DSG Speisewagen @ 30 Dec 2015, 23:15 hat geschrieben: Die größte Fehlentscheidung an sich war die Privatisierung der Bundesbahn.
Leider gab es nie eine Privatisierung der Bundesbahn. Eine Privatisierung ist etwas anderes als die Rechtsform von einem "Sondervermögen des Bundes" in eine Aktiengesellschaft des Bundes zu ändern. Beides ist und war Bundesvermögen. Und schon damals gab es einen Bahnvorstand. Der aber, da "die Bundesbahn" in der Bevölkerung als staatliche Behörde wahrgenommen wurde, politisch sehr eng an die Bundesregierung gebunden war. Der Bundesverkehrsminister war damals sozusagen auch gleichzeitig der "Bundesbahnminister".
Die "nicht wirklich Privatisierung", also Änderung der Rechtsform von der Sonder-Gesellschaftsform "Sondervermögen des Bundes" in die Standard-Gesellschaftsform der Aktiengesellschaft hat aber dazu geführt, dass diese Bahn alle negativen Dinge aus der Behördenära, die es ja durchaus reichlich gab, mitgenommen hat. Extrem verworrene Strukturen und fehlende Zuständigkeiten ("es fühlt sich keiner verantwortlich"), bis hin zu altbackenen Arbeitsvorgängen mit überladenen, behördenmäßigen Formularen auf Recyclingpapier statt modernster IT. Die Stellwerke stammen teilweise noch aus Kaisers Zeiten und die EDV in der Betriebstechnik ist vielfach älter als der Mitarbeiter der sie bedient. Man hat also die "Agilität" einer Behörde behalten, aber deren positive Eigenschaften, wie die Orientierung am Gemeinwohl und Flächenversorgung oder auch behördliche Zuverlässigkeit ("lieber langsam, dafür aber ordentlich") fallen gelassen.
Dazu war das ganze einfach ein Feigenblatt für ein gigantisches Streichprogramm. Schau dir an, was an Belegschaft abgebaut wurde. Schau dir an, wie man Strecken zurückgebaut hat und das verbliebene Netz langsam verfallen lässt. Und eigenwirtschaftlich macht die Bahn jenseits des FV eh nichts mehr, man lässt sich das unternehmerische Risiko ganz vom Steuerzahler tragen, über die Regionalisierungsmittel zahlt also der Bund dem eigenen Bundesunternehmen Subventionen. Dann hätte man es halt gleich beim Bund gelassen und man hätte sich mit der ganzen Charade auch jede Menge Kosten für die damit verbundene Bürokratie (Ausschreibung, Aufteilung in Regionalgesellschaften, etc.) gespart.
Auch hier hat man nur die Nachteile einer Scheinprivatisierung, ohne aber die Vorteile einer echten Privatisierung: echter Wettbewerb, der ein Qualitäts- und Leistungswettbewerb ist und nicht durch engste Vorgaben der Ausschreibungen nicht mehr existiert - im Regionalverkehr sind die EVU ja tatsächlich auf eine Rolle von Subunternehmer, die Werkverträge nach genauer Anweisung durchführen, reduziert worden und die Ausschreibungen somit ein reiner Dumpingwettbewerb um den niedrigsten Preis (Qualitätswettbewerb ist ausdrücklich nicht vorgesehen - würde ein Teilnetz nach Qualitätsgesichtspunkten vergeben und nicht nach dem "wirtschaftlichsten Angebot", dann könnten alle Unterlegenen diese Vergabe erfolgreich gerichtlich anfechten, die Politik wollte das so!). Letztlich auch hier nur mit dem Zweck die eierlegende Wollmilchsau zu schaffen, mit weniger Geld mehr Regionalverkehr auf die Schiene zu bringen und dann wundern wir uns, wenn das in der Praxis nicht funktioniert...
