische Landschaft vorbeizieht.
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Die Kreuzung mit dem Gegenzug sollte eigentlich in Karasu erfolgen, wird aber wohl aufgrund der Verspätung des Gegenzugs verlegt, sodass wir pünktlich bleiben und der Gegenzug dann mit +35 unterwegs ist.

Nach weiteren vier Stunden gibt es in Erzincan einen längeren Aufenthalt und meine Vermutung ist, dass es gleichzeitig die Toilettenpause für den Lokführer ist. Wir steigen schnell für ein paar Fotos aus.
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Da wir ein paar Minuten verspätet angekommen sind, dauert es nicht lange, bis der Bahnhofsvorsteher wieder die grüne Kelle schwingt. Die ersten beiden Sitzwagen sind fast voll, der dritte halbvoll und der vierte fast leer, obwohl man bei der Online-Buchung die Sitzplätze frei auswählen kann. Die Sitzwagen sind genauso überheizt wie unser Liegewagen, in dem das Lüftungsgitter durch die Heizung so heiß ist, dass man es nicht anfassen kann. Wir lassen das Klappfenster offen und so bleibt die Temperatur erträglich.
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Die Strecke führt durch zahlreiche kurze Tunnels und über kleine Brücken, eine Modellbahnstrecke, wie sie im Bilderbuch steht. Würde man so etwas bauen, würde wohl jeder sagen, dass das ja völlig unrealistisch und typisch Modellbahn wäre – tatsächlich gibt es so eine Strecke aber auch in echt.
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Als ich mich hinten zum Fotografieren positioniere, dauert es nicht lang, bis ein Mann kommt und sich eine Zigarette anzündet, was bei mir sofort wieder einen Hustenanfall auslöst.
An einem Wald- und Wiesenbahnhof steigt noch der letzte Fahrgast zu. Mit kaum verhohlener Schadenfreude weist der Schaffner ihm das Abteil mit den Touristen zu. Es ist ein älterer türkischer Herr, der uns sogleich eine Zigarette anbietet. Englisch spricht er nicht, genau wie der andere Fahrgast, der sich sofort auf seine Liege zurückgezogen hat und die letzten Stunden Filme geschaut hat.
Ich gehe nochmal ans Wagenende.
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Bald taucht der ältere Herr aus unserem Abteil auf, zündet sich seine Zigarette an, drückt die versperrte Wagenübergangstür mit Gewalt einen Zentimeter auseinander und bläst den Rauch durch den Spalt nach draußen. Der im Alltag fehlende Alkohol wird hier durch Tabak mehr als überkompensiert…
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In der schönsten Abendstimmung passieren wir einen Stausee, aus dem Reste überschwemmter Häuser herausstehen.
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Auf einigen Abschnitten wurde die Strecke neu trassiert, möglicherweise, um steinschlaggefährdete Gebiete zu umgehen.
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Ab Divriği ist die Strecke elektrifiziert, doch durch das Fenster ziehen weiter Dieselabgase herein. Die Nacht senkt sich über die traumhafte Strecke und wir hätten gern noch länger rausgeschaut.
Plötzlich klopft es an unserem Abteil. Ein Mann drückt uns Brot, Obst und kleine abgepackte Snacks in die Hand. „For you“, ergänzt eine Frau. Wir sind überrumpelt von der Fürsorge und verspeisen unseren üppigen Proviant zusammen mit dem uns übergebenen.
Bald macht sich aufgrund der Erkältung Erschöpfung breit und wir legen uns hin. Es dauert eine Weile, bis ich einschlafen kann, doch dann schlafe ich ziemlich fest.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 21 Ankara → Göreme

