Oliver-BergamLaim @ 8 Aug 2006, 22:17 hat geschrieben:Privatisierung hat sicherlich ihre Vorteile. Aber keine Vorteile ohne Nachteile:
Es mag zwar sein, dass ich durch die Konkurrenz auf dem Telefonanbieter-Markt heute mein Auslandsgespräch in die USA billiger bekomme als früher oder Internet-Flatrates enorm billig sind. Dafür muß ich mich aber auch alle 3 Tage mit nem anderen Telefonverkäufer-Fuzzi von einem der 300 privaten Telefonanbieter in Deutschland rumschlagen und ihm erklären, dass ich mit meinem Anschluss zufrieden bin und nichts von seiner Firma kaufen möchte und es mir egal ist dass sein Produkt 0,0021 Cent/min. billiger ist als das der Konkurrenz und am Ende bucht er mir dann doch ungewollt sein Produkt um seine Absatzziele zu erfüllen und ich darf dann schauen wie ich's wieder loswerde.
Wenn ich mir den ganzen Ärger sparen könnte, würd ich gerne wieder Bundespost Fernmeldeamt-Preise für Auslandsgespräche etc. zahlen.
Und die hier schon angesprochene Problematik mit dem Leitungsnetz kommt noch dazu. Die ehemaligen Monopolisten werden irgendwann einfach kein Geld mehr in ihre Leitungsnetze stecken - wozu auch, wenn der Marktanteil ständig sinkt und die Privaten kaum was zahlen. Am Ende fällt das alles doch nur wieder auf den Verbraucher zurück.
Ähnlich sieht es bei der Privatisierung der Wasserversorgung etc. aus. Alle Leute jubeln, dass sie n paar Cent hier und n paar Cent da sparen, keiner macht sich Gedanken über die Folgen.
Private Anbieter strengen sich nur an, wenn es darum geht, neue Kunden zu gewinnen oder anderen Anbietern Kunden abzuluchsen. Wenn man dann erstmal in nem 2-Jahres-Knebelvertrag drinnen ist, wird man zumeist mit inkompetentem und teurem Telefon-Support und anderweitigem miserablen Service abgespeist, die Infrastruktur wird im Sinne der Gewinn- und Renditemaximierung für n paar reiche Vorstands- und Aktionärsar***... mleuchter kaum noch gepflegt.
Schau Dir doch mal allein im Münchner Stadt- und Regionalbusverkehr die "Qualität" der privaten Billiganbieter an: Fahrer die kaum ein Wort Deutsch können, mit 60 durch ne 30er-Zone brettern, mit offenen Türen fahren, Haltestellen übersehen (alles schon selbst bei Mitfahrten erlebt), kaputte TFT-Displays in 3 Monate alten Bussen, etc.
Das Erwachen für die ganzen "Geiz ist geil"-Fetischisten in diesem Land wird irgendwann sehr bitter sein.
So nervig Telefonwerbung auch ist, als Argument gegen die Privatisierung taugt sie m.E. nicht. Ich erinnere an alte Bundespostzeiten, bei denen man für Fern- und Auslandsgespräche ein Vermögen zahlen musste und der selbst vorgenommene Anschluss eines Fernsprechers juristisch als "Verbrechen" bewertet wurde. So was wünsche ich mir nicht zurück, da kann ich die Telefonwerbung verschmerzen.
Außerdem waren viele Bereiche immer schon privat und die übelste Telefonwerbung kommt von den Versicherern und Finanzdienstleistern.
Aber natürlich: Die Telefonwerbung, obgleich sie nicht erlaubt ist, hat dramatisch zugenommen. So kriege ich inzwischen teilweise 5 Anrufe am Tag, vor ein paar Jahren waren es vielleicht 2 in der Woche.
Ich habe bei einem Finanzdienstleister mal den Fehler gemacht, dass ich gesagt habe, ich habe definitiv kein Interesse, worauf man sagte "Aber zuschicken können wir Ihnen doch mal unverbindliche Informationen blah blah blah ...", woraufhin ich bejahte, um das Gespräch endlich beenden zu können. Zwei Wochen später bekam ich dann einen Anruf, wobei ein unangenehmer Typ bestimmt zwei Minuten ohne Unterbrechung auf mich einredete, worauf ich ihn unterbrach. Er belehrte mich, er sei noch nicht fertig und ich solle ihn gefälligst ausreden lassen, das gebietet die Höflichkeit.
Andere Telfonwerber wünschten mir den Untergang meiner Firma, sagten "dann ist Ihnen nicht mehr zu helfen" und ein Werber wünschte mir, dass meine Kunden mich so behandeln würden, wie ich ihn.
Da muss man darüber stehen, argumentativ ist man den meisten kaum gewachsen, da sie das den ganzen Tag machen, aber man hat eine wunderbare, sehr effektive Waffe, nämlich den roten Knopf. Den zu drücken, ist am Anfang eine Hemmschwelle, aber Übung macht den Meister.
Eine andere Möglichkeit ist, Anrufe mit "Unbekannt" oder Nummern, die nicht über das Telefonbuch in Namen aufgelöst werden, gar nicht mehr anzunehmen bzw. erst dann ranzugehen, wenn jemand Bekanntes auf den Anrufbeantworter spricht.
Aber zurück zur Privatisierung: Ich sehe es nicht so negativ wie Du. Jahrelange Knebelverträge beim Telefonanbieter muss man ja nicht eingehen, es gibt ja auch noch andere Anbieter. Der Service ist auf jeden Fall erheblich besser geworden, die Mitarbeiter sind kompetenter und schneller.
Auch die Post ist jetzt näher am Kunden dran: Keine Glaswände mehr zwischen dem "Postbeamten" und dem "Bittsteller", nichts anderes war der Kunde nämlich. Die Aufgabe eines Paketes wurde zum "Transportfall" und wenn man noch eine weitere Leistung benötigte, musste man sich nach endlosem Warten am nächsten Schalter anstellen. Übel.
Natürlich gibt es auch unschöne Auswüchse wie im ÖPNV mit inkompetenten Autobuslenkern und defekten Autobussen. Das scheint mir aber kein Problem der Privatisierung zu sein, sondern da fehlen doch offenbar gewisse Standards, was die technische Seite und Mitarbeiterseite angeht. Es muss doch möglich sein, zu erreichen, dass der Fahrer ausreichend gut Deutsch spricht und den Ort, in dem er fährt, kennt. So was muss doch lösbar sein, ohne dass man wieder alles in die staatliche Hand zurückführt, was wegen der EU-Vorgaben ohnehin nicht möglich sein dürfte.
Wichtige Anmerkung: Der obige Beitrag stellt keine Rechtsberatung dar, sondern gibt meine persönliche Meinung wieder.