Vor 2 Wochen wurde im Nordwesten der Schweiz das 175-jährige Jubiläum der Schweizer Eisenbahn gefeiert. Ich habe mich in Basel SBB ein wenig umgeschaut.
Mouette-Triebwagen (Flirt 3 für FV)
Ab Dezember 2025 wird (nach dem zweigleisigen Ausbau Grellingen – Duggingen) der heutige Stundentakt Basel – Delémont – Biel auf einen Halbstundentakt verdichtet. Dafür beschafft die SBB 11 neue Triebwagen, die sich derzeit im Zulassungsprozess befinden. Im Rahmen der Feierlichkeiten zu 175 Jahren Eisenbahn konnte man einen der neuen Tw in Basel besichtigen.
Bis zur Fertigstellung des Streckenausbaus im Laufental werden die Züge ihre ersten Fahrgastfahrten ab 2023 auf dem IR 36 (Basel – Zürich Flughafen) absolvieren.
Der Tw ist auch für den Gotthard-Basistunnel zugelassen.
Das Innenraumdesign orientiert sich am Giruno.
Warum die Fahrradhalterungen so schräg sind, ist mir schleierhaft.

Wenigstens muss man sie nicht senkrecht an die Wand hängen.
Leider sind diese fiesen Stolperfallen-Rampen an den Wagenübergängen zum Standard geworden.

Eine durchgehende Rampe mit einheitlicher Steigung wäre nicht TSI-konform, weil dann körperlich eingeschränkte Fahrgäste diese nicht mehr bewältigen könnten (!). Da frage ich mich schon, welcher Brüsseler Bürokrat sich sowas ausgedacht hat. Rampen an Bahnsteigzugängen in der Schweiz dürfen übrigens ohne Zwischenpodeste 12% Neigung aufweisen.
Die Rampen gibt es auch in den Flirt von Go Ahead Bayern.
Stufen gibt es nur an den beiden Wagenenden zu den Führerständen.
Führerstand
Die Außenspiegel sind in eine umfangreiche Glaskonstruktion eingebaut.

Und kein Gruß an die Spezialisten, die es für eine gute Idee halten, mit der Pfeife zu spielen, wodurch sich einige Menschen furchtbar erschreckt haben.
Zu diesem SOS-Knopf gibt es eine lange Geschichte.

Über 99% der dadurch ausgelösten Alarme sind Fehlalarme, was schon mal eine grundsätzlich schlechte Voraussetzung für die Ernsthaftigkeit bei einem eingehenden Notruf ist. Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens ist das Design den Türöffnern sehr ähnlich. Eine andere Farbe zur besseren Unterscheidung war aufgrund irgendeiner Schweizer Norm nicht zulässig. Zu allem Überfluss gibt es im zahlreichen älteren Zügen Türöffner seitlich neben den Türen. Zweitens ist die Höhe perfekt, um mit dem Rucksack versehentlich dagegen zu stoßen. Den Knopf mit einer Klappe abdecken ist aber auch nicht zulässig, weil dann könnte im Notfall vielleicht eine halbe Sekunde verlorengehen oder jemand ist in Panik nicht in der Lage, die Klappe zu entfernen. Ebenfalls nicht zulässig wäre eine Mindestdrückdauer von 2 Sekunden oder eine deutlich höhere/tiefere Position zu wählen, denn selbst das ist in Vorschriften stark eingegrenzt.
Tücken im Detail haben auch die PRM-Vorrangsitze. Aus Sicht der Interessenverbände ist laut Auskunft des SBB-Kollegen wohl der Aufkleber am Fenster das wichtigste bei der Gestaltung dieser Plätze.
Im Vergleich mit der normalen Sitzgruppe kann man zwei weitere Unterschiede erkennen.
Der Tisch muss klappbar sein, um leichteres Platznehmen zu ermöglichen. Außerdem sind die Sitzflächen der PRM-Sitze 3 cm kürzer als die anderen, da Stadler den Zug nach dem Baukastenprinzip aufbaut. Ein Modul ist immer 1,80 m breit, egal ob mit Fenster oder Tür. Die Norm schreibt vor, dass zwischen den Sitzflächen der PRM-Sitze mindestens 60 cm Platz sein müssen, bei den Standardsitzen sind es aber nur 54 cm. Um mit dem vorhandenen Platz einer Vierergruppe auszukommen, muss man also entweder die Sitzpolsterung reduzieren oder die Sitzflächen. Man hat sich für Letzteres entschieden. Auch wenn man den Unterschied durchaus spürt, ist es zumindest für mich keine erhebliche Komforteinbuße, wohl aber ein zusätzliches Teil im Ersatzteillager der SBB.
Auf die Frage hin, warum die SBB eigentlich generell so sparsam mit der Tischgröße ist, zeigt sich die starke Subjektivität dieses Einbaus. Ich finde es super zum Arbeiten, Lesen oder Kartenspielen. Der SBB-Kollege empfindet Tische als störend beim Arbeiten, weil der Laptop seiner Meinung nach immer zu nah, zu hoch oder zu weit weg steht. Er möchte ihn am liebsten einfach auf die Oberschenkel stellen. Ich dagegen finde, dass Schmetterlingstische (im Gegensatz zu den hier gezeigten Tischen) eine gute Laptopposition ermöglichen. Das zweite Argument, nämlich dass große Tische den Fahrgastwechsel verlangsamen, lasse ich hier allerdings nicht gelten, da es sich explizit um einen FV-Zug handelt.
Der große Rollstuhlbereich…
…mit Defibrillator.
Nervig ist jedenfalls das Türpiepen, dass ebenfalls aufgrund der Norm ziemlich laut sein muss. Da hat man zumindest mitgedacht und die 1. Klasse ohne Außentür und mit Zwischentür getrennt.
Auch hier alles typisch Giruno…
…und leider nur kleine Tische.
Nightjet Liegewagen Comfort
Besonders gespannt war ich auf diesen neuen Wagen, der bereits in Österreich im Einsatz ist und ab Sommer auch auf Strecken in die Schweiz eingesetzt werden soll.
Von außen sieht man dem Wagen die frische Lackierung an.
Direkt neben der Tür ist dieses Fahrradabteil, das auf mich recht eng wirkt.
Das Dienstabteil zu fotografieren, welches zwischen Fahrradabteil und Gang eingezwängt ist, ist quasi unmöglich. Es ist wirklich winzig und nicht mal 1 qm groß.