Früh am Tag scheint bereits die Sonne ins Abteil, denn das Rollo bleibt weder unten noch dunkelt es richtig ab. Der Liegewagen ist deutlich älter als die Sitzwagen und nicht in bestem Zustand. Es gibt keinen Platz für das Gepäck, zum Glück habe in unserem Abteil nur ich einen Koffer dabei. Im Gegensatz zum Sitzwagen hat er offene WCs, ein Hockklo an einem Ende, eine Toilettenschüssel am anderen Ende. Ersteres ist zum Glück bei den meisten Fahrgästen deutlich beliebter, wodurch Letzteres deutlich sauberer bleibt. Joachim holt Tee und Kaffee aus dem Speisewagen, wo der Preis einfach mal großzügig um 10% aufgerundet wird, möglicherweise aus Mangel an Wechselgeld. Wie dem auch sei, das Personal ist sehr nett und bemüht.
Hügellandschaft zieht vorbei, bald auch die NBS Ankara – Sivas, welche tatsächlich genau einen Tag zuvor eröffnet wurde.
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Der ältere Herr kommt aus dem Speisewagen wieder und ruft: „Ankara, Ankara!“ Und wenig später geht die längste Etappe mit +5 zu Ende. Noch schnell ein Foto von vorne, dann geht das Signal auch schon auf Fahrt und der Zug wird weggestellt.
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Wir wollen noch ein gemeinsames Foto mit Zuglaufschild machen, doch da kommt bereits ein Wachmann und erklärt, man dürfe nur Fotos mit dem Handy, nicht aber mit der richtigen Kamera machen…
Der große Bahnhof hat eine sehr überschaubare Anzahl Abfahrten.
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Es gibt allerdings große Ausbaupläne, sowohl für HGV als auch für den Neubau konventioneller Strecken, wie diese Karte zeigt.
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Verkehrserziehung
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Wir besuchen noch das kleine Eisenbahnmuseum im Bahnhof, das jedoch ziemlich verstaubt ist und das englische Faltblatt bekommen wir leider auch erst beim Rausgehen.
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Direkt angrenzend an den Bahnhof ist ein separater HGV-Bahnhof, groß wie ein Flughafenterminal, obwohl hier nur etwa ein Zug pro Stunde abfährt.
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Für die ursprünglich geplante Stadtbesichtigung fehlt mir die Energie, daher beschließen wir, direkt zum Busbahnhof und weiter nach Göreme zu fahren. Um zur U-Bahn zu gelangen, müssen wir durch den HGV-Bahnhof, an dessen Eingang unser Gepäck nochmal durchleuchtet wird. Joachims Taschenmesser im Rucksack wird beanstandet, meines erstaunlicherweise nicht. Schön blöd, wenn man nicht mal ein Taschenmesser auf eine Reise mitnehmen kann. Aber eigentlich möchten wir ja bloß raus… „Ah, exit? Ok.“
Wir gehen die Treppe vor dem Bahnhof zur U-Bahn herunter. Das weiträumige Zwischengeschoss wirkt seltsam leer. Wir folgen den Pfeilen Richtung Metro, vorbei an einem verlassenen Fahrkartenschalter bis zur Bahnsteigsperre, wo ein Mann Wache hält. Äh… Where can we buy tickets? „Credit card?“ Man kann direkt mit Kreditkarte kontaktlos an der Sperre bezahlen. Joachims Karte wird anstandslos akzeptiert, ich probiere meine und bekomme irgendeine Fehlermeldung. Neuer Versuch, selbes Ergebnis. Andere Karte, selbes Ergebnis. Anscheinend mag die Bahnsteigsperre keine Debitkarten. Joachim hält seine Karte nochmal hin und ich kann die Sperre passieren. Aber alles ist so seltsam leer und es gibt nirgendwo Netz- oder Linienpläne… Zwei junge Männer sind bereits auf unser ratloses Herumschauen aufmerksam geworden und ich versuche mein Glück. Sie können gut Englisch und empfehlen uns, bis zur Haltestelle Kızılay zu fahren und dort in die grüne Linie umzusteigen. Tja, und wie findet man ohne Linienplan heraus, in welche Richtung man fahren muss? Er deutet auf eine Seite, wo wenig später der nächste Zug einfährt.
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Auf dem Linienplan ist Kızılay gar nicht drauf und wir sind ja zweifelsohne am Gar eingestiegen, wo es aber gar nicht leuchtet… Auch die nächste Haltestelle ist nirgendwo zu finden und der Zug ist auch so leer. Die übernächste Station ist dann schon Kızılay und wir steigen aus.
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Es riecht nach frischem Beton. Wir folgen Papierzetteln, die als Wegweiser dienen, nehmen Rolltreppen und Verbindungsgänge…
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…und kommen schließlich an einen anderen Bahnsteig, von dem allerdings nicht die Linie zum Busbahnhof abfährt. Die spätere Recherche ergab, dass der von uns befahrene Streckenabschnitt der M4 vom Bahnhof erst zwei Wochen vor unserem Besuch eröffnet wurde und zu dem Zeitpunkt noch nicht auf den Netzplänen eingezeichnet war. Ich frage einen Aufseher nach Otogar. Er deutet wage über den Bahnsteig, dann nach links. Dort entdecke ich schließlich ein Hinweisschild. Wir folgen weiteren Gängen. „Da hätten wir ja gleich zu Fuß gehen können“, meint Joachim. Doch schließlich kommen wir auf den richtigen Bahnsteig.
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Wir haben gerade einen Zug verpasst, der nächste soll laut Anzeige in 5 Minuten kommen. Als er einfährt, stehen noch immer 2 Minuten auf der Anzeige.

