Autobahn @ 17 Aug 2009, 21:31 hat geschrieben: Ich stelle aber die Frage, ob unter Kostengesichtspunkten ein Eisenbahnverkehr immer der richtige Weg ist.
Womit wieder die bereits aufgeworfene Frage im Raum steht, was für Nahverkehr aller Art der ausschlaggebende Wert ist: Betriebswirtschaftlicher Nutzen oder Volkswirtschaftlicher Nutzen. Ich tendiere zu letzterem, was passiert wenn ersteres bei Gegenständen der Daseinsvorsorge zu sehr in den Vordergrund rückt, kannst Du mit Sicherheit in jenen Städten erfragen, die ihre Wasserversorgung im Cross-Border-Leasing verzockt haben :blink:
Ich kann mir auch nicht wirklich vorstellen, dass ein dichter Takt (in dünn besiedelten Gebieten) mehr Fahrgäste generiert. Wie soll das gehen?
Dünn besiedelte Gegend bedeutet normalerweise einen erhöhten Mobilitätsbedarf, weil eben Arbeitsplatz / Schule / Krankenhaus / Supermarkt / Sportverein und 1000 andere Dinge des alltäglichen Lebens meistens nicht genau um die Ecke, sondern doch ein Stück entfernt sind. Es liegt doch für einen Verkehrsbetrieb nahe, genau diesen Mobilitätsbedarf für den eigenen Umsatz auszunutzen. Das Zauberwort heißt neudeutsch "Modal Split", will sagen, welches Stück bekommt der Verkehrsbetrieb vom Gesamtkuchen, und an dieser Größenordnung muß gearbeitet werden. Will sagen, wenn der Durchschnittseinwohner 4 Fahrten/Tag macht, sind es im Idealfall 4 Bahnfahrten, wenn es blödt läuft, 0 Bahnfahrten. Des Anbieters der Mobilitätsdienstleistung größtes Interesse und ganzes Trachten muß also sein, den Wert möglichst nahe an 4 anzunähern, und das flächendeckend. Wer aber mit seinem Angebot überzeugen will, der muß ein gutes Angebot machen. Als erfolgreicher Verkehrsbetrieb nutzt man hier zu allererst die Bequemlichkeit der Leute aus. Will sagen, ein vernünftig komfortables Fahrzeug hält in Kundennähe (Idealradius: max. ~ 400-500 m zum Haltepunkt), es verkehrt regelmäßig und zuverlässig zum einfach durchschaubaren Tarif, und bringt die Masse der Kundschaft in annehmbarer Zeit umsteigefrei ans Ziel. Für die nicht solcherart abzudeckenden Verbindungen sind funktionierende und zeitnahe Verknüpfungen oberstes Gebot, will sagen, Taktknoten an zentralen Punkten und kurze Umsteigewege. Der Bus vom Ort abseits der Bahn fährt genau auf diese abgestimmt, zum gleichen Tarif, den kürzesten Fahrweg, und bis direkt an den Haltepunkt. Diese Dinge erfordern oft genug vom Status Quo ausgehend, nicht unerhebliche Investitionen in Fahrzeuge und Infrastruktur, und damit einen langwierigen Kampf mit (Lokal-)Politikern unterschiedlichster Sorte. Auch ist sehr viel Fingerspitzengefühl hinsichtlich der Detailumsetzung nötig, z.B. steht der Bau zusätzlicher Haltepunkte von der Zahl der potentiellen Nutzer her immer in Relation zur nicht beliebig überdehnbaren Gesamtfahrzeit.
Man sieht an der langen Aufzählung der Notwendigkeiten, welche en Detail und ortsspezifisch noch weitere Faktoren einbringen können: Direkt einfach ist es nicht. Aber wenn man als Verkehrsbetrieb diese Grundlagen umsetzen kann, schafft man genau die erfolgreichen Verkaufsargumente für das eigene Produkt, die jeder Händler versucht zu erreichen: Man ist eine Marke ("X-Bahn: Bewegt alle !"), hat einen hohen Bekanntheitsgrad auf dem Markt, baut eine Kundenbindung auf. Ein hoher Anteil von treuen Stammkunden senkt zwar den Preis für das Produkt (günstigere Zeitkarten/Abos), aber man hat diese Kunden für einen gewissen Zeitraum sicher, und sie wirken als kostenlose Mulitiplikatoren, die glaubwürdig positive PR vermitteln. Lohn der Mühen können, vom Status quo ante ausgehend, Fahrgastzuwächse deutlich > 100% sein. Was sich dann natürlich für das Folgeprojekt der dortigen Lokalpolitik wunderbar als "Verkaufsargument" unterbreiten läßt, und auch in der Umweltbilanz des eigenen Unternehmens schön aussieht. ("X-Bahn entlastet die Region um ... Tonnen CO² pro Jahr !") Nette Nebeneffekte, die es kostenlos gibt, sind Neider (fast nichts motiviert besser als das) und Nachahmer (dann hat man wirklich was erreicht).
Merke: SO sieht erfolgreich angewandte Betriebswirtschaftslehre im Bahnbereich aus, nicht nur blutleere Kostenrechnerei ohne Hintergründe. Es wäre zwar trotz allem vermessen anzunehmen, daß ein solcherart geführter Betrieb ohne öffentliche Mittel auskommt, allerdings ist der volkswirtschaftlich erzielte Nutzen deutlich besser als bei zwanghaftem Kaputtsparen, will sagen, für die gleiche Summe investierter Euros kommt mehr dabei heraus. Was will man bei der Verwendung öffentlicher Gelder denn mehr erreichen als einen möglichst effizienten Mitteleinsatz ?
Natürlich weiß auch ich, daß die Realität auf Deutschlands Gleisen (noch) viel zu oft anders aussieht. Aber sollte uns das davon abhalten, Verbesserungen Schritt für Schritt anzustreben ? Erst das Bessere entscheidet dauerhaft, was gut ist !
Aber offensichtlich sehen es die Gutachter anders, als die Besteller. Letztere brauchen es ja auch nicht selbst zu finanzieren, sondern verteilen die Zuschüsse des Bundes.
So ganz richtig ist es nicht, da die Besteller in den letzten Jahren oftmals in einer sehr unschönen Zwickmühle gefangen waren: Mit sinkendem Mitteleinsatz mehr Leistungen erhalten, und dabei aber noch auf die jeweiligen politischen Befindlichkeiten vor Ort Rücksicht nehmen - nur Fahrzeuge vom Hersteller X, nur Anbieter mit Standort Y, und so weiter, und so weiter... Letztendlich lockt auch in diesem Spiel bei erfolgreicher Betätigung das Leckerli zusätzlicher Landesmittel :rolleyes:
Mit den reflexartigen Feinbildern habe ich Dich nicht persönlich angreifen wollen. Wenn es so rüber gekommen ist, tut es mir leid.
Ich fühlte mich keine Sekunde lang persönlich unsauber angegriffen, also bleib entspannt B) - ich habe lediglich eine nach meinem Ermessen sachlich falsche Feststellung korrigiert.