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Vergleicht man es mit dem Dienstabteil im älteren Schlafwagen, wo es sogar eine Liege gibt, eine deutliche Verschlechterung für das Personal.
Auf den ersten Blick neu ist der elektronische Verschluss der Abteile mit Schlüsselkarte wie im Hotel. Sicher ganz praktisch, man kann nicht versehentlich ins falsche Abteil latschen und kann die Tür unabhängig von später zusteigenden Fahrgästen verschließen.
Und so sieht das Abteil aus:
Und mit Leiter:
Detail obere Liege
Detail untere Liege
Geschlossene Tür mit verstauter Leiter, die durchaus auch so nutzbar ist.
Gut finde ich, dass die oberen Liegen jetzt auch einen kleinen Tisch haben. Das war für mich immer ein großes Manko. Und dass die grobmaschigen Netze an den Seitenwänden durch geschlossene Tragbeutel ersetzt wurden, durch die keine kleinen Gegenstände verloren gehen können, sehe ich auch als Plus.
Jede Liege hat eine Steckdose und eine USB-Ladestelle. Ob das an der Decke angebrachte Leselicht nicht dem Schlafnachbarn auf der anderen Seite in die Augen scheint, habe ich noch nicht ausprobiert.
Was ich dagegen einen klaren Rückschritt gegenüber den älteren Wagen sehe, sind die unverändert kleinen Tische. 6er-Liegewagen zum Vergleich:
Auch wenn ich das super finde, hätte man ja den vorhandenen Tisch wenigstens ausklappbar bauen können. So muss das Frühstück weiterhin auf dem Schoß eingenommen werden und Kartenspiele irgendwie auf der Liege.
Ein weiterer großer Nachteil ist in meinen Augen der Sitzkomfort. Ein guter Nachtzug muss für mich auch im Sitzen bequem sein, denn wenn man schon um 20:00 Uhr losfährt, möchte ich gerne noch eine Weile rausschauen. Die senkrechte Lehne finde ich sehr hart und zu weit hinten, um eine angenehme Sitzposition einnehmen zu können. Auch in diesem Punkt meiner Meinung nach ein klarer Rückschritt zur heruntergeklappten mittleren Liege.
Dass die Schiebetüren durch Schwenktüren ersetzt wurden, verbraucht natürlich Platz im Abteil. Immerhin lässt sich die geöffnete Tür festklemmen, sodass sie nicht versehentlich zufliegt.
Das Bedienpanel gibt beim Drücken der Knöpfe ein nerviges Piepen von sich.
Schön finde ich das (theoretisch) dimmbare Licht (hat bei meinem Test nicht funktioniert), die Piktogramme für Licht und Thermometer hätten sich aber stärker unterscheiden können. Dass man eine WC-Anzeige im Abteil hat, finde ich praktisch. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass der Schein des Bedienpanels nachts durchaus stört. Ich vermute mal, dass sich die Hintergrundbeleuchtung nicht ausschalten lässt. Das hätte ruhig dezenter ausfallen können.
Eine Neuerung ist das PRM-Abteil – wahrlich eine riesige Suite.
Ein wesentliches Problem bleibt unverändert – die mangelnde Gepäckfläche. Hier sollten besser keine 4 Personen mit großem Koffer oder Wanderrucksack zusammen reisen, denn durch die Schwenktür wird der Platz für die Füße noch weniger. Ein eigenes Gepäckabteil außerhalb (wie in Schweden) fände ich äußerst hilfreich. Aber vielleicht haben auch die meisten Fahrgäste Angst, dass dann ihr Gepäck geklaut werden könnte und wollen das gar nicht.