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Die als Ankaray bezeichnete Linie gehört zur ersten U-Bahnstrecke der Stadt. Aufgrund des Fahrzeugdesigns tippe ich auf eine Eröffnung in den 1990er Jahren. Die spätere Recherche ergab 1996.

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Eingesetzt werden auf dieser Linie Züge von Ansaldobreda. Zehn Minuten später sind wir bereits am Busbahnhof, nach nur einer Minute fährt der Zug bereits wieder zurück. Wahrscheinlich wurde mit Fahrerwechsel gewendet. Auf dieser Linie ist deutlich mehr los, in Ankara sieht man außerdem noch recht viele Relikte von Corona-Maßnahmen sowie Menschen, die Masken tragen.

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Weiter geht es über Laufbänder in das Gebäude, abermals erfolgt eine Gepäckkontrolle. Der Busbahnhof ist wahrlich gigantisch. Wir müssen erstmal fragen, wo man hier überhaupt Tickets kaufen kann. „Upstairs.“
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Ok, und an welchem der 100 Schalter? „Counter 30 or 40.“ Schalter 40 ist näher. Um 12:30 fährt der nächste Bus nach Göreme, meine Recherche zuvor hatte 12:00 ergeben, aber das ist nicht weiter dramatisch, denn wir müssen nur eine gute halbe Stunde warten. Die Fahrt kostet 14€ p.P. und ich bekomme neben den Papierfahrkarten auch gleich eine Bestätigung per SMS. Praktisch ist der ausliegende Sitzplan für die verschiedenen Fahrzeuge.
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Modell des Busbahnhofs
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Ich sehe eine Backpackerin, die versucht, genauso unauffällig wie ich ein paar Fotos zu machen – keine Ahnung, ob es hier auch irgendwelche Einschränkungen gibt…

