Tag 10 Voss -> Bergen
Große Überraschung heute Morgen. Es regnet. Wenigstens sind unsere Sachen weitgehend getrocknet. Bevor es nach Bergen weitergeht, steht noch eine wichtige Anschaffung an: Ein Plastiküberzug für den Rucksack. Bergen genießt nicht ganz zu Unrecht den Ruf einer extrem verregneten Stadt. Durchschnittlich kommt die Stadt auf über 200 Regentage und 2250 mm Niederschlag pro Jahr (München 130 Tage, 970 mm; Berlin 106 Tage, 570 mm). Eigentlich ist nicht nur unser Bedarf an Regen fürs Erste gedeckt. Der See ist mittlerweile über die Ufer getreten.
Während eines kurzen Lichtblicks geht es durch die komplett unter Wasser stehende Wiese für ein paar Abschiedsfotos zum Voss-Schriftzug, der immerhin nicht von Asiaten belagert wird.

Sogar die Enten haben sich heute verzogen.
Dann geht es auch schon zum Bahnhof, wo bereits der modernisierte NSB Type 69-Triebwagen zur Fahrt nach Bergen wartet. Der E-Tw ist durchgehend mit 3+2-Klappsitzen bestuhlt. Die vis-a-vis-Plätze weisen eine absolut inakzeptable Beinfreiheit auf, die eher an eine Straßenbahn erinnert.
Interessant ist die Low-Tech-Einrichtung zur gestuften Beschattung.
An zwei Stellen gerät der Zug im höheren Geschwindigkeitsbereich in einen sehr unruhigen Lauf, der wohl auf Gleislagefehler zurückzuführen ist. Diese Vermutung wird durch die – zum Glück erst morgen beginnende – zweiwöchige Vollsperrung Arna-Voss mit SEV bekräftigt.
Während wir durch das Tal weiter nach Westen fahren, stellen wir fest, dass nicht nur der See über die Ufer getreten ist, sondern auch der Abfluss starkes Hochwasser führt. In unzähligen Wasserfällen stürzt weiß-braunes Wasser von den Bergen herab und wird in Rohren unter dem Bahndamm hindurchgeführt. Das intensive Grün der Pflanzen und der Regen erinnern mich an den Nebelwald auf La Gomera.
Der Schaffner steht während eines Haltes vom strömenden Regen unbeeindruckt auf dem Bahnsteig – obwohl es ein Zugeroaster ist, scheint er sich wohl an das Wetter gewöhnt haben.
Im weiteren Verlauf legt der Regen nochmals an Stärke zu. Es schüttet wie aus Kübeln, Wasserfälle ergießen sich von den Berghängen. Sollte das unser einziger Eindruck von Norwegen für die nächsten zehn Tage bleiben? Hoffentlich nicht.
Bald erreichen wir den tief ins Land hineinragenden Fjord. Inzwischen haben wir herausgefunden, woran man erkennt, ob es sich um einen Binnensee oder einen Fjord handelt. Auf letzterem liegen zahllose Boote am Ufer, während sie auf ersterem nur spärlich gesät sind.
Es klart allmählich auf und der Regen lässt nach. Als wir in Arna halten (der Bahnsteig liegt zur Hälfte im Tunnel), sind einige sonnige Stellen an den Berghängen erkennbar. Als wir mit -2 in Bergen ankommen und es gefühlt zum ersten Mal seit fünf Tagen trocken ist, sind wir so froh darüber, dass wir unsere Koffer lieber durch die Stadt ziehen anstatt den Obus zu nehmen. Na gut, und auch weil wir am Bf keine Bergen-Card kaufen können und lieber nicht wissen wollen, wie viel die Einzelfahrten beim Busfahrer kosten.

Es folgt gleich die nächste Überraschung. Wir entdecken das erste Mittagsmenü in Norwegen, dass weniger als 10€ kostet.
Unser erster Eindruck der Stadt fällt positiv aus und das nicht nur wegen dem Wetter. Nachdem wir an der Touri-Info die Bergen Card gekauft haben, die freien Eintritt in die meisten Sehenswürdigkeiten und ÖPNV-Nutzung beinhaltet, beginnen wir einen Stadtrundgang.
Los geht’s am extrem touristischen Fischmarkt, auf dem auch Riesenkrabben angeboten werden.

Ursprünglich stammt diese Art aus dem Nordpazifik und wurde zu Zeiten der Sowjetunion in der Barentssee bei Murmansk zur Wirtschaftsförderung ausgesetzt. Mangels natürlicher Feinde hat sich die Art seitdem extrem stark ausgebreitet und kommt nun auch an der nordnorwegischen Küste vor. Wegen der völlig überteuerten Preise ist es empfehlenswert, hier nur zu schauen und nicht zu kaufen…
Wenige Schritte weiter beginnt das bekannte Hafenviertel Bryggen.
Ursprünglich handelte es sich um ein lebendiges Hafenviertel, das vollständig aus Holzhäusern bestand. Wie man sich leicht vorstellen kann, kam es infolgedessen immer wieder zu Bränden. Aus diesem Grund wurde Feuer in den meisten Häusern untersagt. Es gab einige spezielle Gebäude am Rand des Viertels, in denen gekocht werden konnte. Das waren auch einige der wenigen beheizten Häuser – der Großteil war wegen Feuergefahr unbeheizt. 1702 brannte Bryggen dennoch nahezu vollständig ab, wurde aber wieder aufgebaut. Ein Teil der Häuser wurde 1901 in Ziegelbauweise neu errichtet.
1955 kam es erneut zu einem Brand und die verbliebenen Häuser sollten abgerissen werden und – was könnte man anderes erwarten – durch ein Parkhaus ersetzt werden.
Nach langem Kampf wurde das historische Viertel 1979 schließlich zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt und damit vor der Zerstörung gerettet. So ziehen die schön hergerichteten Holzhäuser heute viele Touristen in den Bann.
