Allmählich ist es an der Zeit, uns zum Busbahnhof zu begeben.
Zuerst hält ein Nettbus-Reisebus am Bussteig, auf dessen Abfahrtstafel auch Aandalsnes steht. Da auf dem Bus aber ein anderes Ziel steht, fragen wir nach. Nein, der nach Aandalsnes kommt gleich.
Da nähert sich auch schon ein weiterer Reisebus, ich hatte eher mit einem Regionalbus für die Fahrt von 2 h 10 min gerechnet.
In den nächsten 20 Minuten geht es langsam durch den weitläufigen Ort, dann etwas schneller über eine gut ausgebaute Landstraße.
Wer unaufmerksam ist oder zu schnell fährt, wird auf den gut ausgebauten Abschnitten mit einem unangenehmen Geräusch und Rütteln bestraft. Die Rumble Strips gibt es in zwei Varianten: Entweder die Fahrbahnmarkierung besteht aus unzähligen einzelnen Streifen oder in den entsprechenden Bereich sind Wellen in den Asphalt gefräst und die Markierung durchgängig aufgebracht.
Während auf der Strecke Bergen-Aalesund das Abfahren von der Landstraße zu den auf Parkplätzen oder Auffahrten gelegenen Haltestellen durch Lowtech gelöst wird (langsamer fahren, und wenn keiner in der einsehbaren Haltestelle wartet und niemand aussteigen will, einfach auf der Landstraße weiterfahren), gibt es hier an einigen Stellen Hightech-Einsatz.

An der Haltestelle gibt es eine Haltewunschtaste für jede Richtung. Nach dem Betätigen leuchten zwei weiße Lichter auf, die von der Straße einsehbar sind.
Unser Busfahrer ist kein echter Profi, jedenfalls würgt er beim Anfahren zweimal beinahe den Motor ab und verschaltet sich immer mal wieder.
Bald beginnt es wieder zu regnen. Auf der Straße sind es bis Trondheim knapp 300 km, mit Umweg und einer Stunde Wartezeit werden wir fast acht Stunden unterwegs sein. Beim heutigen Wetter ist das aber kein Verlust. Ich missbrauche den Getränkehalter für das Mittagessen.
Das Handy des Busfahrers klingelt, er geht ran und hält es sich mit der linken Hand ans Ohr, während er mit der rechten Hand den Bus über die kurvige Landstraße steuert. Da er keine Bremse anlegt, rollt der Bus an einigen Haltestellen weg.
Während wir Berge, Wasserfälle und Fjorde passieren, schüttet es. Das Handy klingelt wieder. Und nochmal einhändig fahren. Jemand winkt an der Haltestelle, der Busfahrer bremst ab. Der zusteigende Fahrgast will bezahlen, nur widerwillig legt der Fahrer das Handy beiseite. Nach abgeschlossenen Bezahlvorgang nimmt er das Handy wieder in die Hand. Ganz genau kann ich das gefährliche Multitasking nicht beobachten, daher wird es mir ewig ein Rätsel bleiben, wie man gleichzeitig telefonieren, schalten und den Bus über die kurvige Landstraße lenken kann.
Bei einem anderen Fahrgast kassiert er während der Fahrt und fummelt nebenher am Kartenlesegerät herum. Da ist es fast schon nebensächlich, dass der 5 km lange, recht neue Tunnel keinen einzigen Hinweis auf einen Fluchtweg besitzt. Die Strecke scheint zurzeit beschleunigt zu werden, denn abgesehen von mehreren neuen Tunnels wird gerade an einer riesigen Brücke gebaut, die einen Fjord überspannt.
Fünf Minuten nach der planmäßigen Ankunftszeit werden wir allmählich unruhig. Unsere 21 Minuten Umsteigezeit schwinden rapide dahin. Doch schon bald kommen Gleisanlagen in Sicht und nachdem uns noch eine rote Baustellenampel ausgebremst hat, erreichen wir mit +10 den Bahnhof Aandalsnes.