Wir suchen schließlich den Abfahrtsperron auf, an dem zahlreiche Menschen warten und qualmen wie die Schlote, nur unser Bus ist nicht in Sicht.
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Wenige Minuten vor der Abfahrtszeit kommt er eingefahren, es folgt ein Geschrei und Geplärre, Menschen laufen hierhin und dorthin. Der Busbegleiter stellt über eine Fernbedienung die Zielanzeige ein und beginnt mit der Gepäckverladung.
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Dann sagt er etwas auf Türkisch zu mir. Ohne es zu verstehen, sage ich Göreme. Er sagt noch etwas. Ich zeige das Ticket. Wir sind offenbar nicht die einzigen Ausländer, die mit dem hektischen Treiben überfordert sind. Ich habe immer wieder den Eindruck, dass irgendwelche Rufe, irgendein Winken oder Hupen als Information dient, die jeder versteht außer uns.
Es ist ein Premium-Bus mit großzügigem Sitzabstand und 2+1-Bestuhlung, so ganz anders als jener von Hopa nach Kars.
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Ankara wirkt auf mich überraschend grün, aber vielleicht liegt das auch an der Jahreszeit. Außerdem scheint es eine Stadt mit moderner Architektur zu sein, geprägt durch gläserne Wolkenkratzer und schnurgerade kreuzungsfreie Straßen. Über eine Schnellstraße verlassen wir Ankara. Der Himmel verdüstert sich zunehmend und bald beginnt es zu regnen. Kräftige Schauer stürzen auf das größtenteils flache Land und Blitze zucken über den Himmel.
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Der Busbegleiter verteilt kostenlose Getränke und bietet Snacks vom Trolley an.
Schafherden und ihre Hirten stehen in den Weiten der Landschaft. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren, sind seit unserem Aufbruch in Kars über 30 Stunden pausenlos unterwegs. Ich muss im Reisebericht zurückblättern, um zu schauen, welcher Tag der Reise heute ist, vom Wochentag ganz zu schweigen.
Nach rund zwei Stunden machen wir eine kurze Pause an einer Raststätte. Es ist windig und ziemlich frisch. Angesichts des Wetters lassen sich die Raucher nicht viel Zeit mit ihrer Zigarette.
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Im top-modernen WC gibt es vier Waschbecken, allerdings funktionieren nur an zwei die berührungslosen Wasserhähne. Da hat man natürlich ein großes Plus an Hygiene gewonnen, wenn man statt einem normalen Wasserhahn mit Berührung einen nicht funktionierenden berührungslosen hat… In der Türkei gibt es zumindest viel häufiger kostenlos nutzbare Toiletten, während man in Georgien immer bezahlen muss.
Hier ist die Landschaft wieder gebirgiger und grüner.
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Weiter geht’s, ein Koreaner spielt tief versunken am Handy, während sich draußen heftige Schauer und trockene Phasen abwechseln.

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Es folgt noch ein kurzer Tankstop, dann erreichen wir nach über drei Stunden Nevşehir. Ich hatte mich schon gewundert, wie es möglich sein soll, in nur drei Stunden bis Göreme zu kommen, eine Distanz von etwa 300 km. Kurz vor der Ankunft sagt der Busbegleiter etwas auf Türkisch. Und fast alle packen ihre Sachen zusammen. Wir halten und eine junge Frau erklärt den ahnungslosen Ausländern auf Englisch, dass wir in einen anderen Bus umsteigen müssen. Also alle raus und Gepäck holen.
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Wenige Minuten später kommt das Ersatzfahrzeug, in das unser Gepäck wieder eingeladen wird und weiter geht’s.
Überall sieht man aus dem Boden gestampfte Wohnblocks – in der Türkei dürfte nicht zuletzt aufgrund des Syrienkonflikts seit Jahren ein enormer Bedarf an Wohnraum bestehen.
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Das heftige Erdbeben kurz vor der Reise hat die Situation natürlich nochmal massiv verschärft – wobei das eine möglicherweise auch eine Folge des anderen ist, da man bei der Einhaltung von Bauvorschriften wohl oft nicht so genau hingeschaut hat.

Bald kommen die bekannten Tuffsteinformationen unter pechschwarzen Wolken in Sichtweite.
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Der Anblick ist wirklich schön und ich bin gespannt, was uns erwartet. Kurz nach der Ankunft beginnt es zu regnen und so sind wir sehr froh, dass der Vermieter uns mit dem Auto abholt, obwohl es bis zur Unterkunft nicht mal ein Kilometer ist.

Der starke Regen hat überall Sand ausgespült und auf der Straße abgelagert.
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Joachim hat in Kars türkische Nudeln gekauft und wir wollen sie heute zum Abendessen kochen.
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Wir haben keine Ahnung, was das eigentlich genau ist – morgen gibt’s die Auflösung.