Und Politiker wie Kohl, Schröder und Merkel sind sicher auch ganz glücklich mit dem Bahnvorstand nun hochbezahlte "Sündenböcke" zu haben, die sich das entsprechend gefallen lassen, während zuvor der Bundesbahnminister Rede und Antwort stehen musste und somit alle Defizite bei der Bundesbahn auch immer einen Schatten auf die jeweilige Bundesregierung, den Kanzler, warfen. Und so wie wir Mutti kennen mag sie nur eine Sache weniger, als wenn über politische Alternativen diskutiert wird: Verantwortung zu zeigen und eine klare Position zu vertreten. Man ist in Berlin mit Sicherheit sehr glücklich über diese Arbeitsteilung in Exekution des Kaputtsparens durch das formal eigenständige Bahnmanagement, während natürlich der Eigentümer direkt aber auch mittelbar über Rahmengesetze und Förderpolitik de facto weiterhin die Eisenbahnpolitik bestimmt, wie schon zu Bundesbahnzeiten. Dennoch stellt die Öffentlichkeit nicht mehr die Frage nach politischer Verantwortlichkeit wenn bei der Bahn mal wieder die Hütte brennt. Ist doch ein Traum für jeden Kanzler! Wieso sollte das irgend ein Bundespolitiker ändern wollen? Weiter die volle Kontrolle über das Riesenreich der DB, wo man auch mal gezielt Posten besetzen kann um in Ungnade gefallenes Personal gut versorgt unterzubringen (vgl. Herr P. der per Presseauftritt die NSA Affäre für beendet erklären wollte, entsprechend in Ungnade fiel und dann zur Bahn "wegbefördert" wurde) und wenn Lieschen Müller an der Bahn rumnörgelt kann auch der Bundesverkehrsminister öffentlichkeitswirksam Bahnschelte üben, weil die Bahn ja formal eigenständig sei und er gar nicht zuständig (er ist zwar Bundesverkehrsminister und "Hauptversammlung" der DB AB in Personalunion, aber hey, wer will denn kleinlich sein und ihn deswegen für den Zustand der Bundeseisenbahnen verantwortlich machen...).
An die Börse wollte man die Bahn übrigens nie bringen, für mich war das schlicht die Unwahrheit, man hat aber einfach lieber vermeintliche Zwänge und eine vermeintliche "Modernisierung" der Bahn zur Begründung für das genannte Streichkonzert genommen, als simpel zu sagen "wir betreiben jetzt neoliberale Politik und da passt günstige, flächendeckende Mobilität für die Massen halt nicht rein, die Leute sollen Flugzeuge benutzen und Autos kaufen, nicht mit der umweltfreundlichen und bequemen Eisenbahn günstig von A nach B reisen". Schau dir den Stellenwert der Automobilindustrie in Deutschland an und sag mir, ob das eine Verschwörungstheorie ist oder die Eisenbahn in Deutschland nicht politisch gezielt - naja - kaputtgeritten wurde. Der Börsengang war übrigens schon deshalb schlicht nicht möglich, weil das Grundgesetz besagt:
Art. 87e III, IV:
"[Die Eisenbahnen des Bundes] stehen im Eigentum des Bundes, soweit die Tätigkeit des Wirtschaftsunternehmens den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen umfaßt [...] die Mehrheit der Anteile an diesen Unternehmen verbleibt beim Bund.[...]
Der Bund gewährleistet, daß dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz [...]"
Mit dieser engen grundgesetzlichen Bindung der Eisenbahnen des Bundes ist eine echte Privatisierung, wie man die sonst versteht (der Staat verkauft etwas nach und nach, bis es komplett Privatleuten und Investoren gehört) ebenso wenig vereinbar, wie mit der damit verbundenen Profitorientierung, die natürlich jeder Investor verlangt, wenn er Anteile von der Bahn erwerben würde. De facto ist eine Privatisierung der Bahn mit dem Grundgesetz nicht möglich - der Gesetzgeber hat das so formuliert und damit zum Ausdrück gebracht, dass er eigentlich auch gar keine Privatisierung will. Das soll nur als Feigenblatt für politische Verantwortungslosigkeit oder auch wahlweise als Druckmittel für die Belegschaft und Bürger dienen, nach dem Motto "Was wollt ihr eigentlich, seid doch froh, dass die Bahn noch nicht an der Börse ist" (und Eisenbahnfreunde werten das dann schon als Teilerfolg und mucken nicht weiter gegen die sukzessive Zerstörung des deutschen Eisenbahnwesens auf, wie der Frosch im Wasser, welches man langsam erhitzt).