[CH] Die Schweiz mal wieder.

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Entenfang
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Re: [CH] Die Schweiz mal wieder.

Beitrag von Entenfang »

Kontraste zwischen Chavornay, Orbe und Sainte-Croix

Gibt es eigentlich noch Bahnen in der Schweiz, auf denen nicht Stadler-Triebwagen an barrierefreien Bahnsteigen halten? Zugegebenermaßen – nicht mehr allzu viele, aber ein rustikales Kuriosum wollte ich noch besuchen, ehe es wohl bald verschwindet.
Nach über 4 Jahren ist es inzwischen gar nicht mehr so einfach, noch unbefahrene Strecken in einen sinnvollen Tagesausflug zu integrieren. Meine Streckenbefahrungsquote in der Schweiz dürfte wohl inzwischen 80% überschreiten.

Zuerst geht es mit Neigetechnik erst nach Biel, dann nach Yverdon-les-Bains.
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Nach wenigen Minuten im KISS steige ich in Chavornay aus. Von dort führt die nur rund 4 km kurze Stichstrecke nach Orbe. EIU und EVU ist Travys.
Die Strecke ist aufgrund der Elektrifizierung mit 700 V Gleichstrom ein Exot im Eisenbahnnetz. Als 2020 der letzte verbliebene Triebwagen kaputt gegangen ist, stellte sich die Frage nach dem zukünftigen Fahrzeugeinsatz. Abhilfe fand man schließlich nach monatelangem SEV in Form von zwei Gebrauchtwagen der Stadtbahn Karlsruhe.

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003 ist gerade aus Orbe angekommen und wird in Kürze seine 3 (!) Fahrgäste aussteigen lassen. Zum recht bescheidenen Fahrgastaufkommen trägt sicher bei, dass das nahegelegene Mittelzentrum Yverdon-les-Bains einen direkten Bus nach Orbe hat und man nach Lausanne hier in Chavornay umsteigen muss.
Der Bahnsteig reicht gerade so für die Türen. Oben ist der Streckentrenner zur SBB-Strecke zu sehen. Wie üblich, bleibt die Zulassung im Ursprungsland, daher das Kürzel D-TVYS. Angeboten wird Mo-Sa ein annähernder Halbstundentakt, wofür ein Fahrzeug ausreichend ist – theoretisch. Praktisch wollte ich den Ausflug bereits vor einer Woche machen – alle Züge im SEV mit Prognose bis Donnerstag. Also probiere ich es am Freitag und noch morgens sieht es so aus, als würden tatsächlich wieder alle Züge normal fahren. Ich nehme mein Fahrrad mit, um die Fotostellen besser erreichen zu können und anschließend noch eine kleine Tour in die Berge zu machen.

Der Bahnsteig liegt in einem engen Bogen vor dem Bahnhofsgebäude.
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Der Innenraum ist nahezu im Originalzustand - die Polster sogar historisch.
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Sogar die AVG-Piktogramme sind teils noch vorhanden, ergänzt um die Schweizer.

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Der Rollbandkasten wurde durch einen Linienverlauf getauscht – viel gibt es da nicht darzustellen…

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Ein Vorteil der AVG-Fahrzeuge dürfte neben der passenden Spannung die bereits vorhandene selektive Türfreigabe sein, denn auch im Karlsruher Netz gibt es diverse Bahnsteige, an denen nicht alle Türen geöffnet werden können.

Nach 8 Minuten ist bereits der Bahnhof Orbe erreicht.
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Nach wenigen Minuten tritt der Triebwagen bereits die Rückfahrt an.
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Während ich nun die nächste Verbindung heraussuche, stoße ich auf eine Hiobsbotschaft – ab 15:00 werden wieder alle Züge im SEV gefahren. Das bedeutet, dass ich insgesamt genau 6 Aufnahmen machen kann. Als Gründe für den häufigen SEV werden nur wage betriebliche oder technische Probleme genannt. Welche das sind, konnte ich nicht herausfinden.

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Mit Blick auf die Alpenkulisse erreicht der Triebwagen nach nicht einmal einem halben Kilometer bereits den Hp St-Eloi.

Östlich von Orbe gibt es ein recht großes Industriegebiet, das durch den Hp Les Granges erschlossen wird. Irgendwie finde ich, dass dieser stark osteuropäisches Flair hat…
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Und da marschieren gerade ein paar Männer in Orange zum abgestellten Güterzug. Wenige Minuten später wird vor der malerischen Kulisse von Orbe rangiert. Der Güterverkehr hat auf dieser Strecke durchaus Bedeutung. Unter der Woche verkehren mehrere Zugpaare pro Tag.
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Der ganze Bereich hat etwas Unfertiges, Provisorisches, so ganz untypisch für die Schweiz. Den Verkehr an dieser perfekt geteerten Kreuzung regeln teils Baustellenampeln. Interessanterweise gibt es hier weder Andreaskreuze noch entsprechend BÜ-Warnanlagen.
Wenige 100 Meter weiter ist die Straße dagegen löchrig und ich muss Schlaglöchern ausweichen.

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Das intensive Gelb des Rapsfeldes stellt den etwas blass lackierten Triebwagen in den Hintergrund.

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In einem großen Bogen überwindet die Bahnstrecke den Höhenunterschied nach Orbe, im Hintergrund der Le Suchet.