Erste Eindrücke des sehr touristischen Ortes
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Kappadokien ist bekannt für die Ballonfahrten und wir möchten auch einen machen. Der Vermieter telefoniert ein bisschen herum, meint, es wäre sehr schwierig aktuell, weil wegen des schlechten Wetters keine Flüge möglich sind und deswegen schon viele Personen auf der Warteliste sind. Schließlich teilt er uns mit, er hätte einen Anbieter gefunden – für 380 € p.P. Gut, wir wussten, dass die Ballonfahrten ihren Preis haben, aber gleich so teuer? Wir sind nicht bereit, jeden Preis dafür zu bezahlen und lehnen ab.

Als wir mit der Zubereitung des Abendessens beginnen wollen, stellen wir fest, dass die Gasflasche in der Küche leckt. Sie steht im Küchenschrank unter der Spüle und wenn man die Türen öffnet, riecht es ganz eindeutig nach Gas. Vielleicht sind wir ja auch übervorsichtig, weil wir Gasherde nicht gewohnt sind, aber das ist uns wirklich nicht geheuer. Wir schreiben deswegen der Vermieterin, wenig später ist ihr Mann bei uns, nimmt den Schlauch höchst fachmännisch (haha, kleiner Scherz) von der Gasflasche ab, steckt ihn wieder dran und meint: „If it´s empty, you can call me.“

Später bekommen wir eine Nachricht, sie hätten einen Ballon-Anbieter für 260 € gefunden, das wäre aber ein Barzahlerpreis. Was genau heißt das jetzt? Joachim schreibt hin und her, die automatischen Airbnb-Übersetzungen aus dem Türkischen sind ein Albtraum. Wir haben jedenfalls nicht ausreichend Bargeld in Euro dabei. Ja, wir könnten auch in Lira bezahlen, schreibt die Vermieterin und rechnet die 260 € mit einem für uns leicht nachteiligen Wechselkurs von 1:22 um – das ergibt zusammen über 11.000 Lira. Also gehen wir wohl zum Geldautomat.
In der Türkei scheint es üblich zu sein, dass alle Dienstleistungen desselben Typs direkt nebeneinander angesiedelt sind – das trifft auch auf die Geldautomaten zu.
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Auch wenn mir Joachim den Hintergrund der Wirtschaftstheorie dazu erläutert, will mir einfach nicht in den Kopf, warum das für den Konsumenten von Vorteil sein soll.
https://de.wikipedia.org/wiki/Vollst%C3 ... Konkurrenz
So zum Beispiel die Geldautomaten – alle in Göreme vorhandenen stehen direkt nebeneinander, im Nachbarort Çavuşin gibt es dagegen überhaupt keinen. Sie verlangen alle Gebühren in Höhe von 4 bis zu happigen 9%, außer der von der Ziraat Bank, es ist der einzige ohne Gebühren und es fällt auch schnell auf, dass der am häufigsten genutzt wird (Ja, wir haben wirklich mal alle durchprobiert, die in der Wirtschaftstheorie getroffene Annahme der vollständigen Information trifft also zu)…
Das Problem ist, dass es ein Abhebelimit von 5000 Lira gibt, welches wir beide ausnutzen. Zusammen mit den Bargeldreserven in unserem Portemonnaie erreichen wir gerade so die geforderte Summe. Als wir in die Wohnung zurückkehren, riecht es nach einem Hauch von Safran und Gas. Die Balkontür an der Küche ist zum Glück ziemlich undicht, sodass sich hoffentlich nicht zu viel Gas ansammeln kann.