Zwei Punkte, die mir persönlich noch wichtig sind und die ich (noch) nicht beurteilen kann, sind der Liegekomfort und die angenehme Klimatisierung. Alles in allem ist mein Fazit durchwachsen – der große Wurf ist hier in meinen Augen nicht gelungen, was die Kollegin sichtlich enttäuscht aufnimmt. Ich werde berichten, sobald ich den Wagen zum ersten Mal richtig „erfahren“ kann.
Außerdem ausgestellt war noch ein Giruno (den ich mir aber nicht näher angeschaut habe, da schon regelmäßig im Betrieb getestet) und eine TEE-Garnitur. Sie wird immer mal wieder für Sonderfahrten eingesetzt.
Ein sehr interessantes Gespräch hatte ich auch noch mit dem Kollegen von trireno, dem Markennamen für die trinationale S-Bahn Basel. Ein Überblick über die zahlreichen Projekte, das mittelfristige Konzept bis 2030 und das langfristige Konzept (frühestens 2035) mit S-Bahntunnel Basel (genannt Herzstück) gibt es hier:
https://www.trireno.org/de/
Einige interessante Punkte:
• Die Hochrheinbahn bleibt zwischen Waldshut und Erzingen wie heute eingleisig. Es wird aber eine neue Kreuzungsmöglichkeit geschaffen. Für die Elektrifizierung muss an einem der beiden Tunnels eine größere bauliche Änderung vorgenommen werden und das Trassee abgesenkt werden. Im anderen Tunnel ist die Bauhöhe ausreichend für eine Deckenstromschiene.
• Die Strecke Waldshut – Koblenz wird ausschließlich von Deutschland aus bedient. In Koblenz muss weiter Richtung Schweiz im Gegensatz zu heute stets umgestiegen werden. Die Strecke Turgi – Koblenz – Eglisau wird dann nur innerschweizerisch bedient.
• Eine Wiederaufnahme des PV auf der Strecke Laufenburg – Koblenz ist nicht konkret geplant. Eine vorliegende Untersuchung zeigt, dass ohne Ausbauten der dort abgewickelte GV nicht mehr möglich wäre.
• Auf die Frage, warum man die S2 (Schweiz – Frankreich) nicht heute schon anbietet, nennt der Kollege als Grund die unpassende Taktlage (man müsste 15 min in Basel SBB stehen) sowie fehlende frankreichtaugliche Fahrzeuge.
• Die heutige S3 nach Delémont und Porrentruy wird es nicht mehr geben. Alle S-Bahnen enden künftig in Laufen, bis Aesch wird dann auf Takt 15 verdichtet. Eine weiterführende S-Bahn verträgt sich auf der eingleisigen Strecke nicht mit dem vorgesehenen Takt 30 im FV Basel – Biel. Fahrgäste der kleinen Halte hinter Delémont verlieren also ihren Direktanschluss nach Basel, durch den Umstieg zum Schnellzug wird die Reisezeit aber sogar kürzer. Die großen Verlierer sind die Fahrgäste der kleinen Juraorte, die an einen der Zwischenhalte im Laufental wollen. Statt heute direkt müssen sie zweimal umsteigen und längere Reisezeiten in Kauf nehmen.
Für diese Fragen habe ich dann ein Werbe-Taschenmesser bekommen. „Nur für VIP“, war der Kommentar des Kollegen.
https://www.tramnetz2030.ch/
Und zum Tramnetz 2030 und dem bereits in einem Referendum 2017 gescheiterten Margarethenstich (Verbindung BLT Dorenbach – BVB Margarethen)
https://goo.gl/maps/7zn7q2J1KvPRD7yn8
hofft man nun, durch die neu geplante Expresstram 17, die einige Haltestellen zwischen Ettingen und Basel auslässt und dem dadurch erzielten Fahrzeitgewinn von etwa 3,5 min die nächste Abstimmung auch in Basel-Land gewinnen zu können. Hauptzweck dieser kurzen Strecke ist die schnellere Anbindung des Birsigtals an den Bahnhof SBB.
Stadteinwärts sollte es kein allzu großes Problem darstellen, die Express-17 vor der überall haltenden 10 abfahren zu lassen, aber stadtauswärts mit zwei unterschiedlichen Routen durch die ganze Stadt wird spannend.