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Die Strecke zwischen Orbe und St-Eloi ist absolut modellbahntauglich mit ihren Brücken und dem reingequetschten Haltepunkt zwischen Brücke und BÜ…

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Auf der Rückfahrt nochmal ein Bild mit Raps.

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Um ein Haar hätte eine Baustelle und der deswegen gesperrte Feldweg mir das nächste Motiv versaut – keine Minute vor der Durchfahrt komme ich an der Fotostelle an. Im Hintergrund erhebt sich der Chasseron

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Entlang der Kantonsstraße rollt der Triebwagen nach Chavornay. Links im Hintergrund entsteht bereits die neue Trasse, welche die Zukunft der Bahn sichern soll. Diese Lösung hingegen ist wieder sehr schweiztypisch – da sich der jetzige Bahnsteig weder sinnvoll verlängern noch barrierefrei ausbauen lässt, entsteht eine rund 1 km lange Neubaustrecke, die weiter nördlich von der Hauptbahn ausfädelt und zweigleisig ist. Ab 2027 sollen dann Direktzüge aus Lausanne nach Orbe verkehren, wofür auch das Stromsystem umgebaut wird. Ich bin mal gespannt, wie man die anderen beiden Haltepunkte umbaut.

Zwischen den zahlreichen Anschlussgleisen des Industriegebiets fährt der letzte Zug des Tages nach Orbe.
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So bleibt noch ausreichend Zeit für eine Fahrradtour in die Berge.
Orbe stellt sich als sehr hübscher Geheimtipp heraus.
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Schließlich bringen mich Landstraßen den Bergen näher.
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Steil bergauf kreuze ich die Bahnstrecke Yverdon-les-Bains – Ste-Croix, welche ich vor etwa einem Monat ebenfalls befahren habe.
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Die Felsen des Aiguilles de Baulmes ragen steil empor.

Rückblick – dort oben war ich Mitte März unterwegs, von Yverdon-les-Bains bin ich nach Sainte-Croix gefahren, was knapp unter der Schneegrenze lag.
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Auf den Stadler-Triebwagen von Travys findet sich eine Sammlung an Worten.
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Sie bieten einen etwas verbauten Zugang zum Mehrzweckbereich…
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…sind auch innen unverkennbar in den Travys-Farben gehalten…
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…und haben eine sehr luxuriöse 1. Klasse.
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Ein paar Meter angestiegen, hat Puderzucker die Landschaft bestäubt.
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Oben auf dem Grat war tiefster Winter…
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…und die Sichtweite sehr beschränkt.
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Neben ein paar Trailrunnern treffe ich nur noch Gämsen.
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Bis zu meiner Rückkehr am Nachmittag war in den tiefsten Lagen der Schnee schon merkbar weniger geworden und dichter Nebel hing über dem Tal.
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Beim Durchqueren der Nebelschicht fiel die Sichtweite deutlich unter 100 Meter.

Kehren wir in den sommerlichen Frühling zurück…
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Vom Col de l´Aiguillon schweift der Blick über den Neuenburgersee zu den Alpen
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Und weit oben das Gipfelkreuz des Aiguilles de Baulmes.
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Und so sah es dort vor 1 Monat aus:
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Blick über Ste-Croix – kaum zu glauben, wie sehr sich der Anblick der Landschaft in einem Monat ändern kann…
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Nun kann ich erstmal entspannt rollen lassen. Ups, eine Straßensperrung wird angekündigt. Zum Glück kann man mit dem Fahrrad einen kleinen Feldweg fahren, ohne einen riesigen Umweg zu nehmen, sonst würde es mir nicht mehr zum nächsten Zug reichen… Der grandiose Blick entschädigt dafür großzügig.
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Wieder unten im Tal komme ich nochmal an der Bahnstrecke vorbei und der BÜ schaltet sich gerade ein. Da kann man noch ein Bild im abendlichen Streiflicht mitnehmen…
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Diese urigen Triebwagen sind leider nicht mehr im Einsatz.
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Einen Besuch dieser Strecke kann ich nur empfehlen – hier gibt es sehr abwechslungsreiche Motive auf kurzem Weg in einer wenig bekannten Region. Wer sich das noch anschauen möchte, muss sich allerdings beeilen. Es ist davon auszugehen, dass ab Ende 2025 alle Züge im SEV verkehren werden, bis der Umbau ein Jahr später abgeschlossen ist. Hoffen wir, dass bis dahin den AVG-Triebwagen noch ein paar Betriebstage vergönnt sind.
Mein Bahnjahr 2024
Zurückgelegte Strecke: 30.060 km - Planmäßige Gesamtreisezeit: 16,1 Tage - Gesamtverspätung (analog FGR): 626 min - Planmäßige Reisegeschwindigkeit: 78 km/h - Durchschnittliche Fahrzeitverlängerung aufgrund von Verspätung: 2,7% - Fahrtkosten: 10,6 Cent/km - Anschlussquote (alle Anschlüsse einer Verbindung mit min. 1 Umstieg erreicht): 87,5%
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Jean
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Re: [CH] Die Schweiz mal wieder.

Beitrag von Jean »

Schöne Bilder. Danke.
Für den ÖPNV Ausbau Gegen Experimente und Träuereien. Eine Trambahn braucht einen eigenen Fahrweg, unabhängig vom MIV!
Fahrradwege auf Kosten des ÖPNV braucht keiner!
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