Etwas später erhält Joachim wieder eine Nachricht. Wir müssten doch mehr für die Ballonfahrt bezahlen, sie hätten sich beim Umrechnungskurs getäuscht, denn wenn sie die Lira in Euro tauschen, wäre der Umrechnungskurs nur 23:1. Ich bin damit allerdings nicht einverstanden, dass wir plötzlich mehr bezahlen sollen. Ein paar Nachrichten mit fragwürdiger Übersetzung werden ausgetauscht, doch allen Beteuerungen zum Trotz, dass die Ballonfahrten in Euro bezahlt werden müssten und dass sie die Lira nur 23:1 umtauschen könnten und überhaupt, die hohe Inflation, bleibe ich hart. Wir haben einen Preis vereinbart und außerdem ist es nicht mein Problem, wie der Umrechnungskurs irgendeiner Wechselstube ist. Und wie stellen die sich das eigentlich vor – wir geben den Bündel Geldscheine im Wert von über 500 € einfach an den Vermieter ohne Quittung? Wieder werden ein paar Nachrichten ausgetauscht und der Vermieter kommt nochmal persönlich vorbei – er spricht gut Englisch. Ich frage, ob wir nicht einfach bei der Übergabe an den Ballonfahrt-Anbieter dabei sein könnten, um auch gleich eine Quittung zu erhalten. „No, they are too far away.“ Und wie übergibst du dann eigentlich das Geld? „They come and get it.“ Und können wir dann bei der Übergabe dabei sein? „No, because I don´t know the time.“ Es ist offensichtlich, dass er sich herausreden will und mir ist nicht ganz wohl bei der Aktion, denn falls die Ballonfahrt aufgrund der Wetterbedingungen nicht stattfinden kann (was durchschnittlich fast jeden zweiten Tag vorkommt), müssen die Anbieter die Bezahlung rückerstatten. Nach kurzer Diskussion einigen wir uns darauf, dass der Vermieter uns schriftlich bestätigt, die 11.500 Lira erhalten zu haben und sie im Stornierungsfall zurückzuzahlen. „Of course I will pay back, you are my customers!“ Vielleicht tue ich ihm ja auch Unrecht, aber angesichts diverser Touristenscams in der Türkei bin ich nicht begeistert von der Idee, einfach 260 € an einen Fremden zu übergeben. Gemeinsam muss das Geld dann noch dreimal gezählt werden, denn 200 Lira ist der größte Schein und dementsprechend dick ist der Geldbündel. Aber schließlich stimmt der Betrag am Ende und wir können uns endlich ins wohlverdiente Bett fallen lassen. Kurz bäumt sich meine Erkältung mit Husten auf, doch bald gewinnt der Schlaf.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 22 Göreme

Auflösung von gestern: Es handelt sich um Streifen von Pfannkuchen.

Wie vorhergesagt regnet es. Wir haben viel Schlaf nachzuholen und heute ist die Gelegenheit dazu. Nach dem Frühstück lässt der Regen nach, doch da beschäftigen wir uns gerade intensiv mit den Hürden des Alltags auf Reisen, in diesem Fall der Waschmaschine. Sie hört irgendwann auf zu waschen, aber die Tür geht nicht auf. Joachim meint, da würde ja noch Wasser drinstehen. Also benutzen wir Google Übersetzer, um die Bedeutung der Programme zu entschlüsseln. Spülen, so weit so klar. Wir lassen erstmal das laufen. Das nächste Programm wird mit „Quetschen“ übersetzt, wir probieren es trotzdem und haben Erfolg, die Maschine schleudert, pumpt das Wasser ab und die Tür geht auf.
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Wer kennt es nicht, das gute Tursil… Interessant ist, dass das Waschpulver wesentlich schwächer dosiert, also wohl viel Füllmaterial enthält, denn die Dosierungsangaben sind etwa dreimal so hoch, wie man sie von uns gewohnt ist.
Nur draußen trocknet die Wäsche bei dem Wetter nie, also stellen wir den Wäscheständer ins Schlafzimmer und schalten den Heizlüfter ein. Bis wir uns entschließen, aufzubrechen, regnet es bereits wieder. Wir gehen einmal rund um den recht weitläufigen, vorwiegend als Parkplatz genutzten zentralen Platz und suchen nach Einkaufsmöglichkeiten.
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Nein, nicht solchen Einkaufsmöglichkeiten… Es gibt zwar zahlreiche Souvenirshops, nur keinen einzigen Bäcker. In einem Café bezahlen wir für zwei Stück Süßgebäck mehr als in Kars für ein halbes Kilo Kekse aus der Bäckerei. Auch die Restaurants verlangen hier ein Mehrfaches der Preise in Kars. Immerhin entdecken wir neben einem Supermarkt auch einen kleinen Obst- und Gemüseladen. Wir kaufen noch Börek als Mittagssnack und gehen zurück zur Unterkunft.
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Free information scheint wohl kein gutes Geschäftsmodell gewesen zu sein…