Ein wenig klischeehaft ist das Bild ja schon, dass der Schaffner mit Regenschirm im trüben Regenwetter abgibt…
9775
Ich bin erstaunt, wie voll der Talent ist, die Auslastung liegt deutlich über 50%. Es haben sich zwar einige Touristen auf die Raumabahn verirrt, die Mehrheit der Fahrgäste sind jedoch Einheimische. Bei nur drei oder vier Zugpaaren pro Tag und drei Zwischenhalten auf der 100 km langen Strecke verwundert mich das. Nachdem der wenige Minuten verspätete Gegenzug eingetroffen ist, fahren wir pünktlich ab. Auch wenn das Wetter schlecht ist und sich die Fenster nicht öffnen lassen, macht die Fahrt Spaß.
In hohem Tempo geht es durch das Raumatal, vorbei an einer mächtigen Felswand, bewaldeten Berghängen und zahlreichen Wasserfällen. Mit viel Pfeifen werden unzählige, technisch nicht gesicherte BÜ von Feldwegen überquert. Stellenweise wird die Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h wohl voll ausgefahren. Die Strecke ist für die wenigen Züge ziemlich gut ausgebaut. Es gibt einige Ausweichstellen, doch die meisten Ausweichgleise besitzen keine Signale und sind nicht blank geschliffen. Auch wenn Aandalsnes einen wichtigen Hafen mit umfangreichen Gleisanlagen besitzt, sieht es nicht so aus, als würde hier GV in nennenswertem Umfang stattfinden.
Türkisblaues Wasser plätschert durch das Tal.
In zwei 180°-Tunneln windet sich die Strecke den Hang hinauf. Allmählich lässt der Regen nach. Vielleicht ist es uns mal wieder gelungen, dem Regen davonzufahren. Nach einer Stunde und 20 Minuten ist die Fahrt leider schon wieder vorbei. In Dombaas werden die Türen auf beiden Seiten geöffnet, links für die Umsteiger nach Oslo, rechts zum Hausbahnsteig. Bis zur Abfahrt unseres Zuges nach Trondheim bleibt noch über eine Stunde, also reichlich Zeit für Fotos und einen kleinen Spaziergang in den überschaubaren Ort.

Es ist unangenehm kalt, ich habe Winterjacke, Schal und Mütze an. Aus den Schornsteinen steigt Rauch auf. Die Wandersaison ist hier Anfang September längst vorbei. Leichter Nieselregen setzt ein, während wir im beheizten Warteraum zusammen mit zahlreichen weiteren Fahrgästen auf den Zug nach Trondheim warten.
Wenige Minuten vor der Abfahrt strömen alle auf den Bahnsteig, doch da wird auch schon verkündet, dass der Zug verspätet ist. Wieviel verstehen wir jedoch nicht. Ein Deutscher, der in Norwegen lebt, schnappt unser Gespräch auf. +10. „Warum sollte es hier auch anders sein wie daheim?“ Er erzählt noch, dass er bereits aus dem Osloer Bahnhof geschmissen wurde, weil dieser nachts für einige Stunden schließt, offiziell um ihn zu reinigen. „In Deutschland undenkbar.“
Ich vermute eher, dass man den zahlreichen Obdachlosen im Osloer Bahnhofsviertel keinen gemütlichen Schlafplatz bieten möchte. Was die bessere Sauberkeit von Bahnhöfen und Zügen angeht, schließe ich mich sofort an. Und ein beheizter Warteraum ist in Norwegen selbstverständlich…
Da rollt der lokbespannte Zug auch schon an den Bahnsteig und mit +10 setzen wir unsere Fahrt fort.
Die Landschaft ist in graues Halbdunkel getaucht und es regnet fast ununterbrochen. Dennoch gibt es einige schöne Ausblicke über die karge Hochebene, auf der das Thermometer 8°C anzeigt.
Auch die im Tal schwebenden Wolken sind sehenswert. Fast komme ich mir vor, als würde ich mit dem Zug über den Wolken fliegen.
Als wir unten ankommen, zeigt das Thermometer erschreckenderweise nur 10°C an. Trondheim erreichen wir mit +8 zur blauen Stunde. Bis die Koffer im Trockenen und die Kamera draußen ist, wird die Lok schon wegrangiert.
Mit einem fotolosen Spaziergang im strömenden Regen beenden wir den heutigen Tag.