Wenig später bringt uns die Vermieterin selbst gebackenen Zitronenkuchen vorbei – wie lieb, das ist wahre Gastfreundschaft nach den intensiven Diskussionen des gestrigen Abends…

Auch am Abend verpassen wir das trockene Zeitfenster, brechen aber trotzdem noch zu einem kleinen Spaziergang auf. Blick über Göreme
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Bald begleitet uns ein Hund und weicht nicht mehr von uns, geht uns schließlich auf die Nerven.

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Die typische Tuffsteinlandschaft entstand durch Ablagerungen von Vulkanausbrüchen, die im Laufe der Jahrmillionen Erosion von Wind und Wasser ausgesetzt waren.

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Wenn oberhalb des weichen Tuffgesteins härteres Gestein abgelagert wurde, entstanden Feenkamine. Teilweise sind sie bewohnt. Da das Gestein sehr gut isoliert, bleibt die Raumtemperatur im Sommer kühl und im (hier durchaus kalten) Winter vergleichsweise warm.
Wir werden den Hund trotz aller Versuche nicht los, passieren wie verrückt bellende Hunde, die auf Grundstücken angekettet sind. Es gibt hier einfach zu viele davon… Unser Begleiter bleibt uns bis in die Stadt treu, wo wir ihn endlich abschütteln können, genauso wie die Einladung in ein Restaurant mit Live-Musik. Stattdessen kochen wir – nachdem wir die Küche fünf Minuten gut durchgelüftet haben, um den Gasgeruch zu vertreiben – Ratatouille aus dem gekauften Gemüse. Endlich gelingt es mir, den Reisebericht wieder auf den aktuellen Stand zu bringen und Energie zu tanken.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von Entenfang »

Tag 23 Göreme

So richtig ausgeschlafen fühlen wir uns irgendwie nicht, ohne Verdunkelung und mit Baustelle in der Nähe lässt es sich nicht besonders lange schlafen... Heute gibt es wieder Nieselregen und es ist noch kälter als gestern, ich ziehe meine Winterjacke und Handschuhe an. Ich brauche dringend einen Haarschnitt, doch den ersten Koaför (sic) finde ich nicht, wo er auf Google Maps eingetragen ist. Ein Ladenbesitzer schickt mich auf die andere Straßenseite, doch der hat geschlossen. Ich versuche es beim dritten, doch der will einen happigen Touristenpreis von 17 €, was ich nicht einsehe und den Haarschnitt daher vertage. Wir gehen weiter zum Supermarkt, dessen Packungsgrößen ganz eindeutig eher auf die Großfamilie denn auf den Single-Haushalt ausgelegt sind. So gibt es 2 kg-Marmeladengläser und Paletten mit 30 Eiern. Auch hier ist der Kassiervorgang nicht besonders effizient – in der Zeit, in der man hier an einem Kunden herumwurschtelt, würde man in Deutschland drei schaffen.
Blumen auf der Mauer
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Busse fahren von hier ins ganze Land.

Zum Mittagessen gibt es Gözleme (gefülltes dünnes Fladenbrot) in einem kleinen Restaurant in einem Feenkamin, eine relativ preiswerte Option.
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Aufgrund der hohen Inflation sehen Speisekarten oft so aus:
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Blick über die kleinen Felder am Rand von Göreme
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Die Stadt wirkt fast wie eine Filmkulisse
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Wieder begleitet uns ein Hund ein Stück, lässt dann aber glücklicherweise nach einer Weile von uns ab.
Wir verlassen den Ort ins Pigeon Valley. Früher wurden kleine Höhlen in den Feenkaminen auch zur Taubenzucht genutzt, die Eier dann gegessen.
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Ob wir wohl die Anforderungen an die Wanderung erfüllen?
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Wasser – check.
Wir erlauben uns, Wanderschuhe als comfortable walking shoes zu interpretieren – check.
food that quickly energize – ein Müsliriegel sollte durchgehen – check.
Hat - heute eher Kapuze, aber check.
Backpack – check.
Kamera – zum Glück auch vorhanden, wir können also weiter und sind sogar recht optimistisch, dass wir die exakt 4,095 km in weniger als den durchschnittlichen 3,5 Stunden zurücklegen werden.

Wir sind froh über unsere Wanderschuhe, denn der Bach fließt mehr auf dem Weg als im Bachbett.
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Aber eigentlich können wir das so nicht lassen, der Spieltrieb in uns ist geweckt.
Eine halbe Stunde später ist der Bach wieder in den Bachlauf gelenkt und der Weg trockengelegt.
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„Ich glaube, wir müssen doch nochmal waschen“, meint Joachim nach Fertigstellung des Staudammprojekts.

Ein paar Wanderer kommen uns entgegen, begleitet von einem Hund. Durch beeindruckende Felsformationen steigen wir bergauf.
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Schließlich öffnet sich der Blick auf den mächtigen Burgfelsen von Uçhisar.
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Er ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse und beherbergte früher wohl bis zu 1000 Menschen.

Wir laufen durch die Stadt voller Höhlenwohnungen, die teils als Ferienunterkünfte angeboten werden.
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Die teils steilen Straßen sind hier in einem ähnlich schlechten Zustand wie in Göreme, was wenig verwunderlich ist, da bei einem kräftigen Regenguss der sandige Boden wohl samt Pflastersteinen weggeschwemmt wird.
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Jemand fragt beim Eingang zur Burg, ob er kurz von drinnen ein Foto machen dürfe, er wolle ja gar nicht nach oben gehen. Doch der Wächter bleibt hart – ohne Eintritt von 5 € kein Foto vom Inneren.
Der Berg ähnelt einem Labyrinth von Gängen und Treppen.
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Der Ausblick von oben ist einfach fantastisch.
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Überall gibt es teils ziemlich tiefe Löcher, doch nur die wenigsten sind abgesperrt. Man sollte also auch auf den Weg schauen, nicht nur in die Ferne.
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90 Lira gegen eine 0 €-Banknote umzutauschen, scheint mir kein allzu guter Deal zu sein…
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Wir laufen weiter bis zur Bushaltestelle am Ortsrand an der Hauptstraße nach Göreme, zumindest haben wir den Hinweis im Internet gefunden, denn vor Ort gibt es keinerlei Hinweis darauf. Zwei weitere Touristen kommen bald dazu und fragen uns, ob das wohl die Bushaltestelle wäre. Hoffen wir es… Während wir warten, bleibt Zeit für ein paar Bilder mit Instagram-Schriftzug.
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Die täuschend echte Polizeistreife steht an zahlreichen Landstraßen.
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Wir warten 20 Minuten, wollen schon ein Taxi heranwinken, denn meine türkische Taxi-App funktioniert hier nicht. Leider sind die Taxis hier nicht so gut digitalisiert wie in Armenien und Georgien. Aber dann kommt doch der Bus und bringt uns für 70 Cent zurück nach Göreme.
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Re: [AM][GE][TR][BG][RO][HU] Der Landweg aus Jerewan

Beitrag von TramBahnFreak »

Elch hat geschrieben: 06 Aug 2024, 08:37Wennn ich irgendwann mal Zeit habe muß ich mal die alten Negative sichten.
Oh, das wäre extrem spannend! 8)
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